Urteil des OLG Stuttgart vom 07.08.2008
OLG Stuttgart (wirtschaftliches interesse, interesse, fassade, streitwert, begründung, beschwerde, beweisverfahren, aug, betrag, mangel)
OLG Stuttgart Beschluß vom 7.8.2008, 10 W 43/08
Leitsätze
Die vom Sachverständigen angegebenen Kosten der von ihm vorgeschlagenen Mangelbeseitigungsmaßnahme
sind auch dann der Festsetzung des Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens zu Grunde zu legen, wenn der
Antragsteller eine andere, teurere Mangelbeseitigungsmaßnahme und deren vermutliche Kosten in der Begründung
seiner Anträge genannt hat, ohne sich in seinen Anträgen oder dessen Begründung ausdrücklich auf diese eine
Mangelbeseitigungsmaßnahme festzulegen.
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Streitwertbeschluss des Landgerichts Stuttgart vom
29.4.2008
a b g e ä n d e r t
und der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens auf 3.645,-- EUR festgesetzt.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin wehrt sich gegen die Streitwertfestsetzung für ein selbständiges Beweisverfahren.
2
Mit Antrag vom 15.5.2007 begehrte die Antragstellerin im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens die
Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu Mängeln am Außenputz eines Bürogebäudes an
den Fenstern, deren Ursache sowie zur Art der zur Mangelbeseitigung notwendigen Maßnahmen und deren
Kosten. Im Rahmen der Begründung des Antrags schätzte die Antragstellerin die Kosten der zur
Mangelbeseitigung erforderlichen Maßnahmen auf mindestens netto 11.000,-- EUR und vertrat in diesem
Zusammenhang unter anderem die Auffassung, dass die gesamte Fassade neu zu streichen sei.
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Aufgrund Beschlusses des Landgerichts Stuttgart vom 14.6.2007 wurde ein schriftliches
Sachverständigengutachten eingeholt, das zwar nicht alle, aber einen erheblichen Teil der behaupteten Mängel
bestätigte. Die Beseitigungskosten für die festgestellten Mängel bezifferte der Sachverständige auf 3.105,--
EUR. Dabei ging der Sachverständige davon aus, dass die Fassade nicht insgesamt neu zu streichen wäre.
Auf Nachfrage der Antragstellerin blieb der Sachverständige bei dieser Feststellung.
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Mit Beschluss vom 29.4.2008 setzte der Einzelrichter des Landgerichts Stuttgart den Streitwert des
selbständigen Beweisverfahrens auf 10.000,-- EUR fest. Dabei berücksichtigte das Landgericht, dass die
Antragstellerin das Interesse verfolgt habe, feststellen zu lassen, dass ein Neuanstrich der Fassade
erforderlich sei.
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Gegen diesen am 5.5.2008 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 14.5.2008 Beschwerde eingelegt
und beantragt, den Streitwert auf 3.645,-- EUR festzusetzen. Die vom Sachverständigen ermittelten Kosten der
Mangelbeseitigung seien lediglich um 540,-- EUR zu erhöhen, die als fiktive Kosten auf die nicht festgestellten
Mängel an zwei Fenstern entfielen. Die Schätzung der Antragstellerin des erforderlichen
Mangelbeseitigungsaufwands in der Antragschrift sei völlig unverbindlich. Entgegen dem Landgericht sei das
Interesse der Antragstellerin nicht auch auf Feststellung der Notwendigkeit eines Neuanstrichs der Fassade
gegangen. Soweit die Antragstellerin von einer entsprechenden Mangelbeseitigungsmaßnahme ausgegangen
sei, sei auch dies unverbindlich gewesen. Diese Auffassung habe deshalb keinerlei Auswirkungen auf den
Streitwert gehabt.
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Die Antragsgegnerin ist der sofortigen Beschwerde entgegengetreten. Die Antragstellerin habe in der
Antragsschrift eine bestimmte Mangelbeseitigungsmethode vorgegeben und sich nicht nur auf die Bezeichnung
der zu beseitigenden Mangelsymptome beschränkt. Darüber hinaus habe sie an den Sachverständigen
Ergänzungsfragen im Hinblick auf die Methode der Mangelbeseitigung gestellt. Deshalb sei von einem
wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin an dem Verfahren, das den kompletten Neuanstrich der Fassade
beinhalte, auszugehen.
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Mit Beschluss vom 7.7.2008 hat das Landgericht die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ohne Abhilfe
dem OLG Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
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Mit Beschluss vom 7.8.2008 hat der Einzelrichter wegen der grundlegenden Bedeutung der Sache das
Beschwerdeverfahren dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II.
9
Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.
10 Entscheidend für die Bemessung des Streitwerts im selbständigen Beweisverfahren ist das in der Antragschrift
zum Ausdruck gekommene Interesse an der Klärung (OLG Stuttgart IBR 2006, 309). Dabei ist allerdings der
vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung geschätzte Wert weder bindend noch maßgeblich; das Gericht hat
nach Einholung des Gutachtens den „richtigen“ Hauptsachewert, bezogen auf den Zeitpunkt der
Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers, festzusetzen (BGH BauR 2004, 1975, Juris RN 18).
Wenn im Beweisverfahren nicht alle behaupteten Mängel bestätigt werden, sind für die Streitwertfestsetzung
diejenigen Kosten zu schätzen, die sich ergeben hätten, wenn jene Mängel festgestellt worden wären (BGH
a.a.O.).
11 a) Der objektive, „richtige“ Wert der festgestellten Mängel beträgt nach den Feststellungen des
Sachverständigen 3.105,-- EUR. Nachdem der Sachverständige an zwei von drei Fenstern den gerügten
Mangel von Putzabplatzungen im Bereich des Vorbaurollladens nicht festgestellt hat, ist für die
Streitwertfestsetzung dieser Betrag um die fiktiven Kosten für die nicht festgestellten Mängel zu erhöhen.
Nachdem der Mangel der Putzabplatzung am Rollladenkasten an einem Fenster vom Sachverständigen mit
Beseitigungskosten in Höhe von 270,-- EUR bewertet wurde, ist für die übrigen zwei Fenster, an denen
dieser Mangel vom Sachverständigen nicht bestätigt wurde, bei der Streitwertbemessung ein Betrag von 2 x
270,-- EUR, insgesamt also 540,-- EUR anzusetzen.
12 b) Der sich daraus ergebende Betrag von 3.645,-- EUR ist nicht um das Interesse eines vollständigen
Neuanstrichs des Gebäudes zu erhöhen. Das Interesse der Antragstellerin am selbständigen
Beweisverfahren ergibt sich vorrangig aus den gestellten Anträgen, die unter Berücksichtigung von deren
Begründung auszulegen sind. In ihren Anträgen stellte die Antragstellerin jedoch lediglich die allgemeine
Frage nach Maßnahmen zur Mängelbeseitigung zur Beweiserhebung, ohne sich auf eine bestimmte
Mangelbeseitigungsmaßnahme festzulegen. Dies ist auch nicht durch die in der Begründung der Anträge
geäußerte Vermutung geschehen, die Fassade sei nach den Mangelbeseitigungsarbeiten neu zu streichen.
Denn auch die Unterstellung der Antragstellerin, es sei ein Neuanstrich der Fassade notwendig, ist hier
nicht maßgeblich, sondern die vom Sachverständigen festzustellenden tatsächlichen
Mangelbeseitigungsmaßnahmen, solange sich die Partei in ihrem Antrag nicht schon auf eine bestimmte
Mangelbeseitigungsmaßnahme festgelegt hat. Insoweit richtet sich der Hauptsachewert nach der objektiv
erforderlichen, „richtigen“ Mangelbeseitigungsmaßnahme und deren tatsächlichen, „richtigen“ Kosten.
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Die Nachfragen der Antragstellerin auf das schriftliche Sachverständigengutachten dokumentieren nur die
Sorge, der Sachverständige habe nicht die richtigen Mangelbeseitigungsmaßnahme beschrieben, und
beinhalten nicht die Behauptung, ein Neuanstrich des Gebäudes sei die allein richtige
Mangelbeseitigungsmaßnahme. Auch hieraus kann ein über den Mangelbeseitigungsbetrag von 3.645,--
EUR hinausgehendes wirtschaftliches Interesse der Antragstellerin am selbständigen Beweisverfahren
nicht entnommen werden.
14 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.