Urteil des OLG Stuttgart vom 12.10.2007
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OLG Stuttgart Beschluß vom 12.10.2007, 17 UF 214/07
Internationale Kindesentführung: Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Rückführung nach Frankreich
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart- Familiengericht- vom 10. September 2007 (20 F
1293/07) wird
z u r ü c k g e w i e s e n.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Dem Antragsgegner wird die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren
v e r s a g t.
4. Der Antragstellerin wird ratenfrei Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin G., Stuttgart, bewilligt.
Beschwerdewert: 3.000,-- EUR
Gründe
I.
1
Das Amtsgericht hat dem Antrag der Kindsmutter (Antragstellerin) stattgegeben, die gemeinsamen Söhne der Beteiligten, J. K. und N. M., unter
Anwendung der Vorschriften des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen vom
25.10.1980 (HKiEntÜ) zu ihr nach Frankreich zurückzuführen. Der Kindesvater (Antragsgegner) wendet sich gegen diese Entscheidung mit der
sofortigen Beschwerde.
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Der Senat entscheidet ohne erneute Anhörung der Beteiligten und der Kinder, nachdem diese im ersten Rechtszug ausführlich richterlich
angehört worden sind, der Sachverhalt umfänglich aufgeklärt ist und die Beschwerde nichts dartut, was eine erneute Anhörung der Kinder oder
der Beteiligten geboten hätte.
II.
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Die nach § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG zulässige sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Das Amtsgericht hat die
Rückführung der Söhne zu Recht angeordnet. Die hiergegen gerichteten Angriffe des Antragsgegners erschüttern die angefochtene
Entscheidung nicht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Begründung des Beschlusses verwiesen, der sich der Senat anschließt.
Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist ergänzend Folgendes auszuführen:
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1. Das Verbringen der Kinder in die Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel des dauerhaften Aufenthalts war widerrechtlich nach Art. 13 Abs. 1
lit. a HKiEntÜ. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde hat das Amtsgericht zutreffend für die Beurteilung der Widerrechtlichkeit des
Verbringens nach Art. 3 Abs. 1 a HKiEntÜ das französische Recht für maßgeblich erachtet, welches zum Zeitpunkt des Verbringens der Kinder
nach Deutschland im August 2006 gegolten hat. Das Amtsgericht hat sich hierbei gerade nicht auf die Entscheidung des Familiengerichts Aix en
Provence vom 04.01.2007 gestützt. Ausdrücklich hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass spätere Veränderungen der Rechtslage (also
nach August 2006) in diesem Zusammenhang unbeachtlich sind.
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Es entzieht sich der Beurteilung deutscher Gerichte, ob die vom Antragsgegner gegen die Entscheidung vom 04.01.2007 vorgebrachten Angriffe
gerechtfertigt sind. Dies ist Sache des französischen Rechtsmittelgerichts. Eine Entscheidung der 2. Instanz ist dem Senat nicht bekannt.
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2. Das Amtsgericht hat auch zutreffend ausgeführt, dass der Antragsgegner gemäß Art. 373-2 franz. CC verpflichtet gewesen wäre, eine
Entscheidung des französischen Familiengerichts zum geplanten Aufenthaltswechsels einzuholen. Spätestens nach dem Schreiben der
Antragstellerin vom 19.07.2006 konnte er von einem Einverständnis nicht mehr ausgehen. Der Vortrag, dass er sich ratsuchend an seinen
früheren Bevollmächtigten gewandt hat, belegt seine Kenntnis. Fehlerhafte Beurteilungen der Rechtslage rechtfertigen indes nicht die Ablehnung
der Rückführung.
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3. Das Amtsgericht hat sich im Hinblick auf Versagungsgründe nach Art. 13 Abs. 2 HKiEntÜ mit dem von den Kindern geäußerten Willen
eingehend auseinandergesetzt und sich mit zutreffender Begründung gegen eine Ablehnung der Rückführung entschieden. Insoweit rechtfertigt
auch der vorgelegte Brief des Kindes J. vom 20.07.2007 keine andere Beurteilung.
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Soweit der Antragsgegner vorbringt, dass er allenfalls verpflichtet werden könnte, gemeinsam mit den Kindern wieder am früheren Wohnort
Aufenthalt zu nehmen, verkennt er die Folgen des widerrechtlichen Verbringens von Kindern ins Ausland bei Anwendung des Haager
Kindesentführungs-Übereinkommens. Das Amtsgericht hat aber richtigerweise ausgeführt, dass es dem Antragsgegner unbenommen bleibt, die
Kinder nach Frankreich zu begleiten und während des Sorgerechtsverfahrens in ihrer Nähe zu sein. In der gemeinsamen Verantwortung für ihre
Kinder können sich die beteiligten Eltern auch ungeachtet der gerichtlichen Anordnung über die Modalitäten der Rückkehr verständigen.
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4. Mit der seelischen Befindlichkeit der Kinder und dem Antrag auf Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens hat sich das Amtsgericht
eingehend befasst. Dabei wurde auch ausdrücklich ausgeführt, dass abgesehen davon, dass die Einholung eines psychologischen
Sachverständigengutachtens im Rahmen des Rückführungsverfahrens regelmäßig nicht in Betracht kommt, die Anhörung der Kinder im
französischen Verfahren und durch einen französischen Sachverständigen zweckmäßiger und zuverlässiger erscheint. Diese Auffassung teilt
auch der Senat.
10 Soweit der Kindsvater vorgetragen hat, dass nach den Bekundungen des Kindes J. ihm gegenüber eine existentielle Gefährdung des Kindes
nicht auszuschließen sei, fehlt hierfür jeder weitere tatsächliche Vortrag zu weiteren Hinweisen auf eine fortdauernde und ernsthafte seelische
Störung.
11 Typische Belastungen entstehen daraus, dass sich entführte Kinder in der Regel mit dem entführenden Elternteil identifizieren und alle Kräfte
daran setzen, sich in die neue Situation einzufinden, Fuß zu fassen und soziale Kontakte zu knüpfen. Eine Rückführung ist daher zwangsläufig
mit psychischen Belastungen verbunden. Daher ist es Aufgabe beider Eltern den Kindern zu vermitteln, warum die Rückführung erforderlich ist.
Der Kindsvater hat sich durch die eigenmächtige Ausreise über die Belange der Kinder hinweggesetzt, die einen Anspruch darauf haben, dass
bei Streit zwischen ihren Eltern ein französisches Gericht im Sorgerechtsverfahren die dem Wohl der Kinder entsprechenden Entscheidungen
trifft. Daher ist die Rückführung erforderlich.
12 Die Bestellung eines Verfahrenspflegers war nicht geboten.
13 Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners war daher zurückzuweisen.
III.
14 Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 51 Abs. 2 IntFamRVG; § 13 a FGG; §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO. Auch in der Beschwerdeinstanz
entspricht es der Billigkeit, dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil er die Kinder widerrechtlich in die Bundesrepublik
Deutschland verbracht hat und seine Beschwerde erfolglos war.