Urteil des OLG Stuttgart vom 25.09.2003

OLG Stuttgart: altersrente, versorgung, realteilung, satzung, abschlag, deckungskapital, eherecht, umrechnung, zahnarzt, analogie

OLG Stuttgart Beschluß vom 25.9.2003, 16 UF 208/02
Versorgungsausgleich: Ausgleichsbetrag aus der Ärzteversorgung Baden-Württemberg bei vorzeitiger Altersrente
Tenor
1. Auf die Beschwerden der Baden-Württembergischen Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte sowie der Antragstellerin wird
das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Tettnang vom 4.9.2002 in seiner Ziff. 2 wie folgt abgeändert:
Zu Lasten des Versicherungskontos Nr. ... des Antragsgegners bei der Baden-Württembergischen Versorgungsanstalt
für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte werden im Wege der Realteilung Anwartschaften im Wert von monatlich 1.568,47
EUR, bezogen auf den 28.2.2002, auf einem neu einzurichtenden Konto der Antragstellerin bei dieser
Versorgungsanstalt begründet.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Beschwerdewert: 1.840,00 EUR
Gründe
I.
1
Das Familiengericht hat die am 22.12.1962 geschlossene Ehe der Parteien auf den am 5.3.2002 zugestellten Scheidungsantrag der Ehefrau
und den später zugestellten Gegenantrag des Ehemannes geschieden und den Versorgungsausgleich durch Realteilung des für den
Ehemann bei der Beschwerdeführerin Ziff. 1 bestehenden Versorgungsanspruchs zugunsten der Ehefrau in Höhe von 1.415,16 EUR
monatlich, bezogen auf den 28.2.2002, geregelt. Der Scheidungsausspruch wurde durch ausdrücklich nur hierauf bezogenen beiderseitigen
Rechtsmittelverzicht sogleich rechtskräftig. Die Entscheidung über den Versorgungsausgleich ist Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
2
Das Urteil wurde der Beschwerdeführerin Ziff. 1, der Baden-Württembergischen Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte (im
folgenden Versorgungsanstalt), am 11.9.2002 und dem Prozessbevollmächtigten der Ehefrau (Beschwerdeführerin Ziff. 2) am 10.9.2002
zugestellt. Beide haben gegen den Ausspruch zum Versorgungsausgleich Beschwerde eingelegt und sie sogleich begründet. Das
Rechtsmittel der Versorgungsanstalt ging am 13.9.2002, das Rechtsmittel der Ehefrau am 24.9.2002 beim Oberlandesgericht Stuttgart ein.
Beide beantragen übereinstimmend, die Entscheidung der Höhe nach dahin abzuändern, dass der Ausgleichsbetrag auf 1.568,47 EUR
bemessen wird.
3
Der Ehemann ist den Beschwerden entgegengetreten. Die weitere Beteiligte (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) hat nicht Stellung
genommen.
II.
4
Während der gesetzlichen Ehezeit, die gem. § 1587 Abs. 2 BGB vom 1.12.1962 bis 28.2.2002 rechnet, hat die Ehefrau lediglich
Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben, deren Ehezeitanteil sich auf monatlich 386,45 EUR beläuft (alle Angaben
bezogen auf das Ende der Ehezeit). Der Ehemann, Zahnarzt im Ruhestand, hat ausschließlich Anwartschaften bei der Versorgungsanstalt
erworben, der er seit 1.9.1964 (also nach Eheschließung) angehört. Beide Parteien waren am Ende der Ehezeit bereits
Versorgungsempfänger: Die Ehefrau bezieht eine Altersrente ab Vollendung des 60. Lebensjahres, also ab 1.5.1997, der Ehemann eine
Rente von der Versorgungsanstalt ab 1.12.1997, die zum Ende der Ehezeit monatlich 3.216,76 EUR betrug. Die Satzung der
Versorgungsanstalt sieht eine regelmäßig beginnende Altersrente mit Vollendung des 65. Lebensjahres des Teilnehmers vor, räumt jedem
Teilnehmer jedoch das Recht zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente ein, aber mit der Maßgabe, dass sich für jeden Monat der
vorzeitigen Inanspruchnahme die Rente um 0,3 % kürzt. Da der Ehemann von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und ein um 29 Monate
vorgezogenes Altersruhegeld bezogen hat, ist der Zahlbetrag um 8,7 % niedriger als bei Rentenbeginn mit Vollendung des 65.
Lebensjahres. Ohne die vorzeitige Inanspruchnahme hätte sein Altersruhegeld, berechnet aus den (ausschließlich in der Ehezeit)
geleisteten Beiträgen, monatlich 3.523,38 EUR betragen.
5
Das Familiengericht, dessen Entscheidung der Ehemann verteidigt, hat nur den gekürzten Betrag in die Ausgleichsberechnung eingestellt
und so einen Ausgleichsbetrag zugunsten der Ehefrau gem. § 1587 a Abs. 1 Satz 2 BGB von (3.216,76 EUR – 386,45 EUR) : 2 = 1.415,16
EUR errechnet; der Satzung der Versorgungsanstalt entsprechend, hat es den Ausgleich durch Realteilung angeordnet. Die
Beschwerdeführerinnen sind der Auffassung, dass der rechnerisch ungekürzte Versorgungsanspruch des Ehemannes in die
Ausgleichsberechnung einzustellen sei, und erstreben demgemäß eine Erhöhung des Ausgleichsbetrages auf (3.523,38 EUR – 386,45
EUR) : 2 = 1.568,47 EUR. Sie verweisen zur Begründung auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart – 17. Zivilsenat –, FamRZ
1999, 863, die Versorgungsanstalt zusätzlich auf eine bislang noch nicht veröffentlichte Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 13.5.2003, 18
UF 134/02.
III.
6
Die Beschwerde der Versorgungsanstalt als Trägerin der auszugleichenden Versorgung und die – selbständige – Beschwerde der Ehefrau,
die eine ihr günstigere Entscheidung erstrebt, sind statthaft gem. §§ 629 a Abs. 2, 621 e Abs. 1 ZPO und auch sonst zulässig, insbesondere
fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie haben auch in der Sache Erfolg.
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Der Streit der Beteiligten geht darum, ob sich der Ausgleichsbetrag aus der (fiktiven) ungekürzten Rente des Ehemannes aus der Baden-
Württembergischen Ärzteversorgung errechnet oder ob der Abschlag, den der Ehemann wegen der bereits während der Ehe erfolgten
vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente bei der Höhe der Versorgung hat hinnehmen müssen, die Höhe des Ausgleichsbetrages
beeinflusst (so hat das Familiengericht entschieden).
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Das System zur Berechnung der Versorgungsansprüche aus der Baden-Württembergischen Ärzteversorgung entspricht demjenigen der
gesetzlichen Rentenversicherung. Jeder Teilnehmer der Versorgungsanstalt erwirbt jährlich eine als Prozentwert ausgedrückte
Jahresleistungszahl, deren Höhe dem Verhältniswert seines Jahresbeitrages zum durchschnittlichen Beitrag aller Teilnehmer entspricht. Die
Jahresleistungszahlen während der gesamten Versicherungsdauer werden aufaddiert. Im Leistungsfall werden sie zur Errechnung der
Leistungshöhe mit dem Punktwert multipliziert, den die Versorgungsanstalt jährlich neu anhand der vorhandenen Mittel (d. h. im
wesentlichen des Gesamtbeitragsaufkommens der Teilnehmer im Versicherungsjahr) und der voraussichtlich zu erfüllenden Leistungen
festsetzt. Das entspricht dem System der gesetzlichen Rentenversicherung, in der die vom Versicherten jährlich erworbenen Entgeltpunkte
(nach dem gleichen Schema wie die Jahresleistungszahl errechnet) im Leistungsfall mit dem im jeweiligen Versicherungsjahr gültigen
aktuellen Rentenwert (vergleichbar mit dem Punktwert) multipliziert werden, um die Rentenhöhe zu errechnen. Für die Bewertung dieser
Versorgung im Versorgungsausgleich ist deshalb § 1587 a Abs. 2 Nr. 4 d einschlägig ( Johannsen/Henrich/Hahne, Eherecht, 3. Aufl., § 1587
a Rdnr. 221; a. M OLG Stuttgart – 17. ZS – FamRZ 1999, 863, sowie OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.05.2003, 18 UF 134/02: Nr. 4 c). Die
Vorschrift sieht vor, dass die nach der jeweiligen Versorgungsordnung sich bei Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags
errechnende Rente wegen Alters als Ausgangspunkt genommen und der Ehezeitanteil nach dem Zeit-Zeit-Verhältnis der
Versicherungszugehörigkeit während der Ehe zur bisherigen Gesamtversicherungszugehörigkeit ermittelt wird. Letzteres ist hier
unproblematisch, denn der Ehemann gehört der Baden-Württembergischen Ärzteversorgung erst seit 1964 an, ist aber seit 1962 verheiratet
gewesen; die Versorgung ist also insgesamt in der Ehezeit "erdient". Fraglich ist hingegen, ob als Ausgangspunkt eine fiktiv (ohne den
tatsächlich erfolgten Abschlag wegen vorzeitigen Rentenbezugs) errechnete "Rente wegen Alters" zu nehmen ist (dann hätten die
Beschwerdeführerinnen Recht) oder aber die bereits bezogene, gekürzte Rente (dann hätte es bei der Berechnung des Familiengerichts zu
verbleiben).
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Nach der Mitteilung der Baden-Württembergischen Ärzteversorgung in ihrer Beschwerdebegründung, wonach sich die Kürzung wegen
vorzeitigen Rentenbezugs nach Durchführung des Versorgungsausgleichs nur bei den dem Ausgleichsverpflichteten verbleibenden
Anwartschaften auswirkt (im vorletzten Absatz spricht die Beschwerdebegründung allerdings vom "Ausgleichsberechtigten", was aber nach
dem Gesamtzusammenhang nicht gemeint sein kann und im nachfolgenden Schriftsatz vom 17.10.2002 klarstellend berichtigt worden ist;
dies deckt sich mit § 46 Abs. 2 der Satzung der Baden-Württembergischen Ärzteversorgung, kommt dort aber nicht ganz eindeutig zum
Ausdruck), führt weder die eine noch die andere Lösung dazu, dass die geteilten Versorgungsansprüche nach Durchführung der Teilung
gleich hoch sind. Denn der Ausgleichsbetrag wird rechnerisch von der ungekürzten Rente des Ehemannes abgezogen, und nur der ihm
sodann verbleibende Betrag wird der Kürzung unterworfen. Das führt zu folgender Berechnung:
10
FamG
BeschwF
Ärzteversorgung Ehemann
3.216,76
3.523,38
Gesetzliche Rente Ehefrau (Ehezeitanteil)
386,45
386,45
Differenz
2.830,31
3.136,93
Ausgleichsanspruch
1.415,16
1.568,47
Restanspruch Ehemann (= x 91,3 %)
1.924,81
1.784,84
Gesamtversorgung Ehefrau
1.801,61
1.954,92
11
Wollte man eine exakte Halbteilung dahin erreichen, dass beide Ehegatten nach Durchführung des Versorgungsausgleichs über eine gleich
hohe ehezeitbezogene Versorgung verfügen, müsste man den Ausgleichsbetrag x wie folgt errechnen:
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Gesamtversorgung der Ehefrau = eigene Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung + Ausgleichsbetrag = 386,45 EUR + x
13
Restanspruch des Ehemannes = Differenz aus ungekürzter Rente und Ausgleichsbetrag mal 91,3 % = (3.523,38 EUR – x) x 0,913 =
3.523,38 EUR x 0,913 – x x 0,913
14
Wenn beide gleich sein sollen, gilt (alles in EUR):
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x + 386,45 = 3.523,38 x 0,913 – 0,913 x = 3.216,85 – 0,913 x
// + 0,913 x – 386,45
(x + 0,913 x =) 1,913 x = (3.216,85 – 386,45 =) 2.830,40
// : 1,913
16
x = 1.479,56 EUR
17
Eine vergleichbare Lösung wird in Fällen vertreten, in denen bei der Realteilung eines deckungskapitalbezogenen Anrechtes das zu
übertragende Deckungskapital zu einer anders errechneten (wegen des meist höheren Einstiegsalters regelmäßig niedrigeren) Rente führt
als das beim Ausgleichspflichtigen verbleibende (vgl. Ellger , FamRZ 1986, 513; Johannsen/Henrich/Hahne , Eherecht, 3. Aufl., § 1 VAHRG
Rdnr. 17). Das hier zu teilende Anrecht wird jedoch nicht (nur) aus einem Deckungskapital gewährt, vielmehr nach ähnlichen Grundsätzen
errechnet, wie sie für die gesetzliche Rentenversicherung gelten. In der gesetzlichen Rentenversicherung aber wird, auch insoweit ähnlich
wie bei der Baden-Württembergischen Ärzteversorgung, der Ausgleichsbetrag in Entgeltpunkte (einer rechnerisch ungekürzten Rente)
umgerechnet, die dem Ausgleichsberechtigten gutgeschrieben und dem Verpflichteten belastet werden. Erst bei der Umrechnung der
Entgeltpunkte in eine Rente im Leistungsfall wirkt sich – und zwar bei jedem Versicherten unabhängig vom Versorgungsschicksal des
anderen – eine Kürzung aus, die darauf beruhen kann, dass der Versicherte die Rente vorzeitig in Anspruch nimmt. Dies gilt auch, wenn der
Verpflichtete am Ende der Ehezeit bereits eine gekürzte Rente bezieht (vgl. die Ausführungen des OLG Stuttgart – 17. Zivilsenat – in der von
den Beschwerdeführerinnen zitierten, in FamRZ 1999, 863 abgedruckten Entscheidung). Da sich die Regelung des § 1587 a Abs. 2 Nr. 4 d
an die nach Nr. 2 der Vorschrift vorgeschriebene Berechnung des Ehezeitanteils einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
anlehnt (jedenfalls ursprünglich angelehnt hat; die Änderung der letztgenannten Bestimmung durch das RRG 1992 ist in Nr. 4 d nicht
nachvollzogen), erscheint auch dem Senat die vom 17. Zivilsenat a. a. O. (der allerdings Nr. 4 c für einschlägig gehalten hat) gezogene
Analogie zu den Bestimmungen über den Ausgleich von Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung (erst recht) tragfähig.
18
Der dem Ehemann nach der zweiten Lösung (entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerinnen) verbleibende Restanspruch entspricht
genau 91,3 % der "Gesamtversorgung" der Ehefrau. Ohne die Kürzung infolge der Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente wären
die beiderseitigen ehezeitbezogenen Renten nach Durchführung des Versorgungsausgleichs gleichwertig. Der Abschlag beim Ehemann ist
das Äquivalent der infolge des früheren Rentenbeginns verlängerten Laufzeit. Den entsprechenden Vorteil (Rentenbezug ab einem Alter
von 62 Jahren) hat er allerdings mit der Ehefrau während der Ehe geteilt, was grundsätzlich dafür spräche, sie auch an dem
korrespondierenden Nachteil der gekürzten Rente zu beteiligen. Nach § 1587 c Nr. 1 BGB (eine andere Kürzungsmöglichkeit ist nicht
ersichtlich) kommt eine Kürzung des Ausgleichsbetrages aber nur in Betracht, soweit die rechnerische Durchführung grob unbillig erscheint.
Das ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil die hiernach mögliche Kürzung die Versorgungslage der Parteien nur geringfügig
beeinflussen könnte: Unbillig erscheint der Ausgleich nur insoweit, als sich danach eine Besserstellung der Ehefrau ergäbe. Um dem
abzuhelfen, käme (nur) eine Kürzung auf den oben errechneten Betrag von rund 1.480 EUR in Betracht, also um weniger als 90 EUR oder
rund 5 % der sich anschließend für beide Parteien ergebenden Versorgungsbezüge, die auch bei weitem nicht deren einzige
Einkunftsquelle sind (beide sind vermögend und beziehen Mieteinkünfte, die Ehefrau wohnt mietfrei in einem großzügigen Haus; dies ist
aktenkundig aus den in erster Instanz schriftsätzlich erhobenen, nach außergerichtlicher Einigung der Parteien über die
Vermögensauseinandersetzung jedoch fallen gelassenen Einwendungen des Ehemannes gegen die ungekürzte Durchführung des
Versorgungsausgleichs; auf die Schriftsätze vom 18. und 19.6.2002 mit Anl., Bl. 31/83 des Sonderheftes VA, und vom 25.8.2002, Bl. 19
Hauptakte, wird Bezug genommen). Bei dieser Sachlage erscheint die Durchführung des ungekürzten Versorgungsausgleichs aus Sicht des
Ehemannes nicht unerträglich.
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Der Senat hat den Beteiligten trotzdem vorgeschlagen, sich auf den zur exakten Halbteilung führenden Betrag (durch Teilverzicht der
Ehefrau auf den weiter gehenden Ausgleich) zu einigen, um ihnen eine weitere Instanz zuverlässig zu ersparen. Zu einer Einigung kam es
nicht.
IV.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 93 a ZPO, die Festsetzung des Beschwerdewertes auf § 17 a GKG. Die Zulassung der
Rechtsbeschwerde ist nach §§ 621 e Abs. 2, 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung geboten.