Urteil des OLG Stuttgart vom 19.08.2009

OLG Stuttgart (kläger, treu und glauben, grunddienstbarkeit, eigentümer, beseitigung, grundstück, fläche, garage, grobe fahrlässigkeit, pflicht zur duldung)

OLG Stuttgart Urteil vom 19.8.2009, 3 U 15/09
Grunddienstbarkeit: (Un-)Zumutbarkeit der Beeinträchtigung eines Geh- und Fahrrechtes; Anspruch auf
Beseitigung einer Überbauung unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Berechtigten
Leitsätze
1. Zur Auslegung von inhaltlichen Einschränkungen bezüglich der Ausübung einer Grunddienstbarkeit (Geh- und
Fahrrecht).
2. Hat der Berechtigte einer Grunddienstbarkeit den Überbau wegen grober Fahrlässigkeit bei der Errichtung des
Überbaus nach §§ 1027, 1004 BGB i.V.m. § 12 I BGB nicht zu dulden, kann dennoch dem Anspruch auf
Beseitigung ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 II BGB entgegenstehen, sofern die gebotene Abwägung
der speziellen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die Beseitigung die Grenze der Zumutbarkeit überschreiten
würde.
Tenor
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 09.09.2008 - 2 O 191/08 We - wird
z u r ü c k g e w i e s e n.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der
Streithelfer.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht die Beklagten/Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert in beiden Instanzen wird auf 100.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Kläger begehren von den Beklagten die Entfernung eines Gebäudeteils, der im Bereich einer zugunsten
des Grundstücks der Kläger bestellten Grunddienstbarkeit errichtet wurde, die Entfernung von Metallgittern
und die Auffüllung des Geländes.
1.
2
Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
4
Ein Anspruch nach § 1027 BGB i. V. m. § 1004 BGB bestehe nicht. Das den Klägern eingeräumte Geh-
und Fahrrecht auf der vom Lebensmittelmarkt und den Metallgitterzäunen belegten Flächen werde
beeinträchtigt. Ein Befahren bzw. Begehen dieser Fläche sei nicht möglich.
5
Die Kläger seien zur Duldung dieser Beeinträchtigung nach § 1004 Abs. 2 BGB verpflichtet. Die
Duldungspflicht ergebe sich aus den Vereinbarungen anlässlich der Bestellung der Grunddienstbarkeit. Es
sei festgehalten, dass das Grundstück, das die Kläger von der Fa. … erworben haben, zum größten Teil
nur über die gemeinschaftliche Straßenfläche erreichbar sei, die Teil der Grundstücke Nr. 3354/1 und 3354
sei. Weiter sei festgehalten, dass zur Absicherung eines Geh- und Fahrrechts Grunddienstbarkeiten zu
Lasten der Grundstücke 3354 und 3354/1 zu bestellen seien. Der Zweck der vorgenommenen Bestellung
des Geh- und Fahrrechts sei die Sicherung des Zugangs zum Grundstück der Kläger gewesen, das nicht
am öffentlichen Verkehrsraum liege und bezüglich dessen auch in sonstiger Hinsicht ein Zugang nicht
abgesichert gewesen sei. Deshalb sei die Grunddienstbarkeit bestellt worden. Der Berechtigte könne die
Grundstücksteilfläche zum Gehen und Fahren benützen. Die Dienstbarkeit dürfe nur zur
gemeinschaftlichen Nutzung mit den Eigentümern der Grundstücke 3354 und 3354/1 ausgeübt werden. Es
sei geregelt, dass der Berechtigte verpflichtet sei, sich der von den jeweiligen Eigentümern dieser
Grundstücke festgelegten Verkehrsführung anzuschließen. Den Klägern stehe nur ein eingeschränktes
Geh- und Fahrrecht auf dieser Fläche zu.
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Die Regelung sei so auszulegen, dass die Eigentümer der mit der Grunddienstbarkeit belasteten
Grundstücke das Geh- und Fahrrecht einschränken dürften. Dafür spreche der tatsächliche Zustand der
von der Grunddienstbarkeit betroffenen Fläche zum Zeitpunkt ihrer Bestellung. Das Geh- und Fahrrecht sei
bereits zum Zeitpunkt der Bestellung der Grunddienstbarkeit nur eingeschränkt ausübbar gewesen.
7
Die Eigentümer der belasteten Grundstücke könnten die Verkehrsführung festlegen. Sie seien berechtigt,
zuzuteilen, welcher Bereich des belasteten Grundstücks dem motorisierten und welcher dem
nichtmotorisierten Verkehr zugewiesen werden solle.
8
Es müsse lediglich eine Erreichbarkeit des Grundstücks der Kläger gewährleistet sein. Für die Kläger sei
es unproblematisch möglich, ihr Grundstück sowohl gehend als auch fahrend zu erreichen.
9
Es könne offen bleiben, ob für das Einfahren in die Garage der Kläger ein zwei- bis dreimaliges
Zurücksetzen notwendig wäre. Diese Einschränkung würde auch dann bestehen, wenn der von der
Grunddienstbarkeit betroffene Bereich, auf dem sich heute der Lebensmittelmarkt befindet, von den
Beklagten dem ruhenden Verkehr oder dem Fußgängerverkehr zugewiesen worden wäre. Ein
schutzwürdiges Interesse der Kläger sei nicht erkennbar, den ihrem Grundstück gegenüberliegenden und
nicht für die Erreichbarkeit erforderlichen Bereich begehen zu können. Das Beseitigungsverlangen stelle
sich daher als rechtsmissbräuchlich dar. Wegen der Duldungspflicht im Hinblick auf das Geh- und
Fahrrecht ergebe sich auch ein Beseitigungsanspruch nicht aus § 823 im Wege der Naturalrestitution.
2.
10
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Kläger.
11
Das Urteil sei fehlerhaft, die Kläger seien nicht nach § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung der Beeinträchtigung
der Dienstbarkeit verpflichtet. Zutreffend gehe das Landgericht davon aus, dass das eingeräumte Geh- und
Fahrrecht durch die Errichtung des Lebensmittelmarktes im Bereich der Dienstbarkeit beeinträchtigt werde,
da weder ein Begehen noch ein Befahren dieser überbauten Fläche möglich sei. Bei einem
grundbuchrechtlich flächenmäßig genau festgelegten Geh- und Fahrrecht müsse der
Dienstbarkeitsberechtigte den völligen Ausschluss des Geh- und Fahrrechts in einem Teilbereich durch
das komplette Überbauen nicht hinnehmen. Deshalb bestehe ein Beseitigungsanspruch nach § 1027 BGB
i. V. m. § 1004 BGB.
12
Zutreffend sei, dass die Grunddienstbarkeit in zweifacher Hinsicht eingeschränkt sei. Zum einen dürfte die
Dienstbarkeit nur zur gemeinschaftlichen Nutzung mit den Eigentümern der Grundstücke 3354 und 3354/1
ausgeübt werden, zum anderen seien die Kläger als Dienstbarkeitsberechtigte verpflichtet, sich der von
den Eigentümern der genannten Grundstücke festgelegten Verkehrsführung anzuschließen.
13
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ergebe sich aus diesen Einschränkungen nicht das Recht der
Beklagten, den mit der Grunddienstbarkeit belasteten Bereich mit einem Gebäude zu überbauen. Die
Beklagten dürften die Kläger nicht von der Nutzung gänzlich ausschließen. Mit der Errichtung eines festen
Gebäudes im Bereich der Grunddienstbarkeit würden die Kläger aber in diesem Bereich von jeder Nutzung
dauerhaft und endgültig ausgeschlossen. Dies übersehe das Landgericht.
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Die Kläger seien berechtigt, die Grundstücksteilfläche zum Gehen und Fahren zu benutzen. Die Fläche sei
im Lageplan durch bestimmte Eckpunkte bezeichnet. Dies könne nur so verstanden werden, dass der im
Lageplan durch Eckpunkte bezeichnete Bereich von jeder Bebauung freizuhalten sei. Die Berechtigung der
Beklagten zusammen mit dem Eigentümer des Grundstückes 3354, die Verkehrsführung festzulegen,
stelle kein Recht dar, die zum Gehen und Fahren freizuhaltende Fläche zu überbauen.
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Nach Auffassung des Landgerichts bedeute die Entscheidung über die Verkehrsführung nicht nur das
Recht, Gehbereich und Fahrbereich gegeneinander abzugrenzen oder eine bestimmte Fahrtrichtung
vorzugeben, sondern das sehr viel weitergehende Recht, das Geh- und Fahrrecht einzuschränken. Wenn
man die Sache auf die Spitze treibe, könnten die Eigentümer der Flurstücke 3354 und 3354/1 bestimmen,
dass die Straße vor dem Anwesen der Kläger bis auf einen schmalen Zugang zum Haus der Kläger
überbaut werde. Das Landgericht habe den Kerngehalt eines Geh- und Fahrrechtes nicht erkannt. Das
Recht, über eine Verkehrsführung zu bestimmen, umfasse nicht das Recht, den für Fußgänger- und
Fahrzeugverkehr vorgesehenen Bereich durch ein Gebäude zu versperren. Das Landgericht übersehe einen
ganz entscheidenden Unterschied, nämlich ob eine Teilfläche eines Bereichs zum Parken oder als Gehweg
vorgesehen sei oder ob eine Teilfläche mit einem Gebäude überbaut werde. Auch ein Gehweg könne ggf.
mit einem Pkw oder Lkw überfahren werden, wenn dies notwendig sei.
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Der mit dem Geh- und Fahrrecht belastete Bereich sei bis zur Errichtung des Lebensmittelmarktes begeh-
und befahrbar gewesen.
17
Das Oberlandesgericht habe in seinem Urteil klargestellt, dass Parkplätze und das Vorhandensein eines
Bordsteins das Geh- und Fahrrecht nicht maßgeblich beeinträchtigen würden. Aus Anlage B 5 ergebe sich,
dass dieser von den Rechtsvorgängern der Beklagten erstellte Lageplan eine Fläche ausweise, die nicht
als Stellplatz genutzt werden sollte. Der Bereich sei freizuhalten gewesen, weil sich weiter nördlich ein Tor
befunden habe, welches frei zugänglich habe gehalten werden sollen. Vor der Errichtung des Marktes sei
der Bereich gegenüber des Wohnhauses der Kläger nicht mit Fahrzeugen zugestellt gewesen.
18
Es könne nicht der Schluss gezogen werden, dass anstatt eines Gehwegs ein Lebensmittelmarkt errichtet
werden könne. Durch die Errichtung eines Bürgersteigs oder durch die Errichtung von Stellplätzen sei den
Klägern das Geh- und Fahrrecht nicht entzogen worden. Das Landgericht habe außer Acht gelassen, dass
die Kläger im Jahr 1987 3.696,-- DM an die damaligen Eigentümer des gegenüberliegenden Grundstücks
bezahlt hätten.
19
Sinn und Zweck der Bestellung einer Grunddienstbarkeit sei nicht, dass lediglich die Erreichbarkeit des
Grundstücks der Kläger gewährleistet sein müsse. Das Landgericht stelle die Rechtsordnung auf den Kopf,
wenn es den Klägern rechtsmissbräuchliches Verhalten vorwerfe, die rechtswidrige Beeinträchtigung der
Grunddienstbarkeit durch die Beklagten aber sanktionslos billige. Die bisher den Klägern zur Verfügung
stehende Breite der Straße von 11 m sei auf 7 m verschmälert worden. Dass das Grundstück derzeit
erreichbar sei und auch mit einem Pkw angefahren werden könne, begründe keine
Rechtsmissbräuchlichkeit des Beseitigungsanspruchs nach § 1027 BGB. Das schutzwürdige Interesse der
Kläger bestehe gerade darin, dass die durch Eckpunkte klar abgegrenzte Grunddienstbarkeit nicht
beeinträchtigt werde und das Geh- und Fahrrecht in vollem Umfang erhalten bleibe. Eine Duldungspflicht i.
S. v. § 1004 BGB sei nicht gegeben. Den Klägern ein treuwidriges Verhalten vorzuwerfen, sei abwegig.
20
Es könne nicht mehr in einem Bogen in die Garage eingefahren werden. Es seien mehrere
Rangiervorgänge erforderlich.
21
Die Beklagten befänden sich seit 01.03.2008 in Verzug. Sie hätten deshalb die außergerichtlichen Kosten
der Kläger i. H. v. 949,14 EUR zu ersetzen, die zum Gegenstand der Klagerweiterung gemacht worden
seien.
22
Die Kläger beantragen:
23
a) das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 09.09.2008 - 2 O 191/08 We - abzuändern und die
Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, das auf dem Flurstück 3354/1, Grundbuch von …, Bl.
28209, BV Nr. 3, Gemarkung …, errichtete Gebäude insoweit zu entfernen, als die Südseite dieses
Grundstücks in einer Entfernung von weniger als 11 m von der nördlichen Grundstücksgrenze von
Flurstück 3341, Grundbuch von …, Bl. 28639, errichtet wurde und die an der südlich/südwestlichen
Grundstücksecke von Flurstück 3354/1 befestigten Metallgitterzäune insoweit zu entfernen, als diese
in einer Entfernung von weniger als 11 m von der nördlichen Grundstücksgrenze von Flurstück 3341
innerhalb der durch die Grunddienstbarkeitsbestellung Urkundenrolle 1987 Nr. 1038 des Notariats …
unter Nr. II. 1. mit den Buchstaben A, B, C, D/A bezeichneten Fläche errichtet wurden, sowie die hinter
dem Metallzaun sich befindende Fläche der Grunddienstbarkeit so aufzufüllen, dass ein Begehen und
Befahren mit ebenem Niveau zur Straße für die Kläger möglich sei;
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b) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger außergerichtliche
Rechtsanwaltskosten i. H. v. 949,14 EUR als Nebenkosten nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz
hieraus seit Rechtshängigkeit (16.01.2009) zu bezahlen.
25
Die Beklagten und ihre Streithelfer beantragen jeweils:
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie tragen vor:
28
Bei dem Grundstücksbereich der Flurstücke 3354 und 3354/1 handele es sich um eine früher öffentliche
Straße. Bereits vor Eigentumserwerb der Kläger insbesondere vor Begründung der streitgegenständlichen
Dienstbarkeit, sei der frühere Straßenbereich Privatgrundstück geworden. Nach Teilung des ehemaligen
Grundstücks 3354 in 3354 und 3354/1 sei wechselseitig für den jeweiligen Grundstücksanteil, welcher dem
früheren Straßenbereich entsprochen habe, ein Geh- und Fahrrecht und Überbauverbot zugunsten des
jeweiligen Nachbarn begründet worden. Die Fa. … habe den Klägern zunächst allein das Hausgrundstück
3341 verkauft. Erst im Nachhinein sei aufgefallen, dass für das klägerische Grundstück kein Zugang zum
öffentlichen Verkehrsraum bestanden habe. Um diesen Umstand zu beheben, sei das Geh- und Fahrrecht
begründet worden. Die Prozessparteien im Verfahren 3 U 44/07 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart hätten
sich geeinigt, dass der Lebensmittelmarkt auf dem Grundstück der Beklagten Bestand haben solle. Es sei
vereinbart worden, dass der Bestand des Lebensmittelmarkts grundbuchrechtlich abgesichert werden soll.
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Das Geh- und Fahrrecht der Kläger sei nicht beeinträchtigt. Es sei unstreitig, dass die Kläger die Regelung
der Verkehrsführung durch die Grundstückseigentümer der Flurstücke 3354 und 3354/1 akzeptieren
müssen. Die Kläger hätten nur eine Dienstbarkeit, welche der Breite ihres eigenen Grundstücks
entspreche. Dies habe zur Folge, dass die Kläger bei einer Einbahnstraßenregelung das eigene
Grundstück entweder nicht anfahren oder nicht mit dem Pkw verlassen könnten. Der Bereich der
Grunddienstbarkeit ende an der östlichen Grundstücksgrenze. Eine Einbahnstraßenregelung habe faktisch
die Folge, dass das Fahrrecht der Kläger ausgeschlossen wäre. Interessanterweise würden die Kläger dies
akzeptieren.
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Weiter würden die Kläger ausführen, die Einrichtung eines Bereiches für den ruhenden Verkehr durch die
Grundstücksnachbarn müsse geduldet werden. Dadurch sei das Geh- und Fahrrecht nicht beeinträchtigt.
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Jedoch würden die Kläger geltend machen, entgegen vorigem Zustand könne die eigene Garage mit dem
Pkw nicht „in einem Zug“ angefahren werden. Soweit dies eine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrrechts
sei, mache es keinen Unterschied, ob die Fahrweise durch einen Zaun, eine Gebäudewand oder durch
geparkte Fahrzeuge beeinträchtigt werde.
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Die Auslegung der Dienstbarkeit habe das Landgericht ordnungsgemäß vorgenommen. Es habe den
Eigentümern der Flurstücke 3354 und 3354/1 freigestanden, durch gemeinsame Regelung zu bestimmen,
dass das Geh- und Fahrrecht auch durch den hier beanstandenden Lebensmittelmarkt und den Zaun nicht
eingeschränkt werde. Dadurch werde das Recht der Kläger nicht beeinträchtigt.
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Die Kläger hätten keinen Anspruch darauf, dass die gesamte Fläche nach alleiniger Entscheidung der
Eigentümer des klägerischen Grundstücks für das Begehen und Befahren zum Zwecke der Nutzung des
klägerischen Grundstücks zur Verfügung stehe. Die Kläger müssten vielmehr eine Fremdbestimmung,
soweit der Sinn und Zweck der Dienstbarkeit nicht ausgeschlossen werde, hinnehmen. Dieser Bereich
werde durch die Vereinbarung der Eigentümer der Grundstücke 3354 und 3354/1 nicht überschritten. Die
Kläger wollten ihre Dienstbarkeit gegen den Willen der Eigentümer der o. g. Flurstücke ausüben. Es sei
aber eine vertraglich vorgesehene Drittbestimmung vorgenommen worden, die für die Kläger nur noch eine
Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 Abs. 3 BGB ermögliche. Eine grobe Unbilligkeit der Vereinbarung
der Grundstückseigentümer der o. g. Grundstücke sei nicht festzustellen.
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Die Kläger müssten den Eingriff nach § 912 Abs. 1 BGB dulden.
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Die Beseitigung des Teils des Lebensmittelmarktes sei unzumutbar. Unter Beachtung der Grundsätze von
Treu und Glauben sei eine Abwägung vorzunehmen. Diese sei dergestalt, dass der Eigentümer die
Erfüllung des Anspruchs des Nachbars auf Beseitigung des Überbaus verweigern dürfe.
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Bestritten werde, dass sich die Einfahrt in die Garage zum klägerischen Grundstück erschwert habe.
37
Die Forderung auf Beseitigung des Grundstücks sei verjährt.
38
Eine Beseitigung des Metallzauns könnten die Kläger nicht verlangen, weil sie verkennen würden, dass
sich dahinter eine Abgrabung befinde. Die Kläger hätten nicht beantragt, die Abgrabung zu beseitigen.
Deshalb sei die Beseitigung des Metallgitters unmöglich. Es sei baurechtlich nicht zulässig, den
Metallgitterzaun zu entfernen. Jedenfalls sei es rechtsmissbräuchlich, die Entfernung des
Metallgitterzauns zu fordern. Aufgrund der Abgrabung könnten die Kläger den streitgegenständlichen
Bereich ohnehin auch ohne Metallgitterzaun nicht nutzen.
39
Die in der Klageerweiterung enthaltene Forderung sei nicht begründet.
40
Wegen der in der mündlichen Verhandlung erklärten Klagerweiterung rügen die Beklagten und die
Streithelfer Verspätung und erheben die Einrede der Verjährung.
41
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins.
42
In dieser mündlichen Verhandlung haben die Kläger ihren ursprünglichen unter oben I. 2. a) gestellten
Antrag um den letzten Halbsatz erweitert.
43
Wegen der Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
verwiesen.
II.
44
Die zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet.
45
Den Klägern steht ein Anspruch auf Beseitigung des Überbaus dem Grunde nach aus den §§ 1027 i. V. m.
1004 BGB zu (hierzu 1.). Eine Duldungspflicht der Kläger gemäß § 1004 Abs. 2 BGB nach den
Vorschriften über den Überbau (§ 912 BGB) besteht nicht (hierzu 2.). Jedoch steht den Beklagten ein
Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB zu (hierzu 3.).
1.
46
Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass von Beklagtenseite in die Rechte des Geh- und Fahrrechts
der Kläger eingegriffen wurde. Durch die Errichtung des Lebensmittelsmarktes auf einer Teilfläche von ca.
18 qm und die Anbringung eines Metallgitterzaunes wird in den durch die Grunddienstbarkeit gesicherten
Rechtsbereich (mit den Buchstaben A, B, C, D, A bezeichnete Grundstücksteilfläche) der Kläger als
Eigentümer des Flurstücks 3341 eingegriffen. Es liegt eine Beeinträchtigung der Grunddienstbarkeit vor.
Eine solche besteht nämlich bei jeder Behinderung der zu duldenden Nutzung des belasteten Grundstücks.
Das durch die Grunddienstbarkeit eingeräumte Geh- und Fahrrecht kann in dem überbauten bzw.
abgezäunten Bereich nicht mehr von den Klägern ausgeübt werden, da dort weder ein Befahren noch ein
Begehen dieser Flächen möglich ist.
47
Gegenteiliges lässt sich auch - entgegen der Auffassung des Landgerichts, das darin eine Duldungspflicht
sieht - nicht daraus ableiten, dass die Grunddienstbarkeit nur zur gemeinschaftlichen Nutzung mit den
Eigentümern der Grundstücke Flurstücke Nr. 3354 und 3354/1 ausgeübt werden darf und die
Grunddienstbarkeitsberechtigten verpflichtet sind, sich der von den jeweiligen Eigentümern der
Grundstücke Flurstücke Nr. 3354 und 3354/1 jeweils festgelegten Verkehrsführung anzuschließen.
48
Zwar stellen diese Regelungen inhaltliche Einschränkungen bezüglich der Ausübung dar. Denn hiernach
besteht kein ausschließliches alleiniges Nutzungsrecht an der ausgewiesenen Fläche für die Kläger,
sondern es ist klar gestellt, dass die Fläche auch von Eigentümern der belasteten Grundstücke mitbenutzt
werden darf, und dass diese Vorgaben bei der Verkehrsführung, an die die Kläger gebunden sind, machen
dürfen. Nach Sinn und Zweck der gewährten Grunddienstbarkeit, die Anbindung des im Übrigen vom
öffentlichen Verkehrsraum abgeschnittenen Grundstücks Flurstück 3341 über die ausgewiesene
Grundstücksfläche zu sichern, kann es aber nicht zweifelhaft sein, dass diese bei der Eintragung
festgelegten Beschränkungen umgekehrt es den Eigentümern der belasteten Grundstücke nicht
ermöglichen können, die Eigentümer des begünstigten Grundstücks in Teilbereichen völlig von ihrem
Mitbenutzungsrecht auszuschließen. Dies ist aber durch den Überbau der Fall. Die Überbauung und feste
Abzäunung verhindert jegliches Befahren und Begehen. Dies ist mit der eingetragenen Grunddienstbarkeit
unvereinbar. Sie kann nicht darauf reduziert werden, dass, wie das Landgericht meint, irgendwie die
Erreichbarkeit des Grundstücks der Kläger gewährleistet sein muss. Sonst hätte es der Festlegung einer
bestimmten Fläche gar nicht bedurft.
2.
49
Eine Duldungspflicht der Kläger nach § 1004 Abs. 2 BGB (in Verbindung mit § 912 Abs. 1 BGB) besteht
nicht.
a)
50
Der Inhalt der Grunddienstbarkeit - insbesondere die Beschränkung der nur gemeinschaftlichen Nutzung
und das Recht zur Vorgabe der Verkehrsführung - ergibt keine Duldungspflicht nach § 1004 Abs. 2 BGB.
Auf die Begründung vorstehend unter 1. wird Bezug genommen.
51
Ergänzend ist auszuführen:
52
Dass sich die Eigentümer der Flurstücke 3354 und 3354/1 im Anschluss an das Urteil des OLG Stuttgart
vom 24.10.2007, 3 U 44/07, das einen Beseitigungsanspruch der dortigen Klägerin bezüglich des Überbaus
rechtskräftig festgestellt hat, inzwischen darauf geeinigt haben, dass der Überbau bestehen bleiben kann,
begründet keine Duldungspflicht der Kläger. Denn die beiden Eigentümer der belasteten Grundstücke sind
nicht berechtigt, einseitig ohne Mitwirkung der Kläger deren Rechte an der Grunddienstbarkeit in dieser
gravierenden Weise zu beschneiden. Von der Regelung, dass sie die Fläche mitbenutzen und die
Verkehrsführung vorgeben dürfen, ist die Verständigung auf eine Überbauung, wie ausgeführt, nicht
gedeckt.
53
Auch lässt sich aus dem Umstand, dass sich zur Zeit der Bestellung der Grunddienstbarkeit ein
gepflasterter Bereich für den ruhenden Verkehr in einem Teilbereich der von der Grunddienstbarkeit
betroffenen Fläche befand, nicht eine Pflicht zur Duldung eines Überbaus ableiten. Denn die Ausweisung
einer Parkfläche schließt das Überfahren und Begehen dieser Fläche nicht grundsätzlich aus. Die Nutzung
ist nämlich möglich in Zeiten, in denen keine Fahrzeuge abgestellt sind (z. B. an Wochenenden, außerhalb
der Geschäftszeiten), und es ist bei besonderem Bedarf möglich, die Fläche von parkenden Fahrzeugen
freizuhalten oder zu räumen, um das Fahrrecht zum Grundstück der Kläger zu ermöglichen. Solches ist
aber durch eine Überbauung gänzlich und dauerhaft ausgeschlossen.
b)
54
Eine Duldungspflicht ergibt sich auch nicht aus § 912 Abs. 1 BGB.
55
Nach §§1027, 1004 BGB i. V. m. § 912 Abs. 1 BGB hat der Berechtigte der Grunddienstbarkeit den
Überbau (Lebensmittelmarkt) zu dulden, wenn der Eigentümer des belasteten Grundstücks bei der
Errichtung eines Gebäudes über die Grenze gebaut hat, ohne dass ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit
zur Last fällt, es sei denn, dass der Berechtigte vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung Widerspruch
erhoben hat.
56
Eine Duldungspflicht scheitert daran, dass die Beklagten bzw. ihre Rechtsvorgänger den Überbau grob
fahrlässig errichtet haben. Nach Auffassung des Senats müssen sich die Beklagten das Verhalten der von
ihr beauftragten Streithelfer 1 und 2 zurechnen lassen. Der Senat schließt sich in seiner jetzigen
Besetzung den Ausführungen des Senats im Urteil vom 24.10.2007, 3 U44/07 (in Verbindung mit den
Ausführungen des LG Heilbronns im Urteil vom 12.02.2007, 2 O 267/06) an. Im Verhältnis zu den Klägern
spielt es keine Rolle, dass der Streithelfer Ziff. 3 entgegen ihrem Auftrag die Dienstbarkeit nicht grafisch im
Plan dargestellt hat. Es war eine eigene Verpflichtung der Streithelfer Ziff. 1 und 2 nach dem Grund der
unterbliebenen grafischen Darstellung des Umfanges der Grunddienstbarkeit nachzufragen und Umfang
und Lage der Grunddienstbarkeit in Erfahrung zu bringen. In den Plänen war textlich auf eine
„Grunddienstbarkeit betreffend Geh- und Fahrrecht und Bauverbot“ hingewiesen worden. Sich darauf zu
verlassen, dass die betreffende Dienstbarkeit vom Bauvorhaben der Beklagten nicht tangiert wird, stellt für
einen objektiven Beobachter eine grobe Fahrlässigkeit dar. Bei dieser Beurteilung kann im Rahmen des
Grades des Verschuldens nicht differenziert werden, dass für die Kläger im Gegensatz zu der
Grundstücksnachbarin lediglich ein Geh- und Fahrrecht und kein Bauverbot festgelegt worden ist.
3.
57
Der hiernach den Klägern zustehende Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigungen (Überbau,
Metallgitterzaun, Vertiefung) ist nicht begründet, weil die Beklagten die Leistung nach § 275 Abs. 2 BGB
verweigern können. Die gebotene Abwägung der speziellen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die
Beseitigung die Grenze der Zumutbarkeit überschreiten würde.
a)
58
Die Vorschrift des § 275 Abs. 1 BGB findet auf alle Leistungspflichten Anwendung, gleichgültig ob diese
auf einem Vertrag, auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis oder allgemein auf einer gesetzlichen
Verpflichtung beruhen (BGH NJW 2008, 3122; BGH NJW 2008, 3123; Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Auflage
2009, § 275 Rn. 3). Das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB wird auch nicht durch die
Regelung in § 912 Abs. 1 BGB verdrängt. Denn die Vorschriften betreffen verschiedene Gegenstände,
nämlich zum einen die Voraussetzungen und zum anderen die Rechtsfolgen des Beseitigungsanspruchs.
Aus § 912 Abs. 1 S. 1 BGB ergibt sich eine Duldungspflicht nach § 1004 Abs. 2 BGB mit der Folge, dass
bei Vorliegen der Voraussetzungen weder ein Anspruch auf Beseitigung noch auf Schadensersatz besteht.
§ 275 Abs. 2 BGB begründet hingegen eine Einrede gegenüber dem Beseitigungsanspruch. Wird diese
Einrede erhoben und liegen deren Voraussetzungen vor, kann der Anspruch auf Beseitigung zwar nicht
durchgesetzt werden, andere Ansprüche wegen der rechtswidrigen und schuldhaften Rechtsverletzung
bleiben aber unberührt (BGH NJW 2008, 3123).
b)
59
Nach § 275 Abs. 2 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand
erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben
in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Im Rahmen dessen ist
auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.
60
Nach BGH NJW 2008, 3113 wird die nach § 275 Abs. 1 S. 1 BGB gebotene Abwägung bei einem Anspruch
auf Beseitigung eines grob fahrlässig errichteten Überbaus in der Regel dazu führen, dass die Einrede zu
versagen ist, was sich daraus ergebe, dass nach § 275 Abs. 2 S. 2 BGB bei der Bestimmung des Maßes
der zumutbaren Anstrengungen auch das Verschulden des Schuldners berücksichtigt werden muss.
Anders könne es aber unter Berücksichtigung des erheblichen Verschuldens des Überbauenden sein, wenn
der Nachbar unter vorwerfbarer Verletzung seiner Obliegenheit nach § 254 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 912 Abs.
1 BGB, den Eigentümer vor ungewöhnlich hohen Schäden durch die Zerstörung mit dem Überbau
geschaffener Werte zu bewahren, mit dem Verlangen auf Beseitigung zuwartet und dadurch selbst
wesentlich zu dem Missverhältnis zwischen den Vorteilen für ihn und Aufwendungen des Eigentümers für
den Abriss des Neubaus beitrage. Unter diesen Voraussetzungen könne die unter Beachtung des Gebots
von Treu und Glauben vorzunehmende Abwägung (§ 242 BGB) dazu führen, dass der Eigentümer die
Erfüllung des Anspruchs des Nachbarn auf Beseitigung verweigern dürfe.
c)
61
Die auf dieser, vom BGH vorgegebenen rechtlichen Basis vom Senat vorgenommene Abwägung unter
Berücksichtigung aller maßgebenden Umstände und insbesondere auch der beim Augenschein von den
örtlichen Verhältnissen gewonnenen Eindrücke führt dazu, dass vorliegend nach den Geboten von Treu
und Glauben die Beseitigung unzumutbar ist. Der für die Beseitigung erforderliche Aufwand steht, auch
unter Beachtung der groben Fahrlässigkeit des Überbaus, in krassem Missverhältnis zu den allenfalls
geringfügigen Beeinträchtigungen des Geh- und Fahrrechts der Kläger.
62
Der nach § 275 Abs. 2 S. 2 BGB zu berücksichtigende Umstand, dass bei der Abwägung von erheblichem
Gewicht ist, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat, führt trotz der dargestellten groben
Fahrlässigkeit der Beklagten bei der Errichtung des Überbaus ( vgl. oben 2 b) nicht zu einem Ausschluss
des Leistungsverweigerungsrechts. Denn hierbei ist auch zu beachten, dass die Kläger nicht nur während
der Bauarbeiten, sondern auch noch lange danach den Überbau nicht moniert haben. Die Kläger mussten
den Geltungsbereich ihrer Grunddienstbarkeit kennen. Sie wohnen vor Ort und sie konnten beobachten, wie
sich die Baumaßnahmen gestalteten. Tagtäglich konnten sie den Umfang der Baumaßnahmen erkennen.
Dafür ist es unerheblich, dass gemäß § 55 Landesbauordnung nur die Eigentümer angrenzender
Grundstücke Nachricht von einem Bauvorhaben erhalten, und die Kläger, wie sie behaupten, im Vorfeld
keine Baupläne zur Einsicht erhalten haben.
63
Gleichwohl schritten sie weder bei den Tiefbauarbeiten noch bei den Rohbauarbeiten, ja nicht einmal nach
Fertigstellung zeitnah ein; dies stellt eine vorwerfbare Verletzung ihrer Obliegenheit, den Eigentümer vor
ungewöhnlich hohen Schäden durch die Zerstörung der mit dem Überbau geschaffenen Werte zu
bewahren, dar (BGH NJW 2008, 3123). Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Nachbarin der
Kläger gegen die Beklagten zeitnäher wegen des Überbaus vorgegangen ist. Diese hat sich
zwischenzeitlich mit den Beklagten verständigt. Schließlich ist noch zu beachten, dass trotz der den
Beklagten zuzurechnenden groben Fahrlässigkeit der Streithelfer Ziff. 1 und 2 im Rahmen der Abwägung
durchaus zu sehen ist, dass die Beklagten nicht selbst bei den Baumaßnahmen sich über die Interessen
der Kläger hinweggesetzt haben, sondern dass die Beklagten sich zur Planung und Errichtung des
Gebäudes der Streithelfer Ziff. 1 und 2 bedient haben. Diese wurden ordnungsgemäß ausgewählt.
Anhaltspunkte für die Beklagten, dass die Architekten auf Rechte Dritter vorsätzlich oder grob fahrlässig
nicht Rücksicht nehmen würden, lagen nicht vor.
64
Bei der Abwägung ist weiter zu berücksichtigen, dass die Beseitigung des Gebäudeteils, die die Kläger
beanspruchen, einen immensen finanziellen Aufwand erfordert. Es kann offen bleiben, ob sich dieser
Aufwand - wie von den Beklagten behauptet - auf 100.000,-- EUR beläuft. Jedenfalls ist festzustellen, dass
durch den Abriss des Gebäudeteils, der sich auf 18 m² beläuft, ein Eingriff in das gesamte bestehende
Gebäude notwendig ist. Es müssten Versorgungsleitungen neu verlegt werden. Das Dach des Gebäudes
müsste den Gegebenheiten angepasst werden. Die gesamte Logistik des Gebäudes müsste neu gestaltet
werden. Den Aufwand für diese Maßnahmen schätzt der Senat nach § 287 ZPO auf mindestens 50.000,--
EUR.
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Einzustellen in die Abwägung ist hinzu, dass die Beeinträchtigungen der Kläger durch den Überbau, wie
sich der Senat überzeugt hat, bei weitem nicht als so gravierend anzusehen sind, wie die Kläger glauben
machen wollen. Der Zugang zum Grundstück der Kläger, das Fahren und Gehen auf das Grundstück, ist
im derzeitigen Zustand des begünstigten Grundstücks durch den festen Metallgitterzaun und die dahinter
liegende Vertiefung überhaupt nicht und durch den Überbau allenfalls geringfügig eingeschränkt.
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Das Befahren des Grundstücks der Kläger ist nur insoweit möglich, als in die Garage eingefahren wird. An
der zur Grunddienstbarkeit ausgerichteten Grundstücksgrenze ist das Grundstück mit einem Wohnhaus
und direkt anschließend mit einer schmalen Garage, deren Einfahrt nur 2,50 m breit ist, bebaut. Die Garage
ist an die seitliche Grundstücksgrenze gebaut; dort schließt sich unmittelbar an die Garage eine Bebauung
auf dem Nachbargrundstück an. Der Senat hat sich beim Augenschein im Rahmen von Fahrversuchen in
die Garage und aus der Garage davon überzeugt, dass wenn man den Bereich der noch vorhandenen
Straße bis zur vorhandenen Bordsteinkante nutzt, in einem Zug in die Garage eingefahren und aus dieser
ausgefahren werden kann. Die Schwierigkeiten beim Ein- und Ausfahren sind nicht durch die Wand des
Lebensmittelmarkts und die Bordsteinkante, sondern durch die sehr schmale Garageneinfahrt, die bei
Fahrzeugen der Mittelklasse ein senkrechtes Ein- und Ausfahren erfordert, bedingt. Dies ist jedoch durch
den auch nach dem Überbau verbleibenden Raum von der Garage bis zur Bordsteinkante möglich.
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Für allenfalls geringfügige Beeinträchtigungen spricht im Übrigen auch, dass die Kläger nicht nur nicht
unmittelbar nach dem Überbau, sondern über einen langen, mehr als zwei Jahre dauernden Zeitraum
(Erbauung des Lebensmittelmarkts im Mai 2005, Fertigstellung Ende 2005, Monierung nach Termin vor
dem OLG am 10.10.2007 im Rechtsstreit 3 U 44/07), keine Beeinträchtigungen bei der Zufahrt geltend
gemacht haben. Nach der Fertigstellung des Lebensmittelsmarktes wurden zwar von den Klägern
Lüftungen, Geräusche und der Anlieferungsverkehr, wie im Termin am 05.08.2009 von den Klägern
vorgetragen, moniert, nicht aber eine Beeinträchtigung der Grunddienstbarkeit.
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Hinzutritt, dass auch vor dem Überbau der Bereich gewerblich genutzt wurde. Es ist davon auszugehen,
dass vor dem Überbau durch abgestellte Fahrzeuge Behinderungen hinsichtlich der Einfahrt in die Garage
des klägerischen Grundstücks, soweit der jetzt überbaute Bereich betroffen ist, entstanden sind.
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Auch vor dem Hintergrund, dass die Kläger geltend machen, das eine zukünftige, etwa abweichende
Nutzung des begünstigten Grundstücks den Abriss des Überbaus erfordere, weil dann eine erhebliche
Beeinträchtigung bei der Zufahrt des Grundstücks entstehen könnte, rechtfertigt sich keine abweichende
Bewertung. Bei Berücksichtigung des Vortrags der Kläger, es handele sich bei ihrem Grundstück um ein
Grundstück in einem Mischgebiet, wo auch eine gewerbliche Nutzung denkbar wäre, ist zum einen nicht
ersichtlich, wie auf einem 3,71 a großem Grundstück eine Fabrikhalle errichtet werden kann. Zum anderen
sind die tatsächlichen Verhältnisse der beteiligten Grundstücke, insbesondere die Lage- und
Verwendungsart des herrschenden Grundstücks, im Zeitpunkt der Bestellung bei der Auslegung, was
geschuldet wird, heranzuziehen (BGH NJW 1992, 2885; BGH NJW 2002, 1797). Eine Umfangserweiterung
kann eintreten, wenn bei einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung des herrschenden Grundstücks
infolge technischer oder wirtschaftlicher Entwicklung der Nutzungsbedarf steigt. Bei einer
Bedarfssteigerung in Folge von Nutzungsänderungen tritt die Umfangserweiterung ein, wenn sie bei
Rechtsbestellung vorhersehbar und nicht willkürlich war (BGH NJW-RR 2003, 1235). Eine
Nutzungsänderung ist zulässig, wenn keine stärkere Beanspruchung als bei der bisherigen Nutzung
einhergeht (Palandt/Bassenge, aaO, § 1018 Rn. 9 - 11).
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Im vorliegenden Fall war zum Zeitpunkt der Eintragung des Geh- und Fahrrechts - und ist es jetzt - das
Gebäude …Straße … als Wohnraum genutzt. Daneben befindet sich eine relativ enge Garage. Aus diesem
Grund ist die Argumentation der Kläger, man wolle das Grundstück gewerblich nutzen, schon nicht
überzeugend. Eine gewerbliche Nutzung hätte im Übrigen nach Auffassung des Senats in jedem Fall zur
notwendigen Folge, das die vorhandene Bebauung verändert werden müsste. Denn die derzeit vorhandene
Garage kann mit größeren Fahrzeugen, erst recht mit LKWs, nicht befahren werden. Überhaupt müsste für
den Fall der Errichtung einer Gewerbehalle die jetzt vorhandene Bebauung beseitigt werden - und zwar
mehr als nur die Garage -, damit das dahinterliegende Grundstück mit größeren Fahrzeugen erreicht
werden könnte. Im Rahmen einer solchen Veränderung - wobei dahin stehen kann, ob eine solche
Nutzungsänderung und Nutzungserweiterung von der Grunddienstbarkeit noch gedeckt wäre - könnten die
Kläger ihre eventuellen baulichen Maßnahmen den gegebenen Verhältnissen unschwer anpassen, ohne
dass hierdurch ein, ins Gewicht fallender finanzieller Mehraufwand oder sonst ersichtliche
Beeinträchtigungen entstünden.
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Nach alldem führt die Abwägung nach § 275 Abs. 2 ZPO zum Ergebnis, dass es den Beklagten
unzumutbar ist, den beantragten Teilabriss des Gebäudes, die Entfernung des Zaunes und die Auffüllung
des von der Grunddienstbarkeit umfassten Bereichs vorzunehmen.
4.
72
Da den Klägern ein Anspruch nicht zusteht, sind die Beklagten auch nicht verpflichtet, vorgerichtliche
Anwaltskosten zu erstatten.
5.
73
Auch der in der mündlichen Verhandlung vom 05.08.2009 erweiterte Klagantrag (Auffüllung der Vertiefung)
besteht nach obigen Ausführungen nicht. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob dieser Antrag im
Berufungsverfahren nicht zuzulassen und der erst jetzt geltend gemachte Anspruch verjährt wäre.
6.
74
Ob den Klägern eine Geldrente nach § 912 Abs. 2 BGB zusteht, braucht im vorliegenden Prozess nicht
abgehandelt zu werden. Ein solcher Antrag ist nicht gestellt (§ 308 Abs. 1 ZPO).
III.
75
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 101 ZPO.
IV.
76
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V.
77
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit hat keine
grundsätzliche Bedeutung und die zu entscheidenden Rechtsfragen hat der Bundesgerichtshof in seinen
Urteilen vom 30.05.2008 (NJW 2008, 3122) und vom 18.07.2008 (NJW 2008, 3122) bereits entschieden.
VI.
78
Der Streitwert ist in beiden Instanzen auf 100.000,-- EUR festzusetzen (Zöller-Herget, ZPO, 27. Aufl. 2009,
Rn. 16 zu § 3 „Beseitigungsklage“).