Urteil des OLG Stuttgart vom 04.10.2005

OLG Stuttgart: eintragung im handelsregister, gläubigerschutz, bilanz, auflösung, hindernis, sanierung, verschleppung, umwandlung, kapitalgesellschaft, unternehmen

OLG Stuttgart Beschluß vom 4.10.2005, 8 W 426/2005; 8 W 426/05
Umwandelungsrecht: Verschmelzung einer überschuldeten Gesellschaft auf einen Alleingesellschafter
Tenor
1. Auf die weitere Beschwerde der Antragstellerin werden der Beschluss des Amtsgerichts - Registergericht - Aalen vom 07.03.2005 und der
Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Ellwangen vom 02.05.2005
a u f g e h o b e n.
Die Sache wird zur anderweitigen Entscheidung an das Amtsgericht - Registergericht - Aalen zurückverwiesen.
Dieses wird angewiesen, die angemeldete Eintragung vorzunehmen, soweit kein anderes Eintragungshindernis entgegensteht.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
I.
1
Am 03.12.2004 meldete die Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin der Autohaus F. GmbH mit Sitz in O. zur Eintragung ins
Handelsregister an:
2
„Die Autohaus F. GmbH ist gem. §§ 2 Nr. 1, 120 UmwG durch Auflösung ohne Abwicklung im Wege der Aufnahme durch Übertragung
des Vermögens als Ganzes auf Frau E. G. verschmolzen worden.“
3
Sie erklärte außerdem, dass das einzelkaufmännische Unternehmen als Rechtsnachfolgerin der GmbH unter der Fa. Autohaus F. e. K. geführt
werde.
4
Das Amtsgericht - Registergericht - Aalen entnahm der der Anmeldung beigefügten Bilanz zum 30.06.2004, dass die GmbH bereits zum
damaligen Zeitpunkt überschuldet gewesen sei und wies mit Beschluss vom 07.03.2005 den Antrag vom 03.12.2004 zurück. Die Verschmelzung
könne wegen insolvenzrechtlich relevanter Überschuldung der GmbH aus Gründen des Gläubigerschutzes nicht zugelassen werden. Zwar sei
eine ausdrückliche Prüfung der Vermögensverhältnisse bei einer Verschmelzung auf einen Alleingesellschafter gesetzlich nicht ausdrücklich
vorgeschrieben. Das Gericht habe aber auch hier die Gläubigerschutzvorschriften zu beachten. Durch den Verschmelzungsvorgang könnten die
Gläubiger der Alleingesellschafterin benachteiligt und die Gläubiger der Gesellschaft um den Schutz, den das Insolvenzrecht vorsehe, gebracht
werden.
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Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 02.05.2005 zurückgewiesen. Es hat sich dabei im Wesentlichen
den Anführungen des Registergerichts angeschlossen. Auch das Landgericht sieht den Gläubigerschutz gefährdet, wenn infolge der
Verschmelzung ein Insolvenzverfahren umgangen werde.
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Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der weiteren Beschwerde. Zum einen stehe die Überschuldung der GmbH keineswegs fest; zum
anderen finde die Auslegung des § 120 UmwG, wie sie das Registergericht und das Landgericht vorgenommen hätten, im Gesetz keine Stütze.
Der Gläubigerschutz sei im Umwandlungsgesetz vom Gesetzgeber umfassend und abschließend geregelt worden. Die Möglichkeit der
Verschmelzung einer überschuldeten Kapitalgesellschaft werde in § 120 UmwG gerade nicht ausgeschlossen, da diese zu Sanierungszwecken
sinnvoll und damit dem Gläubigerschutz dienlich sein könne. Soweit das Landgericht auf eine Entscheidung des Bayerischen Obersten
Landesgerichts Bezug nehme (NJW-RR 1998, 902 = Rpfl 1998, 251 = DNotZ 1999, 145), sei der der dortigen Entscheidung zugrunde liegende
Sachverhalt - Verschmelzung einer bereits aufgelösten GmbH - mit dem hier vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidungen der Vorinstanzen sowie auf die Beschwerdebegründung Bezug genommen,
der ein Gutachten des Notars H., D., beigefügt ist.
II.
8
Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist als (unbefristete) weitere Beschwerde i. S. einer Rechtsbeschwerde (§ 27 Abs. 1 FGG) statthaft und
zulässig, insbesondere formgerecht eingelegt. Es hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und der
Entscheidung des Registergerichts, da die Entscheidung des Landgerichts auf einer Rechtsverletzung beruht.
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Zu Unrecht gehen die Vorinstanzen davon aus, dass Gesichtspunkte des Gläubigerschutzes der Verschmelzung der Antragstellerin auf ihre
Alleingesellschafterin gemäß §§ 2, 120 UmwG entgegenstehen, weshalb die beantragte Eintragung im Handelsregister am Sitz der an der
Verschmelzung beteiligten Rechtsträger (§ 16 UmwG) nicht vorgenommen werden könne.
1.
10 Das Registergericht bestätigt in seinem Beschluss, dass der Anmeldung die erforderlichen Urkunden und Nachweise gemäß §§ 16 und 17
UmwG beigelegen haben und nicht zu beanstanden waren. Die formellen Eintragungsvoraussetzungen, die das Registergericht vorrangig zu
prüfen hat, sind somit erfüllt.
2.
11 An der Eintragung gehindert sieht sich der Registerrichter jedoch unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten, da die Verschmelzung aus
Gründen des Gläubigerschutzes nicht zugelassen werden könne. Auch das Landgericht sieht die Verschmelzung als unzulässig an, geht also
wohl von der Unwirksamkeit des Verschmelzungsvertrags aus.
a)
12 Zwar spricht nach der dem Eintragungsersuchen beigefügten Bilanz viel dafür, dass bereits zum 30.06.2004, also fast ein halbes Jahr vor der
Verschmelzung, von einer insolvenzrechtlich relevanten Überschuldung der GmbH auszugehen ist. Die später vorgelegte Bilanz, die auf der
Aktiva-Seite erheblich höhere Wertansätze aufweist, ist ohne nähere Erläuterung und Belege nicht nachvollziehbar. Diese Prüfung ist vom
Registergericht jedoch nicht vorzunehmen, da selbst eine unterstellte insolvenzrechtlich relevante Überschuldung der Verschmelzung nicht
entgegensteht.
13 In welchem Umfang eine materielle Prüfung der Wirksamkeit des Verschmelzungsvertrags, der Verschmelzungsfähigkeit der Rechtsträger und
der Rechtmäßigkeit der Verschmelzungsverträge vom Registerrichter vorzunehmen ist
14 (vgl hierzu Bork in Lutter, UmwG, 2. Aufl., § 16 Rn. 5 m. w. N.), kann für die Entscheidung des Senats dahinstehen.
15 Hier sehen die Vorinstanzen Gläubigerschutzvorschriften verletzt, die so keinen Niederschlag im Umwandlungsgesetz gefunden haben. Da
zudem dann, wenn die Verschmelzung zur Sanierung des übertragenden Rechtsträgers erfolgt, die Gläubiger des überschuldeten Rechtsträgers
von dem Verschmelzungsvorgang auch Vorteile haben können, müsste in eine Prüfung jedenfalls auch der finanzielle Hintergrund des
übernehmenden Rechtsträgers einbezogen werden, über den hier keinerlei Erkenntnisse vorliegen.
b)
16 Der Gesetzgeber hat den Gläubigerschutz ausdrücklich geregelt in § 22 UmwG, wonach die Gläubiger Sicherheitsleistungen verlangen können.
Außerdem finden Gläubigerinteressen Berücksichtigung im Sonderfall der Ausgliederung aus dem Vermögen eines Einzelkaufmanns (§ 152 S. 2
UmwG).
17 Weitere Einschränkungen ergeben sich aus § 3 Abs. 3 UmwG, wonach bereits aufgelöste Rechtsträger an einer Verschmelzung nur beteiligt sein
können, wenn die Fortsetzung dieser Rechtsträger beschlossen werden könnte (somit i. d. R. nicht, wenn eine aufgelöste Gesellschaft
überschuldet ist; vgl. Lutter a.a.O. § 3 Rn. 12). Ein solcher unter § 3 Abs. 3 UmwG fallender Sachverhalt liegt der von den Vorinstanzen in Bezug
genommenen Entscheidung des BayObLG (a.a.O.) zugrunde. Dort war die überschuldete übertragende GmbH bereits vor der Verschmelzung
durch Gesellschafterbeschluss aufgelöst worden. Das BayObLG war in diesem Fall der Auffassung, dass im Hinblick auf den
Auflösungsbeschluss die Fortsetzung der Gesellschaft wegen der Überschuldung nicht mehr beschlossen werden könne. Die Rechtsprobleme
lagen schwerpunktmäßig bei der Frage, wann eine aufgelöste Gesellschaft als werbende Gesellschaft fortgesetzt werden kann, um so die
Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 UmwG zu erfüllen. Dagegen hat sich das BayObLG nicht damit auseinandergesetzt, ob das
Umwandlungsgesetz in der Überschuldung des übertragenden - nicht aufgelösten - Rechtsträgers bei der Verschmelzung auf den
Alleingesellschafter ein Hindernis sieht. In der Kommentarliteratur wird dies weitgehend verneint (Maier-Reimer in Semler/Stengel, UmwG, § 120
Rn. 13; Stratz in Schmitt/Hörtnagel/Stratz, UmwG/UmwStG, 3. Aufl., § 120 UmwG Rn. 4; Heckschen in Widmann/Mayer, UmwG, § 120 Rn. 8.6;
Limmer in DNotZ 1999, 150, 152 - Anm. zur Entscheidung des KG vom 22.09.1998; a. A. Karollus in Lutter, UmwG, 2. Aufl., § 120 Rn. 19 a, auf
den sich das Landgericht berufen hat).
18 Dem schließt sich der Senat an. Der Gesetzgeber hat die Fälle, in denen eine Umwandlung des überschuldeten Rechtsträgers nicht zulässig ist,
ausdrücklich auf die im 7. und 8. Abschnitt geregelten Sonderfälle beschränkt und im Übrigen in § 3 Abs. 3 UmwG auf die Unumkehrbarkeit einer
Auflösung des Rechtsträgers abgestellt, nicht aber bereits auf Überschuldung. Gerade in diesem Fall kann die sanierende Verschmelzung
sinnvoll sein.
19 Es kann deshalb nicht ohne weitere Anhaltspunkte von einer Regelungslücke ausgegangen werden, die durch analoge Anwendung
geschlossen werden könnte, wobei das Analogieverbot des § 1 Abs. 2 UmwG grundsätzlich einer analogen Anwendung von Vorschriften
innerhalb des Umwandlungsgesetzes nicht entgegensteht (Semler/Stengel, a.a.O., § 1 Rn. 74; Schmitt/Hörtnagel/Stratz a.a.O., § 1 Rn. 27).
20 Da im Übrigen nicht nur die Frage der Überschuldung des übertragenden Rechtsträgers isoliert gesehen werden kann, sondern der gesamte
Vorgang unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden müsste, um feststellen zu können, ob und welche Gläubiger benachteiligt
werden könnten, wäre der vom Registergericht zu erwartende Prüfungsumfang deutlich überschritten und auch die Zielrichtung dieser Prüfung
verfehlt. Die wirtschaftlichen Betrachtungen sind im Insolvenzverfahren anzustellen, wobei der Gesetzgeber für dessen Verschleppung
besondere haftungsrechtliche Folgen und strafrechtliche Sanktionen vorsieht.
3.
21 Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts und der dieser zugrunde liegende Beschluss des Registergerichts waren daher aufzuheben und
der Registerrichter war ferner anzuweisen, über die Handelsregisteranmeldung vom 02./03.12.2004 unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Senats erneut zu entscheiden.
22 Gerichtsgebühren für das Verfahren der weiteren Beschwerde fallen nicht an (§ 131 Abs. 1 S. 2 KostO). Für eine Entscheidung über die
Erstattung außergerichtlicher Auslagen besteht keine Veranlassung.