Urteil des OLG Stuttgart vom 29.08.2002

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OLG Stuttgart Urteil vom 29.8.2002, 19 U 39/2002; 19 U 39/02
Erbvertrag: Anordnung eines Vorausvermächtnisses über den gesamten Nachlass; teilweise Unwirksamkeit
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 31. Januar 2002 teilweise
abgeändert
und wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin Erbin nach ihrer Mutter A H zu ½ des Nachlasses ist.
2. Es wird festgestellt, dass die Anordnung des Vorausvermächtnisses zugunsten des Beklagten im Testament der A H vom 9. Februar 2000 (...)
insoweit unwirksam ist, als dem Beklagten darin mehr als das gesamte Kapitalvermögen der Erblasserin im Zeitpunkt des Erbfalls zugewandt
worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen haben die Klägerin 1/15 und der Beklagte 14/15 zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Klägerin und Beklagter können die gegen sie gerichtete Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des
zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 115.040,67 EUR
Gründe
1
Die Parteien streiten über die Erbfolge nach ihrer Mutter, Frau A H, die am 3. April 2001 starb.
2
Die Parteien sind Halbgeschwister. Die Klägerin wurde vor der Ehe der Erblasserin mit Herrn H H geboren. Der Beklagte entstammt dieser Ehe.
3
Die Eheleute H schlossen am 13.08.1963 einen Ehe- und Erbvertrag, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und Nacherben für
den Fall der Wiederverheiratung des Überlebenden bestimmten.
4
Am 19.04.1982 ließen die Eheleute einen Nachtrag zu dem Erbvertrag von 1963 notariell beurkunden. Darin setzte der Überlebende der
Eheleute den Beklagten und die Klägerin je zur Hälfte als Erben ein. Weiterhin bestimmten sie:
5
"4. Wir wünschen, dass keines der Kinder beim Tod des zuerst Sterbenden von uns Pflichtteilsansprüche gegen den Überlebenden geltend
macht. Sollte das dennoch der Fall sein, so ist der Überlebende berechtigt, diesen Abkömmling von der Erbfolge auszuschließen. Über diesen
Erbteil kann der Überlebende dann frei verfügen.
6
Sollte der Überlebende wieder heiraten, so ist er ebenfalls berechtigt, über seinen Nachlass frei zu verfügen.
7
Im Übrigen darf der Überlebende lediglich den Nachlass unter den als Schlusserben eingesetzten Kindern durch Vorausvermächtnisse und
Teilungsanordnungen verteilen.
8
5. Ein einseitiges Rücktrittsrecht von den vorstehenden erbvertraglichen Bestimmungen wird nicht vorbehalten."
9
Nachdem Herr H H am 08.03.1986 gestorben war, ließ die Erblasserin am 09.02.2000 ein Testament notariell beurkunden. Darin berief sie
nunmehr den Beklagten zu ihrem Alleinerben. Ergänzend bestimmte sie (§ 2 des Testamentes, letzter Absatz):
10 "Notfalls (ersatzweise) wende ich meinem Sohn meinen gesamten Nachlass als Vorausvermächtnis im Sinne des Nachtrags vom 19. April 1982
zu, insbesondere das Wohnhausgrundstück in ..., und mein gesamtes Kapitalvermögen (Bargeld, Bankguthaben, Wertpapiere, evtl. Aktien u.ä.)
jeweils im Zeitpunkt des Erbfalls."
11 Das Wohnhausgrundstück ... machte fast den gesamten Wert des Vermögens der Erblasserin aus. Daneben bestand im Zeitpunkt ihres Todes
noch ein Kapitalvermögen von etwa 30.000,-- DM.
12 Die Klägerin ist der Auffassung, beide Anordnungen im Testament vom 09.02.2000 seien unwirksam.
13 Sie hat beantragt,
14 1. es wird festgestellt: Die Klägerin ist Erbin nach ihrer Mutter A H zu ½ des Nachlasses.
15 2. die Anordnung des Vorausvermächtnisses zugunsten von Alfred H im Testament vom 9. Februar 2000 ... ist unwirksam.
16 Der Beklagte hat beantragt,
17 die Klage abzuweisen.
18 Er hat die Auffassung vertreten, für den Klageantrag Ziff. 1 fehle der Klägerin ein Feststellungsinteresse. Er habe die rechtliche Würdigung des
bei der Testamentseröffnung tätigen Notarvertreters übernommen und die Unwirksamkeit seiner Einsetzung zum Alleinerben nie in Abrede
gestellt.
19 Der Klageantrag Ziff. 2 sei unbegründet. Das angeordnete Vorausvermächtnis halte sich im Rahmen der Verfügungsbefugnis, die der Erblasserin
zustand.
20 Durch Urteil vom 31. Januar 2002 hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Erbeinsetzung des
Beklagten im Testament vom 9. Februar 2000 verstieße gegen die erbvertragliche Bindung der Erblasserin aus dem notariellen Erbvertrags-
Nachtrag von 1982. Die darin vorgenommene Erbeinsetzung beider Parteien je zur Hälfte sei eine vertragliche Regelung im Sinne von § 2278
BGB, auch wenn sie nicht ausdrücklich als vertragsmäßig bezeichnet sei. Zur Auslegung seien die zur Wechselbezüglichkeit von
Erbeinsetzungen in gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten nach § 2270 BGB entwickelten Regeln entsprechend heranzuziehen. Dabei sei
davon auszugehen, dass die Klägerin auch ihrem Stiefvater H H i.S. von § 2270 Abs. 2 BGB nahe stand, weil sie mit seinem Einverständnis
seinen Familiennamen trug.
21 Das im Testament vom 9. Februar 2000 angeordnete Vorausvermächtnis sei ebenfalls unwirksam. Allerdings sei der Erblasserin im Nachtrag
zum Ehe- und Erbvertrag die Möglichkeit eines Vorausvermächtnisses eingeräumt worden. Ein Vermächtnis liege im Zweifel jedoch nur dann
vor, wenn einzelne Gegenstände oder Rechte einem Berechtigten zugewandt würden. Die Zuwendung des gesamten Nachlasses an den
Beklagten sei hingegen nach der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB als Erbeinsetzung anzusehen. Daran ändere auch ihre Bezeichnung
als "Vorausvermächtnis" nichts. Diese Erbeinsetzung sei wegen der Bindung der Erblasserin unwirksam.
22 Gegen dieses ihm am 06.02.2002 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 05.03.2002 Berufung eingelegt, die er am 05.04.2002 begründet hat.
Die Berufungsbegründungsschrift enthält keine ausdrücklichen Berufungsanträge. Diese hat der Beklagte mit am 24.04.2002 eingegangenem
Schriftsatz nachgereicht. Jedoch führt der Beklagte bereits in der Berufungsbegründung aus, die Erblasserin sei durch den Nachtrag zum
Erbvertrag nicht gehindert gewesen, den Beklagten zu ihrem Alleinerben zu berufen. Die Auslegung der Einsetzung der Parteien zu Miterben im
Nachtrag vom 19.04.1982 anhand der zu § 2270 BGB entwickelten Auslegungsregeln ergebe, dass es sich insoweit um keine vertragsmäßige
Verfügung handele, als die Erblasserin ihre mit Herrn H H nicht verwandte eigene Tochter zur Miterbin bestimmt habe. Diese Abänderung des
älteren Ehe- und Erbvertrages sei ausschließlich im Interesse der Erblasserin geschehen. Sollte das Berufungsgericht die Auffassung des
Landgerichts teilen, dass die Erbeinsetzung unwirksam sei, so sei zumindest das Vorausvermächtnis in gültiger Weise zugewandt worden. Es sei
möglich, ein Universalvermächtnis über den gesamten Nachlass anzuordnen. Dies widerspreche nicht der Auslegungsregel des § 2087 BGB, da
abweichende Bestimmungen des Erblassers dieser Norm vorgingen. Da der Vorbehalt in Ziff. 4 des Nachtrags vom 19.04.1982 keine
quotenmäßige Begrenzung der zugelassenen Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen enthalte, sei er dahin auszulegen, dass eine
freie Verteilung des Nachlasses durch den Überlebenden zulässig sein sollte.
23 Der Beklagte beantragt,
24 unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Ravensburg vom 21.01.2002, Az. 3 O 1325/01, wird die Klage abgewiesen.
25 Die Klägerin beantragt,
26 die Zurückweisung der Berufung.
27 Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt vor, sie habe ein enges und gutes Verhältnis zu ihrem Stiefvater besessen.
28 Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze in beiden Instanzen Bezug genommen. Die
Nachlassakten des Notariats Ravensburg, ..., sind beigezogen.
29 Die Berufung des Beklagten hat nur zum geringeren Teil Erfolg.
I.
30 Die Berufung ist zulässig. Insbesondere enthält die Berufungsbegründung die nach § 519 Abs. 3 Ziff. 3 ZPO a. F. erforderlichen
Berufungsanträge.
31 Allerdings hat der Beklagte darin zunächst keinen ausdrücklichen Berufungsantrag formuliert. Aus der Begründung wird jedoch klar, dass er
seine Verurteilung in beiden Klageanträgen aufgehoben sehen möchte. Er stellt sich auf den Standpunkt, wirksam zum Alleinerben bestimmt
worden zu sein, womit er gegenüber der Feststellung des Landgerichts zu Ziff. 1 den gegenteiligen Standpunkt vertritt. Hilfsweise begehrt er, die
Unwirksamkeit des im Testament vom 09.02.2000 angeordneten Vorausvermächtnisses zu verneinen, d.h. zumindest Klageantrag Ziff. 2
abzuweisen.
32 Dass sich dies jeweils nur konkludent aus dem vom Beklagten in der Berufungsbegründung vertretenen rechtlichen Standpunkt ergibt, ist
unschädlich. § 519 Abs. 3 Ziff. 3 ZPO a. F. erfordert nicht notwendig förmliche Anträge. Vielmehr reicht es aus, wenn die innerhalb der
Begründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergeben, in welchem Umfang und mit
welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (BGH, Beschlüsse vom 13.11.1991 - VIII ZB 33/99, NJW 1992, 698 und vom 13.05.1998 - VIII ZB
9/98, NJW-RR 1999, 211).
II.
33 Die Berufung ist nur zum kleineren Teil begründet. Das Landgericht hat zu Recht die Miterbenstellung der Klägerin zu ½ festgestellt. Auch das
Vorausvermächtnis ist größtenteils unwirksam. Es ist allerdings in dem Umfang aufrecht zu erhalten, wie dem Beklagten das Kapitalvermögen
der Erblasserin allein zugewendet worden ist.
34 1. Der Antrag Ziff. 1, die Miterbenstellung der Klägerin zur Hälfte festzustellen, hat Erfolg.
35 a) Dieser Klageantrag ist zulässig. Insbesondere hat die Klägerin ein nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliches rechtliches Interesse an der
Feststellung ihrer Miterbenstellung.
36 Inwieweit der in 1. Instanz vom Beklagten geltend gemachte Gesichtspunkt, er habe die Unwirksamkeit seiner Einsetzung zum Alleinerben nie in
Abrede gestellt, zur Verneinung eines Feststellungsinteresses hätte führen müssen, kann dahinstehen. Der Beklagte hat nämlich in der
Berufungsbegründung seinen Standpunkt gewechselt. Nunmehr vertritt er ausdrücklich die Ansicht, die Erblasserin sei nicht daran gehindert
gewesen, ihn zu ihrem Alleinerben zu berufen. Damit ist das Feststellungsinteresse der Klägerin jedenfalls jetzt gegeben. Das genügt, weil es
ausreicht, wenn eine Prozessvoraussetzung bei Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegt (Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl. 2001, Rn. 9 vor §
253).
37 b) Die Klägerin ist von der Erblasserin in dem am 19.04.1982 notariell beurkundeten erbvertraglichen Nachtrag zum Ehe- und Erbvertrag vom
13.08.1963 für den Fall zur hälftigen Miterbin eingesetzt worden, dass die Erblasserin die Überlebende der beiden Eheleute H wird. Da Herr H H
vor der Erblasserin gestorben, ist dieser Fall eingetreten.
38 c) Die im späteren Testament der Erblasserin vom 09.02.2000 unter § 2 getroffene letztwillige Verfügung, wonach der Beklagte zum Alleinerben
berufen werden sollte, ist nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Die Klägerin ist im Nachtrag vom 19.04.1982 vertragsmäßig zur Miterbin
eingesetzt worden. Der dabei gemachte Vorbehalt umfasste keine Änderung der Erbfolge. Die Alleinerbeneinsetzung des Beklagten würde, ihre
Wirksamkeit unterstellt, das Recht der Klägerin aus dem Nachtrag vom 19.04.1982 beeinträchtigen.
39 aa) In dem in Form eines Erbvertrages gemäß § 2276 BGB vereinbarten Nachtrag vom 19.04.1982 haben die Eheleute H beide für den Fall ihres
Überlebens in vertragsmäßiger, d.h. bindender Weise gemäß § 2278 die Klägerin zur Miterbin zur Hälfte bestimmt. Das ergibt sich allerdings
nicht aus einer entsprechenden Anwendung der in § 2270 Abs. 2 BGB enthaltenen Auslegungsregel. Dass die Einsetzung der Klägerin als
Schlusserbin vertragsmäßig sein sollte, ist vielmehr der Urkunde vom 19.04.1982 selbst zu entnehmen.
40 Allerdings folgt aus dem Umstand, dass eine Verfügung in einem Erbvertrag enthalten ist, noch nicht ihre Vertragsmäßigkeit. Enthält der
Erbvertrag aber darüber hinaus ausdrückliche Bestimmungen, wonach Schlusserben mit bestimmten Einschränkungen "im Wege des
Erbvertrages" oder bindend eingesetzt werden, so ergibt sich angesichts der Klarheit und Eindeutigkeit des Urkundeninhalts als dessen
nächstliegende Bedeutung deren Vertragsmäßigkeit (BayObLG FamRZ 1994, 196).
41 Unter Ziff. 4 des erbvertraglichen Nachtrags ist geregelt, unter welchen besonderen Umständen der Überlebende der Ehegatten berechtigt sein
sollte, einen der beiden eingesetzten Schlusserben von der Erbfolge auszuschließen. Derartige Umstände (Geltendmachung des Pflichtteils
beim Tode des Zuerststerbenden oder Wiederverheiratung des Überlebenden) sind nicht eingetreten. Ziff. 4 bestimmt weiter: "Im Übrigen darf der
Überlebende lediglich den Nachlass unter den als Schlusserben eingesetzten Kindern durch Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen
verteilen". Damit ist ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, dass, falls die besonderen Änderungsvoraussetzungen nicht eintreten, der
Überlebende von der vorgenommenen Einsetzung der Schlusserben gerade nicht abweichen kann.
42 Der vertragsmäßige Charakter wird durch Ziff. 5 des Nachtrages bekräftigt. Darin wird ein "einseitiges Rücktrittsrecht von den vorstehenden
erbvertraglichen Bestimmungen" nicht vorbehalten. Dadurch werden die getroffenen Bestimmungen ausdrücklich als vertragliche
gekennzeichnet und ein Rücktrittsrecht nach § 2293 BGB, das nur bei vertragsmäßigen Verfügungen sinnvoll ist, ausgeschlossen.
43 Da der notarielle Vertrag in diesem Punkt ganz eindeutig ist und die Parteien nichts dafür vorgetragen haben, dass die Vertragsschließenden
zum damaligen Zeitpunkt mit dieser Regelung etwas anderes anordnen wollten, als sich aus deren Inhalt ergibt, kommt es auf die für unklare,
letztwillige Verfügungen geltende Auslegungsregel nach § 2270 Abs. 2 BGB nicht an. Deshalb ist es auch ohne Belang, ob der Ehemann der
Erblasserin und Stiefvater der Klägerin zu dieser ein nahes persönliches Verhältnis hatte oder nicht.
44 bb) Aus dem eingeschränkten Vorbehalt in Ziff. 4 des Nachtrags vom 19.04.1982 folgt zugleich, dass dem überlebenden Ehegatten jedenfalls
eine abweichende Bestimmung der Erbfolge nicht gestattet sein sollte.
45 cc) Die entgegen dieser Bindung vorgenommene Einsetzung des Beklagten zum Alleinerben würde die Miterbenstellung der Klägerin
beeinträchtigen. Sie ist deshalb nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.
46 2. Die Anordnung des Vorausvermächtnisses im Testament der Erblasserin vom 09.02.2000 ist nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB größtenteils
ebenfalls unwirksam. Analog § 2085 BGB ist sie jedoch hinsichtlich der Zuwendung des Kapitalvermögens aufrechtzuerhalten.
47 a) Bei der letztwilligen Verfügung im letzten Absatz von § 2 des notariellen Testaments vom 09.02.2000 handelt es sich um ein Vermächtnis im
Sinne von § 1939 BGB.
48 Das Landgericht kommt unter Anwendung von § 2087 Abs. 1 BGB zu dem abweichenden Ergebnis, dass es sich auch insoweit um eine
Erbeinsetzung des Beklagten handle, die wegen der erbvertraglichen Bindung der Erblasserin unwirksam sei. Diese Überlegung trifft nicht zu.
49 Die Anwendung von § 2087 Abs. 1 BGB scheitert daran, dass es sich bei dieser Norm wiederum um eine Auslegungsregel handelt, die dazu
dient, den möglichen Willen des Erblassers zu bestimmen, wenn sich dieser aus der Verfügung von Todes wegen nicht klar ergibt (vgl. nur
Palandt/Edenhofer, BGB, 61. Aufl. 2002, § 2087 Rn. 1). Es ist aber ganz eindeutig, was die vom beurkundenden Notar beratene Erblasserin mit
ihrem Testament vom 09.02.2000 zum Ausdruck bringen wollte. In erster Linie wollte sie die Klägerin enterben und ihren Sohn zum Alleinerben
einsetzen. "Notfalls" wollte sie ihm den gesamten Nachlass "als Vorausvermächtnis im Sinne des Nachtrags vom 19. April 1982" zuwenden. Sie
traf diese Regelung also nur für den Fall, dass die in erster Linie gewollte Einsetzung des Beklagten zum Alleinerben aufgrund des ausdrücklich
in Bezug genommenen erbvertraglichen Nachtrages vom 19.04.1982 nicht wirksam sein sollte. Für diesen Fall wollte sie das gleiche
wirtschaftliche Ergebnis in anderer, vermeintlich rechtlich zulässiger Gestalt erreichen. Dabei wollte sie den erbvertraglichen Vorbehalt zur
Nachlassverteilung durch Vorausvermächtnisse ausnutzen. Deshalb verstand sie unter dem ersatzweise angeordneten Vermächtnis auch
wirklich ein Vermächtnis und nichts anderes.
50 b) Der im letzten Satz von Ziff. 4 des Nachtrags vom 19.04.1982 enthaltene Vorbehalt für den überlebenden Ehegatten, seinen Nachlass unter
den als Schlusserben eingesetzten Kindern durch Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen zu verteilen, ist wirksam.
51 Bedenken gegen die Gültigkeit erbvertragliche Änderungsvorbehalte werden allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer wesensfremden
Aushöhlung des Erbvertrages geltend gemacht (BGHZ 26, 204, 208; BGH, Urteil vom 02.12.1981 - IV a ZR 252/80, NJW 1982, 441, 442;
Münchener Kommentar zum BGB/Musielak, 3. Aufl. 1997, § 2278 Rn. 16). Es genügt aber, wenn der Änderungsvorbehalt kein totaler ist, sondern
mindestens eine bindende Verfügung bestehen bleiben lässt (BGH, Urteile vom 02.12.1981, a.a.O. und vom 11.06.1986 - IVa ZR 248/84, WM
1986, 1221, 1222; OLG Stuttgart OLGZ 1979, 49, 51 und NJW-RR 1986, 165, 166). Als verbleibende bindende letztwillige Verfügung genügt z. B.
die gegenseitige Einsetzung der Erbvertragsparteien (BGH, Urteile vom 02.12.1981 und vom 11.06.1986, a.a.O.). Deshalb können hier Zweifel
gegen die Zulässigkeit des Vorbehalts nicht bestehen.
52 c) Inwieweit einem Erblasser Spielraum für abändernde letztwillige Verfügungen bleibt, ist eine Frage der Auslegung der jeweiligen
Vorbehaltsklausel (BGH, Urteile vom 22.09.1982 - IV a ZR 26/81, NJW 1983, 277, 278 und vom 11.06.1986 - IV a ZR 248/84, WM 1986, 1221,
1222).
53 Die Vorbehaltsklausel in Ziff. 4 des notariellen Nachtrags vom 19.04.1982 ist nach dem damaligen übereinstimmenden Willen der beiden
Eheleute H auszulegen. Da weitere Anhaltspunkte für ihren wirklichen Willen nicht vorgebracht sind, bildet der Urkundentext die Grundlage der
Auslegung. Danach enthält der Änderungsvorbehalt ein abgestuftes System. Im Falle der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen nach dem
Tode des zuerst Versterbenden oder bei Wiederheirat des Überlebenden soll dem Überlebenden eine freie Verfügung über seinen Nachlass
ermöglicht werden. Treten diese Umstände wie im vorliegenden Fall nicht ein, so sollen ihm "lediglich" Vorausvermächtnisse und
Teilungsanordnungen zur Verteilung des Nachlasses unter den eingesetzten Kindern möglich sein. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass,
wenn die besonderen Tatbestände nicht eingreifen, entgegen der vom Beklagten vertretenen Ansicht gerade keine völlig freie Verfügung des
Überlebenden über seinen Nachlass möglich sein soll.
54 Eine dem Sinn dieser Regelung gerecht werdende Auslegung kann daher nicht Vorausvermächtnisse in unbegrenzter Höhe zulassen, die im
wirtschaftlichen Ergebnis doch eine freie Verteilung des Nachlasses unter den Kindern zuließe. Die Aushöhlung der bindenden Erbeinsetzung
durch ein den vollständigen Nachlass umfassendes Vorausvermächtnis verstößt damit gegen die Zielrichtung der eingeschränkten
Vorbehaltsklausel und ist von ihr nicht gedeckt.
55 Gegen die Wirksamkeit eines den gesamten Nachlass umfassenden Vorausvermächtnisses spricht auch die Gegenüberstellung von
Vorausvermächtnissen und Teilungsanordnungen in der Vorbehaltsklausel. Teilungsanordnungen gemäß § 2048 Satz 1 BGB führen zu keiner
Wertverschiebung gegenüber den Erbquoten. Sie gefährden also den bindenden Kern der Erbeinsetzung nicht. Die ebenfalls zugelassenen
Vorausvermächtnisse verschieben dagegen den Wert der Gesamtzuwendung gegenüber den Erbquoten. Wenn in der Vorbehaltsklausel beide
Arten von letztwilligen Anordnungen nebeneinander genannt werden, so spricht auch dies dafür, dass die Vorausvermächtnisse nur in einem
begrenzten, noch angemessenen Rahmen Einfluss auf den Wert der letztwilligen Zuwendungen an beide Bedachte nehmen sollten. Eine
Umverteilung dahin, dass ein Bedachter 100 % und der andere nichts aus dem Nachlass erhält, ist damit nicht zu vereinbaren.
56 d) Allerdings ist das Vorausvermächtnis im Testament vom 09.02.2000 analog § 2085 BGB teilweise aufrechtzuerhalten. Insoweit, wie dem
Beklagten das gesamte Kapitalvermögen der Erblasserin im Voraus zugewandt worden ist, bleibt die Anordnung wirksam und ist die
Feststellungsklage daher abzuweisen.
57 aa) § 2085 BGB betrifft alle Arten der Unwirksamkeit letztwilliger Verfügungen, auch solche nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB (BGH, Urteil vom
22.09.1982 - IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277, 278; BayObLG FamRZ 1992, 862, 864). Die Norm regelt nach ihrem Wortlaut zwar nur die
Unwirksamkeit einer von mehreren in einem Testament enthaltenen letztwilligen Verfügungen, kann jedoch entsprechend angewendet werden,
wenn eine einzelne von ihnen quantitativ teilbar ist (Münchner Kommentar zum BGB/Leipold, 3. Aufl. 1997, § 2085 Rn. 8). Der Bundesgerichtshof
ließ zunächst offen, ob sich diese Rechtsfolge aus einer Analogie zu § 2085 BGB oder aus § 139 BGB im Zusammenhang mit einer tatsächlichen
Vermutung herzuleiten ist, ein Erblasser, der mit seiner Zuwendung über das noch wirksame Maß hinaus gegangen sei, würde bei Kenntnis der
wahren Rechtslage dem Bedachten soviel wie möglich zugewendet haben, (BGH, Urteil vom 17.03.1969 - III ZR 188/65, NJW 1969, 1343, 1347
und Beschluss vom 31.03.1970 - III ZB 23/68, NJW 1970, 1273, 1277) Inzwischen wendet er zu Recht § 2085 BGB bei der teilweisen
Aufrechterhaltung einer einzelnen letztwilligen Verfügung an (BGH, Urteil vom 22.09.1982 - IVa ZR 26/81, NJW 1983, 272, 278). Im zuletzt
genannten Fall hat er ausgesprochen, dass wenn ein Erblasser den ihm durch einen Vorbehalt in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament
eingeräumten Spielraum durch ein zu hohes Vermächtnis überschritten habe, das Vermächtnis bis zur Grenze des Zulässigen wirksam bleibe.
58 bb) Die Erblasserin hat in ihrem Testament vom 09.02.2000 das Vorausvermächtnis hinsichtlich zweier Gegenstände konkretisiert. Sie hat dem
Beklagten insbesondere das Wohnhausgrundstück in ... einerseits, und das gesamte im Zeitpunkt der Erbfalls vorhandene Kapitalvermögen
andererseits zugewendet. Damit kommt sowohl eine Aufrechterhaltung des Vermächtnisses wegen eines dieser Gegenstände als auch eine
quotenmäßige Begrenzung der Zuwendung des gesamten Nachlasses im Sinne eins Bruchteilsvermächtnisses analog § 2085 BGB in Betracht.
Deshalb ist es erforderlich, die mit dem Vorbehalt im erbvertraglichen Nachtrag vom 19.04.1982 der Erblasserin gezogenen Grenze für
Vorausvermächtnisse zu bestimmen.
59 cc) Eine ausdrückliche Regelung darüber, bis zu welcher Höhe dem überlebenden Ehegatten Vorausvermächtnisse gestattet sein sollen, enthält
Ziff. 4 des erbvertraglichen Nachtrags nicht. Was unter einem Vermächtnis üblicherweise zu verstehen ist, ergibt sich jedoch aus den in § 2087
Abs. 1 und Abs. 2 enthaltenen Auslegungsregeln. Danach ist die Zuwendung des gesamten Nachlasses oder eines Bruchteils davon mangels
anderer Anhaltspunkte als Erbeinsetzung, die Zuwendung einzelner Gegenstände dagegen als Vermächtnis auszulegen. In diesem, ganz
anderen rechtlichen Zusammenhang ist der in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils angeführte Gedanke durchaus fruchtbar zu
machen. Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf geht davon aus, dass ein erbvertraglicher Vorbehalt, den Erben "mit Auflagen und
Vermächtnissen jeder Art und Höhe zu beschweren" die Zuwendung "einzelner Vermögensgegenstände" erlauben soll (OLG Düsseldorf OLGZ
1966, 68, 70). Zu beachten ist dabei, dass die Zuweisung eines einzelnen Gegenstandes, der objektiv den Wert des weiteren Vermögens
erheblich übertrifft, so dass ihn der Erblasser offensichtlich als seinen wesentlichen Nachlass angesehen hat, abweichend von § 2087 Abs. 2
BGB als Einsetzung zum Alleinerben aufzufassen ist. Dies gilt vor allem bei Immobilien, die ihrem Wert nach den wesentlichen Teil des
Nachlasses ausmachen (vgl. nur Palandt/Edenhofer, BGB, 61. Aufl. 2002, § 2087 Rn. 3 m.w.N.).
60 Dem Gehalt einer Vorbehaltsklausel der vorliegenden Art kommt man, wenn sich keine individuellen Anknüpfungspunkte für deren Auslegung
finden, bei Übertragung der zu § 2087 BGB entwickelten Grundsätze am nächsten: Üblicherweise ist ein Vermächtnis die Zuwendung eines
einzelnen, nicht den überwiegenden Teil des Nachlasses ausmachenden Gegenstandes. Der Vorbehalt von Vermächtnissen in nicht näher
bestimmter Höhe soll derartige Zuwendungen ermöglichen. Anders gewendet heißt dies, eine spätere letztwillige Zuwendung ist von einer
derartigen Vorbehaltsklausel dann gedeckt, wenn sie auch ohne Erklärungen oder Anordnungen des Erblassers dazu, welchen rechtlichen
Charakter seine Zuwendung haben soll, aufgrund ihres Umfangs als Vermächtnis auszulegen wäre. Daraus folgt:
61 Eine teilweise quotenmäßige Aufrechterhaltung des Vorausvermächtnisses scheidet aus, weil dies im Hinblick auf § 2087 Abs. 1 BGB kein
normales Vermächtnis wäre.
62 Die Zuwendung des Hausgrundstücks kann ebenfalls nicht aufrechterhalten werden. Der Wert des Grundstücks, den die Klägerin zwischen
400.000,-- und 600.000,-- DM ansiedelt, wird vom Beklagten niedriger eingeschätzt. Unstreitig ist jedoch, dass es den Wert des Nachlasses fast
vollständig ausmacht, weil daneben nur ein Kapitalvermögen von etwa 30.000,-- DM vorhanden ist. Daher hält sich auch die Zuwendung des
Hausgrundstückes nicht im Rahmen eines üblichen, der Erblasserin durch die Vorbehaltsklausel zugebilligten Vermächtnisses.
63 Das Kapitalvermögen ist hingegen eine Gruppe von Einzelgegenständen, die auch in dieser begrifflichen Zusammenfassung nach § 2087 Abs. 2
BGB ohne weiteres als Vermächtnis aufzufassen wäre. Insoweit ist die Anordnung in § 2 des Testaments vom 09.02.2000 teilbar und gemäß §
2085 BGB analog wirksam. Da dieses späte Testament deutlich die Tendenz erkennen lässt, dem Beklagten möglichst alles, jedenfalls so viel zu
vermachen, wie möglich ist, ist nicht anzunehmen, dass die Erblasserin die Zuwendung des Kapitalvermögens nicht ohne den übrigen Inhalt
ihres Vorausvermächtnisses angeordnet hätte.
III.
64 1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
65 2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
66 3. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).