Urteil des OLG Stuttgart vom 12.11.2007

OLG Stuttgart (verletzung der anzeigepflicht, vergütung, antragsteller, zpo, kürzung, höhe, beschwerde, anzeige, hinweispflicht, aug)

OLG Stuttgart Beschluß vom 12.11.2007, 8 W 452/07
Gutachterkosten: Reduzierung des Entschädigungsanspruchs wegen unterlassener Anzeige der zu
erwartenden Kosten
Leitsätze
Die schuldhafte Verletzung der Anzeigepflicht des § 407a Abs.3 Satz 2 ZPO durch den Sachverständigen führt nur
dann zu einer Kürzung seiner Vergütung, wenn eine erhebliche Überschreitung des angeforderten
Auslagenvorschusses gegeben ist. Die Erheblichkeitsgrenze liegt im Regelfall bei 20 bis 25%. Die Nichteinhaltung
dieses Kostenrahmens führt nicht zwangsläufig zur Reduzierung der Sachverständigenentschädigung. Die
Kürzung unterbleibt, wenn bei objektiver Würdigung aller Umstände davon auszugehen ist, dass auch bei
pflichtgemäßer Anzeige die Gutachtertätigkeit weder eingeschränkt noch ihre Fortsetzung unterbunden worden
wäre. Dabei trägt der Sachverständige das Risiko dafür, dass die Möglichkeit der Vermeidung höherer Kosten
nicht ausgeschlossen werden kann. Mehrkosten bis zur Erheblichkeitsgrenze sind in keinem Fall zu kürzen, da sie
in diesem Umfang nicht der Hinweispflicht unterliegen und deshalb der Zurechnungszusammenhang zur
Pflichtverletzung fehlt.
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des
Landgerichts Stuttgart vom 8. Oktober 2007, Az. 12 OH 10/06,
abgeändert:
Die Vergütung des Sachverständigen/Antragstellers Dipl.-Ing. ... wird festgesetzt auf insgesamt
8.750 EUR.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers
zurückgewiesen.
3. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
1
1.
2006 zum Sachverständigen bestimmt und die Einzahlung eines Kostenvorschusses von 4.000 EUR
angeordnet. Mit Schreiben vom 5. September 2006 wurde er mit der Gutachtenerstattung beauftragt, ihm die
Vorschusshöhe von 4.000 EUR mitgeteilt und er wurde darauf hingewiesen, dass dem Gericht rechtzeitig eine
erhebliche Überschreitung des angeforderten Vorschusses durch die voraussichtlich entstehenden Kosten
bekannt zu geben sei. Der Antragsteller bat mit Schreiben vom 21. Dezember 2006 um die Einholung eines
weiteren Vorschusses von 3.000 EUR, der eingezahlt wurde. Wegen des weiteren Inhalts dieser Mitteilung wird
auf Blatt 91 d.A. verwiesen. Am 3. Mai 2007 reichte der Antragsteller seine Kostenrechnung über insgesamt
10.270,40 EUR ein. Nach Auszahlung des Vorschusses von 7.000 EUR und vergeblicher Anforderung des
Differenzbetrages von 3.270,40 EUR bei der Antragstellerin des Beweisverfahrens wurde dem Antrag des
Sachverständigen vom 28. Juli 2007 auf Festsetzung der Rest-Vergütung nach Anhörung der Bezirksrevisorin
durch Beschluss des Landgerichts vom 8. Oktober 2007 nicht entsprochen und die Vergütung auf die
Vorschusshöhe von 7.000 EUR beschränkt. Gegen die am 10. Oktober 2007 zugestellte Entscheidung hat der
Antragsteller am 5. November 2007 Beschwerde eingelegt.
2
Der Einzelrichter hat nicht abgeholfen und die Akte dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
3
2.
begründet.
4
Der Sachverständige hat gegen seine Hinweispflicht gem. § 407a Abs. 3 Satz 2 ZPO verstoßen und kann
deshalb eine Vergütung nur in Höhe von 125% des auf seine Veranlassung angeforderten und eingezahlten
Vorschusses von 7.000 EUR, damit einen Betrag von 8.750 EUR verlangen.
5
a)
EUR einen weiteren Vorschusses von 3.000 EUR anzufordern.
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Entgegen seiner Auffassung ist diesem Schriftstück nicht zweifelsfrei zu entnehmen, dass sich die
voraussichtlichen Kosten auf 8.000 EUR (2/3 von 4.000 EUR x 3) belaufen werden. Es kann ebenso dahin
verstanden werden, dass insgesamt 5.333,33 EUR (2/3 von 4.000 EUR x 2) anfallen werden.
Unmissverständlich ist allein die Anforderung einer weiteren Vorschusszahlung von 3.000 EUR. Dass die
Kosten der Gutachtenerstattung die eingezahlten 7.000 EUR um 3.270,40 EUR und damit um 46,72%
übersteigen werden, hat der Antragsteller entgegen seiner Pflicht aus § 407a Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht
mitgeteilt.
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b)
Vergütungsanspruchs des Sachverständigen, wenn eine erhebliche Überschreitung des Auslagenvorschusses
vorliegt.
8
Hiervon ist bei höheren Kosten von 20 bis 25% auszugehen. Diese von der Rechtsprechung (OLGR Bremen
2006, 150; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Februar 2005, Az. 10 W 98/04; OLGR Düsseldorf 2003, 263;
OLG Nürnberg NJW-RR 2003, 791; OLG Koblenz ZfSch 2002, 134; BayObLG NJW-RR 1998, 1294; Schleswig-
Holsteinisches Landessozialgericht HVBG-INFO 1998, 2816: 10%; OLG Celle NJW-RR 1997, 1295; OLG
Zweibrücken JurBüro 1997, 96; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen E-LSG B-021: 10%; OLG Köln MDR
1990, 559; Huber in Musielak, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 407a Rdnr. 4 und 7; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007,
§ 407a Rdnr. 3 und § 413 Rdnr. 6; je m. w. N.) festgelegte Grenze wird durch die Kostenrechnung des
Antragstellers bei weitem überschritten.
9
c)
Überschreitung des Vorschusses durch die tatsächlichen Kosten nicht zwangsläufig zu einer Kürzung der
Vergütung.
10 Der Sachverständige, der den gebotenen Hinweis unterlässt, trägt aber das Risiko dafür, dass im Nachhinein
die Möglichkeit der Vermeidung höherer Kosten nicht ausgeschlossen werden kann. Es genügt daher nicht,
dass die in Rechnung gestellte Vergütung sachlich angemessen und der Höhe nach nicht zu beanstanden ist.
11 Eine Kürzung unterbleibt, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände unter Anlegung eines objektiven
Maßstabs davon auszugehen ist, dass auch bei pflichtgemäßer Anzeige die Tätigkeit des Sachverständigen
weder eingeschränkt noch ihre Fortsetzung unterbunden worden wäre. Die zur Klärung dieser Kausalitätsfrage
gebotene Prognoseentscheidung hat das Gericht auf der Grundlage eines fiktiven Geschehensablaufs zu
treffen. Bleibt unklar, ob es bei erfolgtem Hinweis dem Sachverständigen einen Fortsetzungsauftrag erteilt
hätte, trifft ihn das Risiko der Unaufklärbarkeit mit der Folge, dass die Entschädigung um die entstandenen
Mehrkosten gekürzt wird (vgl. obige Rechtsprechungs- und Literaturhinweise).
12 Denn die Anzeigepflicht des § 407a Abs. 3 ZPO dient dazu, den Beteiligten Aufschluss darüber zu geben, ob
der anstehende Sachverständigenbeweis gar nicht oder nur in veränderter Form oder unter Einschaltung einer
anderen Person erhoben werden soll. Den Verfahrensbeteiligten, die letztlich mit den Gutachterkosten belastet
werden, muss die Möglichkeit eingeräumt werden, das sie treffende Prozessrisiko kostenmäßig abzuschätzen
und notfalls die Beweisfälligkeit in Kauf zu nehmen. Sie sind im Zivilprozess „Herr des Verfahrens“ und können
durch ihren Sachvortrag den Umfang einer erforderlichen Beweisaufnahme bestimmen, also - etwa aus
Kostengründen - im Nachhinein wieder einschränken. Dieses Recht kann ihnen weder vom Gericht noch vom
Sachverständigen durch das Unterlassen der Anzeige höherer Kosten genommen werden.
13 Insoweit hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass nicht
auszuschließen ist, dass die Antragstellerin des selbstständigen Beweisverfahrens den Umfang der
Beweiserhebungen eingeschränkt hätte, wenn sie rechtzeitig vom tatsächlich zu erwartenden Kostenaufwand
in Kenntnis gesetzt worden wäre. Dementsprechend bringt sie auch in diesem Zusammenhang zu
berücksichtigende Bedenken gegen die Höhe der Vergütung des Sachverständigen vor, obwohl sie im Übrigen
am vorliegenden Festsetzungsverfahren nicht beteiligt ist.
14 Gerade aber die nicht auszuschließende Einschränkung des Gutachterauftrags zur Senkung der Kosten geht
zu Lasten des Antragstellers, der eine entsprechende Kürzung seiner Vergütung im Hinblick auf das ihm
auferlegte Risiko hinnehmen muss.
15
d)
nicht auf den eingezahlten Vorschussbetrag vorzunehmen, sondern auf 125% seiner Höhe.
16 Denn eine Überschreitung des Kostenvorschusses um 25% liegt - hier - nicht über der Erheblichkeitsgrenze
und begründet noch keine Hinweispflicht des Sachverständigen. Unerhebliche Vorschussüberschreitungen
können deshalb nicht auf eine Verletzung der Hinweispflicht zurückgeführt werden und sind zu vergüten.
Mangels Zurechnungszusammenhangs zwischen einer Pflichtverletzung und dem Anfall unerheblicher
Mehrkosten kommt demgemäß auch bei einer Überschreitung der Erheblichkeitsgrenze eine Kürzung des
unerheblichen Mehrkostenanteils nicht in Betracht (vgl. obige Rechtsprechungs- und Literaturhinweise).
17 Danach sind trotz unterbliebener Anzeige im Regelfall 120 bis 125% der angeforderten Vorschusshöhe zu
vergüten.
18 Unter Berücksichtigung der Höhe der Gutachterkosten, des Umfangs der Sachverständigentätigkeit und der
vom Antragsteller selbst vorgenommenen Stundenkürzungen erscheint es angemessen, die
Erheblichkeitsgrenze nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls bei 25% festzulegen, so dass die
Vergütung des Antragstellers unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts auf 8.750
EUR festzusetzen war.
19 Im Übrigen war die Beschwerde des Antragstellers als unbegründet zurückzuweisen.
20
e)
des Beweisverfahrens ohne rechtliche Erwägungen allein zum Vorteil des Sachverständigen erfolgte. Denn
beim Einverständnis der Verfahrensbeteiligten mit der Höhe der Vergütung und einer entsprechenden
Einzahlung bei der Staatskasse (§ 13 Abs. 1 JVEG) hätte die Auszahlung an den Antragsteller ohne weitere
Überprüfung erfolgen können.
21 An die Zahlungsaufforderung, nachdem die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 JVEG nicht geschaffen werden
konnten, sind jedoch im Festsetzungsverfahren keine das Gericht bindende rechtliche Schlussfolgerungen zu
knüpfen.
22
f)