Urteil des OLG Stuttgart vom 26.11.2007

OLG Stuttgart: Beweisverwertungsverbot: Anordnung einer Blutentnahme zum Nachweis von Betäubungsmitteln durch einen Polizeibeamten, gefahr im verzug, körperliche unversehrtheit, kokain, einfluss

OLG Stuttgart Beschluß vom 26.11.2007, 1 Ss 532/07
Beweisverwertungsverbot: Anordnung einer Blutentnahme zum Nachweis von Betäubungsmitteln durch einen Polizeibeamten; irrtümliche
Annahme einer Eingriffsbefugnis wegen Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung
Leitsätze
Die Anordnung einer Blutentnahme durch einen Polizeibeamten im Wege der Eilkompetenz ist bei irriger Annahme drohenden
Beweismittelverlustes durch raschen Abbau von Betäubungsmitteln im Körper nicht willkürlich und führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 23. Juli 2007 wird als unbegründet
v e r w o r f e n .
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
I.
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Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss berauschender Mittel zu der
Geldbuße von 250 EUR und zu einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt.
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Es hat festgestellt:
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Am 19. März 2007 gegen 18.15 Uhr führte der Betroffene auf der …in … einen Pkw, obwohl er THC-haltiges Cannabis, Amphetamine und Kokain
konsumiert hatte und unter dem Einfluss dieser Drogen stand; er zitterte stark am ganzen Körper.
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Bei einer polizeilichen Kontrolle um 18.15 Uhr ergab ein Drogenvortest Hinweise auf die genannten Betäubungsmittel. PM … ordnete daher eine
Blutentnahme an. Nach Belehrung gab der Betroffene an, er habe am Vortag ein bis eineinhalb Joints geraucht, jedoch keine weiteren
Betäubungsmittel konsumiert. Die Blutentnahme wurde um 19.01 Uhr durch einen Arzt durchgeführt. Der anordnende Polizeibeamte hatte zuvor
weder den Bereitschaftsstaatsanwalt noch den Bereitschaftsrichter zu erreichen versucht, um eine richterliche Anordnung der Blutentnahme
herbeizuführen. Er ging davon aus, dass die Einholung der richterlichen Anordnung zu einer zeitlichen Verzögerung geführt hätte, die den
Untersuchungserfolg bei fortschreitendem Abbau der im Blut vorhandenen Drogen und Drogenderivate gefährdet hätte.
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Die Untersuchung des entnommenen Blutes ergab erhebliche Mengen von Tetrahydrocannabinol, Amphetamin und Kokain sowie von deren
Derivaten, insbesondere des Abbauprodukts Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure. Nach den Feststellungen hätte die richterliche Anordnung
einer Blutentnahme „im Idealfall“ binnen einer viertel Stunde, also ohne nennenswerten Zeitverzug, telefonisch beim Bereitschaftsrichter erreicht
werden können. Die Voraussetzungen von „Gefahr im Verzug“ lagen nicht vor. Der Bereitschaftsrichter hätte die Anordnung zur Blutentnahme
getroffen.
II.
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1. Der Einzelrichter des Bußgeldsenats hat die Sache gemäß § 80 a Abs. 3 OWiG zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
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2. Die - zulässige - Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist in der Sache nicht begründet. Er beanstandet mit der allein erhobenen
Verfahrensrüge, der die Blutentnahme anordnende Polizeibeamte habe vorsätzlich die Einholung einer - wegen fehlender Einwilligung
notwendigen - richterlichen Anordnung unterlassen; der schwerwiegende Verstoß gegen den Richtervorbehalt habe nicht nur zu einem
Beweiserhebungsverbot, sondern auch zu einem Beweisverwertungsverbot geführt, das seinen Freispruch zur Folge haben müsse.
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a) Die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe zu Beweiszwecken darf nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 81 a Abs. 2 StPO nur durch den
zuständigen Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung auch durch die Staatsanwaltschaft und deren
Ermittlungspersonen erfolgen. Der gesetzlich angeordnete Richtervorbehalt hat seinen Grund darin, dass es sich um einen Eingriff in
das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit handelt, auch wenn der Eingriff nach § 81 a Abs.
1 Satz 2 StPO nur durch einen Arzt im Rahmen der Regeln ärztlicher Kunst erfolgen darf.
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b) Ohne Rechtsfehler hat das Amtsgericht die materiellen Eingriffsvoraussetzungen des § 81 a Abs. 1 Satz 2 StPO bejaht. Der
Drogenvortest war für drei Drogenarten positiv ausgefallen, der Betroffene hatte körperliche Ausfallerscheinungen, die auf
Drogeneinfluss hindeuteten, und er hatte eingeräumt, mindestens einen Joint konsumiert zu haben. Der Bereitschaftsrichter hätte nach
diesen Feststellungen die Anordnung zur Blutentnahme erteilen müssen.
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c) Die formellen Voraussetzungen der Anordnung liegen indes nicht vor. Der Polizeibeamte hätte auch in seiner Eigenschaft als
Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft die Anordnung nicht erteilen dürfen, da eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch
Verzögerung nach den Feststellungen nicht vorlag. Er hätte - im Idealfall binnen einer viertel Stunde - die richterliche Anordnung
telefonisch herbeiführen können. Da sich die Notwendigkeit der Entnahme einer Blutprobe nach dem Drogenvortest gegen 18.30 Uhr
erwies und die Entnahme um 19.01 Uhr erfolgte, stand sogar eine halbe Stunde zur Verfügung. Notfalls hätte, ohne den
Untersuchungserfolg zu gefährden, kurzfristig zugewartet werden können, falls der Bereitschaftsrichter nicht sofort erreichbar gewesen
wäre. Erst wenn dieser trotz des nachhaltigen und wiederholten Versuchs des Polizeibeamten nicht hätte befragt werden können, wäre
die Anordnungskompetenz wegen Gefährdung des Untersuchungserfolgs auf den Polizeibeamten übergegangen. Da der Versuch, den
Richter telefonisch zu erreichen, nicht unternommen - und daher auch nicht dokumentiert - wurde, war die von dem Polizeibeamten
getroffene Anordnung rechtswidrig; es bestand insoweit ein Beweiserhebungsverbot.
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d) Das Beweis
erhebungs
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Die strafgerichtliche Rechtsprechung, der die Auslegung des Begriffs der Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung in
erster Linie obliegt (vgl. BVerfG NJW 2007, 1425), hat bisher nur in Sonderfällen schwerwiegender Rechtsverletzungen, die auf grober
Verkennung der Rechtslage beruhten, ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Sie hat dabei auf die Schwere des Eingriffs in
Rechte des Betroffenen einerseits sowie auf das staatliche Ahndungsinteresse und das gefährdete Rechtsgut andererseits abgestellt,
die gegeneinander abzuwägen seien (vgl. zuletzt BGH NJW 2007, 2269; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 81 a Rn. 32).
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Diese Abwägung ergibt hier, dass - auch wenn es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr handelte - dem relativ
geringfügigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit durch die von einem Arzt vorgenommene Blutentnahme schwerwiegende
staatliche Interessen an der Ahndung einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG gegenüberstanden, weil der Rechtsverstoß die
Verkehrssicherheit, insbesondere auch Leib und Leben Dritter, erheblich gefährden konnte; letzterer Gesichtspunkt überwog daher.
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Dass der Polizeibeamte seine Einschätzung, die Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung, die auf der Befürchtung
des Beweismittelverlustes durch sehr raschen Abbau der Drogen im Blut beruhte, nicht aktenmäßig dokumentiert hat, widersprach zwar
der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, führte jedoch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. BGH NStZ-RR 2007,
242; BGH NStZ 2005, 392).
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Ein Beweisverwertungsverbot wäre insbesondere dann anzunehmen, wenn die Durchführung der Maßnahme auf einer bewusst
fehlerhaften bzw. objektiv willkürlichen Annahme der Eingriffsbefugnis durch den Polizeibeamten beruht hätte (vgl. BVerfG NJW 2007,
1425; NJW 2006, 2684; BGH NStZ-RR 2007, 242; NJW 2007, 2269). Das ist nach den Feststellungen indes nicht der Fall gewesen. Die
Anordnung beruhte auf einer irrtümlichen Fehleinschätzung der für die Einholung einer richterlichen Anordnung erforderlichen Zeit und
auf einer Fehlinterpretation des Begriffs „Gefahr im Verzug“ bzw. Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung. Der
Polizeibeamte war nach den Feststellungen der Auffassung, der rasche Abbau insbesondere von Kokain im Körper dulde keine
Verzögerung der Blutentnahme. Danach irrte er über die Voraussetzungen seiner Anordnungskompetenz; sein Handeln war nicht
darauf ausgerichtet, eine Beweiserhebung objektiv entgegen dem Gesetz oder subjektiv unter Ausschaltung des Bereitschaftsrichters
anzuordnen. Ein solcher irrtümlicher Verstoß gegen die gesetzliche Zuständigkeitsregelung führt - jedenfalls, wenn ein hypothetischer
Ersatzeingriff rechtmäßig wäre - nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. zuletzt BGH NStZ-RR 2007, 242; Senge in Karlsruher
Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 81 a Rn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 81 a Rn. 32).
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e) Die Behauptung der Verteidigung, der in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommene Polizeibeamte habe bekundet, dass man es
in vergleichbaren Fällen immer so mache und dass so gewonnene Ergebnisse in der Vergangenheit auch immer verwertet worden
seien, richtet sich gegen die bindenden Feststellungen des Amtsgerichts und ist daher für den Bußgeldsenat unbeachtlich.
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f) Die von der Verteidigung zitierte Entscheidung BVerfG NJW 2007, 1425 ist für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Die dort von
einem Staatsanwalt angeordnete Blutentnahme zum Nachweis von Cannabisbesitz wurde als - vorläufig - rechtswidrig angesehen, weil
die Inanspruchnahme der Eilkompetenz nach § 81 a Abs. 2 StPO ein objektiv willkürliches Vorgehen der Polizeibeamten nahelegte, das
bei der nachträglichen gerichtlichen Überprüfung der Maßnahme von beiden Instanzen übergangen worden war. Im vorliegenden Fall
hat das Amtsgericht hingegen ein willkürliches Vorgehen des Polizeibeamten rechtlich zutreffend ausgeschlossen, weil es ihm die
Annahme drohenden Beweismittelverlustes durch Verzögerung glaubte.
III.
18 Der Bußgeldsenat hat die Rechtsbeschwerde angesichts der vom Amtsgericht festgestellten Besonderheiten des Falles als unbegründet
verworfen. Er weist jedoch darauf hin, dass in den häufig vorkommenden Fällen des Führens eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss (§§ 24 a
Abs. 1 StVG, 316 StGB) die Berufung auf den drohenden Beweismittelverlust durch Verzögerung nur in wenigen Fällen Erfolg haben könnte, weil
die Abbaugeschwindigkeit bei Alkohol allgemein bekannt und daher eine Rückrechnung über viele Stunden möglich ist.