Urteil des OLG Stuttgart vom 16.02.2005

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OLG Stuttgart Beschluß vom 16.2.2005, 4 Ss 582/04
Bußgeldverfahren: Verfahrensfehlerhafte Nichteinhaltung zugesagter Wahrunterstellung zu behaupteten Folgen eines Fahrverbots
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 28. Juni 2004 im Rechtsfolgenausspruch mit den
Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Heilbronn
zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Gründe
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I. Das Amtsgericht Heilbronn setzte gegen den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine
Geldbuße von 250 EUR und ein Fahrverbot von einem Monat fest. Nach den Feststellungen fuhr am 03. Juni 2003 mit seinem Pkw, amtliches
Kennzeichen, auf der Bundesautobahn A 6 von Nürnberg in Richtung Mannheim. Nach der Einmündung der Autobahn A 81 ist die
Geschwindigkeit wegen Verengung der Fahrspuren auf 100 km/h begrenzt, was dem Betroffenen bewusst war. Gleichwohl beschleunigte er sein
Fahrzeug auf mindestens 159 km/h.
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Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt. Er rügt die Verletzung von Verfahrensrecht und von sachlichem
Recht. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, da der Betroffene mit einer Verfahrensrüge
durchdringe, und das Rechtsmittel im Übrigen als unbegründet zu verwerfen.
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II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs hingegen
kann ihr ein vorläufiger Erfolg nicht versagt werden.
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1. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist der Bußgeldbescheid wirksam zugestellt worden, sodass er die Verjährung unterbrach (§ 33
Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG). Er wurde am 21. Juli 2003 im Wege der Ersatzzustellung ausgehändigt, die im Büro der Gesellschaft bürgerlichen
Rechts, der der Betroffene angehört, beschäftigt war (§ 51 Abs. 1 OWiG, § 3 Abs. 3 LVerwZG, § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Es ist unerheblich, dass
bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und nicht beim Betroffenen selbst beschäftigt war, denn dieser ist Mitglied der Gesellschaft.
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2. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
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Bei dem angewendeten Police-Pilot-System (ProViDa) handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Hamm VRS 100, 61;
OLG Köln VRS 97, 442; Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 3 Rdnr. 99), so dass in den Urteilsgründen lediglich -
neben der Bezeichnung des Verfahrens - die gemessene und die ermittelte Geschwindigkeit sowie die Messtoleranz aufzuführen sind, sofern
keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fehlmessung vorliegen (vgl. BGHSt 39, 291; 43, 277). Diesen Anforderungen ist das Amtsgericht nur
unvollständig nachgekommen, indem es lediglich die Geschwindigkeit nach Abzug der Toleranz (159 km/h), nicht aber den Toleranzwert selbst
(vgl. UA S. 6: „...nach Abzug großzügiger Toleranzen...“) oder die Geschwindigkeit vor dessen Abzug mitteilt. Jedoch ist dies im Ergebnis
unschädlich, da einzelne Messwerte angegeben werden (UA S. 6). Hiernach hat das Polizeifahrzeug an vier Messpunkten eine Geschwindigkeit
von mindestens 168 km/h eingehalten. Da sich während der Messung der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen vergrößerte, fuhr der
Betroffene schneller als das Polizeifahrzeug, mindestens aber mit dessen Geschwindigkeit. Die vom Amtsgericht zugrunde gelegte
Geschwindigkeit von 159 km/h ist gegenüber 168 km/h um ca. 5 % vermindert. Dies ist der bei diesem Messverfahren übliche Toleranzwert (vgl
Janiszewski/Jagow/Burmann aaO).
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Angesichts der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung konnte das Amtsgericht von vorsätzlicher Begehungsweise ausgehen (vgl. BGHR
StVG § 25 Fahrverbot 3; KG NZV 2004, 598). Unerheblich ist, ob der Tachometer noch auf „Meilen“ eingestellt war, denn der Betroffene nahm
anhand der hohen Geschwindigkeit wahr, dass er sich über die vorgeschriebene Geschwindigkeit hinweg setzte.
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3. Der Rechtsfolgenausspruch hingegen kann keinen Bestand haben, da die vom Beschwerdeführer in zulässiger Weise erhobene
Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe sich nicht an zugesagte Wahrunterstellungen gehalten, begründet ist.
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Der Betroffene hat in der Hauptverhandlung unter Beweis gestellt, bei Verlust seines Führerscheins, auch nur für einen Monat, sei seine
berufliche Existenz bedroht und die Existenz der Firma Iff konkret in der Existenz gefährdet. Ferner sei der Einsatz eines Fremdfahrers nicht
möglich. Das Gericht hat in der Hauptverhandlung vom 23. Juni 2004 den Antrag abgelehnt, weil die Tatsachen als wahr unterstellt würden. Im
angefochtenen Urteil hingegen ist das Amtsgericht davon ausgegangen, es sei für den Betroffenen bzw. die Gutachtersozietät nicht
existenzgefährdend, wenn er mit einem Fahrverbot belegt werde. Wirtschaftlich sei es ihm ohne weiteres möglich, für die Zeit des Fahrverbots
einen Aushilfsfahrer zu beschäftigen. Zwar handelt es sich bei den o.a. Behauptungen mangels Bestimmtheit nicht um Beweisanträge im Sinne
des § 244 Abs. 3 StPO, § 77 Abs. 2 OWiG. Jedoch darf das Gericht - worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist - auch dann von
einer zugesagten Wahrunterstellung nicht abweichen, wenn die Beweisbehauptung nicht genügend konkretisiert war und der Antrag aus
anderen Gründen hätte abgelehnt werden können; dies gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. BGHSt 32, 44; 40, 169 [185]; BGH
NStZ-RR 1998, 13; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985, 14 Nr. 12, 13; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 244 Rdnr. 71). Unmittelbar ist hiervon
das Fahrverbot betroffen; angesichts der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot kann aber der gesamte Rechtsfolgenausspruch
keinen Bestand haben (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 26. April 2004 - 4 Ss 134/04).
10 III. Für die neue Hauptverhandlung ist auf folgendes hinzuweisen:
11 1. Die Verhängung eines Fahrverbotes kommt vorliegend auch noch in Betracht, obgleich die Tat - begangen am 03. Juni 2003 - bereits über ein
Jahr acht Monate zurückliegt. Zwar weist die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darauf hin, dass der BGH (wistra 2002, 57 = ZfS 2004, 133) die
Verhängung eines Fahrverbots gemäß § 44 StGB nach einem Jahr neun Monaten seit Begehung der Tat als Warnungs- und Besinnungsstrafe
nicht für geeignet hält. Indes ist zu berücksichtigen, dass vorliegend die Verzögerungen des Verfahrens auch im Einflussbereich des Betroffenen
und seines Verteidigers liegen (vgl. die Verlegungsanträge vom 24. September 2003 und vom 22. Dezember 2003 sowie das Vorbringen in der
Hauptverhandlung vom 10. November 2003, welches hätte angekündigt werden können). Nicht verkannt wird, dass es auch im Bereich des
Gerichts zu Verzögerungen gekommen ist (beruhend insbesondere auf Terminsverlegungen anlässlich der Verhinderung von Zeugen; es
bedurfte über einen Monat bis das am 28. Juli 2004 zu den Akten gebrachte Urteil dem Verteidiger zugestellt werden konnte). Deshalb ist die
Verhängung eines Fahrverbots auch nach Zurückweisung der Sache an das Amtsgericht nicht ausgeschlossen, sofern der Zeitraum zwischen
Tat und Urteil in etwa zwei Jahre nicht übersteigt (vgl. Janiszewski/Jagow/Burmann aaO § 25 StVG Rdnr. 1 b m.w.N.), wobei auch insoweit zu
berücksichtigen ist, in wessen Einflussbereich eine mögliche weitere Verzögerung des Verfahrens fällt.
12 2. Sofern dem Betroffenen die Eintragung im Verkehrszentralregister erneut angelastet werden soll (vg. UA Seite 3, 7), ist § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1,
Abs. 4 Nr. 3 StVG (Tilgung und daraus resultierend Verwertungsverbot) zu beachten.