Urteil des OLG Stuttgart vom 18.03.2009

OLG Stuttgart (abweisung der klage, kläger, wesentlicher grund, stichtag, aug, grund, höhe, wert, bezug, zpo)

OLG Stuttgart Urteil vom 18.3.2009, 15 UF 241/08
Leitsätze
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
Aktenzeichen des BGH: XII ZR 69/09
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe
zurückgewiesen,
dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 35.991,22 EUR zuzüglich 5 Prozentpunkte über dem Basiszins
seit 30.07.2005 zu zahlen.
2. Es verbleibt bei der Kostenentscheidung erster Instanz. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens:
35.991,22 EUR.
Gründe
I.
1
Im Streit ist der Zugewinnausgleich. Die Parteien haben am 27.02.1998 die Ehe geschlossen. Sie sind auf
Grund des am 26.05.2004 zugestellten Scheidungsantrags seit 25.04.2005 rechtskräftig geschieden.
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Der Kläger hat der Beklagten mit notariellem Übergabevertrag vom 14.10.1998 „im Wege der
vorweggenommenen Erbfolge“ sein bisher in seinem Alleineigentum stehendes Hausgrundstück „?? 1“ in X.
sowie einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem benachbarten Flurstück übertragen. Im Gegenzug räumte
die Beklagte dem Kläger ein durch die Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit abgesichertes
Wohnrecht an der Wohnung im Obergeschoss des Hauses ein und verpflichtete sich u.a. zur häuslichen
Versorgung des Klägers in alten und kranken Tagen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den
Übergabevertrag (Bl. 46/50) Bezug genommen.
3
Die Parteien haben in erster Instanz wechselseitig, der Kläger im Wege der Stufenklage, die Beklagte im Wege
der Widerklage, Auskunft über das Endvermögen des jeweils anderen Ehegatten begehrt. Nach
Auskunftserteilung hat der Kläger seinen Zugewinnausgleichsanspruch auf 60.991,00 EUR beziffert. Das
Familiengericht hat zu seinen Gunsten einen Anspruch in Höhe von 35.991,22 EUR ermittelt und die Beklagte
entsprechend zur Zahlung verurteilt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
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Mit ihrer Berufung erstrebt die Beklagte insgesamt die Abweisung der Klage.
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Sie rügt, dass in ihrem Endvermögen das Darlehen für den Erwerb des Pkw’s Mini Cooper mit 23.690,00 EUR
nicht berücksichtigt worden sei und sich deshalb ihr Endvermögen entsprechend verringere.
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Außerdem sei das Grundstück in X., das sie vom Kläger durch den nach Eheschließung geschlossenen
Übertragungsvertrag erhalten habe, ihrem Anfangsvermögen zuzurechnen, weil es sich um einen typischen
Übergabevertrag im Wege vorgenommener Erbfolge handele.
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Sie beantragt,
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das am 08.09.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht -Heilbronn 3 F
1800/05 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10 Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
12 Er verweist darauf, dass die Parteien in der mündlichen Verhandlung die Passiva im Endvermögen der
Beklagten mit 304.672,00 unstreitig gestellt hätten, so dass weitere Verbindlichkeiten nicht zu berücksichtigen
seien.
13 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen
Entscheidung sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
14 Die zulässige Berufung ist unbegründet.
15 Zur Klarstellung war der Urteilstenor des angefochtenen Urteils im Hinblick auf den versehentlich nicht
aufgenommenen Zeitpunkt des Zinsbeginns - Zustellung der Stufenklage am 29.07.2005 - zu ergänzen.
16 Dem Kläger steht gemäß § 1378 Abs. 1 BGB mindestens ein Anspruch in der vom Familiengericht ermittelten
Höhe von 35.991,22 EUR zu.
1.
17 Der Kläger hat keinen Zugewinn erzielt.
18 Bei Eingehung der Ehe am 27.02.1998 war er Alleineigentümer des Wohn- und Geschäftshauses in X.. Nach
den Feststellungen der Sachverständigen H. im Gutachten vom 20.10.2006 (Bl. 192/264) belief sich der
Verkehrswert des Grundstücks zu diesem Stichtag auf 315.000,00 EUR.
19 Sein Endvermögen bestand zum Stichtag 26.05.2004 unstreitig aus
20
Aktiva (Bl. 21/23) von
261,67 EUR
sowie Passiva von (Bl. 24/28) 22.253,88 EUR
2.
21 Die Beklagte hat während der Ehe einen Zugewinn in Höhe von 89.024,61 EUR erzielt. Dieser errechnet sich
wie folgt:
22
Anfangsvermögen zum 27.02.1998 0,00 EUR.
23 Zurechnungen zum Anfangsvermögen gemäß § 1374 Abs. 2 BGB auf Grund des notariellen
Übertragungsvertrags vom 14.10.1998 sind, unabhängig davon, ob die Grundstücksübertragung rechtlich als
Schenkung oder als vorweggenommene Erbfolge zu werten ist , nicht vorzunehmen.
24 Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind Schenkungen unter Ehegatten nicht dem Anfangsvermögen
des Beschenkten nach § 1374 Abs. 2 BGB zuzurechnen (vgl. BGH, FamRZ 1987, 791, 793; FamRZ 1988,
373, 375). Wesentlicher Grund für die von dem gesetzlichen Regelfall, wonach sämtliche
Vermögensgegenstände in den Zugewinnausgleich fallen, unabhängig davon, ob der den Ausgleich fordernde
Ehegatte zum Erwerb des Vermögensgegenstandes beigetragen hat, abweichende Regelung ist, dass die in §
1374 Abs. 2 BGB genannten Erwerbsvorgänge auf besonderen persönlichen Beziehungen des erwerbenden
Ehegatten oder auf ähnlichen Umständen beruhen. Bei einer Schenkung unter Ehegatten sprächen jedoch
diese Umstände für eine Einbeziehung in den Zugewinnausgleich, so dass nach § 1374 Abs. 2 ZPO nur
Schenkungen von dritter Seite zu berücksichtigen seien.
25 Zwar ist eine höchstrichterliche Entscheidung zur Behandlung einer unter Ehegatten im Wege der
vorweggenommenen Erbfolge vorgenommenen Übertragung von Vermögensgegenständen noch nicht
ergangen. Jedoch ist auch hier die Zurechnungsvorschrift des § 1374 Abs. 2 BGB im genannten Sinne
einschränkend auszulegen, weil auch in diesem Fall nur eine Vermögensverschiebung unter den Ehegatten,
nicht jedoch eine echte Vermögensmehrung stattfindet.
26 Dabei ist unerheblich, dass nach Wegfall des gesetzlichen Ehegattenerbrechts (§§ 1931, 1933 BGB) auf Grund
der zwischenzeitlichen Scheidung der Parteien die Grundlage für die Übertragung entfallen ist, nachdem
bislang keine der Parteien eine Anpassung des Vertrags nach § 313 BGB verlangt hat. Auch ist dem Verzicht
auf das Pflichtteilsrecht nach dessen Wegfall auf Grund der Scheidung kein Wert mehr beizumessen.
27 Zum Stichtag 26.05.2004 ergibt sich auf Seiten der Beklagten folgendes Endvermögen:
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Aktiva:
Pkw Mini Cooper (unstr., Bl. 289)
23.690,00 EUR
Lebensversicherung (unstr.)
11.583,16 EUR
Guthaben Kontokorrentkonto Voba (unstr.)
281,28 EUR
Grundstück (vgl. Gutachten Bl. 192/264 )
395.000,00 EUR
abzügl. Belastung Nießbrauch und Pflege
- 56.000,00 EUR
Anteil Flurstück 7456/1
2.100,00 EUR
insgesamt:
376.654,44 EUR
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Passiva:
Ausgehend von der den Positionen nach unstreitigen Aufstellung vom 26.10.2005 (Bl. 16/17 i.V.m. Bl.
289) belaufen sich die Verbindlichkeiten
- ohne Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen gemäß II. Nr. 3a des Übergabevertrags vom
14.10.1998 in Höhe von insgesamt 250.000 DM
- auf (304.672,00 EUR - 127.822,97 EUR)
176.849,03
EUR.
30
Hinzuzurechnen ist weiter das zum Erwerb des Mini Coopers bei der BMW Bank GmbH
aufgenommene Darlehen mit
23.690,00
EUR.
31 Die Erklärung der Parteien im Termin vom 26.03.2007, in dem diese das Endvermögen der Beklagten - ohne
Berücksichtigung der Darlehensverbindlichkeit für den Mini Cooper - unstreitig gestellt haben, ist nicht
dahingehend auszulegen, dass keine weiteren Verbindlichkeiten vorhanden sind. Denn ersichtlich sollten
prozessuale Erklärungen nur zu den im Termin erörterten Positionen abgegeben und nicht weitergehend erklärt
werden, dass weitere Positionen nicht bestehen.
32 Weiter sind die von der Beklagten nach dem Übertragungsvertrag übernommenen Verpflichtungen im
Endvermögen als Verbindlichkeiten zu berücksichtigen.
33 Hierzu gehören neben der nach II. Nr. 2 übernommenen Pflegeverpflichtung, die im Sachverständigengutachten
vom 20.10.2006 (Bl. 222) bereits berücksichtigt ist, die nach II. Nr. 3 übernommenen Ausgleichszahlungen
sowie die Übernahme der Grabpflege- und Bestattungskosten gemäß II. Nr. 4 a) und b).
34 Insoweit handelt es sich um betagte Forderungen, deren Wert nach § 1376 Abs. 2 und 3 BGB zu ermitteln ist
und die auf den Stichtag der Vermögensübernahme am 14.10.1998 abzuzinsen sind (vgl. BGH, NJW 1990,
1217, 1219).
35 Bei Zugrundelegung der vom statistischen Bundesamt veröffentlichten aktuellen Sterbetafeln (2005/2007) hat
der am 13.11.1922 geborene Kläger bei vollendetem 86. Lebensjahr statistisch gesehen eine Lebenserwartung
von 5,04 Jahren. Bezogen auf den Stichtag 14.10.1998 ist der Wert der übernommenen Ausgleichzahlungen
von 250.000 DM (=127.822,97 EUR) auf insgesamt 15 Jahre abzuzinsen.
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Bei einem durchschnittlichen Zinssatz von 3,5 %, den auch die Sachverständige bei der Bewertung des
Wohnungsrechts und der Pflegeleistungen
zu Grunde gelegt hat, ergibt sich ein Abzinsungswert von 0,5969 und damit ein Wert der
Ausgleichszahlung von (127.822,97 EUR *0,5969)
76.297,53
EUR.
37
Die nach II Nr. 4 a von der Beklagten übernommenen Grabpflegekosten schätzt der Senat auf
insgesamt
11.420,45
EUR.
38
38
Sie setzen sich aus den von der Beklagten angesetzten Friedhofsgebühren von insgesamt
2.386,00
EUR,
den Steinmetzarbeiten während der Liegezeit von
582,35
EUR,
den Kosten für das Abtragen und Entsorgen der Grabanlage mit
452,10
EUR
sowie den Kosten für die Bepflanzung einschließlich der Blumengebinde an Gedenktagen von
insgesamt (400 EUR jährlich * 20 Jahre)
8.000,00
EUR
zusammen.
39 Insoweit sind nur die reinen Materialkosten berücksichtigungsfähig, weil sich die Beklagte nach dem Vertrag
„ohne weitere Entschädigung“ zur Grabpflege, verpflichtet hat. Der auf Seiten der Beklagten anfallende
Zeitaufwand ist danach ebensowenig zu berücksichtigen wie die Kosten, die durch eine Dauergrabpflege durch
einen Gärtner entstehen.
40 Der Betrag von 11.420,45 EUR ist auf den Stichtag 14.10.1998 entsprechend den obigen Ausführungen
abzuzinsen.
41
Im Endvermögen ist danach eine Verbindlichkeit von
(11.420,45 EUR * 0,5969)
6.816,87
EUR
zu berücksichtigen
Schließlich sind die Bestattungskosten, die die Beklagte mit insgesamt 6.661,75 EUR beziffert hat,
abgezinst auf (6.661,75 EUR *0,5969)
3.976,40
EUR
zu berücksichtigen.
Die Verbindlichkeiten belaufen sich danach auf insgesamt:
287.629,83
EUR.
42 Das Endvermögen der Beklagten beträgt danach (376.654,44 EUR - 287.629,83 EUR) 89.024,61 EUR. Da auf
Seiten der Beklagten kein Anfangsvermögen zu berücksichtigen ist, stellt dieser Betrag zugleich den Zugewinn
dar. Zu Gunsten des Klägers ergibt sich danach rechnerisch ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 44.512,31
EUR, der nach wegen des im Berufungsverfahren geltenden Verschlechterungsverbots auf den ausgeurteilten
Betrag von 35.991,22 EUR begrenzt ist.
3.
43 Die Ausgleichsforderung ist gemäß §§ 291, 288 BGB ab Rechtshängigkeit mit dem gesetzlichen Zinssatz zu
verzinsen.
III.
44 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit
beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
45 Die Zulassung der Revision erfolgt zur Klärung der Frage, ob Zuwendungen unter Ehegatten, die im Wege
vorweggenommener Erbfolge erfolgt sind, dem Anfangsvermögen des Zuwendungsempfängers nach § 1374
Abs. 2 BGB zuzurechnen sind.