Urteil des OLG Stuttgart vom 13.11.2006

OLG Stuttgart (zpo, treuhand, anordnung, unzumutbarkeit, auflage, ultra petita, stgb, verjährung, prospekt, unterlagen)

OLG Stuttgart Urteil vom 13.11.2006, 6 U 165/06
Anordnung der Urkundenvorlegung: Unzumutbarkeit der Vorlage eines Emissionsprospekts; Beweislast
für die Weigerungsgründe und Reichweite der Prüfung des Zeugnisverweigerungsrechts unter
Beachtung von Einwendungen des Dritten im Zwischenstreit; Auswahl des Adressaten der
Vorlageverfügung; Zeugnisverweigerungsrecht nach Eintritt der strafrechtlichen Verjährung
Leitsätze
1. Nach Eintritt der strafrechtlichen Verjährung besteht kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 2. Alt.
ZPO mehr
2. Wer einen Emissionsprospekt herausgegeben hat, kann dessen Vorlage nicht nach §§ 142 Abs. 2 S. 1, 384 Nr.
2 1. Alt ZPO mit der Begründung verweigern, dass die Vorlage ihm zur Unehre gereiche. Eine Beeinträchtigung der
Ehre begründet auch keine Unzumutbarkeit der Vorlage im Sinne des § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO.
3. Die Befürchtung, dass nach § 142 Abs. 1 ZPO vorzulegende Unterlagen in weiteren Verfahren gegen den
Vorlegenden verwendet werden, begründet jedenfalls dann keine Unzumutbarkeit der Vorlage der Unterlagen, wenn
der Vorlegende der Partei, die sich auf die Unterlagen bezogen hat, ohnehin materiell-rechtlich zur Gewährung von
Einsicht verpflichtet ist.
4. Die objektive Beweislast für das Vorliegen der Weigerungsgründe des § 142 Abs. 2 ZPO liegt beim Dritten.
5. Im Zwischenstreit nach §§ 142 Abs. 2 S. 2, 390 ZPO werden lediglich die Unzumutbarkeit der Vorlage und das
Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechts geprüft, nicht hingegen, ob auch die übrigen Voraussetzungen für die
Anordnung der Vorlage der Urkunden vorlagen. Einwendungen des Dritten hierzu sind aber als Anregung zur
Prüfung zu verstehen, die Anordnung von Amts wegen abzuändern oder aufzuheben.
6. Das Gericht ist bei der Auswahl des Adressaten der Vorlageverfügung nach § 142 Abs. 1 ZPO nicht an den
Kreis derer gebunden, die die Parteien als mögliche Adressaten benannt haben.     
Tenor
1. Die ... Treuhand GmbH ist nicht berechtigt, die Vorlage des Emissionsprospekts des Fonds „... Immo GbR III“
nach § 384 Nr. 2 ZPO oder wegen Unzumutbarkeit zu verweigern.
2. Die ... Treuhand GmbH trägt die zusätzlichen Kosten des Zwischenstreits.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Streitwert des Zwischenstreits: bis 6.000 EUR
Gründe
1
Von einer Darstellung wird nach § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
I.
2
Die ... Treuhand GmbH ist aufgrund der von ihr vorgebrachten Gründe nicht zur Verweigerung der Vorlage des
Emissionsprospekts berechtigt. Sie erfüllen nicht die Voraussetzungen des § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO. Im
Einzelnen:
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1. Das geltend gemachte Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO besteht nicht.
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a. Die Verantwortlichen der ... Treuhand GmbH ziehen sich bei Vorlage des Prospekts nicht die Gefahr
strafrechtlicher Verfolgung (§ 384 Nr. 2 2. Alt ZPO) zu. Die diskutierten Straftatbestände sind verjährt.
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Wie bereits in der Verfügung vom 10.10.2006dargelegt, entspricht es der vom Senat geteilten allgemeinen
Auffassung, dass eine Gefahr strafrechtlicher Verfolgung nicht besteht, wenn strafrechtliche Verjährung
eingetreten ist (statt vieler: Damrau in Münchener Kommentar zur ZPO 2. Auflage § 384 Rdnr. 10 mwN, auch
zur Rechtsprechung des BVerfG). Dies liegt darin begründet, dass die Strafverfolgungsbehörden die Verjährung
- anders als im Zivilrecht - von Amts wegen zu berücksichtigen haben und daher ein Strafverfahren, sofern es
überhaupt zu Vorermittlungen und der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens kommen sollte, ohne weitere
Befassung und damit ohne Belastung der Verantwortlichen der ... Treuhand GmbH einzustellen wäre.
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Wie ebenfalls bereits in der o.g. Verfügung dargestellt und von den Bevollmächtigten der ... Treuhand GmbH
auch nicht angegriffen, ist für sämtliche in Betracht kommenden Straftatbestände (dies gilt erst recht für
Ordnungswidrigkeiten) die strafrechtliche Verjährung bereits spätestens 1999 eingetreten. Keiner der
diskutierten Straftatbestände des Betrugs sowie des Wuchers ist mit einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf
Jahren bedroht - die Strafschärfungen in § 263 Abs. 3 StGB und §§ 302a Abs. 2 StGB aF/ 291 Abs. 2 StGB nF
bleiben bei der Bestimmung der Verjährungsfrist außer Betracht (§ 78 Abs. 4 StGB) -, womit die
Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB nach dessen Nr. 4 fünf Jahre beträgt. Selbst wenn die Verjährung
unterbrochen worden wäre, wäre die absolute Grenze der Verjährung nach 10 Jahren erreicht gewesen (§ 78 c
Abs. 3 S. 2 StGB) und zwar gerechnet ab Beendigung der Tat bzw. dem Eintritt des strafrechtlichen Erfolgs (§
78a StGB). Letzterer trat bereits 1989 ein, weil sich der Beklagte - wie sich aus dem Schließungstermin des
Fonds 30.06.1989 und dem Einkommensteuerbescheid des Beklagten für 1989 ergibt - in diesem Jahr beteiligt
und seine Einlage als Einmalzahlung erbracht hatte, womit evtl. Schädigern die Früchte der Tat auch in diesem
Jahr zugute gekommen waren (vgl. hierzu als Kriterium BGH NJW 1984, 376; Tröndle/Fischer StGB 53.
Auflage § 78a Rdnr. 8).
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b. Die Vorlage des Emissionsprospekts gereicht der ... Treuhand GmbH oder ihren Verantwortlichen auch nicht
zur Unehre (§ 384 Nr. 2 1. Alt ZPO).
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Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass die Handlung der Vorlage eines Prospekts allenfalls in seltenen
Fällen unehrenhaft sein kann und ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Vielmehr ist zu fragen, ob der Inhalts des
Prospekts, wenn er bekannt wird, geeignet ist, das Ansehen der ... Treuhand GmbH in den Augen der
allgemeinen Bevölkerung unter Berücksichtigung der örtlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und der
Wertungen des Grundgesetzes spürbar herabzusetzen (z.B. Huber in Musielak ZPO 4. Auflage § 384 Rdnr. 4),
weil es den Schluss auf ein unehrenhaftes Verhalten gestattet (Berger in Stein/Jonas ZPO 21. Auflage § 384
Rdnr. 7), von dem diese Kreise bislang nicht ausgegangen waren. Diese Frage ist vorliegend zu verneinen.
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Es fehlt bereits daran, dass das Ansehen der ... Treuhand GmbH durch ihren eigenen Emissionsprospekt
spürbar herabgesetzt werden könnte. Ein solcher Prospekt dient dazu, in der Öffentlichkeit für eine bestimmte
Anlage zu werben, ist mithin für die Öffentlichkeit bestimmt, dieser im Rahmen der Emission frei zugänglich
und wurde im konkreten Fall nach der eigenen Darstellung der ... Treuhand GmbH jedenfalls noch 1998 und
damit neun Jahre nach der Emission auf Anfrage versandt. Wird damit das Bild der ... Treuhand GmbH ohnehin
durch den Prospekt mitgeprägt, so kann seine Vorlage in einem bestimmten Prozess, selbst wenn er
Vorbildcharakter für weitere Rechtsstreite um Beteiligungen an diesem Fonds haben sollte, das Ansehen der ...
Treuhand GmbH in der Öffentlichkeit nicht herabsetzen, einerlei wie viel - aus Sicht der ... Treuhand GmbH
unbegründete - unehrenhaften Vorwürfe die Beklagtenvertreterin aus dem Prospekt auch herleiten mag.
10 2. Die Vorlage des Prospekts ist der ... Treuhand GmbH weiter nicht unzumutbar iSd § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO.
11 a. Vertraulichkeitsinteressen sind an dieser Stelle nicht zu prüfen, insoweit sind die Regelungen der §§ 384 -
386 ZPO abschließend (Greger in Zöller ZPO 25. Auflage § 142 Rdnr. 4a).Dies folgt daraus, dass die
Verweisung in § 142 Abs. 2 ZPO auf diese Vorschriften sinnlos wäre, wenn die dort im Einzelnen
vorgenommene Abwägung durch pauschale Überlegungen der Unzumutbarkeit gegenstandlos würden.
12 b. Weiter besteht nicht deshalb eine Unzumutbarkeit der Vorlage, weil die Beklagtenvertreterin den Prospekt in
späteren Mandatsverhältnissen direkt gegen die ... Treuhand GmbH oder deren Verantwortliche verwenden
könnte und die ... Treuhand GmbH ihren künftigen Gegnern damit einzig wegen der Regelung des § 142 ZPO
einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen müsste.
13 Allerdings ist entgegen der Auffassung der Beklagtenvertreterin zu berücksichtigen, dass sie in ihrem
Internetauftritt auch mit diesem, in erster Instanz gewonnenen, Prozess wirbt und damit vermutet werden kann
bzw. aus Sicht der ... Treuhand GmbH die Gefahr besteht, dass sie weitere Mandanten akquirieren wird, die
diesen Fonds gezeichnet haben. Dann besteht auch die Möglichkeit, dass sie zumindest bei diesen Mandanten
Ansprüche gegen die ... Treuhand GmbH prüft und geltend macht.
14 Trotzdem ist der ... Treuhand GmbH die Vorlage des Prospekts in diesem Rechtsstreit zuzumuten und zwar
deshalb, weil sie schon materiell-rechtlich gegenüber ihren Mitgesellschaftern im Fonds und damit auch dem
Beklagten gegenüber zumindest dazu verpflichtet ist, Einsicht in die Unterlagen zu gewähren, wenn die
Mitgesellschafter über kein Exemplar des Prospekts (mehr) verfügen. Die Pflicht folgt aus der nicht nur
zwischen dem Gesellschafter und seiner Gesellschaft, sondern auch unter den Gesellschaftern einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts bestehenden Treuepflicht (K. Schmidt Gesellschaftsrecht 4. Auflage § 59 III
1 b; Ulmer in Münchener Kommentar zum BGB 4. Auflage § 705 Rdnr. 229). Sie kann auch Handlungspflichten
begründen und dementsprechend hat der BGH (Urteil vom 9.09.2002 II ZR 198/00 = NJW-RR 2003, 169)
entschieden, dass Informationspflichten zwischen Gesellschaftern bestehen können, namentlich dann, wenn
ein Gesellschafter über Informationen verfügt, die andere Gesellschafter nicht haben können. Dem ist es gleich
zu stellen, wenn ein Gesellschafter 17 Jahre nach seinem Beitritt nicht mehr über sämtliche Unterlagen
verfügt, weil er sie im Laufe der Zeit für entbehrlich halten durfte.
15 Die Treuepflicht würde auch dann bestehen, wenn - was der Prozessbevollmächtigte der ... Treuhand GmbH im
Termin des Senats nicht aufklären konnte - die ... Treuhand GmbH inzwischen nicht mehr Gesellschafterin der
Fondsgesellschaft sein sollte. Die Treuepflicht wirkt nämlich nach (Sprau in Palandt BGB 65. Auflage § 738
Rdnr. 2aE).
16 Diese Pflicht ist nicht durch eine Übersendung des Prospekts im Jahre 1998 erfüllt, wobei die objektive
Beweislast hierfür - wie immer, wenn Erfüllung behauptet wird - beim Schuldner der Pflicht, hier also bei der ...
Treuhand GmbH, liegt. Nach der Beweisaufnahme durch den Senat steht nicht fest, dass der Beklagte den
Prospekt damals (ggfs. nochmals) erhalten hätte. Dabei kann unterstellt werden, dass die ... Treuhand GmbH
tatsächlich mit dem vorgelegten Schreiben vom 26. März 1998 ein Exemplar des Prospekts an den Beklagten
abgesandt hatte, weshalb auch eine Vernehmung der damaligen Mitarbeiterin Scheu der ... Treuhand GmbH
zur Behauptung der Absendung entfällt. Es fehlt aber am Nachweis des Zugangs beim Beklagten. Das einzig
erkennbare Beweismittel ist das Zeugnis der Ehefrau des Beklagten. Diese hat der Senat vernommen. Ihrer
Aussage kann der Zugang aber nicht entnommen werden. Dies gälte selbst dann, wenn man die
Glaubwürdigkeit der Zeugin bezweifeln wollte.
17 c. Schließlich ist der ... Treuhand GmbH die Vorlage des Prospekts auch nicht deshalb unzumutbar, weil der
Beklagte den Prospekt schon zweimal von ihr erhalten hätte. Davon kann nämlich nicht ausgegangen werden.
Auch im Rahmen der Unzumutbarkeit liegt die objektive Beweislast bei der ... Treuhand GmbH, wie sich
bereits aus der Formulierung des § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO ergibt („sind ... nicht verpflichtet, soweit ...“).
18 3. Der Bevollmächtigte der ... Treuhand GmbH hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weiter
eingewandt, dass die Vorlageanordnung nicht hätte ergehen dürfen, weil es sich um einen
Ausforschungsbeweis handele. Diese Frage ist im Zwischenstreit nicht zu untersuchen.
19 Nach der eindeutigen Regelung des § 142 Abs. 2 S. 2 ZPO werden im Zwischenstreit (§ 387 ZPO) nur
Einwendungen zur Zumutbarkeit der Vorlage und das Vorliegen von Zeugnisverweigerungsrechten überprüft.
I.Ü. bleibt es dabei, dass die Anordnung der Vorlage nicht mit Rechtsbehelfen überprüfbar ist (Greger aaO §
142 Rdnr. 2 am Anfang). Es gilt nichts anderes als bei Beweisbeschlüssen nach § 358 ZPO. Auch in diesen
Fällen kann ein Zeuge lediglich sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend machen, nicht aber den
Beweisbeschluss an sich zur Überprüfung stellen.
20 Abschließend zu diesem Komplex sei noch angemerkt, dass der Senat den Einwand (auch) als Anregung
verstanden hat, die Vorlageanordnung von Amts wegen zu überprüfen. Die Prüfung hat indes ergeben, dass die
Grenzen zum Ausforschungsbeweis nicht überschritten sind.
21 4. Dasselbe gilt für den Einwand, dass die Anordnung der Vorlage nicht gegenüber der ... Treuhand GmbH,
sondern nur gegenüber der DIMA GmbH hätte erfolgen dürfen.
I.
22 Ü. ist der Senat bei der Anordnung der Vorlage auch nicht daran gebunden, denjenigen Dritten zu verpflichten,
der von einer der Parteien benannt wird. Es genügt für eine Anordnung schon nach dem eindeutigen Wortlaut
des Gesetzes, dass sich eine Partei auf die Urkunde bezieht und der Verpflichtete tatsächlich in ihrem Besitz
ist. Das Gesetz setzt für die Anordnung der Vorlage also keinen Antrag einer Partei voraus (so z.B. auch
Wöstmann in Saenger ZPO § 142 Rdnr. 1 aE), weswegen der Senat nicht gegen den Grundsatz „ne ultra petita“
verstoßen konnte.
23 Zudem hat sich die Beklagtenvertreterin inzwischen ausdrücklich die Anordnung gegenüber der ... Treuhand
GmbH zu eigen gemacht.
II.
24 Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
III.
25 Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst, da die aufgeworfenen Fragen keine grundsätzliche
Bedeutung haben.
IV.
26 Die Festsetzung des Streitwertes des Zwischenstreits richtet sich nach der Bedeutung der Vorlage des
Prospekts für den Rechtsstreit (BGH KostRspr § 3 ZPO Nr. 1034) aus heutiger Sicht. Da erst nach der
Vernehmung des Vermittlers als Zeuge zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 HWiG feststeht, ob es auf
Schadensersatzansprüche ankommt, für die wiederum die Prospektvorlage zentraler Punkt ist, kann nicht der
volle Wert der Hauptsache angesetzt werden, sondern - weil die Klage auf zwei Beine gestellt ist - allenfalls die
Hälfte. Weil Schadensersatzansprüche wegen der Vorteilsausgleichung der verbleibenden Steuervorteile
niedriger ausfallen als die Klageforderung, hat der Streitwert sogar etwas unter der Hälfte des Streitwertes der
Hauptsache zu bleiben. Ausgehend davon, dass sich der Streitwert der Hauptsache nach der offenen
Darlehenshauptforderung richtet, ist der Streitwert damit auf bis 6.000 EUR festzusetzen.