Urteil des OLG Stuttgart vom 14.07.2010

OLG Stuttgart: nahestehende person, darlehen, gesellschafter, rückstufung, konzept, anwendungsbereich, anfechtung, geschäftsführer, haftungsbeschränkung, fremdkapital

OLG Stuttgart Urteil vom 14.7.2010, 3 U 50/10
Leitsätze
BGH AZ: IX ZR 131/10
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters des Landgerichts Stuttgart vom 25.02.2010 - 12 O 383/09 - wird
z u r ü c k g e w i e s e n
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht die Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 616.745,48 EUR
Gründe
I.
1
Die Kläger begehren als Insolvenzgläubiger die Feststellung ihrer Darlehensforderungen zur Insolvenztabelle der M… S… GmbH & Co. KG
gegenüber dem Beklagten als Insolvenzverwalter der Insolvenzschuldnerin.
2
Wegen der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts sowie wegen des Vorbringens der Parteien in I. Instanz wird auf das landgerichtliche
Urteil vom 25.02.2010 Bezug genommen.
3
Durch dieses Urteil wurden die Darlehensforderungen der Kläger nebst Zinsen zur Insolvenztabelle festgestellt. Bei den gewährten Darlehen der
Kläger handle es sich weder um Gesellschafterdarlehen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO in der seit 01.11.2008 geltenden Fassung noch um
eine einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechende Forderung. Die Klägerin Ziff. 1 und die Klägerin Ziff. 2 seien keine Gesellschafter
der Insolvenzschuldnerin. Ihnen komme auch keine gesellschaftsähnliche Stellung zu, welche es rechtfertigen würde, dass sie sich wie ein
Gesellschafter die Rückstufung ihrer Forderung auf Rückgewähr des Darlehens gefallen lassen müssten. Für die Annahme einer
gesellschafterähnlichen Stellung komme es entscheidend darauf an, dass der Kreditgeber eine der Kapitalbeteiligung vergleichbare Beteiligung
am Vermögen der Gesellschaft und eine dem mitgliedschaftlichen Interesse vergleichbare Finanzierungsverantwortung an der Gesellschaft
habe. Weder die kreditgewährende A… GmbH noch die Klägerin Ziff. 1 als Zessionarin seien an dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin
beteiligt. Gleiches gelte für die Klägerin Ziff. 2. Die Insolvenzschuldnerin und die Klägerin Ziff. 1 seien auch nicht über ihre Beteiligung an der … +
… M… GmbH & Co. KG dergestalt miteinander verbunden, dass eine Rückstufung gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO gerechtfertigt wäre. Die
Insolvenzschuldnerin sei nur Kommanditistin der … + … M… GmbH & Co. KG, sodass ihre vermögensrechtliche Eigenständigkeit gewahrt
geblieben sei. Zum anderen habe der Gesellschaftergeschäftsführer der Klägerin Ziff. 1 keine organschaftlichen Einflussrechte bei der
Insolvenzschuldnerin. Die Anwendung des § 138 InsO scheide aus, da der Gesetzgeber im Zuge des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-
Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) ausdrücklich darauf verzichtet habe, eine Vorschrift nach § 138 InsO im Zusammenhang
mit § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu schaffen.
4
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der seinen Klagabweisungsantrag weiterverfolgt und sich darauf beruft, dass Drittdarlehen an
den Insolvenzschuldner dann einem Gesellschafterdarlehen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO entsprächen, wenn die Voraussetzungen des § 138
InsO erfüllt seien. Nach diesen Maßstäben sei die Klägerin Ziff. 2 als Mutter des Geschäftsführer der Komplementär GmbH der
Insolvenzschuldnerin zweifelsfrei nahestehende Person im Sinne des § 138 InsO. Gleiches gelte für die Klägerin und die Zedentin, da ihr
Mehrheitsgesellschafter A… M… eine gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Nr. 2 InsO dem Geschäftsführer der Komplementär GmbH der
Insolvenzschuldnerin nahestehende Person sei. Die Zurechnungsnorm des § 138 InsO sei für Drittdarlehen, die Gesellschafterdarlehen im Sinne
des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO wirtschaftlich entsprächen, heranzuziehen. Zwar sei nicht zu verkennen, dass der Gesetzgeber beabsichtigt habe, die
Grundsätze des bisherigen § 32 a Abs. 3 S. 1 GmbHG in personeller und sachlicher Hinsicht in das neue Recht zu übernehmen. Dieser in den
Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Wunsch des Gesetzgebers reiche indes nicht aus, um die Anwendbarkeit des § 138 InsO zu
verneinen. Einer Fortführung des bisherigen Rechts stehe insbesondere entgegen, dass sich die dogmatische Grundlage des Rechts der
Gesellschafterdarlehen fundamental geändert habe. Da das alte Eigenkapitalersatzrecht und damit im Zusammenhang die von der
Rechtsprechung geschaffene Finanzfolgenverantwortung im neuen Recht keine Grundlage habe, sei es verfehlt, den Kreis der
gesellschaftsgleichen Dritten weiterhin nach diesen Gedanken abzustecken. Die bisher zu §§ 32 a, 32 b GmbHG entwickelte Rechtsprechung
könne daher - jedenfalls nicht uneingeschränkt - unter neuem Recht aufrechterhalten bleiben. Für die Anwendung des § 138 InsO spreche der
Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Nahe Angehörige würden in der Regel die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners kennen, daher
seine Absichten leichter durchschauen und wegen ihrer wirtschaftlichen und persönlichen Verbundenheit eher bereit sein, zum Schaden seiner
Gläubiger mit ihm Verträge zu schließen. Dieser Insidergedanke werde auch als Grund für die Neufassung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 und § 135 Abs.
2 InsO gesehen. Die Anwendung des § 138 ZPO sei in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht auf die Insolvenzanfechtung beschränkt. Das
Oberlandesgericht Hamm habe diese Norm auch zur Bestimmung des Personenkreises herangezogen, über dessen Geschäftsverbindung zu
einer Anlagegesellschaft im Prospekt aufgeklärt werden müsse. Der Vorschrift liege ein verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke zu Grunde.
Schließlich habe das Landgericht sich nicht mit dem Vortrag des Beklagten auseinandergesetzt, dass ein außenstehender Dritter der
Insolvenzschuldnerin kein Darlehen zu vergleichbaren Konditionen mehr gewährt hätte. Dieser Umstand spreche dafür, dass die
Kreditgewährung causa societatis erfolgt und aus diesem Grund als eigenkapitalersetzend zu qualifizieren sei.
5
Der Beklagte beantragt,
6
das angefochtene Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25.02.2010 (AZ 12 O 383/09) abzuändern und die Klagen der Klägerin Ziff. 1
und Klägerin Ziff. 2 abzuweisen.
7
Die Kläger beantragen,
8
die Berufung zurückzuweisen.
9
Sie verteidigen das angegriffene Urteil und tragen vor, dass die Zurechnungsnorm des § 138 InsO ausschließlich für die im dritten Abschnitt der
Insolvenzordnung geregelte Insolvenzanfechtung Anwendung finde. Die Bestimmung des § 138 InsO beruhe auf der rechtstatsächlichen
Feststellung, dass Verträge und Rechtshandlungen mit solchen nahestehenden Personen in der kritischen anfechtbaren Zeit vor dem
Insolvenzvertrag aus persönlichen Rücksichtnahmen und Vorlieben des Insolvenzschuldners oder wegen besonderer Informationsmöglichkeiten
und Kenntnisse häufig zum wirtschaftlichen Nachteil der späteren Insolvenzschuldnerin abgeschlossen bzw. vorgenommen würden. Mit den
streitgegenständlichen Darlehen seien jedoch keine Vermögensverschiebungen zu Gunsten der Kläger durchgeführt worden. Der auf dem
dargestellten Normzweck beschränkte § 138 InsO könne auf die Darlehensgewährung Dritter keine Anwendung finden, weil ein anfechtbarer
Vorgang damit nicht verbunden sei. Soweit der Beklagte in erster Instanz wiederholt die Anfechtung erklärt habe, sei unklar, welche
Lebenssachverhalte eigentlich eine Anfechtung begründen würden. Die nach dem Gesetzeszweck und rechtssystematisch unhaltbare und
unzutreffende Auffassung des Beklagten finde in der Literatur zum MoMiG nirgendwo eine Stütze. Das Erfordernis des wirtschaftlichen
Entsprechens im Sinne des § 39 Abs. 1 Ziff. 5 InsO setze primär voraus, dass diejenige Leistung, die einer Darlehensgewährung wirtschaftlich
gleich zu erachten sei, von einem Gesellschafter stamme. Adressat des § 39 Abs. 1 Ziff. 5 InsO sei einzig und allein der Gesellschafter. Die Frage
könne also nur sein, ob andere Leistungen oder Forderungen eines Gesellschafters, die keine Darlehensgewährung seien, einer solchen
wirtschaftlich entsprächen. Dass die kreditgebende A… GmbH oder die Klägerin Informationsvorsprünge oder Einflussmöglichkeiten auf die
spätere Insolvenzschuldnerin gehabt habe, sei objektiv falsch und werde vom Beklagten ins Blaue hinein behauptet. Dass ein außenstehender
Dritter der Schuldnerin kein Darlehen zu vergleichbaren Konditionen gewährt hätte, werde bestritten, sei aber auch unerheblich. Eine derartige
Darlehensausreichung wäre allenfalls als Obliegenheitsverstoß gegen eigene Interessen zu werten. Für die Rückstufung der Forderung eines
solchen Gläubigers in eine Nachrangforderung gebe das Gesetz keinen Hinweis. Die Darlehensgeber seien weder unmittelbar noch mittelbar an
der Insolvenzschuldnerin beteiligt noch hätten sie über irgendwelche Stimm- oder Einflussrechte verfügt.
10 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten
schriftlichen Unterlagen verwiesen.
II.
11 Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die nicht bestrittenen Darlehensforderungen der Kläger zur
Insolvenztabelle festgestellt.
1.
12 Die Insolvenzfeststellungsklage ist gemäß § 180 Abs. 1 ZPO statthaft, nachdem der Beklagte als Insolvenzverwalter im Prüfungstermin die von
den Klägern angemeldeten Forderungen aus Darlehensverträgen bestritten hat. Ein besonderes Feststellungs-interesse ist nicht erforderlich
(Braun-Specovius, Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2010, §§ 179 bis 181 Rn. 27).
2.
13 Zu Recht hat das Landgericht die Begründetheit der Insolvenzfeststellungsklage bejaht.
14 Die von den Klägern angemeldeten Forderungen sind in der Sache vom Beklagten nicht bestritten worden. Es handelt sich nicht um einem
Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechende Forderungen im Sinne des § 39 Abs. 2 Nr. 5 InsO; die Kläger sind vielmehr als
Insolvenzgläubiger gem. § 38 InsO zu behandeln, ihre Forderungen sind zur Insolvenztabelle festzustellen.
a)
15 Im Ansatz zutreffend ist der Standpunkt des Beklagten, dass die Einordnung der streitgegenständlichen Darlehensforderungen als einem
Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechender Forderung gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO der Eintragung zur Insolvenztabelle
entgegenstehen würde. Die in § 39 InsO genannten Forderungen werden in der sich aus der Norm ergebenden Reihenfolge befriedigt, und zwar
erst dann, wenn die „einfachen“ Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO befriedigt worden sind. Die nach § 39 InsO nachrangigen
Gläubiger werden zu Gunsten einer effektiven Durchführung des Insolvenzverfahrens bestimmten verfahrensmäßigen Einschränkungen
unterworfen. Damit das Verfahren zügig abläuft, sind die Forderungen nachrangiger Gläubiger gemäß § 174 Abs. 3 S. 1 InsO nur anzumelden,
wenn das Insolvenzgericht besonders zur Anmeldung dieser Forderungen auffordert. Hieran fehlt es vorliegend, sodass eine Eintragung zur
Insolvenztabelle nach Bestreiten im Prüfungstermin durch den Beklagten nicht in Betracht kam.
b)
16 Entgegen der Auffassung des Beklagten handelt es sich bei den streitgegenständlichen Darlehensforderungen jedoch nicht um nachrangige
Insolvenzforderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.
aa)
17 Wie der Beklagte richtig ausführt, kommen vorliegend die Neuregelungen des MoMiG zur Anwendung, da das streitgegenständliche
Insolvenzverfahren am 02.02.2009, mithin zeitlich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 01.11.2008, eröffnet wurde. Gemäß Art. 103 d InsO
sind lediglich die bis zum 01.11.2008 geltenden Vorschriften der Insolvenzordnung über die Anfechtung von Rechtshandlungen unter
bestimmten Voraussetzungen anwendbar, soweit solche Rechtshandlungen vor dem 01.11.2008 vorgenommen, das Insolvenzverfahren jedoch
nach dem 01.11.2008 eröffnet wurde. Auf den vorliegenden Fall der Darlehensgewährung vor Inkrafttreten der Neuregelung findet diese
Ausnahmevorschrift keine Anwendung. Die Frage, ob die streitgegenständlichen Darlehen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig zu
berücksichtigen sind, richtet sich unabhängig von dem Zeitpunkt der Darlehensgewährung nach dem ab 01.11.2008 geltenden Recht. Dies wird
von den Parteien auch nicht in Frage gestellt.
bb)
18 Bei den von den Klägern zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen handelt es sich nicht um solche, die einem Gesellschafterdarlehen
wirtschaftlich entsprechen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO).
(1)
19 Der Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auf die streitgegenständlichen Darlehen steht allerdings nicht entgegen, dass es sich um Darlehen
Dritter handelt. Dem Wortlaut nach versieht § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sämtliche Forderungen auf Rückgewähr eines „Gesellschafterdarlehens oder
Forderung aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen“ mit dem Nachrang. Der frühere § 32 a Abs. 3 S. 1
GmbHG schloss neben Darlehen und sonstigen Rechtshandlungen eines Gesellschafters, die einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen,
ausdrücklich auch Rechtshandlungen eines Dritten, die denen eines Gesellschafters wirtschaftlich entsprechen, in den Anwendungsbereich des
Eigenkapitalersatzrechts ein. §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 Abs. 1 InsO n.F. haben diese personelle Gleichstellung nicht aufgegriffen, womit aber keine
Abkehr von den Grundsätzen des alten Rechts zum Ausdruck gebracht werden sollte. Im Konzept des neuen Rechts sind Darlehen und
wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlungen Dritter ohnehin schon dann erfasst, wenn sie - im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO - einem
Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen (Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh. zu § 64 Rn. 120). Ausweislich
der Regierungsbegründung (BT-Drs. 16/6140, S. 65) wird der bisherige § 32 a Abs. 3 S. 1 GmbHG in personeller („Dritte“) und sachlicher
Hinsicht übernommen, sodass es am Willen des Gesetzgebers, dass die Neuregelung auch für Finanzierungen durch bestimmte Dritte gelten
soll, obschon sie „Rechtshandlungen eines Dritten“, anders als § 32 a Abs. 3 S. 1 GmbHG a.F., nicht mehr ausdrücklich anspricht, kein Zweifel
bestehen kann (so auch Habersack ZIP 2008, 2385, 2387).
(2)
20 Hinsichtlich der Kriterien für die Einbeziehung solcher Drittkredite enthält das Gesetz selber keinen Hinweis. Anders als der Beklagte meint, führt
die Gesetzesauslegung dazu, dass ein Rückgriff auf § 138 InsO zur Bestimmung des Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr.5 InsO nicht
gerechtfertigt ist.
21 Wortlaut und Systematik der Neuregelung sprechen gegen eine Heranziehung des § 138 InsO. § 138 InsO enthält eine Legaldefinition des
unbestimmten Rechtsbegriffes „nahestehende Personen“, der ausschließlich im 3. Teil der Insolvenzordnung im Abschnitt „Insolvenzanfechtung“,
in dem die Vorschrift auch systematisch verortet ist, verwendet wird. Weder § 39 InsO selbst noch der zweite Teil der Insolvenzordnung noch die
in §§ 1 bis 10 InsO „vor die Klammer“ gezogenen allgemeinen Vorschriften enthalten Hinweise, aus denen die Anwendung des § 138 ZPO zur
Bestimmung von nachrangigen Drittkrediten i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO geschlossen werden könnte. Anders als § 133 Abs. 2 InsO, der eine
ausdrückliche Verweisung auf in § 138 InsO enthält, findet sich in § 39 InsO oder dem zweiten Teil der Insolvenzordnung weder eine Verweisung
noch der Begriff „nahestehende Personen“. Aus gesetzessystematischen Gründen kommt eine Anwendung des § 138 InsO, wie sie der Beklagte
vertritt, somit nicht in Betracht.
22 Die historische Gesetzesauslegung kommt zu keinem anderen Ergebnis. Der Begründung des Regierungsentwurfs zum MoMiG (BT-Drs.
16/6140, S. 56) ist die Absicht des Gesetzgebers zu entnehmen, den bisherigen § 32 a Abs. 3 S. 1 GmbHG „in personeller (Dritte) und sachlicher
Hinsicht“ zu übernehmen. Die Formulierung scheint somit den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck zu bringen, auch die zum alten Recht
entwickelten Kriterien für die Einbeziehung Dritter fortgelten zu lassen und nicht etwa auf die Maßstäbe „nahestehender Personen“ im Sinne des
§ 138 InsO abzustellen (Kleindiek a.a.O. Rn. 120). Wäre es Absicht des Gesetzgebers gewesen, die Maßstäbe der Zurechnungsnorm des § 138
InsO auch für den § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zur Anwendung zu bringen, hätte er dies im zweiten Abschnitt der Insolvenzordnung ausdrücklich regeln
können oder die Vorschrift so formulieren können, dass ausdrücklich „nahestehende Dritte“ dem Gesellschafter gleichstehen und ggf. zusätzlich
auf § 138 InsO verweisen können.
23 Es mag in diesem Zusammenhang zutreffen, dass die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches Ende des 19. Jahrhunderts ein
systematischeres Denken auszeichnete als dies bei dem modernen Gesetzgeber der Fall ist. Ein Rückschluss dahingehend, dass im Rahmen
des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO Dritte nach den Maßstäben des § 138 InsO einzubeziehen sind, lässt eine solche Erkenntnis, ihre Richtigkeit einmal
unterstellt, auf keinen Fall zu.
24 Schließlich rechtfertigt es auch der Sinn und Zweck der in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO angeordneten Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen und
wirtschaftlich entsprechenden Forderungen nicht, die Maßstäbe des § 138 InsO für die Einbeziehung Dritter heranzuziehen. Die vom
Gesetzgeber vorgenommene Rückstufung von Gesellschafterdarlehen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) und die Rechtsfolgen für die Rückzahlung durch
die Gesellschaft (§ 135 InsO) basierten nach altem Recht auf dem Konzept der Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters, das
seinerseits an eine im Stadium eingeschränkter Finanzierungsfreiheit getroffene Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters anknüpft und
es dem Gesellschafter zum Vorwurf macht, dass er - wegen der Krisensituation - die Gesellschaft mit Fremdkapital versorgt hat, statt sie zu
liquidieren oder ihr Eigenkapital zuzuführen (Habersack ZIP 2007, 2145, 2147 m.w.N.). Auf diese Finanzierungsentscheidung reagierte deshalb
die Rechtsprechung mit der analogen Anwendung der für das Eigenkapital geltenden Kapitalerhaltungsgrundsätze und die „Novellenregeln“ mit
der zwangsweisen „Umqualifikation“ der Forderung. Dieser Ansatz lässt sich - worauf der Beklagte zu Recht hinweist - nach Inkrafttreten MoMiG
nicht mehr aufrechterhalten. Mit dem ersatzlosen Wegfall des Krisenmerkmals ist das Konzept der Finanzierungsfolgenverantwortung seiner
rechtsdogmatischen Grundlage beraubt. Rechtspolitisch hat sich der Gesetzgeber dahingehend entschieden, alle Gesellschafterdarlehen den
mit dem MoMiG eingeführten Rechtsfolgen zu unterwerfen. Diese Rechtsfolgen leiten sich aus dem Prinzip der Haftungsbeschränkung bei
Kapitalgesellschaften her, dessen missbräuchlicher Ausnutzung durch die Gesellschafter begegnet werden soll (Habersack ZIP 2007, 2145,
2147; Huber in Festschrift Priester, S. 259, 275; Uhlenbruck-Hirte, Insolvenzordnung, 13. Aufl. 2010, § 39 Rn. 33). Während nach altem Recht es
einer inhaltlichen Begründung dafür bedurfte, weshalb ein Gesellschafterdarlehen oder ein entsprechendes Drittdarlehen
eigenkapitalersetzenden Charakter hat oder aus anderen Gründen eine Sonderbehandlung verdient, liegt dem MoMiG der Grundgedanke zu
Grunde, dass von einem Gesellschafter zur Verfügung gestelltes Fremdkapital immer eine Sonderbehandlung verdient.
25 Aus dieser der gesetzlichen Neuregelung zu Grunde liegenden Konzeption ist zu schließen, dass bei der Einbeziehung gesellschaftergleicher
Dritter in den Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO Zurückhaltung geboten ist (so auch Habersack ZIP 2008, 2385, 2388). Einer im
Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehenen Ausweitung der Einbeziehung gesellschaftsgleicher Dritter durch entsprechende Anwendung des § 138
InsO steht mithin der Sinn und Zweck der Neukonzeption durch das MoMiG entgegen.
26 Im Ergebnis ist also die Anwendung des § 138 InsO als taugliches Kriterium für die Einbeziehung Dritter in den Anwendungsbereich des § 39
Abs. 1 Nr. 5 InsO mit der überwiegenden Ansicht in der Literatur abzulehnen (Uhlenbruck-Hirte a.a.O. Rn. 40; Lutter/Hommelhoff-Kleindiek a.a.O.
Rn. 120; Habersack ZIP 2007, 2145, 2148; derselbe ZIP 2008, 2385, 2387 f; im Ergebnis wohl auch: Huber in Festschrift Priester, S. 259, 279 f).
(3)
27 Zu Recht hat das Landgericht die wirtschaftliche Gleichstellung der streitgegenständlichen Darlehen mit Gesellschafterdarlehen aus anderen
Gründen verneint.
28 Zuzubilligen ist dem Beklagten zwar, dass unter der Geltung des MoMiG die Rechtsprechung zum alten Recht, die den Grundsatz der
Finanzierungsfolgenverantwortung entwickelt hat, nicht mehr uneingeschränkt herangezogen werden kann. Insoweit verlangt die Herleitung der
Rechtsfolgen des Gesellschafterdarlehens aus dem Prinzip der Haftungsbeschränkung nur die Einbeziehung von Darlehen, die, wenn auch von
einem Nichtgesellschafter gewährt, auf Rechnung des Gesellschafters gehen (so auch Habersack ZIP 2003, 2389). Welche Fallgruppen im
Einzelnen hierunter fallen, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Denn wie das Landgericht richtig ausgeführt hat, fehlt es an jeglicher
Kapitalbeteiligung der Kläger an der insolventen Gesellschaft. Auch eine vergleichbare Finanzierungsverantwortung der Kläger an der
Insolvenzschuldnerin ist nicht ersichtlich. Die einzige gesellschaftsrechtliche Verbindung zwischen Insolvenzschuldnerin und Klägerin Ziff. 1 ist
die, dass die Klägerin Ziff. 1 zu 50 % an der … + … M… GmbH & Co. KG beteiligt ist, deren Kommanditist die Insolvenzschuldnerin neben dem
Geschäftsführer der Komplementärgesellschafterin der Klägerin ist. Organschaftliche Einflussrechte der Klägerin Ziff. 1 auf die
Insolvenzschuldnerin sind damit - wie das Landgericht richtig ausführt - nicht verbunden.
29 Schließlich kann nach der Neukonzeption durch das MoMiG auch keine Nachrangigkeit der streitgegenständlichen Darlehen wegen eines
etwaigen Informationsvorsprungs oder wegen fehlender Kreditwürdigkeit der Insolvenzschuldnerin zum Zeitpunkt der Darlehensvergabe
angenommen werden. Wie bereits dargelegt, ist mit dem Wegfall des Krisenmerkmals dem Konzept der Finanzierungsfolgenverantwortung seine
rechtsdogmatische Grundlage genommen worden. Das Prinzip der Haftungsbeschränkung als dogmatische Grundlage für die Rückstufung der
Gesellschafterdarlehen steht einer Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO aus Billigkeitsgründen entgegen, soweit die
gesetzlichen Voraussetzungen („die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen“) nicht gegeben sind.
III.
30 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
31 Die Revision ist zuzulassen, da die streitentscheidende Rechtfrage bisher noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde. Die Rechtssache hat
mithin grundsätzliche Bedeutung, eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs würde der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung zu den Anwendungsfällen des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO dienen.