Urteil des OLG Stuttgart vom 15.01.2004
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OLG Stuttgart Beschluß vom 15.1.2004, 2 Verg 6/03
Vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren: Erstattung der dem Beigeladenen entstandenen Kosten durch den unterlegenen Antragsteller
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird der auf die mündliche Verhandlung vom 23.06.2003 gefasste Beschluss der
Vergabekammer Baden-Württemberg in Ziff. 3 ihres Ausspruchs
geändert.
2.
a)
Die Antragstellerin hat die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen in
dem Verfahren vor der Vergabekammer zu tragen.
b) Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten für die Beigeladene in dem Verfahren vor der Vergabekammer wird
für notwendig erklärt.
3.
a)
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen, die der Beigeladenen in der Beschwerdeinstanz entstanden sind, zu tragen.
b) Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten für die Beigeladene im Beschwerdeverfahren wird für notwendig
erklärt.
Gründe
I.
1
Das Rechtsmittel der Beigeladenen ist zulässig (§§ 116, 117 GWB), es hat der Sache nach auch Erfolg.
A
2
Hinsichtlich des Sachverhaltes wird auf die Feststellungen in der Entscheidung der Vergabekammer verwiesen. In ihrem Beschluss wies
diese den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurück, legte dieser die Kosten des Verfahrens auf, sprach aber unter Ziff. 3 aus: "Die
Beigeladene trägt ihre Kosten selbst." (Bl. 9). Die Vergabekammer begründete dies damit, dass die Antragstellerin die Beigeladene nicht
unmittelbar angegriffen habe, sie habe vielmehr nur die Berücksichtigung ihrer Nebenangebote erstrebt. Zwar habe die Beigeladene
schriftsätzlich Vortrag gehalten und eigene Anträge gestellt, das Verfahren habe sie aber nicht so entscheidend gefördert, dass eine
Kostenübernahme durch die Antragstellerin gerechtfertigt wäre. Gegen diese der Beigeladenen am 30.06.2003 zugestellte Entscheidung
ging deren sofortige Beschwerde am 14.07.2003 ein. Sie erachtet darin eine Belastung der Antragstellerin mit ihren Kosten für angezeigt, da
sie in direktem Interessengegensatz zu dieser gestanden habe, denn das Ziel der Antragstellerin sei gewesen, die angekündigte
Zuschlagserteilung an die Beigeladene zu verhindern und durch die Anerkennung ihrer Nebenangebote selbst Zuschlagsbegünstigte zu
werden. Zudem habe sie sich sowohl durch Antragstellung als auch schriftsätzliche Stellungnahmen und solche in der mündlichen
Verhandlung aktiv am Verfahren beteiligt und dieses nicht unmaßgeblich gefördert. Die Erstattung entspreche danach der Billigkeit. Auch sei
die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters angesichts der Komplexität und Schwierigkeit der Materie geboten gewesen.
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Die Beigeladene beantragt deshalb:
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I. Der Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg vom 26.06.2003, Az.: 1 VK 28/03, wird insoweit aufgehoben, als mit Ziffer 3 des
Beschlusses die Erstattung der Kosten der Beigeladenen durch die Antragstellerin abgelehnt wurde.
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II. Die Antragstellerin hat die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen in dem Verfahren
vor der Vergabekammer zu tragen.
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III. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
notwendigen Aufwendungen, die der Beigeladenen in der Beschwerdeinstanz entstanden sind, zu tragen.
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IV. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten für die Beigeladene in beiden Instanzen wird für notwendig erklärt.
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Die Antragstellerin beantragt:
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Die Kostenbeschwerde der Beigeladenen wird zurückgewiesen.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung als richtig und sieht keinen unmittelbaren Interessengegensatz, denn sie habe die Angebote
der Beigeladenen nicht angegriffen, sondern nur die Berücksichtigungsfähigkeit ihrer Nebenangebote erreichen wollen. Dass im Erfolgsfalle
dies auch ihrem Ziel gleichgekommen wäre, selbst den Zuschlag zu erhalten, berühre nur eine allgemeine Prozessvoraussetzung des
Nachprüfungsverfahrens. Diese Erfüllung einer allgemeinen Prozessvoraussetzung könne für sich aber nicht schon Auslöser eines
Erstattungsanspruches einer Beigeladenen sein.
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Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze verwiesen.
B
1.
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Kostentragungspflicht
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a) Der Senat hat bereits entschieden, dass die Kosten des Beigeladenen in der Regel vom unterliegenden Antragsteller zu tragen sind
(OLG-Report 2000, 331, 332). Der Rechtsprechung des Vergabesenates des OLG Düsseldorf entspricht es, dass die Erstattung der
Kosten des Beigeladenen von einer Billigkeitsprüfung in analoger Anwendung des § 162 Abs. 3 VwGO abhänge. Im Allgemeinen
entspreche es dann der Billigkeit, dem im Nachprüfungsverfahren erfolglosen Antragsteller die Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen,
wenn sich die antragstellende Partei mit ihrem Nachprüfungsantrag ausdrücklich, bewusst und gewollt in einen Interessengegensatz
zum Beigeladenen gestellt, und wenn sich ferner der Beigeladene aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt habe, indem er (erfolgreich)
Anträge nebst Begründungen hierfür gestellt oder das Verfahren sonst wesentlich gefördert habe (OLG-Report 2003, 12, 13). Das
BayObLG sieht die Anordnung der Erstattung in der Regel als der Billigkeit entsprechend an, wenn ein Beigeladener erfolgreich Anträge
gestellt, ein eigenes Rechtsmittel eingelegt oder zumindest das Verfahren wesentlich gefördert hat (B. v. 18.09.2003 – Verg 12/03 (dort: II
4)).
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b) Ungeachtet der Frage, ob nicht auch im Beschluss des BayObLG der Interessengegensatz zwar unausgesprochene, aber immanente
Erstattungsvoraussetzung ist, sind doch vorliegend jedenfalls alle benannten Kriterien zu bejahen. So ist ein unmittelbarer
Interessengegensatz nicht zweifelhaft. Die Beigeladene war gemäß § 13 S. 1 VgV als Zuschlagsprätendentin nach dem Ausfall einer
anderen Bieterin bekannt gegeben worden. Sie stand sonach nach dem Willen der Vergabestelle unmittelbar als Auftragnehmerin an.
Die Antragstellerin hat mit ihrem Nachprüfungsantrag nicht nur eine Verfahrensfrage oder eine sonstige Vorfrage hinsichtlich ihrer
Teilhabe am Vergabeverfahren klären lassen wollen, vielmehr war – wie die Beigeladene zutreffend und unwidersprochen aufzeigt –
erklärtes Verfahrensziel der Antragstellerin, über die Berücksichtigung ihrer Nebenangebote die Beigeladene in ihrer
Prätendentenstellung abzulösen. Die Antragstellerin wollte mit dem Nachprüfungsverfahren die Beigeladene ausstechen. Ausgeprägter
kann der Interessenwiderstreit kaum sein. Die Beigeladene hat auch Anträge gestellt und sich mit Schriftsätzen am Verfahren beteiligt.
Damit ist angesichts der Alternativität der aufgezeigten Erstattungsvoraussetzungen bereits die Kostentragungspflicht der Antragstellerin
zu bejahen. Die Beigeladene hat aber weiter zutreffend darauf verwiesen, dass und wie sie mit ihrer aktiven Teilhabe das Verfahren
wesentlich gefördert hat. Gerade etwa zur Frage der Insolvenz eines Bieters in einer Bietergemeinschaft und deren Auswirkung auf den
Mitbieter, was sehr breiten Raum im Beschluss der Vergabekammer eingenommen hat, hat die Beigeladene ausführlich und vertieft
Stellung genommen.
2.
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Vorliegend war auch die Beiziehung eines Rechtsanwaltes durch die Beigeladene zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung
notwendig.
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a) Eine solche Beiziehung wird etwa dann für notwendig erachtet, wenn nicht einfach gelagerte Rechtsfragen sowohl zum materiellen
Recht wie auch zum Nachprüfungsverfahren betroffen sind (OLG Düsseldorf a. a. O. 14; vgl. auch BayObLG B. v. 19.09.2003 – Verg
11/03 (dort: I 1); Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. (2001), § 128, 15; gar in der Regel erstattungsfähig, nicht nur bei
schwierigen und umfangreichen Sachverhalten: Glahs in Reidt/Stickler/Glahs, VergabeR, 2. Aufl. (2003), § 128, 23), insbesondere wenn
der Fall für den Verfahrensbeteiligten auch besonders bedeutsam ist (BayObLG a. a. O. (II 2)). In der zuletzt bezeichneten Entscheidung
wurde die Zuziehung auch für den öffentlichen Auftraggeber bejaht.
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b) Auch insoweit sind die Erstattungsvoraussetzungen erfüllt. Die Fallgestaltung war sehr umfangreich, tatsächlich und rechtlich komplex
und hat über das reine Vergaberecht hinaus nicht einfache Rechtsfragen aus anderen Rechtsgebieten (Insolvenzrecht) aufgeworfen. Vor
diesem Hintergrund war die Einschaltung der Bevollmächtigten für die Beigeladene ein Gebot zweckentsprechender
Interessenwahrnehmung. Dies führt auch zur Erstattung der Kosten der Verfahrensbevollmächtigten. Dazu verhält sich die
Beschwerdeerwiderung im Übrigen nicht.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO analog.
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Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens beläuft sich entsprechend den Grundsätzen des § 3 ZPO auf das Kosteninteresse der
Beigeladenen, ihre Anwaltskosten von der Antragstellerin getragen zu bekommen. Diese sind von der Vergabekammer noch nicht
festgesetzt. Der Senat sieht daher von einer Festsetzung des Geschäftswertes zum jetzigen Zeitpunkt ab (ebenso BayObLG B. v. 19.09.2003
– Verg 11/03 (II 3)).
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Hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Hinzuziehung einer anwaltlichen Bevollmächtigten im Beschwerdeverfahren gelten
die nämlichen Erwägungen mit identischem Ergebnis.