Urteil des OLG Stuttgart vom 02.04.2002

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OLG Stuttgart Urteil vom 2.4.2002, 1 U 7/2002; 1 U 7/02
Arzthaftung: Aufklärung über Behandlungsalternativen vor einem neurochirurgischen Eingriff an einem Bandscheibenvorfall
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 14.12.2001 - 15 O 417/00 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 7.669,83 EUR (= 15.000,00 DM)
Gründe
1 - gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. ohne Tatbestand -
2 Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 847 BGB. Sie wurde vor der
Operation vom 10.09.1996 ordnungsgemäß aufgeklärt und nicht fehlerhaft behandelt.
3 1. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass sie fehlerhaft behandelt wurde. Nach dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. G gibt es aus den
Behandlungsunterlagen, insbesondere dem Operationsbericht, keine Hinweise auf irgend einen Fehler (Gutachten S. 15). Aus der postoperativen
Instabilität kann nicht auf einen Fehler geschlossen werden, wie die Klägerin in der Berufungsbegründung meint. Die postoperative Instabilität
kommt bei dieser Art der Operation vor (Gutachten S. 13). Die Verwendung eines Palacos-Dübels ist üblich, nach den Schätzungen des
Sachverständigen sogar in 70% der Kliniken, und entspricht damit den Regeln der Medizin. Ein Anlass für ein zusätzliches orthopädisches
Gutachten bei der neurochirurgischen Operation besteht nicht. Eine weitere Begutachtung kommt nach § 412 ZPO in Betracht, wenn das erste
Gutachten unvollständig oder widersprüchlich ist, von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, der Sachverständige nicht die
notwendige Sachkunde hat oder ein anderer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel verfügt. Keine dieser Voraussetzungen ist
dargetan. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass ein orthopädischer Sachverständiger bei einer neurochirurgischen Operation über überlegene
Forschungsmittel verfügt oder sachkundiger ist.
4 2. Die Klägerin wurde über die Operation richtig und ausreichend aufgeklärt.
5 a) Die Klägerin wurde umfassend über die Risiken der Operation aufgeklärt, auch über die Gefahr einer Instabilität.
6 Der Patient muss bei der Risikoaufklärung über das Gewicht der medizinischen Indikation einer Operation, also die zeitliche Dringlichkeit, die
medizinische Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten, und über die dem Eingriff spezifisch anhaftenden Risiken aufgeklärt werden.
7 Die Klägerin wurde danach ausreichend aufgeklärt. Dass die Operation nur relativ indiziert war und die Klägerin darauf hingewiesen wurde, ist
unstreitig. Der Klägerin wurde schon von Dr. M auch das Risiko der Instabilität des operierten HWS-Abschnitts und damit im Ergebnis der
Erfolglosigkeit des Eingriffs genannt. Die Klägerin hat zwar angegeben (Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht S. 2), nach
ihrer Erinnerung habe er nicht darauf hingewiesen, dass die knöcherne Konsolidierung ausbleiben könne. Der Zeuge Dr. M hat aber glaubhaft
bekundet, dass er darauf hingewiesen habe, dass es wie bei einem Knochenbruch sei und die Sache zusammenheilen müsse (Protokoll der
mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht S. 4). Seine Angaben werden gestützt durch den Zettel, den er verwendet haben will und der in der
Ambulanzakte enthalten ist. Dort ist die Instabilität ausdrücklich vermerkt. Dass sich der Zeuge an die Einzelheiten des Gesprächs nicht mehr
erinnern konnte, mindert seine Glaubwürdigkeit nicht. An den Beweis der Behandlungsseite gehöriger Erfüllung ihrer Aufklärungspflichten sind
keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Der Feststellung einer ständigen Aufklärungsübung kommt gerade in Verbindung mit einer auch nur
skizzenhaften Dokumentation starke Indizwirkung zu (BGH NJW 1994, 3009). Zusammen mit dem, was der Zeuge Dr. M noch konkret erinnerte, ist
der Senat danach mit dem Landgericht davon überzeugt, dass er die Klägerin im dargelegten Umfang aufgeklärt hat.
8 b) Eine Pflicht zur Aufklärung über die Möglichkeit, statt eines Palacosdübels ein Eigenknochen-Interponat zu verwenden, bestand nicht. Zur
Behandlungsaufklärung gehört die Erläuterung der konkreten Behandlung. Über Alternativen zur beabsichtigten Behandlung ist nur aufzuklären,
wenn die Behandlungsalternativen zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder wesentlich unterschiedliche Risiken und
Erfolgschancen bieten. Dabei muss es sich um Unterschiede von Gewicht handeln, nicht nur um eine geringfügig niedrigere Komplikationsrate
(BGHZ 102, 17; Geiß-Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl. C 23). Zwischen dem Palacos-Dübel und dem Eigenknochen-Interponat bestehen keine
Unterschiede von Gewicht. Die Verwendung des Dübels bringt im Vergleich mit der des Eigenknochen-Interponats für den Patienten keine
zusätzlichen Belastungen mit sich. Im Gegenteil entfallen sogar die Belastungen und Risiken, die bei der Verwendung von Eigenknochen mit der
notwendigen Zweitoperation am Beckenkamm verbunden sind. Die Erfolgschancen bei dem Einbau von Eigenknochen-Dübeln als Abstandhalter
sind nicht größer als bei der Verwendung von Fremdmaterial (Gutachten S. 13). In solchen Fällen besteht keine Pflicht zur Aufklärung über die
Möglichkeit der Verwendung eines Eigeninterponats, wenn ein gebräuchlicher zugelassener Dübel benutzt wird (BGH - 4. Strafsenat - MedR
1996, 22).
9 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Ein
Grund für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO n.F. besteht nicht. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.