Urteil des OLG Stuttgart vom 03.09.2008

OLG Stuttgart (anwaltliche vertretung, verhältnis zwischen, zpo, aug, tätigkeit, beschwerde, partei, vertretung, auslegung, vorschrift)

OLG Stuttgart Beschluß vom 3.9.2008, 8 W 348/08
Kostenerstattungsanspruch: Anrechnung der Geschäftsgebühr bei abweichender
Gebührenvereinbarung für die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der
Rechtspflegerin des Landgerichts Ellwangen vom 13.6.2008 wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Beschwerdewert:
347,30 Euro
Gründe
1 Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 ZPO statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde der
Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
2 Die Rechtspflegerin hat aufgrund der mit dem selben Gegenstand wie im Rechtsstreit erfolgten vorgerichtlichen
Tätigkeit der Beklagtenvertreter bei der Festsetzung des der Beklagten nach Klagrücknahme zustehenden
Kostenerstattungsanspruchs gegen den Kläger die geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr der
Beklagtenvertreter zutreffend um die Hälfte einer vorgerichtlichen 1,3-Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV /
RVG - mithin in Höhe von 291,85 Euro zuzüglich Umsatzsteuer - gekürzt.
1.
3 Die Beklagte macht demgegenüber mit ihrer Beschwerde ohne Erfolg weiterhin geltend, sie habe mit ihren
Bevollmächtigten für deren vorgerichtliche Tätigkeit eine von der gesetzlichen Gebührenregelung abweichende
Parteivereinbarung getroffen, so dass keine Gebühr gemäß Nr. 2400 VV / RVG entstanden sei und die
Anrechnungsbestimmung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV / RVG nicht einschlägig sei.
4 Gemäß § 91 ZPO sind vom Gegner nur die gesetzlichen Gebühren zu erstatten. Nur sie sind deshalb im
Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen. Dies hat der Bundesgerichtshof in der von der Rechtspflegerin
im angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss bereits angeführten Entscheidung vom 22.1.2008 (NJW 08,
1323) auch ausdrücklich für die dort mit angewandte Vorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV / RVG klargestellt.
Dann ist jedoch auch diese Vorschrift mit der Bezugnahme auf eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr
dahingehend auszulegen, dass damit eine nach der gesetzlichen Regelung entstandene Geschäftsgebühr
gemeint ist und im Rahmen der Gültigkeit von § 91 ZPO nicht der Fall ausgenommen wird, dass eine
abweichende Gebührenvereinbarung getroffen wurde, aufgrund deren die gesetzliche Gebührenregelung im
Verhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt nicht anwendbar ist.
5 Eine Partei hat damit im Verhältnis zum Gegner nach Sinn und Zweck der prozessualen Erstattungsregelung in
§ 91 ZPO auch im Rahmen der Anrechnungsvorschrift gemäß Nr. 3 Abs. 4 VV / RVG keine Möglichkeit, die
Teilanrechnung einer nach dem Gesetz für eine vorgerichtlich Anwaltstätigkeit entstandenen Geschäftsgebühr
zu umgehen. Dabei ist es auch unerheblich, ob eine solche Umgehung gegebenenfalls der Hauptzweck einer
getroffenen Gebührenvereinbarung ist oder sich nur als eine - u. U. auch überhaupt nicht bedachte - Nebenfolge
einer Gebührenvereinbarung ergeben soll.
2.
6 Die diesbezügliche Auslegung der Bestimmung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV / RVG durch den
Bundesgerichtshof ist auch sachlich gerechtfertigt und stellt keine unangemessene Benachteiligung einer Partei
dar, der für die aufgewendeten Kosten für eine vorgerichtliche anwaltliche Vertretung gegebenenfalls keine
materiellrechtliche Anspruchsgrundlage gegenüber dem späteren Prozessgegner zur Verfügung steht.
7 Dass eine solche Partei - also insbesondere vielfach ein Beklagter - dann auch bei Obsiegen im späteren
Rechtsstreit nur eine halbe Verfahrensgebühr erstattet verlangen kann, während sie bei Verzicht auf eine
vorgerichtliche Vertretung die volle Verfahrensgebühr erstattet bekommt ist lediglich eine für einen rechtlichen
Laien etwas überraschende Nebenfolge der vom Bundesgerichtshof als zutreffend und sachgerecht vertretenen
Auslegung der Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV / RVG, der nunmehr auch der erkennende
Senat in Abkehr von der von ihm zuvor mit dem überwiegenden Teil der Oberlandesgerichte vertretenen
Auslegung folgt. Auf diese Nebenfolge wird ein rechtskundiger Rechtsanwalt ab Möglichkeit der Kenntnisnahme
von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Partei jedenfalls bei fraglicher materiell-
rechtlicher Anspruchsgrundlage für vorprozessuale Kosten vor Übernahme einer vorgerichtlichen Vertretung
hinweisen müssen, wenn er sich den Einwand einer gebührenmindernden Beratungspflichtverletzung von
vornherein ersparen will.
8 Vorliegend ergibt sich die vorprozessuale Tätigkeit der Bevollmächtigten der Beklagten mit demselben
Gegenstand wie im Rechtsstreit schon aus den mit der Klage vorgelegten Anlagen - mittelbar auch aus dem
Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 21.4.2008, wie schon die Rechtspflegerin im angefochtenen
Kostenfestsetzungsbeschluss im Ergebnis zutreffend festgestellt hat.
9 Die sofortige Beschwerde der Beklagten war danach mit der Kostenfolge gemäß § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen.