Urteil des OLG Stuttgart vom 08.11.2004

OLG Stuttgart: kompostierung, bepflanzung, zerstörung, wahrscheinlichkeit, naturereignis, verkehr, regen, tod, bevölkerung, niederlassung

OLG Stuttgart Urteil vom 8.11.2004, 5 U 74/04
Haftung des Grundstücksnachbarn: Schädlingsbefall einer Johannisbeerplantage ausgehend von einem Komposthaufen auf dem
Nachbargrundstück
Tenor
1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 08.04.2004 3 O 625/03 III wird
zurückgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der
Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Streitwert des Berufungsverfahrens: EUR 30.921,50
Gründe
1
I.
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Die Kläger als Eigentümer eines mit Johannisbeerbüschen bepflanzten landwirtschaftlichen, ca. 0,8 ha großen Grundstücks, Parzelle Nr. ... im
Gewann S., L., verlangen von dem Beklagten, dem Pächter eines landwirtschaftlichen Nachbargrundstücks, Parzelle Nr. ..., Schadensersatz in
Höhe von EUR 30.921,50 (Kosten der Rodung, Neubepflanzung und Unkrautbehandlung sowie entgangenem Gewinn durch Minderertrag neuer
Jungpflanzen etc.) wegen Zerfressens ihrer Johannisbeerplantage durch Dickmaulrüssler und deren Larven im Jahr 2002, die von einem auf
dem Pachtgrundstück des Beklagten befindlichen Komposthaufen stammen sollen, wobei die Kompostierung nur durch einen Feldweg vom
Grundstück der Kläger getrennt war. Wegen der Einzelheiten wird auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen im ersten Rechtszug und
auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Landgerichts Heilbronn Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
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Das Landgericht Heilbronn hat mit Urteil vom 8. April 2004 die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Beklagte hafte für die Zerstörung der
Johannisbeerplantage der Kläger nicht, weil diese ausschließlich auf Naturkräften beruhe und das Anlegen des Komposthaufens auf einer
landwirtschaftlich genutzten Fläche keine besondere Gefahrenquelle darstelle.
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Mit ihrer Berufung, die sich nur noch gegen den Beklagten, nicht mehr gegen seine in erster Instanz mitverklagte Ehefrau richtet, erstreben die
Kläger weiterhin vollen Schadensersatz im wesentlichen mit der Begründung, durch die Anlegung und den mehrjährigen Betrieb des
Komposthaufens, der mit der Bewirtschaftung des Pachtgrundstücks des Beklagten als Weinberg nicht in Zusammenhang stehe, habe der
Beklagte eine Gefahrenquelle geschaffen, da die Kompostierung durch Zurückhaltung von Kompostresten mit der Folge der Ansäuerung des neu
hinzugekommenen Abfallmaterials die Käfer- und Larvenbildung ermöglicht habe, so dass die Zerstörung ihrer Johannisbeeranlage nicht auf
einem bloßen Naturereignis beruhe.
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Die Kläger beantragen,
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1. das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 8. April 2004 (3 O 625/03 III) wird aufgehoben.
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2. Der Berufungsbeklagte wird verurteilt, an die Kläger/Berufungskläger 30.921,50 EUR Schadensersatz nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
10 Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in zweiter Instanz wird auf sämtliche Schriftsätze und die vorgelegten Urkunden verwiesen.
11 Der Senat hat zu den Fragen, ob die Dickmaulrüssler und deren Larven von der Kompostierung des Beklagten stammten und durch diese
besonders angezogen worden sind, die Zeugen H., Z., B. und K. vernommen und ein mündlich erstattetes Sachverständigengutachten von Prof.
Dr. Z., Institut für Phytomedizin der Universität H., eingeholt. Auf die Protokollniederschrift der Verhandlung vom 18.10.2004 wird verwiesen.
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II.
13 Die zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache keinen Erfolg.
14 Den Klägern steht gegen den Beklagten aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht (§ 823
Abs. 1 BGB), Störerhaftung (§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 1004 BGB), Schutzgesetzverletzung (§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 907 BGB) oder einem
verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch (§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog) ein Anspruch auf Schadensersatz wegen
ihrer durch Dickmaulrüssler und deren Larven zerstörten Johannisbeeranlage zu.
15 Gemeinsame Voraussetzung eines Schadensersatzanspruches sowohl aus dem rechtlichen Gesichtspunkt einer
Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten, einer Störerhaftung, einer Schutzgesetzverletzung wie eines verschuldensunabhängigen
nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs ist der Umstand, dass die schadensverursachende Gefahr nicht auf einem zufälligen, von menschlicher
Einwirkung weitgehend unabhängigem Naturereignis beruht (BGH NJW-RR 2001, 1208 ff.). Vielmehr muss die Eigentumsbeeinträchtigung
wenigstens mittelbar durch eigene Handlungen oder ein pflichtwidriges Unterlassen des Störers herbeigeführt worden sein (BGH NJW 1991,
2770, 2771; BGH NJW 1993, 1855, 1856). Der Schaden der Kläger darf sich insbesondere nicht als Folge eines von niemandem zu
beherrschenden Naturereignisses, das heißt als ein allgemeines Risiko darstellen, das die Kläger selbst zu tragen haben (sog. Wolllaus-Fall
BGH NJW 1995, 2633, 2644).
16 Vorliegend vermochten die hierfür beweisbelasteten Kläger zur Überzeugung des Senats jedoch nicht zu beweisen, dass die Anlegung des
Komposthaufens durch den Beklagten ab dem Jahre 2000 den Befall ihrer Johannisbeeranlage in der Folgezeit durch Dickmaulrüssler und
deren Larven zumindest begünstigt hatte. Zwar steht durch die glaubhaften Angaben der Zeugen W., K., J. B., A. Z. und A. H. fest, dass die
Dickmaulrüssler und deren Larven, die die Johannisbeerbüsche der Kläger zerfressen hatten, von dem Komposthaufen des Beklagten
stammten. So bekundete der Zeuge K., dass er zusammen mit dem Kläger im Sommer 2002 nachts festgestellt habe, „dass sie (Dickmaulrüssler)
aus dem Kompost kamen bzw. ein Verkehr von Käfern zwischen dem Kompost und den Pflanzen stattgefunden hat. Herr L (Kläger Ziff. 1) hat
dann eines Tages den Kompost abgespritzt, woraufhin in vermehrtem Umfang Käfer aus dem Kompost herausgekommen sind. Ich (Zeuge) habe
nur Käfer gesehen, die sich vom Kompost zum Beerenfeld bewegt haben und zwar nur in dieser Richtung. Sie sind nicht vom Beerenfeld zurück
in Richtung Kompost gelaufen.“ Der Zeuge H. beschrieb seine Beobachtungen bei einem Ortstermin am 09.09.2002 mit den Worten: „Er (der
Komposthaufen) war mit Kalkstickstoff umgeschichtet worden. Es waren jedoch noch abgestorbene Pflanzenreste als Decke zu sehen. Um den
Komposthaufen herum war ein Rest von (toten) Käfern in Marschrichtung zu den Johannisbeerplantagen des Klägers festzustellen. ... Die Käfer
habe ich z.B. in der Mitte zwischen den beiden Anlagen auf dem dort befindlichen Querweg gefunden, aber auch im unbefestigten Bereich. Man
fand Käfer vom Kompost her und zwar auf der gesamten Strecke von Südwest bis Nordwest. Sie waren zum Teil vom Regen weggeschwemmt
worden und es waren nicht mehr so viele, aber sie waren noch deutlich zu sehen. Lebende habe ich nicht mehr gesehen. Ich nehme an, dass
der Tod auf den Kalkstickstoff zurückzuführen ist.“ Weiterhin bekundete dieser Zeuge, dass er in einem Umkreis von etwa 600 m Untersuchungen
angestellt habe, um befallene Stellen festzustellen. In etwa 300 m habe sich eine weitere Johannisbeeranlage befunden, bei der er jedoch habe
feststellen können, dass sie völlig befallfrei gewesen sei. Andere Quellen, aus denen die Schädlinge gekommen sein könnten als den
Komposthaufen, habe er nicht festgestellt. Dazuhin konnte der Zeuge B. anlässlich eines Ortstermins am 07.08.2002 feststellen, dass die
Schäden an den Blättern der Johannisbeerpflanzen der Kläger mit fortschreitender Entfernung vom Komposthaufen des Beklagten abgenommen
haben. Aufgrund dieser Zeugenangaben kam auch der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Z. bei seinem mündlichen Gutachten zu dem
Ergebnis, dass andere Herkunftsquellen der Dickmaulrüssler als der Komposthaufen des Beklagten, nämlich ein Einschleppen der Insekten im
Zusammenhang mit der Bepflanzung der Johannisbeerbüsche durch die Kläger selbst oder ein Einwandern aus der übrigen Umgebung des
Grundstücks der Kläger ausscheiden. Vielmehr, so der Sachverständige, sprechen die Beobachtungen der Zeugen dafür, dass tatsächlich die
Quelle sich im Bereich des Komposts befand. Insoweit sei zu sagen, dass der Kompost als solcher eigentlich eine schlechte Nahrungsgrundlage
(für die Tiere) sei. Es bestehe jedoch die Möglichkeit, dass Tiere sich insbesondere in den oberen Schichten des Komposthaufens entwickelt
hätten, nachdem er (der Sachverständige) auch gehört habe, dass dieser immer wieder mit Fremdmaterial aus der Bevölkerung beladen worden
sei. Auch der vom Zeugen H. beschriebene Kompostbewuchs (an der Oberfläche) könne einen Nährboden darstellen, ebenso die Wärme, die in
einem solchen Komposthaufen vorzufinden sei und der lockere Boden, der den Insekten zugute käme. Der eigentlich ungeeignete Lebensraum
(Dickmaulrüsselkäfer schätzen tote organische Masse nicht, vielmehr bevorzugen sie lebendes, frisches Pflanzenmaterial) könnte daher durch
das heterogene Material (des Komposthaufens) verbessert worden sein. Dazuhin spreche für den Umstand, dass die Käfer aus dem Kompost
gekommen seien neben den Angaben der Zeugen, dass sich die Tiere vom Kompost in Richtung Plantage bewegt haben, auch die Tatsache,
dass bei einem Erstbefall der Johannisbeerbüsche der Kläger die Käfer sicher sich mehr in der Plantage breitgemacht hätten, statt sich in den
Kompost zu verziehen, wo nicht ihr eigentlicher Lebensraum sei.
17 Mit der Feststellung des Komposthaufens als Ausgangsgebiet der Dickmaulrüssler ist jedoch noch nicht geklärt, wie und weshalb die Tiere auf
den Kompost gelangt sind. Insoweit konnte der gerichtliche Sachverständige mangels weiterer Anhaltspunkte sich jedoch nicht festlegen, welche
der in Betracht kommenden weiteren Ausgangsursachen die wahrscheinlichste ist. Als Möglichkeiten kommen hierbei in Betracht das
Einschleppen der Dickmaulrüssler mit von ihnen bereits befallenem und vom Beklagten von der Firma G. (G. ...) erworbenem Kompostmaterial,
die Einbringung der Käfer durch von ihnen befallenem Pflanzenmaterial, das Dritte auf den Komposthaufen abgelegt haben sowie das zufällige
Niederlassen der Tiere auf dem Komposthaufen. Zwar bewertete der Sachverständige die Möglichkeit des Einschleppens der Tiere durch von
ihnen befallenes, vom Beklagten erworbenes Kompostmaterial eher als unwahrscheinlich, nachdem der Komposthaufen jedenfalls nach
Angaben des Lieferanten entsprechend aufbereitet (erwärmt) worden sei. Andererseits sei ein so genannter sporadischer Käferbefall immer und
überall möglich, wobei er, der Sachverständige, hierüber nur spekulative Angaben machen könne. Wenn er gefragt werde, wie hoch die
Wahrscheinlichkeit sei, dass die Käfer entweder aus dem zugelieferten Kompostmaterial, aus der Bepflanzung des Komposthaufens oder von
Fremdmaterial, das von Dritten auf dem Komposthaufen abgelagert wurden sei, stammten, so könne er hierzu aus seiner wissenschaftlichen
Sicht keine verlässlichen Angaben machen. Alles, was er hierzu sagen würde, wäre Spekulation. Ebenso wolle er über Wahrscheinlichkeiten
dieser Möglichkeiten keine Prozentangaben treffen.
18 Damit verbleibt jedoch insbesondere auch die Möglichkeit, dass die ersten Dickmaulrüssler sich zufällig auf dem Komposthaufen niedergelassen
hatten, ohne dass dieser einen besonderen, über die Anlockungsreize seiner Umgebungsbewachsung hinausgehende besondere zusätzliche
Gründe für die Erstansiedlung der Tiere gesetzt hatte. Hierfür spricht auch der Umstand, dass der Oberflächenbewuchs des Komposthaufens
grundsätzlich keine größeren Anlockungsreize für die Niederlassung der Tiere ausstrahlte als insbesondere die Johannisbeerbüsche auf dem
Nachbargrundstück der Kläger. Auch steht für den Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit bzw. Wahrscheinlichkeit fest, dass die Tiere bei
ihrer Erstansiedlung dem Komposthaufen deshalb den Vorzug gegeben hatten, weil dieser neben seinem Oberflächenbewuchs auch noch
warmen lockeren Untergrundboden bot, denn Dickmaulrüssler schätzen das übrige tote und verrottende Kompostmaterial als
Nahrungsgrundlage gerade nicht.
19 Damit konnten die Kläger zur Überzeugung des Senats nicht beweisen, dass der Beklagte durch die Anlegung des Komposthaufens eine
konkrete Gefahrenquelle dadurch geschaffen hatte, dass der Befall des Komposthaufens durch die Dickmaulrüssler und deren Larven begünstigt
worden ist und das Zerstören der Johannisbeerbüsche der Kläger durch diese Insekten die Verwirklichung einer solchen Gefahrenquelle
darstellte (BGH NJW 1995, 2634).
20 Da eine Haftung des Beklagten bereits dem Grunde nach nicht besteht, kann die weitere Klärung der Höhe des Schadensersatzanspruches
dahinstehen.
21 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz
2 ZPO.
22 Die Revision wird nicht zugelassen, denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch fordert die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.