Urteil des OLG Stuttgart vom 15.04.2005

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OLG Stuttgart Beschluß vom 15.4.2005, 8 W 142/05
Erstattungsfähige Kosten des Unterbevollmächtigten: Berechnung nach fiktiven Reisekosten eines Prozessbevollmächtigten
Leitsätze
Die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Unterbevollmächtigten zu Grunde zu legenden fiktiven Reisekosten sind anhand des § 28 BRAGO (jetzt
Nr. 7003 bis 7007 VV/RVG) zu ermitteln. Gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 BRAGO / Nr. 7003 VV/RVG darf ein Rechtsanwalt grundsätzlich Geschäftsreisen
mit dem eigenen Kraftwagen unternehmen. Die Kosten für Flüge von sogenannten Billigfluglinien sind zur Berechnung fiktiver Reisekosten eines
Prozessbevollmächtigten nicht geeignet.
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart vom 28.1.2005
dahin
abgeändert,
dass die vom Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf 1.563,02 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz
nach § 247 BGB seit 13.12.2004 festgesetzt werden.
2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart
vom 28.1.2005
zurückgewiesen.
3. Eine Gerichtsgebühr ist nicht zu erheben. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: 209,78 EUR
Gründe
I.
1
Die Klägerin beauftragte einen an ihrem Wohnort ansässigen Rechtsanwalt mit der Erhebung einer Klage vor dem Amtsgericht Ludwigsburg. Für
die Klägerin erschien zum Termin vor dem Amtsgericht Ludwigsburg am 18.12.2003 als Unterbevollmächtigte Frau Rechtsanwältin K., die der
Klägerin für ihre Tätigkeit in diesem Termin auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 4.000,-- EUR 449,50 EUR in Rechnung stellte.
2
Nach einer Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Stuttgart wegen einer Klagerweiterung nahm am Verhandlungstermin vom
1.12.2004 eine Bevollmächtigte der Klägerin mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am Gerichtstermin teil. In der Sitzung wurde ein
Prozessvergleich geschlossen, laut dem von den Kosten des Rechtsstreits der Beklagte ¾ und die Klägerin ¼ zu tragen haben.
3
Auf die wechselseitigen Kostenanträge hat die Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart am 28.1.2005 die vom Beklagten an die Klägerin zu
erstattenden Kosten mit 1.367,96 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Ergänzend erging ein weiterer Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24.2.2005.
4
Gegen den am 14.2.2005 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28.1.2005 hat die Klägerin am 25.2.2005 die sofortige Beschwerde
eingelegt. Mit dieser wendet sie sich gegen die Begrenzung der erstattungsfähigen Kosten für die Unterbevollmächtigte für die Wahrnehmung
des Verhandlungstermin am 18.12.2003 auf 169,80 EUR (von der Rechtspflegerin angenommene fiktive Reisekosten von 113,80 EUR zuzüglich
56,-- EUR Abwesenheitsgeld) und verfolgt die Festsetzung von 75 % der ihr von der Unterbevollmächtigten in Rechnung gestellten 449,50 EUR
fort.
5
Mit Beschluss vom 7.4.2005 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart erklärt, der sofortigen Beschwerde nicht abzuhelfen, und hat die
Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
II.
6
Die zulässige sofortige Beschwerde (§ 104 Abs. 3 ZPO) ist in der Sache weitgehend begründet.
7
Beschwerdegegenstand sind 75 % der Differenz zwischen den von der Rechtspflegerin angenommenen fiktiven Reisekosten für den Termin vom
18.12.2003 und den sachlich zutreffenden Kosten der Unterbevollmächtigten für die Wahrnehmung dieses Termins, also 209,78 EUR (449,50
EUR abzüglich 169,80 EUR = 279,70 EUR, davon 75 %).
1.
8
Die Kosten eines Unterbevollmächtigten, der für den am Wohnort der Partei ansässigen Rechtsanwalt der Partei Termine beim Prozessgericht
wahrnimmt, sind notwendige Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinn von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, soweit durch die
Tätigkeit des Unterbevollmächtigten erstattungsfähige Reisekosten des Hauptbevollmächtigten, nämlich Tage- und Abwesenheitsgeld sowie
Fahrtkosten nach § 28 BRAGO (jetzt Nr. 7003 bis 7007 VV/RVG) erspart werden, die ansonsten bei der Wahrnehmung des Termins durch den
Hauptbevollmächtigten entstanden wären (BGH NJW 2003, 898, 899).
9
Die Klägerin war hier kostenrechtlich befugt, einen Rechtsanwalt an ihrem Wohnort mit der Wahrnehmung ihrer Interessen im vorliegenden
Rechtsstreit zu beauftragen. Im Fall einer eigenen Terminswahrnehmung am 18.12.2003 vor dem Amtsgericht Ludwigsburg wären deshalb die
dem Hauptbevollmächtigten der Klägerin zustehenden Reisekosten dem Grunde nach zu erstatten gewesen. Die Klägerin kann deshalb den
Ersatz der Kosten für die statt dessen mit der Terminswahrnehmung beauftragte Unterbevollmächtigten insoweit beanspruchen, als diese Kosten
(§§ 53, 26 BRAGO) abzüglich der mit der Vertretung durch den Unterbevollmächtigten in der Verhandlung verbundenen Verringerung der
Verhandlungsgebühr des Hauptbevollmächtigten (§ 33 Abs. 3 BRAGO) die ersparten Reisekosten nicht wesentlich übersteigen. Eine
geringfügige Überschreitung der ersparten Reisekosten steht der Erstattung der Kosten des Unterbevollmächtigten nicht entgegen. Eine
wesentliche Überschreitung wird im Regelfall anzunehmen sein, wenn die Kosten des Unterbevollmächtigten die ersparten Reisekosten um
mehr ein 1/10 überschreiten (BGH a.a.O. Seite 901).
10 § 33 Abs. 3 BRAGO spielt hier im konkreten Fall keine Rolle. Die erstattungsfähigen Kosten der Unterbevollmächtigten werden danach durch den
Betrag von 110 % der ersparten fiktiven Reisekosten begrenzt.
2.
11 Entgegen der Auffassung der Rechtspflegerin des Landgerichts können die konkret entstandenen Reisekosten des Hauptbevollmächtigten vom
1.12.2004 nicht auf die fiktiven Reisekosten für den 18.12.2003 übertragen werden. Die Kosten für Flüge von so genannten Billigfluglinien sind
für die Berechnung fiktiver Reisekosten eines Prozessbevollmächtigten nicht geeignet. Aufgrund der Abhängigkeit dieser Flugpreise von
Angebot, Buchungszeitpunkt und Flugzeit ist eine nachträgliche fiktive Berechnung der Flugkosten für einen bestimmten Termin praktisch
unmöglich.
12 Die fiktiven Reisekosten sind anhand des § 28 BRAGO (jetzt Nr. 7003 bis 7007 VV/RVG) zu ermitteln. Gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 BRAGO darf ein
Rechtsanwalt grundsätzlich Geschäftsreisen mit dem eigenen Kraftwagen unternehmen. Dem Rechtsanwalt kann deshalb mithin für den
Regelfall nicht entgegengehalten werden, diese Reisekosten wären billiger ausgefallen, wenn er statt seines Kraftwagens ein öffentliches
Verkehrsmittel benutzt hätte (Gerold/Schmidt/Madert BRAGO 15. Aufl., § 28 RN 18). Bei einer Entfernung von Zeuthen nach Ludwigsburg von
620 Kilometer errechnen sich damit die Reisekosten gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 BRAGO für Hin- und Rückreise auf 334,80 EUR zuzüglich einem
Abwesenheitsgeld von 56,-- EUR (§ 28 Abs. 3 Satz 1 BRAGO), insgesamt also auf 390,80 EUR.
13 Die Verwendung eines Pkw zur Anreise des Hauptbevollmächtigten wäre hier auch nicht missbräuchlich gewesen, weil die Reisekosten für
Fahrten mit der Deutschen Bahn AG in der 1. Klasse (Gerold/Schmidt - Madert a.a.O. RN 20; vgl. auch OLG Hamm NJW-RR 1997, 576; OLG
Oldenburg NdsRpfl 1997, 12) nicht wesentlich niedriger gewesen wären, sondern Kosten ungefähr in gleicher Höhe entstanden wären.
14 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begrenzen die fiktiven Reisekosten in Höhe von 110 %, also hier 429,88 EUR, die
erstattungsfähigen Kosten der Unterbevollmächtigten. Hiervon hat das Landgericht bei der Kostenfestsetzung bereits 169,80 EUR berücksichtigt,
so dass die Differenz des berücksichtigungsfähigen Restbetrags der Unterbevollmächtigten in Höhe von 429,88 EUR abzüglich der vom
Landgericht bereits einbezogenen 169,80 EUR, also 260,08 EUR zur Kostenfestsetzung noch ansteht. Angesichts eines Erstattungsanspruchs in
Höhe von ¾ erhöht sich damit der vom Beklagten der Klägerin zu erstattende Betrag um 195,06 EUR auf 1.563,02 EUR.
3.
15 Angesichts des geringen Umfangs der Zurückweisung der sofortigen Beschwerde im Wert von 14,72 EUR war gemäß Nr. 1811 KV/GKG von der
Erhebung einer Gerichtsgebühr abzusehen. Die Entscheidung zu den außergerichtlichen Kosten ergibt sich aus §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.