Urteil des OLG Stuttgart vom 22.03.2006

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OLG Stuttgart Beschluß vom 22.3.2006, 16 WF 5/06
Nachehelicher Unterhalt: Berechnung des Aufstockungsunterhalts gegen den kinderbetreuenden
Ehemann
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts, Familiengericht, Ravensburg vom
22.12.2005
aufgehoben.
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug ohne Ratenzahlungsanordnung
bewilligt.
Ihr wird Rechtsanwalt ... beigeordnet.
Gründe
I.
1
Die Parteien, seit 2003 geschiedene Eheleute, streiten sich um nachehelichen Unterhalt nach § 1573 Abs. 2
BGB. Der Antragsgegner ist vollschichtig erwerbstätig und betreut die ehelichen, 13 und 16 Jahre alten
Töchter. Er verfügt über folgendes Nettoeinkommen:
2
Jahr 2004
bis Juli 05
Brutto
57.835,44 EUR Abzüge:
32.897,89 EUR Abzüge:
Lohnsteuer
15.261,00 EUR
7.993,64 EUR
Soli
698,44 EUR
368,83 EUR
Rentenversicherung
5.638,95 EUR
3.207,53 EUR
KV/PV AN-Anteil
3.265,96 EUR
1.884,08 EUR
Arbeitslosenversicherung
1.879,65 EUR
1.069,17 EUR
VWL
319,08 EUR
186,13 EUR
Gesamtnetto
30.772,36 EUR 27.063,08 EUR 18.188,51 EUR 14.709,38 EUR
Teiler
12
7
Monatsnetto
2.564,36 EUR
2.598,36 EUR
3
Die Antragstellerin ist seit 15. Dezember 2003 als Bürosachbearbeiterin bei der Firma ... beschäftigt. Ihr
Monatsnettoeinkommen beträgt 1.231,32 Euro bei Steuerklasse 1/Kinderfreibetrag 1. Sie wird vom
Antragsgegner auf Kindesunterhalt in Anspruch genommen und geht von einem Anspruch in Höhe von 280
EUR insgesamt aus. Näheres (Titulierung, Zahlungen) hierzu wird nicht vorgetragen.
4
Die Antragstellerin behauptet, sie sei bedürftig und fordert monatlich 567,01 EUR nachehelichen Unterhalt. Seit
Dezember 2005 sei sie auf Leistungen der Bundesagentur für Arbeit angewiesen. Der Antragsgegner vertritt die
Auffassung, die Antragstellerin könne ihren Bedarf durch eigene Erwerbstätigkeit decken.
II.
5
Die gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässige, fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung
von Prozesskostenhilfe durch Beschluss des Familiengerichts vom 22.12.2005 hat in der Sache Erfolg.
6
Nach der Ehescheidung hat ein Ehegatte nur dann Anspruch auf Unterhalt, wenn er nicht selbst für den
Unterhalt sorgen kann, § 1569 BGB. Bei Einkommensdifferenzen allerdings steht dem Bedürftigen nach § 1573
Abs. 2 BGB Aufstockungsunterhalt in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen seinem tatsächlichen (oder
dem ihm zuzurechnenden fiktiven) Einkommen und dem vollen Unterhalt, der sich nach den ehelichen
Lebensverhältnissen richtet, zu. Es handelt sich hier um eine Art Lebensstandardgarantie für die Zeit nach der
Scheidung auf Grund nachwirkender ehelicher Mitverantwortung (vgl. BGH FamRZ 1982, 892). Der Bedarf
richtet sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen, die im vorliegenden Fall geprägt waren durch das
Erwerbseinkommen des Ehemannes, das Erwerbseinkommen der Ehefrau als Surrogat der bisherigen
Familienarbeit (vgl. BGH FamRZ 2001, 986, 989, FamRZ 2004, 1170, 1171) und den Kindesunterhalt.
7
Die Antragstellerin ist dabei für die Höhe ihres Bedarfs darlegungs- und beweispflichtig. Dieser Verpflichtung ist
sie bisher in eher dürftigem Umfang nachgekommen. Insbesondere kann mangels entsprechender Darlegung
der von ihr erwähnte Wohnvorteil nicht berücksichtigt werden.
8
Dies trifft auch für den angeblich völligen Wegfall ihres Einkommens ab Dezember 2005 zu. Da die
Antragstellerin seit Dezember 2003 erwerbstätig ist, steht ihr ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu. Außerdem
fehlt - worauf der Antragsgegner zu Recht hingewiesen hat - ein Vortrag zum Zeitpunkt und Grund der
Kündigung und ihren Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle. Deshalb wird in der nachfolgenden
Unterhaltsberechnung das bisherige Nettoeinkommen der Antragstellerin zugrunde gelegt.
9
Das Einkommen der Antragstellerin vermindert sich um den Barunterhalt für die beiden Kinder, soweit sie
leistungsfähig ist. Dies ist unter Berücksichtigung ihres Unterhaltsanspruches nach § 1573 Abs. 2 BGB der
Fall. Die nachfolgende Unterhaltsberechnung ergibt einen Ehegattenunterhalt über dem von der Antragstellerin
beantragten Betrag. Die Prozesskostenhilfe wird in Höhe des Antrages bewilligt, die Bewilligung könnte
allerdings erweitert werden.
10 Die Schwierigkeiten des Falles liegen zum einen in den gegenläufigen Ansprüchen, der Anspruch des
Antragsgegners auf Kindesunterhalt und der Anspruch der Antragstellerin auf Aufstockungsunterhalt.
Schwierigkeiten bereitet dabei auch die Berücksichtigung des Kindergeldes. Der Senat geht im Prinzip von
folgender Unterhaltsberechnung aus:
11 Bedarf der beiden Kinder Gr. 6/ 3. Alterst.
786,00 EUR
Einkommen Ehemann rund
2.598,36 EUR
ab 5 % Erwerbspauschale
-129,92 EUR
bereinigtes Einkommen
2.468,44 EUR
ab Betreuungsbonus
-200,00 EUR
insgesamt
2.268,44 EUR
ab Erwerbsanreiz 10 %
-226,84 EUR
einzusetzendes Einkommen Ehemannes
2.041,60 EUR
Einkommen Ehefrau
1.231,22 EUR
ab Erwerbspauschale 5 %
-61,56 EUR
Zwischensumme 1
1.169,66 EUR
ab Kindesunterhalt Tabellenbetrag s.o.
-786,00 EUR
Resteinkommen
383,66 EUR
ab Erwerbsanreiz 10 % (aus Erwerbseinkommen, da
der Kindesunterhalt aus dem Aufstockungsunterhalt
bezahlt wird)
-116,97 EUR
einzusetzendes Einkommen Ehefrau
266,69 EUR
Einzusetzendes Familieneinkommen
2.308,29 EUR
hiervon die Hälfte = Bedarf
1.154,14 EUR
ab Resteinkommen der Ehefrau
-266,69 EUR
Unterhaltsanspruch der Ehefrau gerundet
888,00 EUR
ab Kindesunterhalt Zahlbetrag
-632,00 EUR
Der Antragsgegner hätte bei einer Verrechnung der
gegenläufigen Ansprüche an die Antragstellerin zu
zahlen.
256,00 EUR
Billigkeitskontrolle
Ist
Antragsgegner
bereinigtes Einkommen
2.041,60 EUR
ab Ehegattenunterhalt
-888,00 EUR
plus Betreuungsbonus
200,00 EUR
plus Erwerbsanreiz
226,84 EUR
plus eigener Kindergeldanteil
154,00 EUR
effektiv verfügbar
1.734,44 EUR
verfügbar ohne Betreuungsbonus/Erwerbsanreiz
1.307,60 EUR
Mutter
bereinigtes Einkommen
1.052,69 EUR
plus Erwerbsanreiz
116,97 EUR
plus Ehegattenunterhalt
888,00 EUR
ab Kindesunterhalt
-786,00 EUR
plus Kindergeldanteil
154,00 EUR
effektiv verfügbar
1.425,66 EUR
verfügbar ohne Betreuungsbonus/Erwerbsanreiz
1.308,69 EUR
12 Soweit sich der Antragsgegner auf einen Mehrbedarf von je 100 EUR pro Kind beruft, ist sein Vortrag hierzu
nicht substantiiert genug. Im Rahmen der PKH-Bewilligung wurde dieser deshalb zu Gunsten der
Antragstellerin nicht berücksichtigt.