Urteil des OLG Stuttgart vom 05.06.2008

OLG Stuttgart (contusio cerebri, kläger, arbeitsunfähigkeit, stationäre behandlung, erkrankung, unfall, schädigung, aug, avb, verhandlung)

OLG Stuttgart Urteil vom 5.6.2008, 7 U 28/08
Arbeitsunfähigkeits-Zusatzversicherung: Leistungsausschluss bei psychischer Erkrankung des
Versicherungsnehmers
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart
vom 11. Januar 2008 - 16 O 113/06 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig
abgewiesen wird, soweit Versicherungsleistungen für die Zeit vom 09. Mai 2008 bis 13. Januar 2010 verlangt
werden.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
3. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert der Berufung: 16.667,00 EUR
Gründe
A.
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Versicherungsleistungen wegen Arbeitsunfähigkeit aus einer im
Zusammenhang mit dem Kauf eines Fahrzeugs abgeschlossenen Restkredit-Lebensversicherung mit
Arbeitsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Am 30. Mai 2004 erlitt der damals 54 Jahre alte Kläger als Radfahrer
einen Unfall beim Zusammenstoß mit einem Pkw.
2
Der Kläger ist der Auffassung, seit diesem Zeitpunkt würden die Voraussetzungen für eine bedingungsgemäße
Arbeitsunfähigkeit vorliegen. Die Beklagte hat Leistungen (333,33 EUR monatlich) bis 31. März 2005 und die
Monate September und Oktober 2005 erbracht. Für die weiteren Zeiträume, in denen der Kläger Leistungen
geltend macht, beruft sich die Beklagte auf Leistungsausschlüsse wegen Vorliegens einer
behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung bzw. von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit.
3
§ 6 f der vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die Arbeitsunfähigkeits-Zusatz-versicherung zur Restkredit-
Lebensversicherung (Anl. K 1) lautet:
4
„Der Versicherer leistet nicht, wenn der Versicherungsfall verursacht ist ...
f) durch eine Arbeitsunfähigkeit infolge einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung;“
5
§ 4 Abs. 4 lit. c lautet:
6
„Der Anspruch auf Arbeitsunfähigkeitsrente erlischt, ...
c) wenn der Versicherungsnehmer unbefristet berufs- oder erwerbsunfähig wird;“.
7
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
8
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen, weil die Arbeitsunfähigkeit des Klägers
durch eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung verursacht worden sei, weshalb zu Gunsten der
Beklagten der vereinbarte Leistungsausschluss in § 6 lit. f der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die
Restkredit-Lebensversicherung (AVB) greife. Für diese Zeiträume könne die krankhafte Störung nur mit ihrer
psychogenen Natur erklärt werden; die Arbeitsunfähigkeit beruhe nicht auf einer hirnorganischen
Beeinträchtigung, in deren Folge sich erst die Psyche krankhaft verändere.
9
Gegen die Klagabweisung wendet sich der Kläger mit dem Rechtsmittel der Berufung. Er wiederholt und vertieft
sein erstinstanzliches Vorbringen, wonach die noch anhaltende psychische Erkrankung Folge einer
hirnorganischen Schädigung sei.
10 Der Kläger beantragt,
11
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
12
1. an den Kläger 2.666,66 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
01. März 2006 zu zahlen;
13
2. a) an die C.-Bank AG, M. mit Wirkung ab 01.04.2006 für die Dauer der ab diesem Zeitpunkt lückenlos
nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit, längstens bis 13. Januar 2010, monatlich 333,33 EUR zu bezahlen,
fällig jeweils zum Ersten eines Monats, bei Zahlungsverzug zu verzinsen mit jeweils 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz;
14
b) hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die vorstehend lit. 2 a) bezeichneten
Leistungen zu erbringen.
15 Die Beklagte beantragt,
16
die Berufung zurückzuweisen.
17 Wegen des weiteren schriftsätzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
18 Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. F. ergänzend gehört. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Sitzungsniederschrift vom 08. Mai 2008 (Bl. 180 ff d.A.) verwiesen.
B
19 Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
I.
20 Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger mit dem Klagantrag Nr. 2 a Versicherungsleistungen für die Zeit
nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (08. Mai 2008) geltend macht. Die besonderen
Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 258 ZPO liegen nicht vor, insbesondere ist die Verpflichtung der
Beklagten zur Zahlung einer Arbeitsunfähigkeitsrente nicht allein vom Zeitablauf abhängig (BGH NJW 1986,
3142), sondern vom (Fort-)Bestand bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit. Dabei handelt es sich um einen
grundsätzlich ungewissen, veränderlichen Zustand, über den sich grundsätzlich nur schwer verlässliche
Prognosen stellen lassen. Von daher unterscheidet sich die vorliegend geltend gemachte
Versicherungsleistung von Berufs-unfähigkeits- oder Invaliditätsrenten, die jeweils eine
Leistungseinschränkung auf Dauer (vgl. §§ 2 Abs. 1 BUZ und 7 Abs. 1 AUB 94) voraussetzen. Im Falle der
Anerkennung oder Feststellung der Leistungspflicht des Versicherers ist diese nur noch vom Zeitablauf
abhängig, es sei denn, ein besonderes Nachprüfungsverfahren (§ 7 BUZ) führt zu einer anderen Beurteilung.
21 Unzulässig ist auch der hilfsweise gestellte Antrag (Nr. 2 b), soweit er auf die Feststellung einer zukünftigen
Leistungspflicht gerichtet ist. Grundsätzlich sind der Klärung durch eine Feststellungsklage nur gegenwärtige
Rechtsverhältnisse zugänglich. Für die Erstattungspflicht in der Krankheitskostenversicherung hat der
Bundesgerichtshof (VersR 2006, 535) eine Ausnahme in Fällen zugelassen, in denen der Versicherungsnehmer
mit Vorlage eines Heil- und Kostenplans dargelegt hat, dass die darin vorgeschlagene Behandlung aus
ärztlicher Sicht erforderlich ist. Damit ist die vorliegende Fallgestaltung in der Zukunft liegender Leistungen für
Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit nicht vergleichbar.
II.
22 Dem Landgericht ist zu folgen, soweit es dem Kläger weitere Ansprüche auf eine Arbeitsunfähigkeitsrente
versagt hat.
23 1. Zwar ist nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. F. davon auszugehen, dass der Kläger bis
zum Schluss der mündlichen Verhandlung arbeitsunfähig war. Die Arbeitsunfähigkeit beruht jedoch auf einer
behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung, weshalb sich die Beklagte zu Recht auf den
Ausschlusstatbestand in § 6 lit. f AVB berufen kann.
24 a) Die Klausel ist weder überraschend noch intransparent. Sie hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB Stand
(OLG Karlsruhe MDR 2008, 267 mit zustimmender Anmerkung Rixecker ZfS 2008, 162).
25 b) Risikoausschlussklauseln sind eng auszulegen. Sie dürfen nicht weiter ausgedehnt werden, als es ihr Sinn
unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordern (ständige
Rechtsprechung, z.B. BGH VersR 1995, 162). Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob der vorgenannte
Ausschluss nur zum Tragen kommt, wenn die Arbeitsunfähigkeit ausschließlich oder ganz überwiegend auf
einer psychischen Gesundheitsstörung beruht und keine Anwendung findet bei einer Mitursächlichkeit von
unbedeutenden psychischen oder nervösen Störungen, die für sich alleine nicht geeignet sind, eine
Arbeitsunfähigkeit herbeizuführen (OLG Schleswig RuS 2005, 119) oder ob es näher liegt - wie auch vom
Landgericht angenommen -, eine Parallele zu dem Ausschlusstatbestand in § 2 Abs. 4 AUB 94 zu ziehen.
Dieser Ausschlusstatbestand erfasst Gesundheitsschädigungen infolge psychischer Reaktionen, die sowohl
auf Einwirkung von außen über Schock, Schreck, Angst oder Ähnliches erfolgen, als auch auf unfallbedingter
Fehlverarbeitung beruhen (BGH VersR 2003, 634). Fehlt es an einem körperlichen Trauma oder kann die
krankhafte Störung des Körpers nur mit ihrer psychogenen Natur erklärt werden, will der Versicherer keinen
Versicherungsschutz übernehmen. Andererseits soll Versicherungsschutz bestehen, wenn durch einen Unfall
beispielsweise eine hirnorganische Schädigung verursacht wird, was dann die Psyche des Geschädigten
krankhaft verändert. Die organische Schädigung oder Reaktion, die zu einem psychischen Leiden führt, vermag
den Ausschlusstatbestand nicht auszulösen (BGH VersR 2004, 1039 und 1449).
26 Nach den auch aus Sicht des Senats überzeugenden schriftlichen und mündlichen Ausführungen des
Sachverständigen Prof. Dr. F. beruhte die Arbeitsunfähigkeit des Klägers in den Zeiträumen, für welche er
zusätzliche Leistungen geltend macht, ausschließlich auf psychischen Gesundheitsstörungen. Diese
psychischen Beeinträchtigungen beruhen nicht auf einer organischen Schädigung.
27 c) Die dagegen von der Berufung wiederholten Einwendungen bleiben ohne Erfolg.
28 Der Sachverständige hat den vorgelegten Arztberichten entnommen, dass der Kläger bei dem Unfall am 30.
Mai 2004 ein leichtes Schädelhirntrauma erlitten hat. Für eine Contusio cerebri (gedecktes mittelschweres oder
schweres Schädelhirntrauma) fanden sich weder klinisch noch im Rahmen der Bildgebung Anhaltspunkte. Der
Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals dargelegt, warum die von den
behandelnden Ärzten zunächst gestellte Diagnose „Contusio cerebri“ durch die tatsächlichen Befunde nicht
schlüssig gestützt werden kann. So würden klinische Symptome einer Contusio cerebri fehlen. Auch die
Einordnung der Befunde in die sog. Glasgow-Coma-Scale ergebe, dass beim Kläger lediglich ein leichtes
Schädelhirntrauma vorgelegen habe. Auch die Bildgebung - Computertomogramm - zeige lediglich
Normalbefunde und nicht solche, die bei einer Contusio cerebri zu erwarten gewesen wären. Hirnorganische
Beeinträchtigungen, die die Psyche des Klägers krankhaft verändert haben könnten, hat der Sachverständige
verneint.
29 Weiter hat der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt, dass beim Kläger eine psychische Reaktion auf die
Tatsache des Unfalls vorliege, nicht eine psychische Reaktion ausgelöst durch die Gehirnerschütterung als
organischer Erkrankung (vgl. auch OLG Brandenburg VersR 2006, 1251 zum Fall einer posttraumatischen
Belastungsstörung). Der Kläger, so der Sachverständige weiter, reagiere auf Belastungen mit einer depressiven
Symptomatik. Die Depression wäre auch bei einer isolierten beruflichen Belastung (Arbeitsplatzverlust)
eingetreten. Die Interpretation einer Neigung zu depressivem Verhalten ziehe sich durch die klinischen Befunde
der stationären Aufenthalte des Klägers hindurch. Anhaltspunkte dafür seien bereits dem Bericht über die erste
stationäre Behandlung nach dem Unfall im Klinikum Sch. G. im Juni 2004 zu entnehmen. Weiter weist der
Sachverständige auf die ärztlichen Berichte über die Aufenthalte in der Schlossklinik B. B. (Juli 2005) und
Reha-Zentrum B. O. (Juli 2007) hin, wo jeweils von einer Tendenz zur Somatisierung und der hohen
narzisstischen Kränkbarkeit des Klägers gesprochen werde. Diese Einschätzung decke sich mit den vom
Sachverständigen im Rahmen der eigenen Untersuchungen gewonnenen Erkenntnissen. Entgegen der
Auffassung des Klägers liegen hinreichende Anknüpfungstatsachen für die Schlussfolgerung des
Sachverständigen vor. Sie hat nicht zwingend zur Voraussetzung, dass der Kläger auch schon vor dem Unfall
am 30. Mai 2004 psychisch auffällig gewesen sein müsste. Als ein maßgeblich negativ auf die psychische
Situation des Klägers einwirkendes Ereignis hat der Sachverständige nachvollziehbar den Verlust des
Arbeitsplatzes des Klägers im Sommer 2004 angesehen. Ohne Erfolg bleibt deshalb die Rüge des Klägers, es
fehle an hinreichenden Feststellungen zu seinem psychischen Zustand vor dem Unfall.
30 2. Da der Leistungsausschluss in § 6 lit. f AVB zu Gunsten der Beklagten greift, kann dahinstehen, ob sie
auch deshalb leistungsfrei wurde, weil der Kläger unbefristet berufs- oder erwerbsunfähig im Sinne von § 4 Abs.
4 lit. c AVB wurde, was sein Vortrag nahe legen könnte, er habe ab dem 01.08.2006 laufende Rente wegen
„voller Erwerbsminderung“ aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten.
III.
31 Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Entscheidungserhebliche Rechtsfragen von
grundsätzlicher Bedeutung wirft die Rechtssache nicht auf.
IV.
32 Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.