Urteil des OLG Stuttgart vom 02.07.2007
OLG Stuttgart: Kindesunterhalt: Ansatz eines fiktiven Einkommens bei Aufgabe einer gut bezahlten Stellung durch den Unterhaltspflichtigen, arbeitsstelle, gehalt, selbstbehalt, mahnung, firma
OLG Stuttgart Beschluß vom 2.7.2007, 18 UF 105/07
Kindesunterhalt: Ansatz eines fiktiven Einkommens bei Aufgabe einer gut bezahlten Stellung durch den Unterhaltspflichtigen;
Empfangsvollmacht des Prozessbevollmächtigten im Scheidungsverfahren für das Kindesunterhaltsverfahren
Tenor
1. Den Klägern wird Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren für folgenden Antrag bewilligt:
a) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Ziff. 1, geb. am 01.05.1990, Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 153,-- Euro ab 01.07.2007, fällig
jeweils zum 3. eines jeden Monats zu zahlen.
b) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Ziff. 2, geb. am 17.12.1991 Kindesunterhalt in Höhe von 153,-- Euro monatlich, fällig jeweils zum 3.
eines Monats, ab 01.07.2007 zu zahlen.
c) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Ziff. 1, rückständigen Kindesunterhalt in Höhe von 1.874,-- Euro, nebst Zinsen in Höhe von 5 % über
dem Basiszinssatz aus 27,15 Euro seit 04.05.2006, aus weiteren 27,15 Euro seit 04.06.2006, aus weiteren 27, 15 Euro seit 04.07.2006, aus 163,--
Euro seit 04.08.2006, aus 163,-- Euro seit 04.09.2006, aus 163,-- Euro seit 04.10.2006, aus 163,-- Euro seit 04.11.2006, aus 163,-- Euro seit
04.12.2006, aus 163,-- Euro seit 04.01.2007, aus 163,-- Euro seit 04.03.2007, aus 163,-- Euro seit 04.04.2007, aus 163,-- Euro seit 04.05.2007 zu
bezahlen.
d) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Ziff. 2, rückständigen Kindesunterhalt in Höhe von 1.874,-- Euro, nebst Zinsen in Höhe von 5 % über
dem Basiszinssatz aus 27,15 Euro seit 04.05.2006, aus weiteren 27,15 Euro seit 04.06.2006, aus weiteren 27, 15 Euro seit 04.07.2006, aus 163,--
Euro seit 04.08.2006, aus 163,-- Euro seit 04.09.2006, aus 163,-- Euro seit 04.10.2006, aus 163,-- Euro seit 04.11.2006, aus 163,-- Euro seit
04.12.2006, aus 163,-- Euro seit 04.01.2007, aus 163,-- Euro seit 04.03.2007, aus 163,-- Euro seit 04.04.2007, aus 163,-- Euro seit 04.05.2007 zu
bezahlen.
Den Klägern wird Rechtsanwalt S., Nagold, beigeordnet. Sie haben keine Raten auf die Prozesskosten an die Staatskasse zu zahlen.
2. Der weitergehende Prozesskostenhilfeantrag wird zurückgewiesen.
Gründe
1.
1
Die Kläger begehren Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Nagold vom 20.04.2007, Az.: F
123/06. In dem genannten Urteil ist die Klage auf Kindesunterhalt ab Oktober 2005 in Höhe von monatlich 291,-- Euro für jeden Kläger
kostenpflichtig abgewiesen worden.
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Mit ihrer beabsichtigten Berufung verfolgen die Kläger weiterhin ihren Klagantrag aus 1. Instanz. Zur Begründung wiederholen sie im
Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
2.
3
Den Klägern ist Prozesskostenhilfe im aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang zu bewilligen, weil insoweit ihre Rechtsverfolgung Aussicht
auf Erfolg verspricht (§ 114 ZPO).
a)
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Gemäß § 1601, 1603 BGB stehen den Klägern gegen ihren Vater Barunterhaltsansprüche im Rahmen dessen Leistungsfähigkeit zu. Dass der
Beklagte nicht ausreichend dargetan hat, in welchem Umfang er sich um eine neue Arbeitsstelle bemüht hat, davon geht auch das Amtsgericht
aus. Es legt allerdings dann einen fiktiven Nettoverdienst zugrunde, der gar nicht oder nur geringfügig über dem Selbstbehalt in Höhe von 890,--
Euro liegt, weshalb es dann auch eine Leistungsunfähigkeit annimmt.
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Der Senat ist ebenfalls - wie das Amtsgericht - der Auffassung, dass die vom Beklagten vorgetragenen Bewerbungsbemühungen, die sich
lediglich auf einen Zeitraum von Ende Mai bis Ende August mit insgesamt 5 Bewerbungen erstrecken, nicht mal ansatzweise ausreichen, die
strengen Anforderungen, die einem minderjährigen Kinder gegenüber Unterhaltsverpflichteten zuzumuten sind.
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Der Senat ist allerdings entgegen dem erstinstanzlichen Urteil der Ansicht, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass Beklagte bei hinreichenden
Erwerbsbemühungen eine Arbeitsstelle hätte erlangen können, bei der er bei Lohnsteuerklasse I und 1 Kinderfreibetrag ein monatliches
Nettoeinkommen von 1.280,-- Euro hätte verdienen können. Darzulegen und zu beweisen, dass der Beklagte eine solche Stelle bei
ausreichenden Erwerbsbemühungen nicht hätte erlangen können, hat der Beklagte. Hierbei genügt es nicht, lediglich pauschal auf fehlende
Sprachkenntnisse und geringe Berufsausbildung hinzuweisen. Zum einen haben die Kläger unwidersprochen vorgetragen, dass der Beklagte
sich bereits seit 1990 in der Bundesrepublik Deutschland befindet und damit ausreichend Gelegenheit hatte, die deutsche Sprache zu erlernen.
Zum anderen war er von 1991 bis 2004 fest bei der Firma E. beschäftigt, bei der er sowohl ein ansehnliches Gehalt erwirtschaftet hat als auch im
Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens eine ansehnliche Abfindung durchgesetzt hat. Die Kläger haben weiter unwidersprochen
vorgetragen, dass der Beklagte nicht verpflichtet gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Aus dem vorgelegten
Arbeitslosengeldbescheid lässt sich unschwer entnehmen, dass er bei dieser Firma bei Steuerklasse III ein Nettogehalt in Höhe von knapp
1.500,-- Euro gehabt hat. Ausweislich der nachfolgenden Berechnung musste der Beklagte damals ein Bruttoeinkommen in Höhe von 1.932,--
Euro gehabt haben. Es ist nicht davon auszugehen, dass er damals eine bessere Berufsausbildung und bessere Sprachkenntnisse gehabt hat
als heute. Es ist auch nicht dargetan, weshalb er bei intensiven Erwerbsbemühungen keine gleich bezahlte Arbeitsstelle erlangen sollte. Dies
ungeachtet der Frage, ob er nicht verpflichtet gewesen ist, die zuvor inne gehabte Stelle beizubehalten. Im Hinblick auf die Unterhaltspflicht
gegenüber zwei minderjährigen Kindern durfte er jedenfalls nicht ohne Not eine gut bezahlte Stellung aufgeben. Der Beklagte hat zu den
Gründen der Aufgabe der Arbeitsstelle trotz substantiiertem Vortrag der Kläger nichts vorgetragen. Es kann daher auch unter diesem
Gesichtspunkt ein fiktives Erwerbseinkommen des Beklagten in der Höhe angenommen werden, in der er Erwerbseinkünfte aus seiner letzten
Arbeitsstelle hatte. Ausweislich der folgenden Berechnung ergibt sich unter Zugrundelegung eines Bruttoeinkommens in Höhe von 1.932,-- Euro
unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse I und 1 Kinderfreibetrag ein Nettoeinkommen in Höhe von 1.280,-- Euro. Der Beklagte hat in
keinster Weise dargelegt, weshalb er bei gehörigen Anstrengungen ein solches Gehalt nicht wieder erlangen könnte. Er hat lediglich 5
Bewerbungsbemühungen in der Zeit von Mai 2006 bis August 2006 vorgetragen. Die Tatsache, dass er im Jahr 2004, in dem er sicherlich keine
bessere Deutschkenntnisse als 2006 hatte, schon ein Bruttoeinkommen von 1.930,-- Euro verdient hat, lässt darauf schließen, dass dies auch im
Jahre 2006 möglich war. Die Arbeitsmarktlage im Jahr 2004 war nicht besser als die im Jahr 2006 oder 2007. Jedenfalls hat der Beklagte, der
hierfür beweisbelastet ist, nicht dargelegt, weshalb er das schon einmal erwirtschaftete Gehalt trotz intensiver Bemühungen nicht erwirtschaften
kann.
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Unter Zugrundelegung eines fiktiven Gehaltes von 1.280,-- Euro ergibt sich nach 5 % berufsbedingten Aufwendungen ein Beitrag in Höhe von
1.217,-- Euro. Wenn man hiervon den Selbstbehalt von 890,-- Euro abzieht ist der Beklagte leistungsfähig in Höhe von 327,-- Euro.
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Von Februar 2005 bis einschließlich Juli 2006 sind allerdings insgesamt 272,70 Euro pro Monat an Leistungsträger abgezweigt worden, wobei
178,50 Euro auf die Mutter der Kläger und 47,10 Euro jeweils auf die Kläger 1 und 2 entfallen. Es verbleiben daher für die Monate Mai bis
einschließlich Juli 2006 lediglich 54,30 Euro, mithin für jeden Kläger 27,15 Euro.
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Die Kläger 1 sind für die rückständigen Kindesunterhaltsansprüche auch aktivlegitimiert, nachdem das Landratsamt Calw die nach § 33 Abs. 1
SGB II übergegangenen Unterhaltsansprüche durch Vertrag vom 22.02.2007 an die Mutter der Kläger 1 und 2 als deren Vertreten
rückübertragen wurden. Ab August 2006 fand, nachdem der Beklagte Arbeitslosengeld II erhielt, keine Abzweigung mehr an das Landratsamt C.
statt, so dass ab August 2006 mit 327,-- Euro insgesamt, mithin 163,-- Euro pro Kind zu rechnen ist.
b)
10 Gemäß § 1613 Abs. 1 i. V. m. § 286 BGB ist der Beklagte im Mai 2006 durch Übersendung des Klagantrags im Rahmen des
Prozesskostenhilfeprüfverfahrens in Verzug gekommen. Ausweislich Bl. 14 d. A. wurde dem Beklagten am 19.05.2006 der Klagantrag formlos
zugesandt. Gemäß § 1613 Abs. 1 Satz 2 wird der Unterhalt ab dem 1. Monats, in dem das verzugsbegründende Schreiben zugegangen ist,
geschuldet. Eine dem Beklagten zugegangene verzugsbegründende Mahnung vor diesem Zeitpunkt konnte der Beklagte nicht nachweisen.
11 Der Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass ihn weder das Schreiben von September 2005 noch das vom 28.10.2005 erreicht hat. Die
beiden Schreiben waren jeweils an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten gerichtete, der aber nach Vortrag des Beklagten zum damaligen
Zeitpunkt noch keine Vollmacht für das Unterhaltsverfahren hatte.
12 Die Mahnung ist eine empfangsbedürftige geschäftsähnliche Handlung, für die die Vorschriften über die Rechtsgeschäfte und
Willenserklärungen entsprechend anwendbar sind. Von einer Empfangsvollmacht des jetzigen Prozessbevollmächtigten des Beklagten gemäß §
164 Abs. 3 BGB kann nur dann ausgegangen werden, wenn sich zumindest aus den Umständen ergibt, dass der Prozessbevollmächtigte auch
für das Verfahren Kindesunterhalt empfangsbevollmächtigt ist. Zwar hat der Bevollmächtigte des Beklagten den Beklagten im
Scheidungsverfahren vertreten. Die Ehescheidung wurde aber mit dem 22.07.2005 rechtskräftig abgeschlossen. Die Kläger konnten nicht davon
ausgehen, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten auch für sämtliche weiteren Verfahren empfangsbevollmächtigt war. Insbesondere
fand auch keine außergerichtliche Korrespondenz betreffend des Kindesunterhalts statt. Die Kläger haben lediglich vorgetragen, dass ihre
Schreiben an den Beklagtenanwalt jeweils unbeantwortet blieben. Hieraus kann jedenfalls nach der Verkehrssitte nicht geschlossen werden,
dass der Beklagte auch betreffend der Rechtsangelegenheit Kindesunterhalt vom jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen wollte. Den
Bevollmächtigten des Beklagten traf auch außer der Pflicht zur Weiterleitung der Schriftsätze an den Beklagten keine weitere Verpflichtung den
Klägern die fehlende Empfangsvollmacht mitzuteilen. Etwas anderes gelte nur dann, wie in dem vom Brandenburgischen Oberlandesgericht am
22.04.2002 (Az.: 10 WF 57/01) entschiedenen Fall über den Kindesunterhalt parallel zum Ehescheidungsverfahren korrespondiert wurde. In
diesem Fall hatten die Prozessbevollmächtigten bereits vor dem Scheidungsverfahren betreffend Kindesunterhalt korrespondiert und
schriftsätzlich eine Scheidungsfolgevereinbarung, unter Einschluss des Kindesunterhalts angekündigt. Vorliegend waren aber keine
Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nach Abschluss des Scheidungsverfahrens auch für das
Kindesunterhaltsverfahren, welches zudem andere Parteien hatte, bevollmächtigt war. Auch die Tatsache, dass ein Vollmacht für das jetzige
Verfahren ausgestellt wurde, führt nicht automatisch dazu, dass eine solche bereits vorgerichtlich vorlag. Nachdem die Kläger den Zugang der
Mahnung vom 28.10.2006 an den Beklagten selbst nicht beweisen können, geht dies zu ihren Lasten. Der Prozessbevollmächtigte des
Beklagten kann auch nicht Empfangsbote angesehen werden, da dies in der Regel Personen die im Haushalt des Empfängers leben oder nahe
Verwandte sowie Angestellte sind.
13 Die Berufung hat daher insoweit Aussicht auf Erfolg, als rückständiger Unterhalt von Mai 2006 bis Juni 2007 und laufender Unterhalt ab Juli 2007
verlangt wird. Der Höhe nach ergibt sich für die Monate Mai bis Juli 2006 ein verbleibender Anspruch in Höhe von 27,50 Euro Kind und ab
August 2006 pro Kind jeweils 163,-- Euro. Ab 01.07.2007 erhöht sich der Selbstbehalt des Beklagten, so dass er nur zu einem Gesamtunterhalt in
Höhe von 316,-- Euro leistungsfähig ist, so dass sich ein Anspruch in Höhe von 158,-- Euro pro Kind ergibt.
14 Der darüber hinaus gehende Prozesskostenhilfeantrag der Kläger ist zurück zu weisen.