Urteil des OLG Stuttgart vom 14.06.2012
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OLG Stuttgart Urteil vom 14.6.2012, 7 U 30/12
Unfallversicherung: Frist für Invaliditätseintritt und ärztliche Invaliditätsfeststellung bei
gesundheitlichen Folgemaßnahmen auf Grund eines bestimmungsgemäßen Unfalls
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hechingen - 1 O 346/11 -
vom 24.02.2012
a b g e ä n d e r t :
Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 120 % des aus dem Urteil
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert: 70.400,-- EUR
Gründe
I.
1 Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts Hechingen,
mit dem sie auf Zahlung aus der zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherung
auf Invaliditätsgrundsumme in Höhe von 70.400,00 EUR nebst gesetzlicher Zinsen und
auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.880,20 EUR nebst
gesetzlicher Zinsen verurteilt wurde.
2 Die Firma ... schloss bei der Beklagten eine Unfallversicherung unter anderem für die
versicherte Person des Klägers (Versicherungsnummer ...) mit Versicherungsbeginn am
01.01.2008 ab. Diesem Versicherungsvertrag liegen die Versicherungsbedingungen
„Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (AUB 2006)“ und die „Besonderen
Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel (BB
Progression 2006 - 300 Prozent)“ zugrunde (Anlage K 2, nach Bl. 7). Die zwischen den
Parteien vereinbarten AUB 2006 (Anlage K 2) lauten auszugsweise wie folgt:
3
„1.1 Wir bieten Versicherungsschutz bei Unfällen, die der versicherten Person während
der Wirksamkeit des Vertrages zustoßen.
...
4
1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf
ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung
erleidet.
...
5
2.1 Invaliditätsleistung
6
2.1.1 Voraussetzungen für die Leistung
7
2.1.1.1 Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder
geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität). Die Invalidität ist
8
- innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und
9
- innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt
und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden.
...
10 5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen:
11 ...
5.2.3 Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe am Körper der
versicherten Person.
12 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die Heilmaßnahmen oder Eingriffe, auch
strahlendiagnostische und -therapeutische, durch einen unter diesen Vertrag fallenden
Unfall veranlasst waren.
...“
13 Der Kläger arbeitet als Selbstständiger in seiner Firma in ... Am 04.09.2008 stürzte der
Kläger von einer Leiter auf den Betonboden und verletzte sich hierbei die rechte Hand. Er
suchte am 05.09.2008 wegen erheblicher Schmerzen seinen Arzt, Dr. ..., auf. Dieser
fertigte eine Röntgenaufnahme und diagnostizierte eine „Distorsion“ des rechten
Handgelenks. Dr. ... bescheinigte dem Kläger die Arbeitsunfähigkeit bis 10.09.2008.
14 Am 11.09.2008 meldete der Kläger den Unfall sowie seine Arbeitsunfähigkeit der
Beklagten (Anlage B 1: Schadensanzeige zur Unfallversicherung). Die Beklagte
antwortete dem Kläger mit Schreiben vom 16.09.2008 und wies diesen darauf hin, dass
die übersandten Unterlagen noch keinen Schluss auf eine dauerhafte Schädigung
zuließen, weil die Invalidität innerhalb eines Jahres eintreten und innerhalb weiterer drei
Monate ärztlich festgestellt sein müsste. Das Schreiben der Beklagten vom 16.09.2008
lautet auszugsweise wie folgt (Anlage B 2, nach Bl. 18):
15 “...
Bitte beachten Sie deshalb Folgendes: Nach Ablauf der Jahresfrist (siehe oben) haben
Sie noch weitere drei Monate Zeit, die Invalidität ärztlich feststellen zu lassen und Ihren
Anspruch auf Invaliditätsleistung bei uns anzumelden. Vergessen Sie in diesem Fall bitte
nicht, das ärztliche Attest mitzuschicken.
16 Wenn Sie den Anspruch nicht bis spätestens 04.12.2009 geltend machen, erlischt dieser
allein wegen des Ablaufs der Frist. Die Regelungen hierzu finden Sie in Ziffer 2.1.1.1. der
Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen.“
17 Eine Invalidität des Klägers innerhalb der Jahresfrist der Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 lag nicht
vor. Ferner wurde innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall eine Invalidität von einem
Arzt weder schriftlich festgestellt noch gegenüber der Beklagten geltend gemacht.
18 Am 08.01.2010 suchte der Kläger wegen fortschreitender Beschwerden im rechten
Handgelenk erneut seinen Hausarzt auf. Dieser diagnostizierte nach weiteren
Röntgenaufnahmen einen Zustand nach alter Handwurzelknochenfraktur mit älterer
Pseudarthrose des Kahnbeines. Aufgrund der Diagnose einer Kahnbein-Pseud-arthrose
rechts mit deutlicher Fehlstellung wurde der Kläger am 12.03.2010 im Krankenhaus ... in ...
operiert.
19 Am 29.04.2010 unterrichtete der Kläger die Beklagte von einem eingetretenen
Dauerschaden. Am 13.07.2010 wurde der Kläger wegen einer anhaltenden Kahnbein-
Pseudarthrose rechts erneut operiert und eine Fusion der Handwurzelknochen durch eine
winkelstabile Platte durchgeführt.
20 Am 22.10.2010 stellte der operierende Arzt beim Kläger als Dauerfolge des Unfalls vom
04.09.2008 im Bereich der Handbeweglichkeit eine Einschränkung um ca. 2/3 im
Vergleich zur gesunden linken Hand fest (Anlage K 6: ärztliches Attest vom 22.10.2010).
21 Mit Schreiben vom 04.11.2010 wies die Beklagte ihre Eintrittspflicht mit der Begründung
zurück, dass die entsprechende Frist zur Geltendmachung von Dauerschäden bereits am
04.12.2009 abgelaufen sei (Anlage K 8, nach Bl. 7).
22 Der Kläger hat im ersten Rechtszug die Rechtsauffassung vertreten, dass die Beklagte
aufgrund der Wiedereinbeziehungsklausel in Ziff. 5.2.3 AUB 2006 zur Leistung verpflichtet
sei. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass nicht innerhalb eines Jahres nach
dem Unfall vom 04.09.2008 eine Invalidität eingetreten und eine solche nicht innerhalb der
15-Monats-Frist ärztlich festgestellt worden sei.
23 Die Beklagte hat im ersten Rechtszug die Rechtsauffassung vertreten, sie sei nicht
eintrittspflichtig, weil der Kläger erstmals im Juli 2010 und somit mit Fristversäumnis nach
dem Unfall vom 04.09.2008 eine dauerhafte Erkrankung mitgeteilt habe.
24 Das
Landgericht
Zinsen und sonstiger Nebenforderungen verurteilt. Zwar seien Gesundheitsschäden nach
Ziff. 5.2 Satz 1 AUB 2006 vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, jedoch sei eine
Wiedereinbeziehung als Ausnahme von diesem Ausschluss gem. Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB
2006 anzunehmen. Die Heilmaßnahme oder der Eingriff sei durch einen unter den
Unfallversicherungsvertrag fallenden Unfall veranlasst worden, was für die
Wiedereinbeziehung gem. Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB 2006 ausreichend sei. Die Operationen
im Krankenhaus ... in ... seien unstreitig durch den Unfall vom 04.09.2008 veranlasst
worden. Der Sturz von der Leiter am 04.09.2008 sei ohne weiteres ein Unfall im Sinne der
Ziff. 1.3 AUB 2006. Die Dauer zwischen dem ersten Unfallereignis und dem zweiten
Ereignis, der Operation, sei unerheblich, solange in beiden Zeitpunkten
Versicherungsschutz bestanden habe. Ziff. 5.2.3 AUB 2006 schließe für solche Fälle den
Versicherungsschutz für nachfolgende Gesundheitsmaßnahmen oder Eingriffe mit ein. Der
Kläger sei infolge der Operation vom 12.03.2010 und 13.07.2010 auf Dauer in seiner
körperlichen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Die Invalidität sei durch das ärztliche Attest
vom 22.10.2010 des Operateurs, Prof. Dr. ..., innerhalb eines Jahres nach Durchführung
der ärztlichen Eingriffe eingetreten und ärztlich festgestellt. Art und Höhe der Leistungen
sei zwischen den Parteien unstreitig.
25 Die
Berufung
nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 habe am 04.12.2009 geendet. Bis zu diesem Zeitpunkt sei
weder Invalidität noch eine ärztliche Feststellung der Invalidität festgestellt bzw. geltend
gemacht worden. Die Operationen vom März und Juli 2010 seien nicht relevant, weil es
sich hierbei um keine „Zweitunfälle“ handele. Ziff. 5.2.3 AUB 2006 spreche in Satz 2 zwar
nur von Heilmaßnahmen oder Eingriffen, die durch einen unter diesen Vertrag fallenden
Unfall veranlasst worden seien, darunter sei aber zweifelsfrei zu verstehen, dass die
Voraussetzungen für eine Invaliditätsleistung nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 mit vorliegen
müssten.
26 Die Beklagte beantragt:
27 Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hechingen, Az. 1 O
346/11, abgeändert und die Klage abgewiesen.
28 Der Kläger beantragt:
29 Die Berufung wird zurückgewiesen.
30 Er verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft die im ersten Rechtszug vorgebrachte
Argumentation. Die Heilmaßnahmen am Zentrum für Handchirurgie des Krankenhauses ...
in ... seien durch einen unter den bestehenden Versicherungsvertrag fallenden Unfall
veranlasst worden. Dies ergebe sich aus Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB 2006. Die Beklagte habe
mit Schreiben vom 16.09.2008 dem Kläger bestätigt, dass der Unfall vom 04.09.2008 unter
den bestehenden Vertrag falle. Es sei lediglich ungewiss gewesen, ob auch eine
Invalidität eintreten würde. Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB 2006 treffe eine Ausnahmeregelung
dahingehend, dass Versicherungsschutz bestehe, wenn die Heilmaßnahme durch einen
unter den Vertrag fallenden „Unfall“ veranlasst werde. Nicht erforderlich sei, dass die
Heilmaßnahme durch eine unter diesen Vertrag fallende Invalidität veranlasst worden sei.
Der Wortlaut von Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB 2006 und die Allgemeinen
Versicherungsbedingungen seien insoweit eindeutig. Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB 2006 verlange
als Wiedereinschlussklausel nur das Vorliegen eines „Unfalls“, nicht aber zusätzlich die
Voraussetzungen von Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei
deshalb keine Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall notwendig und auch
keine schriftlich festgestellte Invalidität durch einen Arzt binnen der 15-Monats-Frist der
Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006. Die Beklagte unterscheide nicht ausreichend zwischen
Ausschlusstatbeständen, bei denen der Versicherungsschutz unter bestimmten
Unfallursachen und Beeinträchtigungen ausgeschlossen sei, und
Anspruchsvoraussetzungen. Die von der Beklagten mit der Berufungsbegründung zitierten
Fundstellen (Anlage B 5, Bl. 56 ff.) stünden der im Versicherungsrecht vertretenen
Rechtsauffassung (Bl. 70) nicht entgegen. Das Landgericht sei auch zu Recht davon
ausgegangen, dass für die Feststellung und Meldung der Invalidität an den Zeitpunkt der
ärztlichen Heilmaßnahmen anzuknüpfen sei, da die Heilmaßnahmen gem. Ziff. 5.2.3 Satz
2 AUB 2006 einem Unfall im Sinne von Ziff. 1.3 AUB 2006 gleichzustellen seien.
II.
31 Die zulässige Berufung ist begründet.
32 1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Invaliditätsgrundsumme in Höhe von 70.400,--
EUR gem. §§ 1 S. 1, 178 Abs. 1 VVG n.F. i.V.m. Ziff. 1.1, 1.3, 2.1.1.1, 2.1.2.1 und 5.2.3 der
AUB 2006 nebst gesetzlicher Zinsen zu. Der Kläger hat die in Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006
vereinbarten Ausschlussfristen nicht eingehalten.
33 a) Der Unfall des Klägers durch den Sturz von einer Leiter auf den Betonboden am
04.09.2008 steht zwischen den Parteien unstreitig fest. Bei dem Sturz am 04.09.2008
handelt es sich um ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Geschehen und
damit um ein Unfallereignis im Sinne von Ziff. 1.3 AUB 2006, § 178 Abs. 2 S. 1 VVG n.F.
34 b) Der Kläger hat die Ausschlussfristen in Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 nicht eingehalten.
35 aa) Nach der ständigen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung sind die Fristen
hinsichtlich des Eintritts der Invalidität binnen Jahresfrist nach dem Unfall und der
ärztlichen Feststellung und Geltendmachung innerhalb von 15 Monaten keine bloßen
Obliegenheiten des Versicherungsnehmers in der Unfallversicherung, sondern materiell-
rechtliche Ausschlussfristen (BGH VersR 1998, 175 ff.).
36 Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss die Invalidität, also die dauernde
Beeinträchtigung aufgrund eines Unfalls, spätestens 15 Monate nach dem Unfallereignis
ärztlich festgestellt sein, soweit dies zwischen den Parteien vereinbart ist. Auch dies ist
keine Obliegenheit, sondern Anspruchsvoraussetzung (BGH VersR 1965, 505; BGH
VersR 1978, 1036; BGH VersR 1995, 1179; BGH r+s 2007, 255). Die Feststellung durch
einen Arzt ist, soweit die Versicherungsbedingungen in der Unfallversicherung nicht
ohnehin Schriftform erfordern, aus Gründen der Rechtssicherheit und Beweissicherung in
schriftlicher Form erforderlich (OLG Stuttgart r+s 2003, 211 f.; OLG Koblenz VersR 1993,
1262; OLG Hamburg VersR 1998, 1412; OLG Frankfurt VersR 1996, 618; OLG München
VersR 1995, 565 - jeweils m.w.N.). Die ärztliche Feststellung muss beinhalten, dass
bedingt durch den Unfall eine dauernde Beeinträchtigung eingetreten ist (BGH VersR
2007, 1114). Die bloße Feststellung einer Invalidität reicht nicht aus; es muss auch die
Unfallbedingtheit festgestellt werden (OLG Hamm VersR 2001, 1270; OLG Bremen
NVersZ 2001, 75).
37 bb) Gemessen an diesen Grundsätzen der versicherungsrechtlichen Rechtsprechung hat
der Kläger eine Invalidität durch Attest von Prof. Dr. med. Krimmer vom 22.10.2010
(Anlage K 6) nicht rechtzeitig nachgewiesen. Es mangelt demnach an einer
Anspruchsvoraussetzung, weil Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006, die eine Frist zum Nachweis der
Invalidität durch einen Arzt setzt, nach der ständigen Rechtsprechung eine materiell-
rechtliche Ausschlussfrist beinhaltet. Der Unfall war am 04.09.2008. Die 15-Monatsfrist
endete damit am 04.12.2009. Der ärztliche Nachweis durch das schriftliche Attest vom
22.10.2010 (Anlage K 6) war verfristet.
38 cc) Die Operationen am 12.03.2010 und am 13.07.2010 (Anlage K 3 und K 5) beinhalten
kein Unfallereignis im Sinne der Versicherungsbedingungen und gem. § 178 Abs. 2 S. 1
VVG n.F.
39 Die beiden Operationen im Jahr 2010 konnten mangels Unfalls folglich keine neue Frist
für ein neues, zweites Unfallereignis in Lauf setzen.
40 Im Übrigen sind Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe am Körper
der versicherten Person nach Ziff. 5.2.3 AUB 2006 ausgeschlossen.
41 dd) Die Wiedereinschlussklausel der Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB 2006 führt nicht zu einem
neuen Versicherungsfall oder einer erweiterten Versicherungsleistungspflicht, bei dem
die Voraussetzungen der Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 als materiell-rechtliche Ausschlussfristen
nicht einzuhalten wären.
42 Entgegen der Auffassung des Klägers besteht kein Versicherungsschutz, wenn die
gesundheitlichen Folgemaßnahmen, die nach Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB 2006 mit versichert
sind, nicht auf einem bestimmungsgemäßen Unfall beruhen und die Ausschlussfristen
nicht eingehalten sind. Ein „Zweitunfall“ durch die beiden Operationen am rechten
Handgelenk im Jahr 2010 liegt, wie bereits ausgeführt, nicht vor. Der Kläger hätte den
Unfall vom 04.09.2008 spätestens 15 Monate später, mithin bis zum 04.12.2009,
gegenüber der beklagten Versicherung mit einem schriftlichen Attest gem. Ziff. 2.1.1.1
AUB 2006 geltend machen müssen.
43 Dem Kläger ist zwar beizupflichten, dass die Wiedereinschlussklausel in Ziff. 5.2.3 Satz 2
AUB 2006 für die Wiedereinbeziehung des Versicherungsschutzes nur einen „unter
diesen Vertrag fallenden Unfall“ nennt. Hieraus könnte geschlossen werden, dass nur
und alleine die in Ziff. 1.3 AUB 2006 genannten Unfallvoraussetzungen für die
Wiedereinbeziehung nach Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB 2006 für einen
Wiedereinbeziehungsanspruch notwendig sind. Für den durchschnittlichen
Versicherungsnehmer ist indes noch hinreichend ersichtlich, dass die Voraussetzungen
zur Invaliditätsleistung insgesamt und damit auch die unter Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006
genannten Fristen für einen Anspruch auf Wiedereinbeziehung von
Folgeheilmaßnahmen oder Folgeeingriffen aufgrund eines Unfalls gem. Ziff. 1.3 AUB
2006 notwendig sind. Den AVB kann der Versicherungsnehmer keinen Hinweis
entnehmen, dass der Versicherer im Falle einer wieder in den Versicherungsschutz
einbezogenen Operation (Ziff. 5.2.3 AUB 2006) auf die Einhaltung der nach dem Unfall
zu beachtenden Fristen (Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006) verzichtet beziehungsweise deren Lauf
in nicht näher bezeichneter Weise verlängert.
44 Die verwendeten Versicherungsklauseln sind deshalb weder mehrdeutig gem. § 305
Abs. 2 BGB noch intransparent gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
45 c) Zudem hat der Kläger die eingetretene Invalidität nach Ziff. 2.1.1.1, 1. Spiegelstrich
AUB 2006 nicht binnen eines Jahres nachgewiesen.
46 Die Regelung, nach der die Invalidität binnen Jahresfrist eingetreten sein muss, stellt in
der Unfallversicherung ebenfalls eine die Entschädigungspflicht des Versicherers
begrenzende Anspruchsvoraussetzung dar. Sie bezweckt, dass der Versicherer nicht für
Spätschäden, die in der Regel schwer aufklärbar und unübersehbar sind, eintreten muss
(BGH VersR 1978, 1036 sub 1 a; BGH VersR 1997, 442).
47 d) Die Beklagte hat ihren Hinweispflichten im Hinblick auf vertragliche Anspruchs- und
Fälligkeitsvoraussetzungen und einzuhaltender Frist genügt, § 186 VVG n.F.
48 Der Kläger hat der Beklagten im November 2008 den Unfall vom 04.09.2008 angezeigt.
Die Schadensanzeige zur Unfallversicherung (Anlage B 1, nach Bl. 18) ist für eine
Versicherungsfallanzeige gem. § 186 S. 1 VVG n.F. ausreichend. Die Beklagte hat
hieraufhin den Kläger mit Schreiben vom 16.09.2008 (Anlage B 2, nach Bl. 18) auf die
Anspruchsvoraussetzungen und die nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 einzuhaltenden Fristen
schriftlich hingewiesen. Sie hat damit ihren Hinweispflichten gem. § 186 S. 1 VVG n.F.
genügt, weshalb sie sich auf die Fristversäumnis des Klägers berufen kann, § 186 S. 2
VVG n.F.
49 Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Entschuldigungsbeweis für den Kläger als
Versicherungsnehmer nicht ausgeschlossen (Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., AUB 2008 Nr.
2, Rn. 21). Hinreichende Gründe für eine schuldlose Versäumung der Ausschlussfristen
nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 sind indes weder dargetan noch sonst ersichtlich.
50 e) Die Berufung der Beklagten auf die in Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 vereinbarte Jahresfrist für
die Invalidität und die 15-Monats-Frist zur Feststellung der Invalidität verstößt nicht gegen
den Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB.
51 Die Berufung auf den Fristablauf kann ausnahmsweise treuwidrig sein, wenn sie vom
Versicherer verspätet ausgeübt wird (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1998, 882 m.w.N.; OLG
Düsseldorf r+s 1997, 129 m.w.N.).
52 Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ist hier von einem treuwidrigen
Berufen der Beklagten auf den Fristablauf am 04.12.2009 nicht auszugehen. Die Beklagte
hat nach dem Sturz des Klägers von der Leiter am 04.09.2008 den Versicherungsfall auf
die Schadensanzeige des Klägers unverzüglich geprüft und bereits mit Schreiben vom
16.09.2008 (Anlage B 2, nach Bl. 18) darauf hingewiesen, dass eine Eintrittspflicht der
Beklagten nicht bestehe. Die Beklagte hat im Schreiben vom 16.09.2008 ferner darauf
hingewiesen, dass die in Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 genannten Fristen zu beachten seien. Sie
hat die nach den Versicherungsbedingungen zu berechnenden Fristen ausdrücklich mit
Anspruchsenddatum vom 04.12.2009 in ihrem Schreiben vom 16.09.2008 benannt
(Anlage B 2). Die konkrete Unterrichtung des Klägers durch die Beklagte wurde damit
weder zu spät, etwa erst im Prozess oder sogar in einem solchen erst in zweiter Instanz,
vorgenommen noch hat die Beklagte nach Fristablauf umfangreiche oder für den
Versicherungsnehmer mit erheblichen Belastungen verbundene Untersuchungen
vorgenommen (vgl. BGH VersR 1978, 1036; OLG Düsseldorf r+s 1999, 524).
53 Die Beklagte hat gegenüber den Prozessbevollmächtigten des Klägers vor Anhängigkeit
der vorliegenden Klage mit Schreiben vom 04.11.2010 auf die versäumte fristgerechte
Anzeigepflicht hingewiesen (Anlage K 8, nach Bl. 7). Die Schreiben der Beklagten vom
03.06.2011 (Anlage K 11, nach Bl. 7) und vom 21.12.2010 (Anlage K 10, nach Bl. 7),
jeweils an die Prozessbevollmächtigten des Klägers, führen zu keiner anderweitigen
Bewertung, weil die Beklagte in diesen Schreiben lediglich temporär auf die Einrede der
Verjährung und nicht auf die Fristen der Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 verzichtet hat.
54 2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen gem. §§ 280 Abs. 1
und 2, 286, 288 Abs. 1 BGB und auf die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten
in Höhe von 1.880,20 EUR gem. §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB nebst gesetzlicher
(Nebenforderungs-) Zinsen.
55 Mangels Hauptanspruchs aus dem Versicherungsvertrag stehen dem Kläger keine
Nebenforderungen zu.
III.
56 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
57 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 S. 2
i.V.m. § 709 S. 2 ZPO.
58 Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor. Die Sache hat
keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern die Entscheidung des
Revisionsgerichts.