Urteil des OLG Stuttgart vom 04.03.2004
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OLG Stuttgart Urteil vom 4.3.2004, 7 U 166/03
Leistungsfreiheit der Leitungswasserversicherung bei Frostschaden: Anforderungen an genügend häufige Kontrollen der Heizungsanlage in
einem leerstehenden Gebäude und grob fahrlässige Verletzung der Sicherheitsvorschriften
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 22. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 22. August 2003 – 22 O
134/03 – wird zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
3. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung
des vollstreckbaren Betrages zuzüglich eines Aufschlags von 10% abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in
Höhe des zu vollstreckenden Betrages zuzüglich eines Aufschlags von 10% leistet.
Streitwert der Berufung:
Klageantrag Nr. 1: 51.986.– EUR
Klageantrag Nr. 2: 5.000.– EUR
zusammen:
56.986.– EUR
Gründe
A.
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Deckungsansprüche aus einer Leitungswasserversicherung für das Gebäude ... in ... geltend. Dem
Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Leitungswasserversicherung (AWB 87) zu Grunde.
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Der Kläger begehrt Entschädigung wegen eines am 14. Januar 2003 infolge des Ausfalls der Heizung und Einfrierens der in den oberen
Geschossen befindlichen Heizkörper eingetretenen Wasserschadens in den Erdgeschossräumen. Die Beklagte wirft dem in der Zeit von 28.
Dezember 2002 bis 22. Januar 2003 urlaubsabwesenden Kläger einen grob fahrlässigen Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriften nach §
7 Nr. 1 AWB 87 vor und wendet Leistungsfreiheit ein.
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Auf die weiteren tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil wird Bezug genommen.
4
Das Landgericht hat die Klage ohne Durchführung einer Beweisaufnahme in vollem Umfang abgewiesen. Es ist der Auffassung, dass der
Kläger seinen Kontrollpflichten aus § 7 Nr. 1 c AWB 87 nicht nachgekommen ist. Mit dem möglicherweise vom Kläger in Betracht gezogenen
Umstand, dass verschiedene Personen auch in seiner Abwesenheit die im Erdgeschoss gelegenen Praxisräume aufsuchen und
gegebenenfalls ein Ausfall der Heizung bemerken würden, sei eine hinreichende Kontrolle nicht sichergestellt gewesen. Erschwerend
komme hinzu, dass, wie der Kläger unbestritten gelassen habe, die Heizung in den leerstehenden Räumen der oberen Geschosse nur auf
"Frostsicherung" eingestellt gewesen sei. Damit habe der Kläger grob fahrlässig gegen die Sicherheitsbestimmungen in § 7 Nr. 1 AWB 87
verstoßen.
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Dagegen wendet sich der Kläger unter Vertiefung und Erweiterung seines Vorbringens. Er ist der Auffassung, die Tatsachenfeststellung des
Landgerichts sei unvollständig, weil dieses die Vernehmung der von ihm benannten Zeugen ... und ... unterlassen habe, in deren Wissen er
gestellt habe, dass die Heizungsanlage am 11. Januar 2003 noch funktioniert habe. Davon abgesehen habe das Landgericht Umfang und
Tragweite einer grobfahrlässigen Obliegenheitsverletzung verkannt.
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Der Kläger beantragt unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 51.985,73 EUR zuzüglich 5% Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 5. Februar 2003
zu bezahlen;
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weitere – derzeit der Höhe nach noch unbezifferte – Leistungen zu bezahlen
aus dem Leitungswasserschaden im Gebäude ..., ..., aus dem Versicherungsfall zwischen dem 8. und 14. Januar 2003.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 19. Februar 2004 hat der Kläger erklärt, dass die Heizkörper auch im 1. und 2.
Obergeschoss auf Stufe 1 oder 2 gestellt gewesen seien. Die Beklagte hat diesen Vortrag bestritten und darauf hingewiesen, dass dieser in
der Berufungsinstanz erstmals vorgebracht werde.
B.
I.
13
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
14
Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Kläger grob fahrlässig gegen die Sicherheitsobliegenheiten in § 7 Nr. 1 c und d
AWB 87 verstoßen hat, was gemäß § 7 Nr. 2 AWB 87 i. V. m. § 6 VVG zur Leistungsfreiheit der Beklagten geführt hat. Im Ergebnis ohne Erfolg
rügt der Kläger die vom Landgericht unterlassene Vernehmung der von ihm benannten Zeugen ... und .... In das Wissen dieser Zeugen hat er
die Tatsache gestellt, dass die Heizung nach dem ersten Defekt am 8. Januar 2003 jedenfalls bis zum 11. Januar 2003 funktioniert habe; die
Zeugen hätten sich letztmals am 11. Januar 2003 in den Praxisräumen im Erdgeschoss aufgehalten, ohne dass ihnen dort ein Ausfall der
Heizung aufgefallen wäre.
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Diese Tatsache kann zu Gunsten des Klägers als wahr unterstellt werden, ohne dass die ihm zur Last zu legende Obliegenheitsverletzung
entfiele. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass seitens der Zeugen auch eine Kontrolle der Heizung im 1. Stock des damals leer stehenden
Gebäudes erfolgt ist, noch dass er die Zeugen oder eine dritte Person mit der Kontrolle der Heizungsanlage in diesem Bereich beauftragt
hatte. Von daher bestand auch für den Senat keine Veranlassung, die Zeugen zu hören.
2.
16
Die Berufung kann auch nicht damit gehört werden, dass das Landgericht die an die Erfüllung der Sicherheitsobliegenheiten in § 7 Nr. 1
AWB 87 zu stellenden Anforderungen überspannt hätte.
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a) Die Kontrolle einer Heizungsanlage durch den Versicherungsnehmer oder einen von ihm Beauftragten wird nicht deshalb überflüssig,
weil die Heizungsanlage neuwertig oder jedenfalls in regelmäßigen Abständen durch eine Fachfirma gewartet wird. Auch derartige
Heizungsanlagen können mit der Folge von Frost- und Wasserschäden ausfallen (vgl. Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl., M I. Rn.
77).
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b) Dahinstehen kann, ob das leer stehende 1. Obergeschoss überhaupt genügend beheizt im Sinne von § 7 Nr. 1 c AWB 87 war, nachdem
die Heizkörper dort lediglich auf "Frostsicherung" eingestellt waren und nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten in der Zeit vom 7.
bis 13. Januar 2003 Temperaturen zwischen -6° C und -15° C herrschten.
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c) Zu Recht geht das Landgericht jedoch davon aus, dass die vom Beklagten veranlassten Kontrollmaßnahmen den Anforderungen nach §
7 Nr. 1 c und d AWB 87 nicht genügten. Für den Umfang der erforderlichen Beheizung und Kontrolle ist der Zweck der
Sicherheitsvorschrift maßgeblich, Leitungswasserschäden infolge Frostes zu vermeiden. Erforderlich ist demnach eine solche
Kontrolldichte, dass durch einen Ausfall der Heizungsanlage keine Frostschäden entstehen. Grundsätzlich ist mindestens eine
halbwöchentliche Kontrolle erforderlich, denn spätestens nach einem halbwöchigen Ausfall der Heizungsanlage besteht die Gefahr, dass
Frostschäden entstehen (vgl. OLG Frankfurt NVersZ 2000, 427).
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Diesen Anforderungen hat der Kläger nicht dadurch genügt, dass er von der regelmäßigen Anwesenheit verschiedener Personen in den
Praxisräumen des Erdgeschosses und weil er davon ausging, dass diese einen Ausfall der Heizungsanlage bemerken würden. Gerade
weil Teile des Gebäudes leer standen und dort die Heizkörper auf "Frostschutz" eingestellt waren, hätte sich die vom Kläger zu
veranlassende Kontrolle auch auf diese Räumlichkeiten erstrecken müssen. Dass der Kläger derartige Vorkehrungen getroffen hat, hat
er nicht vorgetragen. Aus dem klägerischen Vortrag wird nicht ersichtlich, dass die leer stehenden Räumlichkeiten nach dem ersten
Ausfall der Heizungsanlage am 8. Januar 2001 kontrolliert wurden, noch dass dies seitens der benannten Zeugen in der Zeit bis zum
14. Januar 2003 geschehen ist.
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Sein in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals gehaltener Vortrag, die Heizkörper in den Obergeschossen seien auf Stufe
1 oder 2 eingestellt, kann aufgrund der Bestimmung des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO keine Berücksichtigung finden. Das Berufungsgericht ist
insoweit vielmehr an die Feststellung des Landgerichts gebunden, in diesem Bereich seien die Heizkörper – zwischen den Parteien
damals unstreitig – nur auf "Frostschutz" eingestellt gewesen. Dies hatte, worauf das Landgericht zu Recht hingewiesen hat, zur Folge,
dass eine gewisse Wärmespeicherung, die ein Einfrieren der Heizkörper nach Ausfall der Heizung längere Zeit hinausgezögert hätte,
nicht erfolgen konnte.
3.
22
Zu Gunsten des insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägers (§§ 7 Nr. 2 S. 3 AWB, 6 Abs. 3 S. 1 VVG) kann nicht von einem unter der
groben Fahrlässigkeit liegenden Grad des Verschuldens ausgegangen werden. Zu Recht stellt das Landgericht insoweit fest, dass der
Kläger schon die nächstliegenden Erwägungen nicht angestellt und sich jedermann aufdrängende Vorsichtsmaßnahmen, wie sie sich aus
den Sicherheitsvorschriften in § 7 Nr. 1 AWB 87 ergeben, unterlassen hat.
4.
23
Dass die Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls oder den Umfang der Versicherungsleistung gehabt
hat (sog. Kausalitätsgegenbeweis; vgl. dazu OLG Frankfurt a. a. O.), hat der Kläger nicht dargetan.
II.
24
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des
Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die
Beurteilung, ob einem Versicherungsnehmer eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung zur Last zulegen ist, obliegt grundsätzlich dem
Tatrichter. Bei den an den Versicherungsnehmer im Rahmen der Sicherheitsbestimmungen nach § 7 Nr. 1 AWB 87 zu stellenden
Anforderungen folgt der Senat der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung.
III.
25
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.