Urteil des OLG Stuttgart vom 02.10.2013

OLG Stuttgart: enzyklopädie, öffentlichkeit, persönlichkeitsrecht, anschlussberufung, ermittlungsverfahren, eingriff, begriff, internet adresse, veröffentlichung, strafrechtliche verantwortlichkeit

OLG Stuttgart Urteil vom 2.10.2013, 4 U 78/13
Leitsätze
1. Stellt der Betreiber einer Online-Enzyklopädie (hier: Wikipedia) lediglich Dritten (den Nutzern)
die Plattform und einen Speicherplatz zur Verfügung, damit diese selbst verfasste Beiträge
hinterlegen können, ohne dass eine Vorabkontrolle oder eine nachträgliche Steuerung durch
eine Redaktion stattfindet, treffen ihn grundsätzlich hinsichtlich
persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigender Inhalte keine proaktiven Prüfungspflichten.
2. Er haftet jedoch nach den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für sog. Host-
Provider entwickelten Grundsätzen als Störer, wenn er vom Verletzten über
persönlichkeitsrechtverletzende Inhalte in Kenntnis gesetzt wird und dennoch nicht reagiert.
3. Ein Unterlassungsanspruch ist dann nur hinsichtlich der Begehungsform des Verbreitens
gegeben und - mangels Begehungsgefahr - nicht hinsichtlich der Begehungsform des
Behauptens.
4. Die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beginnend mit der Entscheidung
"Online-Archiv I" (Urteil vom 15.12.2009, VI ZR 227/08) entwickelten Grundsätze für die
Zulässigkeit der Abrufbarkeit älterer Artikel in Online-Archiven von Publikationsorganen sind auf
Beiträge (etwa Kurzbiographien) in derartigen Online-Enzyklopädien, die auf Aktualisierung
angelegt sind, nicht übertragbar.
5. Die von der Rechtsprechung für die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung über
strafprozessuale Ermittlungsverfahren und Strafanzeigen und zur Verdachtsberichterstattung
entwickelten Grundsätze sind auf die Berichterstattung über behördliche Verfahren jedenfalls
dann zu übertragen, wenn diese die Überprüfung von Vorwürfen zum Gegenstand haben, die
den Ruf des Betroffenen in ähnlich schwerwiegender Weise betreffen wie der Vorwuf einer
Straftat.
6. Sind die in einem solchen Verfahren geprüften Vorwürfe unstreitig unwahr, überwiegt bei der
vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einerseits und
dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit sowie der Meinungsfreiheit andererseits das
Persönlichkeitsrecht bei fehlender Aktualität regelmäßig auch dann, wenn gleichzeitig die
Einstellung des Verfahrens mitgeteilt wird.
Tenor
1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26.03.2013 (Az.
17 O 814/11)
teilweise abgeändert
Die Beklagte wird verurteilt,es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen
Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, zu
unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu verbreiten:
a)
Nachdem der Sitz des Senders (des Klägers) nach W. verlegt worden war, ging auch bei der
Medienaufsicht in Ö. eine Beschwerde ein, dass H. in einem Beratungsgespräch Sex mit
Kindern verharmlost habe;
b)
Zudem gab es Beschwerden, er habe in einer Sendung den Hitlergruß gezeigt;
wenn dies geschieht wie nachfolgend wiedergegeben:
...
2.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3.
Die Anschlussberufung des Klägers wird hinsichtlich des Anschlussberufungsantrags Ziff. 3
verworfen.
4.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3. Von den
Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger ¾ und die Beklagte ¼.
5.
Das Urteil ist hinsichtlich des Unterlassungsausspruchs (Tenor Ziff. 1) gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 2.500 EUR vorläufig vollstreckbar und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
6.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 8.000 EUR
Gründe
I.
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Unterlassung mehrerer Äußerungen über ihn in
der deutschsprachigen Version der Online-Enzyklopädie „Wikipedia“ sowie die
Erstattung von Abmahnkosten.
1.
2
Der Kläger betrieb bis 2004 über eine von ihm beherrschte Gesellschaft in B-W den
regionalen Fernsehsender x. und betreibt nunmehr u. a. den in Ö. ansässigen
Internetkanal „T“.
3
Die Beklagte, eine im US-Bundesstaat K ansässige Stiftung, betreibt die weltweit
genutzte Online-Enzyklopädie „Wikipedia“ (www.wikipedia.de). Deren Inhalte werden
nicht von ihr selbst eingestellt, vielmehr wird Dritten die Plattform und ein Speicherplatz
zur Verfügung gestellt, damit diese selbst verfasste Beiträge hinterlegen können. Es
findet weder eine Vorabkontrolle der Inhalte noch eine nachträgliche Steuerung durch
eine Redaktion statt.
4
In der deutschsprachigen Version der Online-Enzyklopädie „Wikipedia“ findet sich über
den Kläger der auf den Seiten 3 und 4 dieses Urteils wiedergegebene Beitrag.
5
Der in Fußnote 9 dieses Beitrages zitierte Artikel aus der „St Zeitung“ ist nach wie vor im
Online-Archiv dieser Zeitung abrufbar.
6
Die darin angesprochenen gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe, er habe in einem
Beratungsgespräch Sex mit Kindern verharmlost und in einer Sendung den Hitlergruß
gezeigt, waren unzutreffend.
7
Der Kläger hat in erster Instanz u. a. vorgebracht, die in Ziff. 1 a) und b) dieses Urteils
(entsprechend Ziff. 1 a) und b) des Tenors des angefochtenen Urteils) seien als
ehrenrührige unwahre Tatsachenbehauptungen zu unterlassen. Die weitere in dem
Beitrag enthaltene Äußerung, er habe im Rahmen seiner Fernseharbeit Mitarbeiter einer
„Gehirnwäsche“ unterzogen und bei x hätten „sektenähnliche Zustände“ geherrscht,
stellten ebenfalls unwahre ehrenrührige Tatsachenbehauptungen dar.
8
Ihm stünde auch ein Anspruch auf Erstattung der durch das Schreiben seines
Rechtsanwalts vom 05.10.2011 (Anlage 2 zur Klageschrift, Bl. 7) entstandenen Kosten
zu, in welchem die Beklagte zur Löschung der beanstandeten Inhalte aufgefordert
wurde, da dieses der Beklagten zugegangen sei.
9
Der Kläger hat beantragt:
1.
10
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu
sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall
Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, zu behaupten und/oder zu verbreiten
wörtlich oder sinngemäß
a)
11
Im Rahmen seiner Fernseharbeit soll H massiv Mitarbeiter eingeschüchtert haben, die er
nach Angaben der taz in mehrstündigen Einzelgesprächen einer Gehirnwäsche
unterziehe. Schon bei x hätten sektenähnliche Zustände geherrscht.
b)
12
Nachdem der Sitz des Senders (des Klägers) nach W verlegt worden war, ging auch bei
der Medienaufsicht in Ö eine Beschwerde ein, dass Hornauer in einem
Beratungsgespräch Sex mit Kindern verharmlost habe.
c)
13
Zudem gab es Beschwerden, er habe in einer Sendung den Hitlergruß gezeigt.
d)
14
Hintergrund waren (für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen) unrichtige Angaben zum
Anruferaufkommen und damit zu den Gewinnchancen.
2.
15
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die ihm entstandenen außergerichtlichen
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 775,64 EUR zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten hieraus seit Rechtshängigkeit.
16
Die Beklagte hat beantragt:
17
die Klage abzuweisen.
18
Sie hat vorgebracht, bei den Äußerungen, der Kläger habe Mitarbeiter einer
„Gehirnwäsche“ unterzogen und bei x hätten „sektenähnliche Zustände“ geherrscht,
handle es sich um wahre Tatsachenbehauptungen. Der Begriff Gehirnwäsche werde
regelmäßig und auch in der diesbezüglichen Textpassage des angegriffenen Artikels
umgangssprachlich im Sinne massiver psychischer Beeinflussungen verwendet.
19
In dem angegriffenen Beitrag sei auch nicht behauptet worden, der Kläger habe Sex mit
Kindern verharmlost und den Hitlergruß gezeigt. Es werde nur darüber berichtet, dass es
entsprechende Beschwerden bei der Medienaufsicht in Ö gegeben habe. Dies sei -
unstreitig - zutreffend.
20
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens in erster Instanz
wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
ZPO.
2.
21
Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich zweier Unterlassungsanträge (Klaganträge
Ziff. 1 b) und c) stattgegeben, die beiden übrigen (Klaganträge Ziff. 1a) und d)
abgewiesen. Den auf Zahlung von Abmahnkosten gerichteten Klagantrag Ziff. 2 hat es in
vollem Umfang abgewiesen.
22
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
23
Die beanstandeten Textpassagen stellten (jeweils) einen Eingriff in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des Klägers dar. Die Berichterstattung unter Namensnennung des
Klägers beeinträchtige zwangsläufig dessen Recht selbst zu bestimmen, welche
Informationen über ihn in der Öffentlichkeit bekanntgegeben würden.
24
Sein allgemeines Persönlichkeitsrecht sei indessen nur durch Teile der
streitgegenständlichen Textpassagen in rechtswidriger Weise verletzt.
25
Ob ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliege, sei durch
eine Güterabwägung mit den schutzwürdigen Interessen der anderen Seite zu
bestimmen, da wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht seine
Reichweite nicht absolut festliege.
26
Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei nur dann rechtswidrig, wenn das
Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite
überwiege. Hinsichtlich der Abwägung der Interessen des Klägers einerseits und dem
von der Beklagten mit ihrer Enzyklopädie verfolgten Informationsinteresse der
Öffentlichkeit und ihrem Recht (bzw. dem des konkreten Autors des
Enzyklopädiebeitrags) auf freie Meinungsäußerung andererseits seien in der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verschiedene Kriterien entwickelt
worden, welche Leitlinien für den konkreten Abwägungsvorgang vorgäben. Danach
hänge bei Tatsachenbehauptungen die Abwägung vom Wahrheitsgehalt ab; wahre
Tatsachenbehauptungen müssten i. d. R. hingenommen werden, auch wenn sie für den
Betroffenen nachteilig seien, unwahre hingegen nicht.
27
Für die Abgrenzung der Tatsachenbehauptung von der Meinungsäußerung sei
entscheidend, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Wahrheit mit den Mitteln des
Beweises zugänglich sei. Dies scheide bei Meinungsäußerungen aus.
28
Die Feststellung, ob es sich im Einzelfall um eine Tatsachenbehauptung oder um eine
Meinungsäußerung handele, sei oft schwierig. Genauso wie eine Tatsachenbehauptung
eine Bewertung enthalten könne, könnten auch subjektive Stellungnahmen Elemente
tatsächlicher Art aufweisen, oder eine Äußerung könne tatsächlich entwertende
Elemente beinhalten, die sich gegenseitig ergänzten und einen neuen Zusammenhang
bildeten. Enthalte eine Äußerung sowohl Aussagen in tatsächlicher Hinsicht als auch
eine subjektive Wertung, richte sich die Einordnung danach, welches Element
überwiege.
29
Voraussetzung für eine diesen Grundsätzen gerecht werdende zutreffende Einordnung
einer Äußerung sei die Ermittlung des objektiven Aussagegehalts. Dabei dürfe nicht
isoliert auf eine einzelne Textpassage abgestellt werden, sondern diese sei stets im
Zusammenhang mit dem gesamten Aussagetext zu deuten. Maßgebend sei das
Verständnis eines unvoreingenommenen Durchschnittspublikums unter
Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs.
30
Betreffe eine Berichterstattung Verfehlungen und Missstände, die noch nicht amtlich
bestätigt seien, seien die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Berichterstattung
umso höher anzusetzen, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen
durch die Berichterstattung über den Verdacht beeinträchtigt werde. Die
Berichterstattung über einen Verdacht setze das Vorhandensein eines Mindestmaßes an
Beweistatsachen voraus.
31
Nach Maßgabe dieser Grundsätze bestehe nur hinsichtlich der mit den Klaganträgen 1.
b) und 1. c) beanstandeten Textpassagen ein Unterlassungsanspruch. Diesen beiden
Verdachtsäußerungen lägen jeweils schwere Vorwürfe zugrunde („Sex mit Kindern
verharmlost“, „in Sendung den Hitlergruß gezeigt“), weshalb an die journalistische
Sorgfaltspflicht insoweit hohe Anforderungen zu stellen seien.
32
Diesen Anforderungen werde der Enzyklopädiebeitrag nicht gerecht. Es fehle insoweit
bereits an dem erforderlichen Mindestmaß an Beweistatsachen. Diese bestünden nur
darin, dass bei der Medienaufsicht in Ö entsprechende Beschwerden eingegangen
seien. Eine weitere Substantiierung hinsichtlich der den Verdacht möglicherweise
begründenden Umstände fehle völlig. Allein die Angabe eines Zeitungsbeitrags in der
„St Zeitung“ als Textnachweis führe die notwendige Substantiierung nicht herbei.
33
Hingegen bestehe hinsichtlich der mit Klagantrag 1. a) angegriffenen Textpassage kein
Unterlassungsanspruch. Diese enthalte keine Tatsachenbehauptung, sondern stelle
eine (zulässige) Meinungsäußerung dar.
34
Die Bewertung als „Gehirnwäsche“ und „sektenähnliche Zustände“ könne nicht durch
Beweismittel als wahr oder unwahr bewiesen werden. Der Aussagegehalt der Passage
gehe dahin, dass es - was zwischen den Parteien (wohl) unstreitig sei - im Unternehmen
des Klägers Gespräche mit den Mitarbeitern gegeben habe, welche stark
überzeugenden Inhalt gehabt hätten. Die Bezeichnung als „Gehirnwäsche“ und als
„sektenähnlicher Zustand“ drücke eine Stellungnahme hinsichtlich dieser Vorgänge im
Fernsehsender des Klägers aus. Die Auffassung, dass diese Gespräche eine
„Gehirnwäsche“ darstellten und insgesamt „sektenähnliche Zustände“ im Unternehmen
des Klägers geherrscht hätten, sei Ausdruck einer subjektiven Bewertung des
Verfassers, die je nach persönlicher Überzeugung richtig oder falsch sein könne.
35
Die Aussage stelle auch keine unzulässige Schmähkritik dar. Eine solche sei
anzunehmen, wenn bei einer herabsetzenden Äußerung nicht mehr die
Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im
Vordergrund stehe. Selbst eine überzogene und ausfällige Kritik mache für sich
genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähkritik. Der Ausdruck „Gehirnwäsche“
bewerte den Umgang des Klägers mit seinen Mitarbeitern und dessen Ergebnis. Wegen
dieser Anlassbezogenheit der Äußerung könne nicht davon ausgegangen werden, dass
die persönliche Diffamierung des Klägers im Vordergrund stehe. Ein durch das
Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht gedeckter Angriff auf die Menschenwürde liege
ebenso wenig vor wie eine formale Beleidigung.
36
Ebenfalls kein Unterlassungsanspruch bestehe hinsichtlich der mit Klagantrag 1. a)
angegriffenen Textpassage. Der konkrete und isoliert angegriffene Satz, Hintergrund von
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren seien unrichtige Angaben zum
Anruferaufkommen und damit zu den Gewinnchancen gewesen, stelle eine wahre
Tatsachenbehauptung dar, die grundsätzlich zulässig sei.
37
Ein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten stehe dem Kläger ebenfalls nicht zu.
38
Bei der von der Beklagten verbreiteten Berichterstattung handele es sich nicht um einen
eigenen, sondern erkennbar um Beiträge Dritter, welche den Einträgen in einem
Internetforum im Wesentlichen vergleichbar seien. Die Beklagte habe folglich keine
Veranlassung gehabt, den Enzyklopädiebeitrag über den Kläger von sich aus vorab auf
seine rechtliche Unbedenklichkeit zu prüfen. Eine Überprüfungspflicht bestehe lediglich
in Bezug auf solche Beiträge, bezüglich derer ihr eine mögliche Unzulässigkeit mitgeteilt
worden sei. Eine Anspruchsgrundlage für die Erstattung der für eine solche „Mitteilung“
anfallenden Rechtsanwaltskosten sei nicht ersichtlich.
3.
39
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, soweit den
Unterlassungsanträgen 1. b) und 1. c) stattgegeben worden ist (Tenor Ziff. 1. a) und b)
des angefochtenen Urteils des Landgerichts, i. F.: LGU), und der Kläger mit seiner
Anschlussberufung, soweit der Unterlassungsantrag hinsichtlich des Klagantrags 1. a)
sowie der auf Erstattung der Abmahnkosten gerichtete Klagantrag Ziff. 2 abgewiesen
worden sind.
40
Ihr Rechtsmittel begründet die Beklagte neben einer pauschalen Bezugnahme auf ihr
erstinstanzliches Vorbringen im Wesentlichen wie folgt:
41
Das Landgericht habe zu Unrecht eine Persönlichkeitsrechtsverletzung hinsichtlich der
Klaganträge zu 1. b) und 1. c) angenommen.
42
Der Absatz, in dem die vom Landgericht für rechtswidrig erachteten Äußerungen
enthalten ist, sei wie bei ihrer Enzyklopädie aufgrund ihrer Richtlinien (Anlage B 2, Bl.
101) erforderlich mit einem Einzelnachweis versehen. Sie berufe sich in diesem
Rahmen auf einen Zeitungsartikel aus der „St Zeitung“ vom 04.04.2008 (Anlage B 3 =
Anl. B 12, Bl. 39).
43
Entgegen der rechtsfehlerhaften Bewertung des Landgerichts liege kein widerrechtlicher
Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers vor.
44
Um die Widerrechtlichkeit eines Eingriffs zu bestimmen, müsse aufgrund der
Allgemeinheit des Persönlichkeitsrechts eine Abwägung der widerstreitenden Interessen
vorgenommen werden. Das Landgericht habe sich zunächst auch richtig an den durch
das Bundesverfassungsgericht entwickelten Kriterien für den konkreten
Abwägungsvorgang orientiert.
45
Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen verdiene aber ihr Interesse den
Vorzug:
46
Zunächst sei in diesem Zusammenhang das große Interesse der Öffentlichkeit an den
Beiträgen der von ihr betriebenen Enzyklopädie „Wikipedia“ zu berücksichtigen. Allein
ihre deutschsprachige Version halte über 300.000 Einträge bereit, auf die im Monat mehr
als 818 Mio. Mal zugegriffen werde.
47
Umgekehrt sei das Informationsinteresse der Öffentlichkeit durch die prominente
Stellung des Klägers erhöht, der nicht nur in Süddeutschland eine bekannte
Persönlichkeit sei und sich darüber hinaus selbst immer wieder in der Öffentlichkeit
präsentiert habe.
48
Es streite auch die Pressefreiheit für sie, da es sich bei den streitgegenständlichen
Textpassagen um wahre Tatsachen handele. Es habe tatsächlich Beschwerden in
dieser Hinsicht gegeben. Daher liege entgegen der Auffassung des Klägers keine
unrichtige Berichterstattung vor. Ob der Kläger die Aussagen und Gesten tatsächlich
vorgenommen habe, werde an keiner Stelle des Beitrags behauptet oder durch diesen
bewertet, sondern lediglich über diesbezügliche Beschwerden berichtet. Über die
Tatsache, ob es solche Beschwerden gegeben habe, sei kein Beweis erhoben worden,
obwohl ihrerseits solcher angeboten worden sei.
49
Dies beruhe darauf, dass das Landgericht von einer Verdachtsberichterstattung
ausgegangen sei, für welche die Rechtsprechung besondere Sorgfaltspflichten
entwickelt habe, da bei einer solchen stets eine Vorverurteilung des Betroffenen in der
Öffentlichkeit drohe.
50
Entgegen der Auffassung des Landgerichts liege aber eine Verdachtsberichterstattung
nicht vor. Mithin liege in der Berichterstattung der Online-Enzyklopädie keine Verletzung
der für diese entwickelten Grundsätze. Die Sorgfaltspflichten seien umfassend gewahrt
worden. Eine Verdachtsberichterstattung liege nur dann vor, wenn die Medien über
einen bestimmten Verdacht gegen eine oder mehrere Personen in der Öffentlichkeit
berichteten und dabei den Namen dieser Person offenlegten, der Sachverhalt aber noch
unklar sei. Zwar sei richtig, dass die zur Verdachtsberichterstattung entwickelten
Grundsätze nicht nur auf Berichte über mögliche Straftaten Anwendung fänden, sondern
auch auf sonstiges Verhalten, das geeignet sei, das Ansehen des von der
Berichterstattung Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen. Es lägen jedoch schon
keine Verdachtsäußerungen vor. Ein Verdacht sei eine argwöhnische Vermutung einer
bei jemandem liegenden Schuld, einer jemanden betreffenden schuldhaften Tat oder
Absicht.
51
Aufgrund des Zusatzes in dem streitgegenständlichen Absatz des Artikels über den
Kläger werde deutlich, dass keine Ermittlungen oder Verfahren gegen diesen offen sind,
welche die diesbezüglichen Äußerungen und Gesten beträfen. Der Eintrag auf der
Website berichte wertneutral über historisches Geschehen, dessen Ausgang deutlich
gemacht werde. Er enthalte eindeutig die Klarstellung, dass ein solcher Verdacht nicht
habe bestätigt werden können, vielmehr eine Einstellung erfolgt sei; straf- und
medienrechtliche Konsequenzen habe es nicht gegeben. Darüber hinaus werde die
Berichterstattung auch dahingehend relativiert, dass neben der „St Zeitung“ auch die „B
Zeitung“ zitiert werde. In einem Interview mit der Letzteren habe der Kläger sich gegen
die behaupteten Äußerungen gestemmt.
52
Das OLG Düsseldorf habe in einer Entscheidung vom 27.10.2010 (I-15 U 79/10) deutlich
gemacht, dass es zulässig sei, dass bei einer Verdachtsberichterstattung, in der über ein
staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren berichtet werde, das später eingestellt
worden sei, eine nachträgliche Unzulässigkeit dann nicht eintrete, wenn ein Nachtrag zu
dem ursprünglichen Eintrag eingestellt worden sei. Etwas anderes könne auch dann
nicht gelten, wenn im Zuge der Berichterstattung mitgeteilt werde, dass es weder
strafrechtliche noch medienrechtliche Konsequenzen gegeben habe. Dies könne nichts
anderes bedeuten, als dass die Beschwerden weder zu einer Anklage noch zu
sonstigen Folgen geführt hätten und damit Einstellungen erfolgt seien.
53
Selbst wenn von einer Verdachtsberichterstattung ausgegangen würde, dürften die
Anforderungen nicht überspannt werden. Vielmehr müsse im Zeitpunkt der
Berichterstattung nicht die Wahrheit mit Sicherheit feststehen. Zu Unrecht habe das
Landgericht auf einen angeblich fehlenden Mindestbestand an Beweistatsachen
abgestellt. Es treffe zwar zu, dass ein Mindestbestand an Beweistatsachen für den
Wahrheitsgehalt der Information sprechen müsse und ihr erst „Öffentlichkeitswert“
verleihe, wobei konkrete, belegbare Anknüpfungstatsachen erforderlich seien, während
ein vager, letztlich nicht greifbarer Verdacht unzureichend sei. Doch könne die kritiklose
Übernahme der Recherche aus einem anderen Bericht ausreichen, wenn der Bericht
von einer als zuverlässig anerkannten Quelle stamme. Darunter fielen insbesondere
Urteile, behördliche Mitteilungen und anerkannte Nachrichtenagenturen. Diese
Aufzählung sei jedoch nicht abschließend. Dies gelte nur dann nicht, wenn der Bericht
keine Zweifel an der Zuverlässigkeit erkennen lasse.
54
Solche Zweifel lägen hier nicht vor. Der Artikel in der „St Zeitung“, auf den sich die in
Rede stehende Veröffentlichung beziehe, nenne seine Quelle aber in der K, die als
Kommunikationsbehörde eine Dienststelle des Kanzleramts Ö und damit eine Behörde
sei. Damit habe sowohl der private Nutzer, der die Meldung der „St Zeitung“
übernommen habe, als auch sie selbst davon ausgehen dürfen, dass ordnungsgemäß
recherchiert worden sei. Die journalistische Sorgfaltspflicht sei gewahrt worden, indem
darauf hingewiesen worden sei, dass es in beiden Fällen weder straf- noch
medienrechtliche Konsequenzen gegeben habe.
55
Da der Kläger gegen die in dem angegriffenen Beitrag zitierte gleichlautende
Berichterstattung in der „St Zeitung“ vom 04.04.2008 nicht vorgegangen sei, diese also
mithin dulde und billige, könne er sich nicht auf eine Verletzung seines
Persönlichkeitsrechts durch die streitgegenständlichen Tatsachenbehauptungen
berufen.
56
Die Beklagte beantragt:
1.
57
Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26.03.2013 zu dem Az.: 17 O 814/11 wird
insoweit aufgehoben, als die Beklagte dazu verurteilt worden ist, es zu unterlassen, zu
behaupten und/oder zu verbreiten wörtlich oder sinngemäß:
a)
58
Nachdem der Sitz des Senders (des Klägers) nach W verlegt worden war, ging auch bei
der Medienaufsicht in Ö eine Beschwerde ein, dass Hornauer in einem
Beratungsgespräch Sex mit Kindern verharmlost habe.
b)
59
Zudem gab es Beschwerden, er habe in einer Sendung den Hitlergruß gezeigt.
2.
60
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
61
Der Kläger beantragt:
62
die Berufung zu verwerfen / zurückzuweisen
63
Er beantragt ferner im Wege der Anschlussberufung:
1.
64
Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26.03.2013, Az.: 17 O 814/11, wird
abgeändert.
2.
65
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu
sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, es zu unterlassen, zu
behaupten und / oder zu verbreiten wörtlich oder sinngemäß:
a.
66
„Im Rahmen seiner Fernseharbeit soll H massiv Mitarbeiter eingeschüchtert haben, die
er nach Angaben der t. in mehrstündigen Einzelgesprächen einer Gehirnwäsche
unterziehe. Schon bei x herrschten nach Angaben von Mitarbeitern teils sektenähnliche
Zustände.
b.
67
Nachdem der Sitz des Senders (des Klägers) nach W verlegt worden war, ging auch bei
der Medienaufsicht in Ö eine Beschwerde ein, dass H in einem Beratungsgespräch Sex
mit Kindern verharmlost habe.
c.
68
Zudem gab es Beschwerden, er habe in einer Sendung den Hitlergruß gezeigt.
3.
69
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die ihm entstandenen außergerichtlichen
Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 775,64 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
70
Er verteidigt das landgerichtliche Urteil, soweit dieses seiner Klage stattgegeben hat und
begehrt darüber hinaus im Wege der Anschlussberufung die Verurteilung der Beklagten
auch nach dem Klagantrag 1. a) (jetzt Anschlussberufungsantrag 2. a) und die mit
Klagantrag Ziff. 2 (jetzt Berufungsantrag Ziff. 3) geltend gemachten Abmahnkosten.
71
Unter pauschaler Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen begründet er sein
Begehren im Wesentlichen wie folgt:
72
Nach dem Urteil des OLG Hamburg vom 09.10.2007 (7 U 53/07) stelle die Bereithaltung
eines Beitrags auf einer Internetseite eine ständige Verbreitung dieses Beitrags dar, so
dass sich deren Rechtmäßigkeit nach den Verhältnissen zur Zeit der jeweiligen
Abrufbarkeit bestimme.
73
Es sei allgemein anerkannt, dass eine Meldung über ein aktuelles Ereignis zunächst
wegen des hohen öffentlichen Informationsinteresses trotz einer erheblichen
Beeinträchtigung des Betroffenen gerechtfertigt sein könne, ein erneuter Bericht über
dasselbe Ereignis nach Ablauf einer gewissen Zeit aber nicht mehr gerechtfertigt
erscheinen könne. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit oder nach einer Veränderung
maßgeblicher Umstände werde daher bei Berichten über einen zurückliegenden
Vorgang bei der Abwägung der gegenseitigen Interessen oft eine andere Gewichtung
vorgenommen werden müssen als zeitnah zu dem Vorgang. Nichts anderes gelte für die
permanente Veröffentlichung eines Beitrags im Internet.
74
Es möge dahinstehen, ob zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der zitierten
Zeitungsartikel die Voraussetzungen einer sog. „Verdachtsberichterstattung“ eingehalten
worden seien. Durch die Darstellung auf der Internetplattform „Wikipedia“ erfolge eine
ständige Verbreitung dieses Beitrags, in dem es um erhebliche Vorwürfe gehe, die sein
allgemeines Persönlichkeitsrecht erheblich verletzten; insbesondere der Vorwurf, Sex
mit Kindern verharmlost zu haben.
75
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verdiene lediglich die
tagesaktuelle Berichterstattung über Straftaten im Allgemeinen Vorrang, wenn man das
Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung gegen den damit
zwangsläufig verbundenen Einbruch in den Persönlichkeitsbereich des Täters abwäge.
Mit zunehmender zeitlicher Distanz gewinne demgegenüber das Interesse des Täters,
von einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben, immer mehr
Bedeutung.
76
Bei der hier vorliegenden Verdachtsberichterstattung habe er erst recht einen Anspruch
darauf, vor einer Reaktualisierung der Verdächtigungen verschont zu bleiben. Da gegen
ihn erhebliche Vorwürfe erhoben würden, überwiege bei der vorzunehmenden
Abwägung das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Insbesondere gelte dies, weil eine
Reaktualisierung dieser besonders schwerwiegenden Vorwürfe zu vermeiden sei. Auch
als im süddeutschen Raum nicht unbekannte Person müsse er nicht eine ständige
Reaktualisierung dieser nicht nachgewiesenen Vorwürfe dulden.
77
Der Hinweis, dass es keine straf- und medienrechtlichen Konsequenzen gegeben habe,
relativiere diesen Vorwurf nicht. Für die angesprochenen Verkehrskreise sei nicht
ersichtlich, warum es solche nicht gegeben habe, insbesondere sei nicht erkennbar, ob
es solche deshalb nicht gegeben habe, weil die Vorwürfe schlichtweg haltlos gewesen
seien. Durch die Bezugnahme auf die Verdachtsberichterstattung in den Medien komme
es auf der Internetplattform zu einer ständigen Erneuerung der Verdachtsvorwürfe, ohne
dass für den Betrachter klar werde, dass diese schlichtweg unwahr seien.
78
Ihm könne auch nicht entgegengehalten werden, dass er gegen den Bericht in der „St
Zeitung“ vom 04.04.2008 nicht vorgegangen sei. Als nur noch in deren Online-Archiv
zugänglicher Beitrag führe dieser anders als die Eintragung in der Online-Enzyklopädie
der Beklagten nicht zu einer Reaktualisierung der Vorwürfe.
79
Damit zeige sich, dass das Landgericht zutreffend von einem Unterlassungsanspruch
ausgegangen sei.
80
Unabhängig hiervon, dass selbst für den Fall einer ursprünglich zulässigen
Verdachtsberichterstattung nun ein Unterlassungsanspruch gegeben sei, habe das
Landgericht zutreffend ausgeführt, dass schon die von der Rechtsprechung geforderten
Voraussetzungen für eine zulässige Verdachtsberichterstattung nicht vorgelegen hätten.
Allein die Angabe eines Zeitungsbeitrags in der „St Zeitung“ als Textnachweis habe das
Landgericht zu Recht nicht ausreichen lassen.
81
Hingegen führe das Landgericht zu Unrecht aus, dass es sich bei der Passage „Im
Rahmen seiner Fernseharbeit soll H massiv Mitarbeiter eingeschüchtert haben, die er
nach Angaben der taz. in mehrstündigen Einzelgesprächen einer Gehirnwäsche
unterziehe. Schon bei x herrschten nach Angaben von Mitarbeitern teils sektenähnliche
Zustände.“ um Werturteile gehandelt habe. Richtigerweise handele es sich um
Tatsachenbehauptungen. Die Aussage, er unterziehe seine Mitarbeiter einer
Gehirnwäsche, sei dem Beweis ebenso zugänglich wie die Äußerung, in seinem
Unternehmen herrschten sektenähnliche Zustände.
82
Durch die beanstandete Passage werde bei den angesprochenen Verkehrskreisen der
Eindruck hervorgerufen, er habe erheblichen psychischen Druck auf seine Mitarbeiter
ausgeübt, um sie dadurch zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Die
Ausführungen seien auch dem Beweise zugänglich, da ohne Probleme seine Mitarbeiter
als Zeugen zu dieser Tatsachenbehauptung vernommen werden könnten.
83
Da diese ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen unwahr seien, bestehe auch insoweit
ein quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB, Art. 1
Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG.
84
Die Beklagte beantragt hinsichtlich der Anschlussberufung:
85
die Anschlussberufung teilweise zu verwerfen und teilweise als unbegründet
zurückzuweisen.
86
Die Anschlussberufung gehe ins Leere, da das Landgericht zu Recht festgestellt habe,
es handle sich um eine zulässige Meinungsäußerung. Dem sei nichts hinzuzufügen.
4.
87
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die eingereichten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom
18.09.2013 verwiesen (Bl. 141 ff.).
II.
88
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat jedoch in der Sache nur insoweit Erfolg, als
die begehrte Unterlassung nur hinsichtlich der Begehungsform des „Verbreitens“
auszusprechen und überdies auf die konkrete Verletzungsform (welche kerngleiche
Handlungen mit einschließt) zu beschränken ist.
89
Die Anschlussberufung des Klägers ist unzulässig, soweit sie sich gegen die
Aberkennung der begehrten Abmahnkosten richtet (Anschlussberufungsantrag Ziff. 3 =
Klagantrag Ziff. 2). Im Übrigen ist sie zulässig, aber unbegründet.
A.
90
Soweit sich die Anschlussberufung des Klägers gegen die Aberkennung der in I. Instanz
mit Klagantrag Ziff. 2 begehrten Abmahnkosten richtet, ist sie mangels ausreichender
Begründung (§ 524 Abs. 3 S. 2 ZPO i. V. m. § 520 Abs. 3 ZPO) unzulässig:
91
Die Anschlussberufung ist zwar innerhalb der mit Verfügung des Vorsitzenden vom
09.07.2013 (Bl. 110) gesetzten Frist zur Berufungserwiderung und damit gemäß § 524
Abs. 2 S. 2 ZPO fristgemäß eingereicht und - wie nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2003, 2388, 2389) für ihre Zulässigkeit erforderlich - in
der Anschlussschrift selbst begründet worden (§ 524 Abs. 3 S. 1 ZPO). In Bezug auf die
Abmahnkosten (Klagantrag Ziff. 2; Anschlussberufungsantrag Ziff. 3) fehlt es jedoch
inhaltlich an einer ausreichenden Begründung i. S. v. § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO:
1.
92
Von vorliegend nicht gegebenen Sonderfällen abgesehen (zu diesen BGH FamRZ
1995, 1138, 1139; NJW 1995, 1560 f.), sind an die Begründung der Anschlussberufung,
soweit mit dieser wie im vorliegenden Fall eine vom Ersturteil ausgehende Beschwer
bekämpft wird, dieselben Anforderungen zu stellen, wie an die Berufungsbegründung
(BGH, ebenda; OLG Köln, NJW 2003, 1879; Musielak-Ball, ZPO, 10. Aufl., § 524 Rn. 21;
Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 34. Aufl., § 524 Rn. 16). Die Begründung der
Anschlussberufung muss mithin erkennen lassen, aus welchen Gründen das
angefochtene Urteil unrichtig sein soll, wobei bei mehreren prozessualen Ansprüchen
eine entsprechende Begründung für jeden Anspruch nötig ist und insoweit durch die
Begründung der Anschlussberufung die tragenden Gründe des angefochtenen Urteils in
Frage gestellt sein müssen (zum Ganzen vgl. nur Zöller-Heßler, a.a.O., § 520 Rn. 27, 33
und 37; Thomas/Putzo-Reichold, a.a.O., § 520 Rn. 25 f.; jew. m. zahlr. Nachw. aus d.
Rspr. des Bundesgerichtshofs; aus neuester Zeit BGH NJW 2013, 174 Tz. 11). Der
Grundsatz, dass bei mehreren Streitgegenständen für jeden einzelnen eine diesen
Grundsätzen entsprechende Begründung gegeben werden muss, gilt auch für Hilfs- und
Nebenansprüche, die im Urteil behandelt sind (BGH FamRZ 1995, 1138; Thomas/Putzo,
a.a.O., § 520 Rn. 25).
2.
93
Im vorliegenden Fall hat das Landgericht die eingeklagten Abmahnkosten (nebst
Prozesszinsen) unabhängig davon, ob die mit der Abmahnung vom 05.10.2011 (Anlage
2, Bl. 7) geltend gemachten, anschließend mit der vorliegenden Klage eingeklagten
Unterlassungsansprüche bestehen, mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe
keine Veranlassung gehabt, den Enzyklopädie-Beitrag über den Kläger von sich aus
vorab auf seine rechtliche Unbedenklichkeit zu prüfen und eine solche
Überprüfungspflicht bestehe lediglich in Bezug auf solche Beiträge, bezüglich derer ihr
eine mögliche Unzulässigkeit bereits mitgeteilt worden sei; eine Anspruchsgrundlage für
die Erstattung der für eine solche „Mitteilung“ anfallenden Rechtsanwaltskosten sei nicht
ersichtlich. M. a. W.: das Landgericht verneint eine sog. „proaktive“ Prüfungspflicht und
bejaht eine Prüfungspflicht erst ab Kenntnis von der Rechtsverletzung. Mit diesen
Ausführungen setzt sich die Anschlussberufungsschrift nicht auseinander, verhält sich
vielmehr nur dazu, warum das Landgericht den mit Klagantrag Ziff. 1. a)
(Berufungsantrag Ziff. 2. a) geltend gemachten Unterlassungsantrag zu Unrecht nicht
zuerkannt hat.
94
Da die pauschale Bezugnahme auf den Sachvortrag in I. Instanz den Anforderungen des
§ 520 Abs. 3 S. 2 ZPO ebenfalls nicht genügt (Zöller-Heßler, a.a.O., § 520 Rn. 40;
Thomas/Putzo-Reichold, a.a.O., § 520 Rn. 27; BGH NJW 2013, 174, Tz. 10 a. E.), ist die
Anschlussberufung mithin hinsichtlich der Abmahnkosten mangels ausreichender
Begründung unzulässig.
B.
95
Die Klage ist, soweit sie infolge zulässiger (Anschluss-)Rechtsmittel in der Sache zu
prüfen ist (also nach dem oben unter A. Dargelegten hinsichtlich der
Unterlassungsanträge Ziff. 1. a) bis c) wie erstinstanzlich beantragt, LGU S. 6 f.), zulässig
(nachfolgend AA.).
96
Dem Kläger steht hinsichtlich der ursprünglich als Klaganträge Ziff. 1. b) und c)
gestellten Anträge (LGU Tenor Ziff. 1. a) und b)) ein Unterlassungsanspruch zu, jedoch
nicht in dem geltend gemachten Umfang, weshalb die Berufung der Beklagten teilweise
Erfolg hat. Hingegen hat die Anschlussberufung des Klägers, soweit sie zulässig ist,
keinen Erfolg, da die Klage hinsichtlich des in erster Instanz als Klagantrag Ziff. 1 a)
gestellten Unterlassungsantrags (jetzt Anschlussberufungsantrag Ziff. 2. a.) unbegründet
ist (nachfolgend BB.).
AA.
97
Die Klage ist zulässig.
1.
98
Für den vorliegenden Rechtsstreit ist die internationale Zuständigkeit der deutschen
Gerichte, welche vom Berufungsgericht von Amts wegen zu prüfen ist, weil trotz des
Wortlauts des § 513 Abs. 2 ZPO die Bestimmung für die internationale Zuständigkeit
nicht anzuwenden ist (BGH NJW 2003, 426 f. zur Revision [§ 545 Abs. 2 ZPO]; BGH
GRUR 2012, 311 Tz. 10 - Blog-Eintrag - m.w.N.; st. Rspr.), gegeben. Sie ergibt sich
vorliegend jedenfalls entsprechend § 39 ZPO, der auf die internationale Zuständigkeit
entsprechend anzuwenden ist (BGH GRUR 2013, 751 = NJW 2013, 2348 Tz. 7 a. E. -
Autocomplete-Funktion; BGH NJW 1987, 3181, 3182), infolge rügeloser Einlassung der
Beklagten.
2.
99
Auch die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende (BGH GRUR 2011,
152 Tz. 57 - Kinderhochstühle im Internet) Bestimmtheit der Unterlassungsanträge i. S. v.
§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist zu bejahen. Die in den Anträgen (und, soweit diesen
stattgegeben wurde, im angefochtenen Urteil) enthaltene Wendung „wörtlich oder
sinngemäß“ führt nicht zur Unbestimmtheit der Verbotsanträge.
100 Zwar ist ein Klagantrag dann unbestimmt, wenn er so undeutlich gefasst ist, dass der
Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des
Gerichts nicht mehr klar umrissen ist, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend
verteidigen kann und im Ergebnis dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung darüber
überlassen bleibt, was verboten sein soll (BGH GRUR 2002, 86, 88 - Laubhefter, st.
Rspr.). Derartiges wird jedoch durch die Formulierung „oder sinngemäß“ deshalb i. d. R.
nicht bewirkt, weil diese weitverbreitete Formulierung gewöhnlich nur erreichen - besser:
klarstellen - will, dass das Verbot auch kerngleiche Äußerungen erfassen soll, also
verhindern will, dass die angegriffene Äußerung anders formuliert, aber im Kern
identisch, erneut aufgestellt oder verbreitet wird, ohne die Vollstreckungswirkung des
Unterlassungsausspruchs auszulösen (BGH GRUR 1977, 114, 115 - VUS; ferner
Köhler/Bornkamm, UWG 30. Aufl., § 12 Rn. 2.37; Wenzel-Burkhardt, Das Recht der
Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 12 Rn. 151). Anders wäre dann zu
entscheiden, wenn die beanstandete Behauptung wörtlich gar nicht aufgestellt worden
wäre, sondern nur behauptet würde, es wäre ein solcher Eindruck hervorgerufen worden
(OLG Koblenz, GRUR 1988, 142, 143 - radio 4), oder der Kläger dieser Formulierung
einen weitergehenden Inhalt beimessen will, wofür aber nichts ersichtlich oder
vorgetragen ist.
BB.
101 Die Frage, ob die zulässigerweise in die Berufungsinstanz gelangten Klaganträge Ziff. 1.
a) bis c) begründet sind, weil dem Kläger die geltend gemachten
Unterlassungsansprüche ganz oder teilweise zustehen, ist nach deutschem Recht zu
beurteilen, was das Landgericht zu Recht konkludent angenommen hat:
102 Die richtige Anwendung des in der Bundesrepublik D geltenden internationalen
Privatrechts ist vom Rechtsmittelgericht von Amts wegen zu prüfen (BGH GRUR 2012,
311 Tz. 13 m.w.N.; Zöller-Geimer, a.a.O., § 293 Rn. 10). Das anwendbare Recht
bestimmt sich vorliegend nach den Art. 40 ff. EGBGB, da die außervertraglichen
Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Persönlichkeitsrechte nach Art. 1 Abs. 2 g)
der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
(Rom II-VO) von deren Anwendungsbereich ausgenommen worden sind, und § 3 TMG,
abgesehen davon, dass er keinen kollisionsrechtlichen Gehalt hat (BGH GRUR 2012,
850 Tz. 25 ff. - www.rainbow.at II), nicht einschlägig ist, weil die Beklagte ihren Sitz nicht
im Geltungsbereich der Richtlinien 2000/31/EG und 89/552/EWG, sondern in den
Vereinigten Staaten hat (zum Ganzen: BGH, GRUR 2012, 311 Tz. 14).
103 Maßgebend ist hier Art. 40 EGBGB, dem auch der Persönlichkeitsschutz einschließlich
sich daraus herleitender Unterlassungsansprüche unterfällt (BGH, a.a.O., Tz. 15).
104 Im vorliegenden Fall ergibt sich die Anwendbarkeit deutschen Rechts jedenfalls daraus,
dass der Kläger sein Bestimmungsrecht zugunsten deutschen Rechts gemäß Art. 40
Abs. 1 S. 2 EGBGB in der Klageschrift dadurch ausgeübt hat, dass er sich ausdrücklich
auf deutsche Rechtsnormen (§§ 823 Abs. 1, 1004 BGB; Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1
des Grundgesetzes) berufen hat. Ihm stand ein solches Bestimmungsrecht auch zu, weil
der nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB maßgebliche Erfolgsort in D liegt, nachdem der
Kläger in D wohnt und mithin hier in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen ist; sein
Interesse an der Unterlassung der ehrverletzenden Veröffentlichung kollidiert auch im
Inland mit dem Interesse der Beklagten bzw. des Autors des beanstandeten Beitrags, ein
deutsches Publikum über den Kläger zu informieren (zu einer vergleichbaren
Fallgestaltung, BGH, a.a.O., Tz. 15 ff. unter II. 2. b) der Gründe).
105 Im Übrigen haben die Parteien auch dadurch konkludent gem. Art. 42 Satz 1 EGBGB
deutsches Recht gewählt, indem sie sich im Prozess ausschließlich auf Normen des
deutschen Rechts und hierzu ergangene Rechtsprechung deutscher Gerichte berufen.
1.
106 Hinsichtlich der vom Kläger beanstandeten Äußerungen „Nachdem der Sitz des
Senders [des Klägers] nach Wien verlegt worden war, ging auch bei der Medienaufsicht
in Ö eine Beschwerde ein, dass H in einem Beratungsgespräch Sex mit Kindern
verharmlost habe“ (Klagantrag Ziff. 1. b); LGU Tenor Ziff. 1. a) und „Zudem gab es
Beschwerden, er habe in einer Sendung den Hitlergruß gezeigt“ (Klagantrag Ziff. 1. c);
LGU Tenor Ziff. 1. b) hat das Landgericht zu Recht eine rechtswidrige Verletzung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers angenommen und diesem einen
Unterlassungsanspruch zuerkannt, der jedoch nicht im zugesprochenen Umfang
gegeben ist, sondern lediglich hinsichtlich der Tathandlung des „Verbreitens“ und nicht
auch des „Behauptens“ und überdies auf die konkrete Verletzungshandlung zu
beschränken ist. Die Berufung der Beklagten hat mithin nur in diesem Umfang Erfolg.
a)
107 Zu Recht und von der Berufung unangegriffen hat das Landgericht angenommen, die
beanstandeten Äußerungen stellten jeweils einen Eingriff in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des Klägers dar (LGU S. 9 unter I. 1. a) der Entscheidungsgründe).
Abgesehen von dem vom Landgericht im angefochtenen Urteil angesprochenen Aspekt,
dass durch die Berichterstattung unter Namensnennung des Klägers zwangsläufig
dessen Recht, selbst zu bestimmen, welche Informationen über ihn in der Öffentlichkeit
bekanntgegeben werden, beeinträchtigt werde, ist der Kläger insbesondere deshalb in
seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht negativ betroffen, weil durch die angegriffenen
Äußerungen ein negatives Licht auf ihn geworfen wird, und die Äußerungen geeignet
sind, sich abträglich auf sein Ansehen, insbesondere sein Bild in der Öffentlichkeit,
auszuwirken:
108 Die Behauptung, jemand habe den Hitlergruß gezeigt, stellt den Vorwurf eines
strafrechtlich relevanten Verhaltens dar (§§ 86 Abs. 1 Nr. 4, 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1
StGB) und qualifiziert mithin die Person, über welche berichtet wird, in den Augen der
Adressaten von vornherein negativ (siehe nur BGH GRUR 2012, 850 Tz. 34 m.w.N.).
Nichts anderes gilt für eine Äußerung, wonach jemand „Sex mit Kindern“ und damit ein
in der Öffentlichkeit - zu Recht - als besonders verwerflich angesehenes strafbares
Verhalten (§ 176 StGB) verharmlose. Geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des
Betroffenen auszuwirken und diesen in ein negatives Licht zu rücken, ist dabei auch die
unter Namensnennung wie vorliegend erfolgende Äußerung eines Verdachts oder die
Mitteilung, es werde ein Ermittlungsverfahren geführt oder es sei eine (Straf-)Anzeige
erstattet worden (siehe nur BGH GRUR 2003, 94 = NJW 2013, 229 Tz. 9 - Gazprom-
Manager - und BGH GRUR 2013, 312 Tz. 9 - IM Christoph -, jeweils m.w.N.; OLG
Düsseldorf, GRUR-RR 2011, 21, 22; OLG Düsseldorf, AfP 1995, 500, 501); auch bei der
Berichterstattung über einen Verdacht oder ein Ermittlungsverfahren haftet dem
Betroffenen der Makel an, dass an der Sache etwas „dran“ sein könnte und es besteht
auch im Fall einer späteren Einstellung des Verfahrens die Gefahr, dass vom
Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt“ (BGH GRUR 2013, 94 Tz. 14; BGH NJW 2000,
1036, 1037; OLG Düsseldorf, ebenda).
109 Eine solche Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nicht nur bei
einer aktiven Informationsübermittlung durch die Medien gegeben, wie sie im Rahmen
der herkömmlichen Berichterstattung in Presse, Rundfunk oder Fernsehen geschieht,
sondern auch dann, wenn - wie im vorliegenden Falle - den Betroffenen identifizierende
Inhalte lediglich auf einer passiven Darstellungsplattform im Internet zum Abruf
bereitgehalten werden (BGH GRUR 2012, 850 Tz. 34 a. E. - www.rainbow.at II - m.w.N.).
b)
110 Liegt eine Beeinträchtigung des bzw. ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht
vor, führt dies aber nicht ohne weiteres zur Annahme eines rechtswidrigen Eingriffs mit
der Folge eines Unterlassungsanspruchs aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB
(entsprechend) i. V. m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, da wegen der Eigenart des
Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechtes seine Reichweite nicht absolut feststeht,
sondern erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten
Belange bestimmt werden muss, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls
sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen
Menschenrechtskonvention (Art. 8 Abs. 1 EMRK) interpretationsleitend zu
berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist aufgrund dessen nur
dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen
Belange der anderen Seite überwiegt (BGH GRUR 2012, 850 Tz. 35 - www.rainbow.at II;
BGH GRUR 2013, 94 Tz. 10 - Gazprom-Manager; BGH GRUR 2013, 312 Tz. 11 - IM-
Christoph; jew. m.w.N.). Insoweit ist die Rechtslage anders als bei der Verletzung
absoluter Rechte wie bspw. des Urheberrechts, bei denen der Eingriff in das Recht die
Rechtswidrigkeit regelmäßig indiziert (BGH GRUR 2012, 850 Tz. 35 a. E.).
111 Zu Recht hat das Landgericht deshalb für geboten erachtet (LGU S. 10, 1. Abs.), über die
Unterlassungsanträge aufgrund einer Abwägung der Interessen des Klägers - also hier
seines Rechtes auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs aus Art. 1 Abs.
1, 2 Abs. 1 GG; Art. 8 Abs. 1 EMRK - einerseits und dem von der Beklagten mit ihrer
Online-Enzyklopädie verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Recht
des Autors des Enzyklopädie-Beitrags auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG;
Art. 10 EMRK) andererseits zu entscheiden. Ob sich die Beklagte selbst auf Art. 5 Abs. 1
GG berufen kann, erscheint hingegen sehr fraglich: ausländische juristische Personen
können sich in europarechtskonformer Ausweitung des Anwendungsbereichs des Art.
19 Abs. 3 Grundgesetz auf die Grundrechte (mit Ausnahme der justiziellen Grundrechte)
nur berufen, wenn sie ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben
(BVerfG NJW 2011, 3428 Tz. 69 ff.), was auf die Beklagte nicht zutrifft. Dennoch wird in
der Literatur angesichts des Umstands, dass das deutschsprachige Angebot von
„Wikipedia“ ganz überwiegend von deutschen Nutzern eingestellt wird und sich in erster
Linie an diese richtet, ein Schutz der Beklagten über Art. 5 Abs. 1 GG befürwortet, weil
der einzige unmittelbare Anknüpfungspunkt im Ausland der Sitz der Beklagten als
verantwortlichem Anbieter sei, der den notwendigen Server bereitstelle (Strauß, ZUM
2006, 277, 279; ohne nähere Begründung die Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 1
Grundgesetz bejahend LG Tübingen ZUM-RD 2013, 345 Rn. 28 in Juris). Die Frage
kann letztlich dahinstehen, da auch dann, wenn man annimmt, die Beklagte genieße
den Schutz der Art. 5 Abs. 1 GG, die Interessenabwägung zugunsten des Klägers
ausfällt.
aa)
112 Für diesen Abwägungsvorgang sind in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts verschiedene Kriterien als Leitlinien entwickelt und von der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs übernommen worden. Danach hängt bei
Tatsachenbehauptungen die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen
maßgeblich vom Wahrheitsgehalt ab; wahre Tatsachenbehauptungen müssen i. d. R.
hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre
dagegen nicht. Außerhalb des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 GG liegen aber nur
bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im
Zeitpunkt der Äußerung feststeht. Allerdings kann auch eine wahre Darstellung das
Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden
anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der
Wahrheit steht, was insbesondere dann der Fall sein kann, wenn die Aussagen geeignet
sind, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere Stigmatisierung
des Betroffenen nach sich zu ziehen (BVerfG NJW 2009, 3357 Tz. 17; BGH GRUR
2012, 850 Tz. 37; BGH GRUR 2013, 312 Tz. 12).
113 Wie das Landgericht weiter zutreffend ausgeführt hat (LGU S. 10, 3. Abs.), hängt die
Einstufung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung davon ab, ob die Aussage einer
Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BVerfG
NJW 2008, 358, 359; BGH NJW 1997, 1148, 1149, jew. m.w.N.; st. Rspr.). Soweit das
Landgericht in diesem Zusammenhang (LGU S. 10, 4. Abs.) ausgeführt hat, dass sich
die Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Werturteil dann, wenn eine Äußerung
sowohl Aussagen in tatsächlicher Hinsicht als auch eine subjektive Wertung beinhalte,
danach richte, welches Element überwiege, ist dem mit der Klarstellung zuzustimmen,
dass dies dann gilt, wenn eine Äußerung in nicht trennbarer Weise sowohl tatsächliche
als auch wertende Bestandteile aufweist; eine solche ist als Werturteil zu behandeln,
wenn sie durch die wertenden Elemente geprägt ist, wobei die Richtigkeit oder
Unwahrheit der tatsächlichen Bestandteile dann jedoch im Rahmen der Abwägung zu
berücksichtigen ist (BVerfG NJW 2007, 2686, 2687).
114 Zutreffend hat das Landgericht weiter angenommen, dass Voraussetzung für eine diesen
Grundsätzen gerecht werdende zutreffende Einordnung einer Äußerung die Ermittlung
des objektiven Aussagegehalts ist. Dabei ist das Verständnis eines
unvoreingenommenen und verständigen Publikums unter Heranziehung des Wortlauts,
des sprachlichen Kontextes der Äußerung sowie der Begleitumstände, soweit diese für
den Leser erkennbar sind, maßgebend (BVerfG NJW 1995, 3303 Rn. 125 in Juris -
Soldaten sind Mörder; BGH NJW 2006, 601 Tz. 14). Dabei ist jede beanstandete
Äußerung in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist; sie darf
nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst und einer rein isolierten
Betrachtung zugeführt werden (BGH NJW 2009, 1872 Tz. 11 - Fraport-Manila-Skandal -
m.w.N.).
115 Schließlich hat das Landgericht zutreffend angenommen (LGU S. 11, 2. Abs.), dass eine
Verdachtsberichterstattung als ein Fall der Rechtfertigung durch Wahrnehmung
berechtigter Interessen i. S. v. § 193 StGB (BGH GRUR 2013, 312 Tz. 26; Prinz/Peters,
Medienrecht, Rn. 265; Soehring, Presserecht, 4. Aufl., § 16 Tz. 24 a mit § 15 Tz. 6 ff.)
grundsätzlich das Vorhandensein eines Mindestmaßes an Beweistatsachen voraussetzt,
die für die Richtigkeit des Verdachts, also für den Wahrheitsgehalt der Information
sprechen (BGH a.a.O., Tz. 27; BGH NJW 2000, 1036; BGH NJW 1997, 1148, 1149). Bei
der Abwägung zwischen dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und
dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit hat regelmäßig die aktuelle
Berichterstattung und mithin das Informationsinteresse jedenfalls dann den Vorrang,
wenn die Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung eingehalten
worden sind (BGH NJW 2000, 1036, 1037). Voraussetzung hierfür ist grundsätzlich,
dass der Äußernde hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt
angestellt hat (BGH GRUR 2013, 312 Tz. 26 m.w.N.).
116 Mithin ist das Landgericht insgesamt den zutreffenden, der verfassungsgerichtlichen und
höchstrichterlichen Rechtsprechung folgenden Grundsätzen bei der Beurteilung der
Zulässigkeit der angegriffenen Äußerungen ausgegangen. Dies stellt auch die Berufung
nicht in Abrede.
bb)
117 Entgegen der von der Berufung der Beklagten vertretenen Auffassung ist im Ergebnis
die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht zu beanstanden:
(1)
118 Zutreffend und in Übereinstimmung mit den Auffassungen beider Parteien hat das
Landgericht die mit den Klaganträgen 1. b) und 1. c) angegriffenen Textpassagen ohne
weiteres als Tatsachenbehauptungen behandelt. Diese Einstufung ist auch im Hinblick
auf die Äußerung, der Kläger habe „Sex mit Kindern verharmlost“ zutreffend. Eine
Äußerung, jemand habe etwas „verharmlost“ enthält zwar auch ein wertendes Element,
doch überwiegt ein dem Beweis zugänglicher Tatsachenkern; es wird die Vorstellung
von einem konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgang hervorgerufen, was für die
Einstufung als Tatsachenbehauptung ausreicht (vgl. BGH NJW 2003, 1308, 1310).
(2)
119 Entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht hat das Landgericht zutreffend zur
Prüfung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Äußerungen die Grundsätze über die
Verdachtsberichterstattung heranzogen:
(a)
120 Wie die Beklagte selbst erkennt, finden die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung
nicht nur auf Berichte über mögliche Straftaten Anwendung, sondern auch bei sonstigen
Verhaltensweisen, welche nur mit einem sozialen oder moralischen Unwerturteil zu
verknüpfen sind (Soehring, a.a.O., § 16 Tz. 24 a; OLG Hamburg AfP 2008, 404, 406 =
ZUM-RD 2009, 326). Davon geht offenbar auch der Bundesgerichtshof ohne weiteres
aus (s. bereits die Entscheidung „Abgeordnetenbestechung“ [NJW 1977, 1288], in der
ausgeführt ist, Gegenstand des Verdachts ehrenrühriger Vorgänge könnten allgemein
auch andere, die Öffentlichkeit berührende Angelegenheiten sein [a.a.O., 1289]; aus
neuester Zeit BGH GRUR 2013, 312 Tz. 26 [dort: Verdacht der Tätigkeit als informeller
Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR]). Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich
daraus, dass zum Einen das berechtigte öffentliche Interesse, von einem Verdacht zu
erfahren, nicht zwingend vom Vorliegen einer Straftat abhängt und zum Anderen die
Anforderungen, welche für die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung entwickelt
worden sind, bezwecken, den Betroffenen vor einer Vorverurteilung durch die Medien zu
schützen; dieser Zweck greift aber auch ein, wenn es sich nicht um den Vorwurf einer
Straftat handelt, aber um ein sonstiges Verhalten, das geeignet ist, das Ansehen des
Betroffenen herabzusetzen. Der Umstand, dass es sich bei der Äußerung, der Kläger
habe in einem Beratungsgespräch Sex mit Kindern verharmlost, nicht um den Vorwurf
eines strafbaren Verhaltens handelt, steht mithin der Anwendung der Grundsätze über
die Verdachtsberichterstattung nicht entgegen.
(b)
121 Der Anwendung der Grundsätze über die Verdachtsberichterstattung steht auch nicht
entgegen, dass in dem Absatz, in welchem sich die angegriffenen Äußerungen befinden,
nicht davon die Rede ist, dass ein entsprechender Verdacht bestanden habe, sondern
geäußert wird, bei der Medienaufsicht in Ö seien entsprechende Beschwerden
eingegangen, welche von dieser geprüft wurden, wie sich im Einzelnen aus der als
Belegstelle (Fn. 9) angegebenen und von der Beklagten als Anlage B 3 (= Anl. B 12, Bl.
39) vorgelegten Berichterstattung in der „St Zeitung“ vom 04.04.2008 ergibt. Die
Beklagte kann sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, damit seien lediglich wahre
Tatsachen geäußert worden, auch wenn es zutrifft, dass es diese Beschwerden gab,
was unstreitig ist.
122 Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
(aa)
123 Wird über von Dritten erhobene Vorwürfe berichtet, liegt hierin nicht (nur) eine
wahrheitsgemäße Berichterstattung darüber, dass solche Vorwürfe erhoben (oder hier
solche Beschwerden bei der Medienaufsicht eingegangen) sind, sondern dadurch und
durch eine Berichterstattung darüber, dass infolgedessen ein (Ermittlungs-)Verfahren
eingeleitet wurde, auch die Verbreitung des Verdachts selbst (BGH NJW 1977, 1288 f. -
Abgeordnetenbestechung; BGH GRUR 1986, 683 - Ostkontakte; BGH GRUR 2013, 312
Tz. 14; Soehring, a.a.O., § 19 Tz. 31 i. V. m. § 16 Tz. 15; Wenzel-Burkhardt, Das Recht
der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 10 Rn. 207). Der Schutz gegen das
Ansehen und den Ruf schädigende Vorwürfe umfasst nicht nur das Behaupten, sondern
auch das Verbreiten; gegen die Weitergabe nur eines Verdachts ist der Betroffene
grundsätzlich in gleicher Weise geschützt, wie gegen eine insoweit nicht eingeschränkte
Behauptung (BGH NJW 1977, 1288 f.; BGH NJW 1993, 525, 526 - Ketten-Mafia);
ansonsten könnten die Anforderungen an die Verdachtsberichterstattung (an die
Zulässigkeit der Äußerung eines Verdachts) ohne weiteres dadurch umgangen werden,
dass lediglich die Äußerungen Dritter, welche den Vorwurf beinhalten, wiedergegeben
werden bzw. über diese berichtet wird.
(bb)
124 Weiter ist zu berücksichtigen, dass bei der Berichterstattung über die Einleitung und
Durchführung eines (strafprozessualen) Ermittlungsverfahrens die Grundsätze der
Verdachtsberichterstattung zu beachten sind (Soehring a.a.O., § 19 Tz. 32, 34). Auch die
Rechtsprechung wendet ohne weiteres auf die Berichterstattung über die Einleitung
eines Ermittlungsverfahrens die Grundsätze über die Verdachtsberichterstattung an
(BGH GRUR 2013, 94 Tz. 4, 14 ff.; BGH NJW 2000, 1036, 1037; OLG Düsseldorf
GRUR-RR 2011, 21). Das dem so sein muss, ergibt sich bereits daraus, dass ein
Ermittlungsverfahren das Bestehen eines entsprechenden Anfangsverdachts
voraussetzt (§ 160 Abs. 1 StPO) und mithin in der Berichterstattung über die Einleitung
eines Ermittlungsverfahrens in der Sache nichts anderes als eine Berichterstattung über
den damit verbundenen Verdacht liegt.
125 Für die Berichterstattung über die bloße Erstattung einer Strafanzeige als solche gelten
noch strengere Anforderungen; eine solche reicht regelmäßig nicht aus, um einem
Presseorgan das Recht zu geben, hierüber und über die erhobenen Vorwürfe zu
berichten (OLG Düsseldorf, AfP 1995, 500, 501; Damm/Rehbock, a.a.O., Rn. 63), denn
jedermann kann gegen jedermann Strafanzeige erstatten, ohne dass dieser Umstand
etwas darüber aussagt, dass an den Vorwürfen „etwas dran“ ist (Prinz/Peters, a.a.O., Rn.
272).
126 Diese Grundsätze, welche für die Berichterstattung über (strafprozessuale)
Ermittlungsverfahren, deren Einleitung und hinsichtlich der Berichterstattung über die
Erstattung einer Strafanzeige als solche entwickelt wurden, sind auch auf sonstige
(förmliche) behördliche Verfahren anzuwenden: gelten die Grundsätze der
Verdachtsberichterstattung nach dem oben unter (aa) Ausgeführten nicht nur für
strafbare Handlungen, sondern auch für Verhaltensweisen, welche nur mit einem
sozialen oder moralischen Unwerturteil zu verknüpfen sind, so sind konsequenterweise
die für die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, in denen der Verdacht strafbarer
Handlungen geprüft wird, entwickelten Grundsätze auch auf behördliche Verfahren
auszudehnen, in welchen die genannten Verhaltensweisen überprüft werden. Dies muss
jedenfalls dann gelten, wenn es sich bei diesen Verhaltensweisen ebenfalls um
Straftaten handelt (wie vorliegend hinsichtlich des Vorwurfs, der Kläger habe den
Hitlergruß gezeigt), aber auch dann, wenn es um den Vorwurf sonstiger
Verhaltensweisen geht, welche den Ruf des Betroffenen in ähnlich schwerwiegender
Weise beeinträchtigen wie strafbare Handlungen wie vorliegend der Vorwurf, in einem
Beratungsgespräch Sex mit Kindern verharmlost zu haben, und wenn das behördliche
Verfahren (wie vorliegend das Verfahren zur Prüfung der Beschwerden seitens der
Kommunikationsbehörde A als Medienaufsicht) der Überprüfung dieser Vorwürfe dient
und dieses, wenn sie sich bestätigen, zu einer Sanktionierung (wie hier dem Entzug der
Sendelizenz) führen kann.
127 Dementsprechend stellt auch Ziff. 13 des Pressekodexes des Deutschen Presserats
(abgedruckt bei Löffler-Steffen, Presserecht, 5. Aufl., § 6 LPG Rn. 210) „sonstige
förmliche Verfahren“ den Straf- und Ermittlungsverfahren gleich. Diese Regelung
entfaltet zwar als standesrechtliche Regelung keine Normbindung, ist aber durchaus
richtungsweisend auch für rechtliche Anforderungen an die Rücksichtnahme der Presse
auf das Persönlichkeitsrecht (Löffler-Steffen, ebenda).
(3)
128 Die Voraussetzungen einer Verdachtsberichterstattung in Form der Berichterstattung
über das auf Beschwerden hin von der Kommunikationsbehörde A eingeleitete
Verfahren zur Prüfung der darin erhobenen beiden Vorwürfe, welche Gegenstand der
Klaganträge Ziff. 1. b) und c) (LGU Tenor Ziff. 1. a) und b)) sind, liegen nicht vor.
(a)
129 Soweit die Beklagte sich darauf beruft, der Autor des Beitrags über den Kläger in der
Online-Enzyklopädie der Beklagten habe sich auf eine sog. „privilegierte Quelle“ stützen
können, trifft es zwar zu, dass sich der Äußernde auf Angaben einer sog. privilegierten
Quelle grundsätzlich verlassen darf und die Pflicht zur sorgfältigen Recherche über den
Wahrheitsgehalt in einem solchen Fall nicht gebietet, deren Richtigkeit zu überprüfen
(BGH GRUR 2013, 312 Tz. 27 ff. - IM Christoph; Soehring, a.a.O., § 21 Tz. 21, 21 c;
Wenzel-Burkhardt, a.a.O., § 6 Rn. 134 ff.; Damm/Rehbock, a.a.O., Rn. 676 ff.). Solche
zuverlässigen Quellen sind insbesondere Behörden und allgemein anerkannte
Presseagenturen, nicht hingegen ohne weiteres andere Presseorgane (Wenzel-
Burkhardt und Damm/Rehbock, jew. ebenda; Soehring, a.a.O., § 2 Tz. 20 b und 21 c).
Die „Stuttgarter Zeitung“ stellt mithin entgegen der Auffassung der Berufung nicht ohne
weiteres eine privilegierte Quelle dar; doch ist im vorliegenden Fall zu beachten, dass
die Meldung in der „St Zeitung“ vom 04.04.2008 - vom Kläger unbestritten - ihrerseits auf
Auskünften der B-W Landesanstalt für Kommunikation und der zuständigen Ö
Kommunikationsbehörde A, also „indirekt“ auf privilegierten Quellen beruht; zudem ist zu
berücksichtigen, dass für Privatleute insoweit weniger strenge Regelungen gelten als für
die Medien (BVerfG NJW 1992, 1439, 1442; BGH GRUR 2013, 312 Tz. 28).
130 Die Wiedergabe von Auskünften privilegierter Quellen kann jedoch unter dem
Gesichtspunkt der vom Landgericht zutreffend gesehenen (LGU S. 11 unter I. 1. b. aa.
der Entscheidungsgründe) Erforderlichkeit eines Mindestbestands an Beweistatsachen
nur dann zur Rechtfertigung der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
führen, wenn sich aus der Auskunft (der Quelle) ein solcher Mindestbestand an
Beweistatsachen ergibt wie dies etwa in dem Fall gegeben war, welcher der
Entscheidung BGH GRUR 2013, 312 - IM Christoph zugrunde lag (a.a.O., Tz. 27, 29). Im
vorliegenden Fall ergibt sich hingegen aus den im Artikel der „St Zeitung“ zitierten
Auskünften der beiden Medienbehörden lediglich, dass Beschwerden eingegangen
waren und geprüft wurden; Anhaltspunkte dafür, dass an den Beschwerden „etwas dran“
ist, ergaben sich aus den behördlichen Auskünften hingegen nicht.
131 Allerdings darf auch ausnahmsweise über die bloße Erstattung einer Strafanzeige (oder
die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens) berichtet werden, wenn diesbezüglich
ein echtes Informationsbedürfnis der Bevölkerung besteht (OLG Düsseldorf, AfP 1995,
500, 501), was anzunehmen ist, wenn die Anzeigenerstattung und der Umstand, dass
die betreffenden Vorwürfe erhoben werden, nicht lediglich Anliegen wie Sensationsgier,
sondern achtenswerte Interessen berühren und mithin eine wirkliche Nachricht
darstellen (OLG Düsseldorf, ebenda). Ein solcher Sachverhalt ist vorliegend zu bejahen:
Beim Kläger handelte und handelt es sich um eine jedenfalls im süddeutschen Raum
nicht unbekannte Persönlichkeit, wobei seine Bekanntheit nicht unwesentlich darauf
beruht, dass er bis 2004 einen Fernsehregionalsender (durch eine von ihm als
Alleingesellschafter beherrschte Gesellschaft) betrieben hat und ihm (genauer: der von
ihm beherrschten Gesellschaft) unstreitig die Lizenz (die Zulassung) wegen Verstoßes
gegen medienrechtliche Auflagen und Bestimmungen entzogen worden war. Da der
Kläger unstreitig anschließend in Öden Betrieb eines Internetkanals („T“) aufgenommen
hat, war hinsichtlich des Umstands, dass nun - im Jahr 2008 - (erneut) Vorwürfe erhoben
wurden, es lägen im Zusammenhang mit dem Sendebetrieb Verstöße vor, und diese
aufgrund von Beschwerden von Zuschauern und medienaufsichtsrechtlich überprüft
wurden, ein die Veröffentlichung rechtfertigendes Informationsinteresse gegeben.
(b)
132 In Bezug auf die angegriffene Berichterstattung in der Online-Enzyklopädie der
Beklagten sind die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung (und
damit nach dem oben unter (2) (b) (bb) Gesagten für die Zulässigkeit einer
Berichterstattung über die an die Medienaufsicht gerichteten Beschwerden und deren
Überprüfung durch diese) aber deshalb nicht gegeben, weil es an der hierfür
notwendigen Aktualität fehlt.
(aa)
133 Es ist anerkannt, dass bei einer identifizierenden Berichterstattung über Verfehlungen
des Betroffenen das Informationsbedürfnis im Allgemeinen dann Vorrang genießt, wenn
ein hinreichender Aktualitätsbezug gegeben ist (BVerfG NJW 2009, 3357 Tz. 19; BGH
GRUR 2006, 257 Tz. 13 - Ernst August von Hannover -;OLG Düsseldorf, GRUR-RR
2011 21, 22; Soehring, a.a.O., § 19 Tz. 27). Nichts anderes kann dann für die
Berichterstattung über Ermittlungsverfahren gelten (OLG Düsseldorf, ebenda; KG
GRUR-RR 2009, 436, 437; Soehring, a.a.O., § 19 Tz. 37). Dabei ist anerkannt, dass
grundsätzlich nach Einstellung eines Ermittlungsverfahrens mangels Tatverdachts oder
gar wegen erwiesener Unschuld (ebenso wie bei einem rechtskräftigen Freispruch) der
notwendige Aktualitätsbezug nicht mehr gegeben ist und eine Berichterstattung über das
Ermittlungsverfahren dann grundsätzlich einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des Betroffenen darstellt (KG NJW 1989, 397, 398; OLG
Brandenburg, NJW-RR 2003, 919, 920 f.; Soehring, ebenda; Löffler-Steffen, Presserecht,
5. Aufl., § 6 LPG Rn. 211; Kröner, in: Hamburger Kommentar Gesamtes Medienrecht, 2.
Aufl., 33/65).
134 Überträgt man - wie geboten (s. o. (2) (b) (bb)) - diese Grundsätze auf förmliche
behördliche Verfahren, so entfiel vorliegend der notwendige Aktualitätsbezug mit der
Beendigung des medienaufsichtsrechtlichen Verfahrens durch eine - von der Beklagten
in der Berufungsbegründung selbst so genannte - „Einstellung“, weil sich der Verdacht
nicht bestätigt habe. Es ist zwar vorliegend nicht genau bekannt, wann dies erfolgt ist;
angesichts des Umstands, dass die Beschwerden bereits im Frühjahr 2008 erhoben
worden sind, kann aber unterstellt werden, dass diese „Einstellung“ bereits vor Jahren
erfolgt ist.
(bb)
135 Der fehlende Aktualitätsbezug kann auch nicht dadurch kompensiert werden, dass in
dem Absatz des Artikels, welcher die beanstandeten Äußerungen enthält, in Bezug auf
die Beschwerden der Satz enthalten ist „In beiden Fällen gab es jedoch weder straf-
noch medienrechtliche Konsequenzen“.
136 Richtigerweise darf auch über die Ausräumung des Tatverdachts und die Beendigung
eines Ermittlungsverfahrens durch Einstellung oder eines Strafverfahrens durch
Freispruch auch dann nicht mehr berichtet werden, wenn die Einstellung oder der
Freispruch mitgeteilt werden, da durch eine solche Berichterstattung zwangsläufig auch
der Tat(-Anklage-)Vorwurf erneut wiedergegeben und der Betroffene dadurch belastet
würde (OLG Brandenburg; KG; Soehring; ferner Prinz/Peters a.a.O., Rn. 107, 272, 853).
137 Nichts anderes gilt vorliegend aufgrund der gebotenen Gleichsetzung mit (förmlichen)
behördlichen Verfahren (s. o. (2) (b) (bb)) für eine Berichterstattung über das
medienaufsichtsrechtliche Prüfungsverfahren und die diesem zugrunde liegenden
Beschwerden.
(cc)
138 Aber auch wenn man der weniger strengen Ansicht folgte, wonach eine
Berichterstattung über eingestellte (Ermittlungs-)Verfahren nicht grundsätzlich
unzulässig, sondern dies von den Umständen des Einzelfalls abhängig sein soll (so
Löffler-Steffen, ebenda), käme man zu demselben Ergebnis, denn nach den gegebenen
Umständen bestände kein die Berichterstattung über das längst (im Sinne einer
„Einstellung“) abgeschlossene Verfahren rechtfertigendes überwiegendes Informations-
und Veröffentlichungsinteresse. Ein solches kann dann nicht angenommen werden,
wenn die in dem behördlichen Verfahren überprüften Beschwerden - festgestellt oder
wie hier unstreitig - unwahre Behauptungen zum Gegenstand hatten. Ein solcher Fall ist
hier gegeben, da die Beklagte den Vortrag des Klägers, es treffe nicht zu, dass er den
Hitlergruß gezeigt und in dem Beratungsgespräch Sex mit Kindern verharmlost habe,
nicht bestritten hat und mithin für das vorliegende Verfahren von der Unwahrheit der mit
den Beschwerden erhobenen Vorwürfe auszugehen ist.
(dd)
139 Zu Unrecht beruft sich die Beklagte auch auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf
vom 27.10.2010 (GRUR-RR 2011, 21).
140 Diese betraf entgegen der Ansicht der Beklagten eine der vorliegenden nicht
vergleichbare Fallkonstellation, denn damals ging es um eine ursprünglich zulässige,
aktuelle Verdachtsberichterstattung über ein strafprozessuales Ermittlungsverfahren, die
als solche mit dem ursprünglichen Veröffentlichungsdatum weiter im Internet vorgehalten
wurde, die also als Altmeldung, die nicht aktuell veröffentlicht wird, erkennbar war
(a.a.O., 22). Damit sind Artikel in der Online-Enzyklopädie der Beklagten nicht
vergleichbar. Diese sind auf ständige Aktualisierung durch die Nutzer angelegt, geben
also eine „aktuelle“ Biografie der Betroffenen wieder. Darüber hinaus stellt der Satz „In
beiden Fällen gab es jedoch weder straf- noch medienrechtliche Konsequenzen.“ aus
den oben unter (cc) genannten Gründen auch keine eindeutige Mitteilung der
Einstellung des Verfahrens (mangels Tatverdacht) dar, wie sie das OLG Düsseldorf für
erforderlich erachtet hat.
(4)
141 Der Annahme, dass bei der Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der
Öffentlichkeit und dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers der
Meinungsäußerungsfreiheit und dem Informationsinteresse kein Vorrang zukommt, weil
die Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung nicht eingehalten sind,
stehen die vom Bundesgerichtshof beginnend mit der Entscheidung „Online-Archiv I“
vom 15.12.2009 (VI ZR 227/08, NJW 2010, 757 = GRUR 2010, 266; fortgeführt in den
Entscheidungen GRUR 2010, 549 - Online-Archiv II; NJW 2010, 2728 = AfP 2010, 261;
AfP 2011, 180; GRUR 2012, 58 - www.rainbow.at II - m.w.N.; GRUR 2013, 94 = NJW
2013, 229 - Gazprom-Manager) entwickelten Grundsätze zur Zulässigkeit der
Abrufbarkeit älterer, nicht mehr aktueller Presseberichte oder Rundfunkbeiträge in für
Altmeldungen vorgesehenen Teilen von Internetportalen („Online-Archiven“) nicht
entgegen.
(a)
142 Danach kann die Abrufbarkeit älterer Beiträge im Internet nicht ohne weiteres einer
aktiven Informationsvermittlung gleichgestellt werden (BGH GRUR 2012, 850 Tz. 34, 43
ff.; NJW 2010, 757 Tz. 19; AfP 2011, 180 Tz. 19); die vom Kläger angeführte
Entscheidung des OLG Hamburg vom 09.10.2007 (7 U 53/07), in welcher die Auffassung
vertreten wurde, dass es sich bei der Vorhaltung derartiger älterer Berichte um deren
ständig neues Verbreiten handele, ist dadurch überholt.
(b)
143 Der Bundesgerichtshof hat in sämtlichen zitierten Entscheidungen die weitere
Abrufbarkeit derartiger Altmeldungen als zulässig angesehen, weil er bei der Abwägung
des Informationsinteresses der Öffentlichkeit an der Berichterstattung mit der damit
zwangsläufig verbundenen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts Ersterem und
dem Recht auf freie Meinungsäußerung den Vorrang eingeräumt hat. Dies begründete er
u. a. damit, dass den Meldungen in der Art und Weise, wie sie zum Abruf bereitgehalten
wurden, nur eine geringe Breitenwirkung zukomme, da eine Kenntnisnahme von ihrem
Inhalt eine gezielte Suche voraussetzte, weil die Meldungen jeweils nur auf einer als
passive Darstellungsplattform geschalteten Website angeboten wurden. Eine solche
würde typischerweise nur von solchen Nutzern zur Kenntnis genommen, die sich selbst
aktiv informieren. Die Meldungen waren jeweils nicht mehr auf den aktuellen Seiten des
Internetauftritts der jeweiligen Beklagten zugänglich, wo sie dem Nutzer unmittelbar
nach Aufruf der jeweiligen Homepage ins Auge hätten fallen können, sondern nur noch
auf den für Altmeldungen vorgesehenen Internetseiten der jeweiligen Beklagten und
waren überdies ausdrücklich als Altmeldung gekennzeichnet bzw. jedenfalls zumindest
erkennbar und waren auch nicht in sonstiger Weise in einen Kontext eingebettet,
welcher ihnen den Anschein der Aktualität oder den Charakter einer erneuten
Berichterstattung verlieh und die Annahme gerechtfertigt hätte, die jeweiligen Beklagten
hätten sich erneut mit der Person des Betroffenen befasst (etwa BGH-GRUR 2012, 850
Tz. 43; BGH NJW 2010, 757 Tz. 19; BGH GRUR 2013, 94 Tz. 27). Der
Bundesgerichtshof hat weiter darauf abgestellt, dass ein anerkennenswertes Interesse
der Öffentlichkeit nicht nur an der Information über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern
auch an der Möglichkeit bestehe, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse zu
recherchieren (BGH GRUR 2012, 850 Tz. 44 und NJW 2010, 757 Tz. 20), bzw. - im Fall
„Gazprom-Manager“ - dass ein gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit an der
Möglichkeit bestanden habe, sich durch eine aktive Suche über Vorgänge und
Zusammenhänge zu informieren, welche einen Beitrag zur Aufarbeitung des
Überwachungssystems der Staatssicherheit und damit zu einer die Öffentlichkeit
besonders berührenden Frage beträfen (BGH GRUR 2013, 94 Tz. 28).
(c)
144 Eine Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf die in der Online-Enzyklopädie der
Beklagten veröffentlichten Artikel und insbesondere Biographien lebender Personen
scheidet danach aus.
(aa)
145 Zwar gilt auch für die Artikel in der Online-Enzyklopädie, dass deren Auffinden eine
gezielte Suche voraussetzt und die Artikel nur auf einer als passive
Darstellungsplattform geschalteten Website verfügbar waren, also auch der vom Kläger
beanstandete Artikel nur von solchen Nutzern zur Kenntnis genommen wird, die sich
selbst aktiv informieren wollen. Es ist aber bereits zweifelhaft, ob deshalb wie in den vom
Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen eine geringe Breitenwirkung angenommen
werden kann, nachdem die Online-Enzyklopädie der Beklagten wie allgemein bekannt
die weltweit und auch in Deutschland führende frei zugängliche Online-Enzyklopädie ist
und - wie die Beklagte selbst betont - allein auf die deutschsprachige Version im Monat
mehr als 818 Mio. Mal zugegriffen wird. Zwar zeigt dies ein erhebliches
Informationsinteresse der Öffentlichkeit, sich über die Einträge in der Online-
Enzyklopädie der Beklagten zu informieren (so zu Recht LG Tübingen, a.a.O., Rn. 27 in
Juris), auch und vor allem von Personen, für welche das Angebot der Beklagten eine
geschriebene Enzyklopädie ersetzt; doch bewirkt dies gleichzeitig eine größere
Breitenwirkung des Eingriffs.
(bb)
146 Entscheidend ist aber, dass es sich bei den Artikeln in der Online-Enzyklopädie der
Beklagten gerade nicht um archivierte Altmeldungen handelt, welche nur für solche
vorgesehene Internetseiten zugänglich und als solche ausdrücklich gekennzeichnet
oder klar erkennbar wären. Vielmehr beruht die Funktionsweise der Enzyklopädie der
Beklagten ja darauf, dass ihre Nutzer die vorhandenen Einträge und Artikel ständig
aktualisieren (können). Der Artikel, welcher die beanstandeten Äußerungen enthält, stellt
mithin die „aktuelle“ Biografie des Klägers dar. Voraussetzung für die Anwendung der
„besonderen Maßstäbe“, welche für Online-Archive aufgestellt worden sind, ist aber
gerade, dass die in solchen Archiven bereitgehaltene Berichterstattung in einer Weise
dargeboten wird, die sie als Altmeldung erkennbar macht, was regelmäßig voraussetzt,
dass der Bericht in einem eigenständigen, als Archiv erkennbaren Bereich eines Online-
Auftritts bereitgehalten und mit einem den historischen Charakter deutlich machenden
Datum versehen ist, so dass, wo dies nicht der Fall ist, eine Archivprivilegierung nicht in
Betracht kommt, sondern sich die Zulässigkeit der Berichterstattung nach den üblichen,
für die Verdachtsberichterstattung und die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren
entwickelten Kriterien richtet (so zu Recht Kröner, a.a.O., 33/67).
(cc)
147 Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof zwar durch die Entscheidung „Gazprom-
Manager“ (GRUR 2013, 94 = NJW 2013, 229) klargestellt, dass die zur Zulässigkeit des
Bereithaltens von Altmeldungen in Online-Archiven entwickelten Grundsätze auch für
die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren und deren Einleitung (und also auch für
die Verdachtsberichterstattung) gelten; jedoch unterscheidet sich der Fall „Gazprom-
Manager“ vom vorliegenden - abgesehen davon, dass es vorliegend nicht um
Altmeldungen in einem Online-Archiv geht - auch entscheidend dadurch, dass in diesem
das Ermittlungsverfahren gemäß § 153 a StPO eingestellt worden war, was - wie der
Bundesgerichtshof betont hat (a.a.O., Tz. 25) - einen hinreichenden Tatverdacht
voraussetzte, weshalb der Beschuldigte durch eine Einstellung des Verfahrens gemäß §
153 a StPO nicht in einer dem Freispruch vergleichbaren Weise rehabilitiert werde.
Vorliegend ist aber das medienaufsichtsrechtliche Verfahren auch nach Darstellung der
Beklagten eingestellt worden, weil der Verdacht nicht habe bestätigt werden können.
148 Darüber hinaus ist vorliegend auch davon auszugehen, dass die erhobenen Vorwürfe
unrichtig waren, denn dies ist trotz dahingehenden Vortrags des Klägers in I. Instanz von
der Beklagten nicht bestritten worden (siehe bereits oben unter (3) (b) (cc)). Sind
Gegenstand der Berichterstattung aber Beschwerden (und deren behördliche
Überprüfung), die unstreitig unwahre Behauptungen zum Gegenstand hatten, kann ein
gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit an der Möglichkeit, sich hierüber zu informieren,
ebenso wenig angenommen werden wie ein solcher Vorgang i. S. der Rechtsprechung
zu den Online-Archiven (etwa BGH NJW 2010, 757 Tz. 20 und GRUR 2013, 94 Tz. 28)
als vergangenes zeitgeschichtliches Ereignis angesehen werden kann, an dessen
Recherche ein anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit besteht, das die
Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts rechtfertigen könnte.
(5)
149 Schon angesichts der oben unter (4) dargestellten fehlenden Vergleichbarkeit des
Vorhaltens älterer Artikel in den Online-Archiven von Publikationsorganen und der in der
Online-Enzyklopädie der Beklagten enthaltenen Beiträge (etwa Biographien über
lebende Personen, wie sie hier in Frage stehen) kann dem Kläger nicht, wie die
Beklagte meint, entgegengehalten werden, er sei gegen die Abrufbarkeit des in dem
beanstandeten Beitrag zitierten, dieselben Äußerungen enthaltenden Artikels der „St
Zeitung“ vom 04.04.2008 in deren Online-Archiv nicht vorgegangen.
c)
150 Die rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers begründet auch
einen Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB; Art. 1 Abs. 1,
Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gegen die Beklagte.
aa)
151 § 10 S. 1 TMG steht einer Verantwortlichkeit der Beklagten für den Inhalt der von ihr
betriebenen Website schon deshalb nicht entgegen, weil die Bestimmung lediglich die
strafrechtliche Verantwortlichkeit und die Schadensersatzhaftung betrifft, nicht aber für
Unterlassungsansprüche gilt (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichthofs, etwa
BGH GRUR 2012, 311 Tz. 19 - Blog-Eintrag; BGH GRUR 2012, 751 = NJW 2012, 2345
Tz. 9 - RSS-Feeds - m.w.N.).
bb)
152 Die Beklagte haftet zwar nicht deshalb auf Unterlassung, weil sie durch die
beanstandeten Äußerungen selbst unzulässig in das Persönlichkeitsrecht des Klägers
eingegriffen hätte, denn sie hat den Artikel nicht selbst verfasst und ihn sich auch nicht
zu eigen gemacht. Sie haftet jedoch als Störerin, weil sie trotz der spätestens durch die
Zustellung der Klageschrift bewirkten Kenntnis von der Verletzung des
Persönlichkeitsrechts des Klägers nicht reagiert und den beanstandeten Absatz des
Artikels über den Kläger in der von ihr betriebenen Online-Enzyklopädie unverändert
gelassen hat.
153 Im Einzelnen:
(1)
154 Unstreitig werden die Inhalte in der Online-Enzyklopädie der Beklagten nicht von dieser
erstellt; vielmehr stellt diese lediglich Dritten die Plattform und Speicherplatz zur
Verfügung, damit diese selbstverfasste Beiträge hinterlegen können, so dass jedermann
an der Online-Enzyklopädie mitarbeiten, Artikel erstellen kann, wobei unstreitig weder
eine Vorabkontrolle noch eine nachträgliche Steuerung durch eine Redaktion stattfindet.
Aufgrund dessen hat das Landgericht Hamburg (MMR 2008, 550, 551) zu Recht
angenommen, dass diese Funktionsweise der Online-Enzyklopädie der Beklagten in
wesentlichen Grundzügen einem Internetforum vergleichbar sei, auch wenn dieses im
Unterschied zu Foren nicht ein spezielles Themengebiet betrifft, sondern eine
unüberschaubare Vielzahl von Themen und anders als viele Foren auf ein dauerhaftes
Vorhalten der Beiträge bei ständiger Weiterentwicklung, Anpassung und Veränderung
gerichtet ist. Denn entscheidend ist die Funktionsweise, dass jedermann die Möglichkeit
eröffnet wird, Inhalte ohne redaktionelle Prüfung einzustellen (unstreitiger Tatbestand,
LGU S. 3). Diese Einstufung der Online-Enzyklopädie der Beklagten wird - soweit
ersichtlich - auch sonst in Rechtsprechung (LG Köln, MMR 2008, 768, 769; Berufung
zurückgewiesen durch Urteil des OLG Köln vom 16.12.2008, 15 U 116/08) und Literatur
(Beck’scher Kommentar zum Recht der Telemediendienste - Jandt, 2. Aufl., § 10 TMG
Rn. 79) geteilt. Die Beklagte ist mithin nicht als sog. Content-Provider für eigene
Informationen, sondern als Host-Provider für fremde Informationen einzuordnen (Strauß,
ZUM 2006, 274, 283).
(2)
155 Aufgrund der geschilderten Funktionsweise der Online-Enzyklopädie der Beklagten
kann ebenso wenig wie bei einem unter einer Internet-Adresse betriebenen
Informationsportal, bei dem eine redaktionelle Kontrolle nicht durchgeführt wird (für
diesen Fall ein Zu-Eigen-Machen verneinend BGH GRUR 2012, 751 Tz. 1, 11 ff. - RSS-
Feeds, insbesondere Tz. 12), ein Zu-Eigen-Machen angenommen werden. Insofern
kann für die Beklagte nichts anderes gelten als für einen Host-Provider, welcher die
technische Infrastruktur und den Speicherplatz für einen Blog zur Verfügung stellt, für
den der Bundesgerichtshof ein Zu-Eigen-Machen ebenfalls verneint hat (BGH GRUR
2012, 311 Tz. 3, 20 - Blog-Eintrag). Ausdrücklich im Hinblick auf die Online-
Enzyklopädie der Beklagten hat i. d. S. auch das Landgericht Köln (ebenda)
entschieden.
(3)
156 Die Beklagte trifft jedoch eine Störerhaftung nach den Grundsätzen, welche der
Bundesgerichtshof in den Entscheidungen „Blog-Eintrag“ (GRUR 2012, 311 Tz. 20 ff.)
und „RSS-Feeds“ (NJW 2012, 2345 = GRUR 2012, 751 Tz. 17 ff.) für andere Host-
Provider aufgestellt hat, welche die technische Infrastruktur und den Speicherplatz für
Blogs zur Verfügung stellen oder ein Informationsportal betreiben. Danach setzt die
Störerhaftung die Verletzung zumutbarer Prüfpflichten voraus, wobei der Host-Provider
nicht verpflichtet ist, die von den Nutzern in das Netz gestellten Beiträge vor der
Veröffentlichung auf evtl. Rechtsverletzungen zu überprüfen, er vielmehr erst
verantwortlich wird, sobald er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt. Weist ein
Betroffener den Host-Provider auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hin, ist
dieser verpflichtet, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern, wenn der Hinweis
hinreichend konkret ist (BGH GRUR 2012, 311 Tz. 24 - 27; BGH GRUR 2012, 751 Tz.
19; BGH GRUR 2013, 751 Tz. 30 - Autocomplete-Funktion). Diese Maßstäbe sind auch
auf die Beklagte hinsichtlich der von dieser betriebenen Online-Enzyklopädie
anzuwenden (Beck’scher Kommentar zum Recht der Telemediendienste - Jandt, a.a.O.,
§ 10 TMG Rn. 79; LG Berlin ZUM-RD 2012, 160 Rn. 21 in Juris und ZUM-RD 2012, 399
Rn. 74 f. in Juris, LG Tübingen a.a.O., Rn. 36 f. in Juris, ebenso bereits Strauß, ebenda).
(4)
157 Da die Beklagte spätestens durch die Klageschrift i. S. d. Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ausreichende Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt hat, sie
aber in der Folge (bis heute) unverändert auf ihrer Website belassen hat, haftet sie dem
Kläger mithin auf Unterlassung.
d)
158 Der Unterlassungsanspruch besteht jedoch nicht in dem Umfang, den das Landgericht
zuerkannt hat.
aa)
159 Zum Einen steht dem Kläger ein Unterlassungsanspruch nur hinsichtlich der
Begehungsvariante des „Verbreitens“, nicht aber des „Behauptens“ zu. Zwar mag
rechtswidriges Verbreiten grundsätzlich eine Wiederholungsgefahr auch hinsichtlich
eines Behauptens begründen (ablehnend allerdings etwa Wenzel-Burkhardt, a.a.O.,
Kap. 12 Rn. 79); dies kann aber jedenfalls dann nicht gelten, wenn wie im vorliegenden
Fall der Verletzer „nur“ als Störer für die Verbreitung von Äußerungen Dritter haftet, die er
sich aber nicht zu eigen macht, und gleichzeitig aufgrund der Gestaltung der von der
Beklagten betriebenen Online-Enzyklopädie (erkennbares Verfassen der Beiträge durch
die Nutzer ohne Vorabkontrolle oder nachträgliche Steuerung durch eine Redaktion der
Beklagten) nichts dafür spricht, dass die Beklagte die verbreiteten Äußerungen künftig
auch als eigene behaupten werde.
160 Mit einem auf das „Verbreiten“ beschränkten Unterlassungsausspruch ist auch dem
Umstand, dass die Beklagte nur als Störerin haftet, hinreichend Rechnung getragen (so
auch schon Senat, Urteil vom 26.06.2013, 4 U 28/13).
bb)
161 Zum Anderen berücksichtigt das landgerichtliche Urteil nicht, dass beim Verbot von
Äußerungen, welche wie vorliegend eine Abwägung zwischen dem Recht auf Schutz
der Persönlichkeit und dem Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit voraussetzt, der
Kontext der Äußerungen berücksichtigt werden muss, weshalb ein Verbot ohne
Bezugnahme auf den Kontext grundsätzlich zu weit geht (BGH GRUR 2013, 312 Tz. 32
a. E. - IM Christoph). Dieser Kontext besteht vorliegend zumindest in dem (gesamten)
Absatz, in dem die beanstandeten Äußerungen enthalten sind.
162 Einer Aufnahme des Kontextbezuges in den Tenor durch die Bezugnahme auf die
konkrete Verletzungshandlung („wenn dies geschieht, wie“) ist prozessual auch ohne
einen hier nicht gestellten Hilfsantrag des Klägers zulässig, da mit dem
Bundesgerichtshof (ebenda) anzunehmen ist, dass ein Verbot ohne Bezugnahme auf
den Kontext weiter reicht als ein solches, das diesen herstellt und es sich mithin bei
einem kontextbezogenen Verbot um ein bloßes „Minus“ zum nicht kontextbezogenen
Verbot handelt.
2.
163 Der Klagantrag Ziff. 1. a) ist nicht begründet, so dass das Landgericht diesen zu Recht
abgewiesen hat und die insoweit zulässige Anschlussberufung
(Anschlussberufungsantrag Ziff. 2. a.) in der Sache ohne Erfolg bleibt.
164 Die mit diesem Antrag angegriffenen Äußerungen stellen zwar einen Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht des Klägers dar, sind aber nicht rechtswidrig, weil die Abwägung
des Interesses des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs
gegen die Meinungsfreiheit des Autors / der Autoren der Biographie über den Kläger in
der von der Beklagten betriebenen Online-Enzyklopädie und das Informationsinteresse
der Öffentlichkeit ergibt, dass Letztere überwiegen. Auf die Frage, ob sich auch die
Beklagte auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen kann, kommt es mithin auch für diesen Klagantrag
nicht an.
a)
165 Die vom Kläger angegriffenen Äußerungen, er habe Mitarbeiter seines Senders einer
„Gehirnwäsche“ unterzogen und es hätten bei dem von ihm (bzw. der von ihm
beherrschten Gesellschaft) betriebenen Fernsehsender x „sektenähnliche Zustände“
geherrscht, stellen in dem Kontext, in dem sie geäußert werden, einen Eingriff in sein
allgemeines Persönlichkeitsrecht dar, denn sie sind geeignet, sich abträglich auf das
Ansehen des Klägers, insbesondere sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken, weil sie
seine Person in den Augen des Lesers negativ qualifizieren. Dies ist für den Begriff
„Gehirnwäsche“ ohne weiteres anzunehmen; aber auch die Worte „sektenähnliche
Zustände“ stellen jedenfalls in dem vorliegend gegebenen Zusammenhang ein
negatives Urteil dar, da sie im Zusammenhang mit dem Vorwurf, der Kläger habe in
mehrstündigen Einzelgesprächen massiv Mitarbeiter eingeschüchtert, und dem
angegriffenen Begriff der „Gehirnwäsche“ stehen.
b)
166 Zu Recht hat das Landgericht aber angenommen, dass dieser Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht rechtswidrig ist, weil es sich bei den
angegriffenen Äußerungen um zulässige Meinungsäußerungen (Werturteile) handelt.
aa)
167 Die angegriffenen Äußerungen stellen Meinungsäußerungen (Werturteile) und keine
Tatsachenbehauptungen dar. Das Vorbringen in der Anschlussberufung vermag eine
andere Wertung nicht zu rechtfertigen.
(1)
168 Wie die Ausführungen auf LGU S. 10 f. unter I. 1. b. der Entscheidungsgründe zeigen, ist
das Landgericht bei der Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und
Meinungsäußerungen (Werturteilen) von zutreffenden, der verfassungs- und
höchstrichterlichen Rechtsprechung folgenden Grundsätzen ausgegangen. Auf die
Ausführungen oben unter 1. b) aa) kann insoweit verwiesen werden.
(2)
169 Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht ist auch deren Anwendung auf die
vorliegend in Frage stehenden Äußerungen nicht zu beanstanden.
(a)
170 Das Landgericht hat seine Einordnung der angegriffenen Äußerungen damit begründet,
dass die angegriffenen Äußerungen eine (subjektive) Bewertung des Verfassers des
Enzyklopädiebeitrags darstellten und als Bewertungen nicht durch Beweismittel als
wahr oder unwahr bewiesen werden könnten, sie stellten eine Stellungnahme zu dem
zwischen den Parteien (wohl) unstreitigen Umstand dar, dass es im (damaligen)
Unternehmen des Klägers Gespräche mit den Mitarbeitern gegeben habe, die „stark
überzeugenden Inhalt“ gehabt hätten.
(b)
171 Dieser Bewertung ist jedenfalls im Ergebnis beizutreten.
(aa)
172 In dem Kontext, in dem vorliegend der Begriff „Gehirnwäsche“ verwendet wird, ist er als
Werturteil zu verstehen. Nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont (hierzu s. o. unter
1. b) aa)) stellt der Begriff „Gehirnwäsche“ eine Bewertung der im selben Satz
mitgeteilten Vorgänge dar, nämlich, dass der Kläger mit Mitarbeitern des
Fernsehsenders mehrstündige Einzelgespräche geführt haben soll. In diesen zuletzt
genannten Äußerungen sind Tatsachenbehauptungen zu sehen, auch in der Äußerung,
der Kläger habe Mitarbeiter „massiv eingeschüchtert“, da diese Äußerung zwar ebenfalls
wertende Elemente aufweist, aber die Vorstellung von konkreten, in die Wertung
eingekleideten Vorgängen hervorruft und damit als Tatsachenbehauptung anzusehen ist
(zu diesem Kriterium etwa BVerfG NJW 2008, 358, 359; BGH NJW 2003, 1308, 1310
m.w.N.). Entgegen der Auffassung des Klägers ruft demgegenüber der Begriff
„Gehirnwäsche“ nicht die Vorstellung (weiterer, darüber hinausgehender) konkreter
Vorgänge hervor, sondern wertet vielmehr die genannten Vorgänge (negativ). Bestätigt
wird diese Einschätzung durch die in Fn. 6 des Artikels als Belegstelle angeführte
Veröffentlichung auf taz.de, wonach Sendermitarbeiter über „mehrstündige
Einzelgespräche“ mit dem Kläger berichtet hätten, die an „Gehirnwäsche“ „erinnerten“.
Auch insoweit handele es sich bei der Verwendung des Begriffs „Gehirnwäsche“ um ein
Werturteil, jedenfalls mindestens um eine Äußerung, die durch die Elemente der
Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist und deshalb als
Meinungsäußerung anzusehen ist (vgl. BGH NJW 2009, 1872 Tz. 15 - Fraport-Manila-
Skandal), nämlich eine Bewertung der „mehrstündigen Einzelgespräche“. Schließlich ist
zu berücksichtigen, dass unstreitig der Begriff „Gehirnwäsche“ vorliegend nicht im
engeren, eigentlichen und ursprünglichen Sinn, also nicht i. d. S. einer Art von Folter, die
den ganzen oder teilweisen Verlust der Persönlichkeit oder eine völlige Umkehrung des
politischen Denkens und Wollens herbeiführt, sondern in einem umgangssprachlichen
Sinne verwendet wird. Die Richtigkeit der Einstufung der umgangssprachlichen
Verwendung des Wortes „Gehirnwäsche“ als Meinungsäußerung jedenfalls im
vorliegenden Kontext zeigt sich auch daran, dass keine tauglichen Kriterien ersichtlich
sind, nach welchen der erforderliche Wahrheitsbeweis geführt wäre.
(bb)
173 Nichts anderes gilt für die Äußerung, bei x hätten „teils sektenähnliche Zustände“
geherrscht. Auch insoweit werden entgegen der Auffassung des Klägers keine
Vorstellungen von konkreten Vorgängen hervorgerufen, welche einem Wahrheitsbeweis
zugänglich wären. Zu Recht hat die Beklagte bereits in der Klageerwiderung darauf
hingewiesen, dass mit dieser Äußerung nicht behauptet werde, der Kläger habe eine
Sekte geführt oder Ähnliches. Auch insoweit liegt eine (Be-)Wertung der Zustände im
früher vom Kläger bzw. der von diesem beherrschten Gesellschaft betriebenen Sender
im Kontext der Äußerung, der Kläger habe Mitarbeiter in mehrstündigen
Einzelgesprächen massiv eingeschüchtert, vor.
174 Insoweit ist vorliegend ein Sachverhalt gegeben, der von dem der Entscheidung NJW
2003, 1308 des Bundesgerichtshof zugrunde liegenden Sachverhalt in entscheidenden
Punkten abweicht: Dort war die Gruppe um den damaligen Kläger als „eindeutige
Psychosekte“ bezeichnet und war hierfür auf angeblich in einer höchstrichterlichen
Entscheidung aufgestellte Merkmale Bezug genommen worden (a.a.O., 1310). Aus
diesem Grund sah der Bundesgerichtshof Raum für die Annahme, es könnte durch die
angegriffene Äußerung die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten
Vorgängen hervorgerufen worden sein und damit eine Tatsachenbehauptung vorliegen.
Im hier zu beurteilenden Fall fehlt es nicht nur an einer solchen Bezugnahme, vielmehr
ist auch der Begriff „sektenähnlich“ deutlich unbestimmter und verliert sich im
vorliegenden Kontext mangels näherer Angaben dazu im Ungefähren. Auch insoweit
zeigt sich, dass, wenn man die Kontrollfrage stellt, was die Beklagte denn beweisen
müsste, damit der erforderliche Wahrheitsbeweis geführt wäre, hierfür sich keine
tauglichen Kriterien finden lassen; vielmehr kann man die Bezeichnung bestimmter
Zustände als „sektenähnlich“ jedenfalls bei der vorliegend gegebenen Verwendung als
je nach persönlicher Überzeugung richtig oder falsch einschätzen, sie kann jedoch nicht
erweislich wahr oder unwahr sein.
bb)
175 In Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht des Klägers erweist sich die in den
angegriffenen Äußerungen liegende Meinungsäußerung als zulässig.
(1)
176 Bei Werturteilen, wie sie vorliegend nach dem oben unter aa) (2) Gesagten in Rede
stehen, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten, wenn sich die Äußerung als
Schmähkritik oder Formalbeleidigung darstellt (BGH NJW 2008, 358, 359; BGH NJW
2003, 1308, 1310 jew. m.w.N.). Dabei ist die Schmähkritik eng definiert (zuletzt etwa
BVerfG, Beschl. v. 24.07.2013, 1 BvR 444/13 und 1 BvR 527/13 Tz. 21 sowie Beschluss
v. 02.07.2013, 1 BvR 1751/12 Tz. 15); an ihr Vorliegen sind strenge Maßstäbe
anzulegen, weil andernfalls eine umstrittene Äußerung ohne Abwägung dem Schutz der
Meinungsfreiheit entzogen und diese damit in unzulässiger Weise verkürzt würde (BGH
NJW 2009, 1872 Tz. 18 m.w.N.). Deshalb kann eine Schmähkritik selbst bei einer
überzogenen oder gar ausfälligen Kritik noch nicht angenommen werden, vielmehr muss
hinzutreten, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache,
sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht; die Äußerung muss also
jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung
bestehen, das sachliche Anliegen durch die persönliche Kränkung völlig in den
Hintergrund gedrängt werden (BVerfG, Beschluss v. 24.07.2013, 1 BvR 444/13 und 1
BvR 527/13 Tz. 21).
177 Diesen Maßstab hat zutreffend auch das Landgericht angelegt (LGU S. 12, letzt. Abs.).
(2)
178 In Anwendung dieser Grundsätze hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass der
Ausdruck „Gehirnwäsche“ den Umgang des Klägers mit seinen Mitarbeitern bewertet
und nicht die persönliche Diffamierung des Klägers im Vordergrund stand. Hiergegen
wendet sich auch die Berufung nicht, welche das landgerichtliche Urteil hinsichtlich des
in Frage stehenden Klagantrags nur dahingehend angreift, das Landgericht habe zu
Unrecht keine Tatsachenbehauptung angenommen, die unwahr und deshalb zu
verbieten sei.
179 Gleiches wie für den Ausdruck „Gehirnwäsche“ gilt auch für die Formulierung
„sektenähnliche Zustände“.
(3)
180 Liegt mithin keine Schmähkritik vor, ist damit entgegen der offenbar vom Landgericht
vertretenen Auffassung die Äußerung aber nicht „automatisch“ zulässig, vielmehr ist
dann über die Frage der Rechtfertigung der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts
durch Interessenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschl. v. 02.07.2013, 1 BvR
1751/12 Tz. 18; BVerfG NJW 2008, 358, 359; BGH NJW 2009, 1872 Tz. 22).
181 Diese Abwägung fällt zugunsten der Beklagten aus:
182 Zum Einen spricht bei Werturteilen, die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende
Frage betreffen, eine Vermutung für die Freiheit der Rede (BVerfG NJW 1992, 1439,
1440 f.; BGH NJW 2003, 1308, 1310). Bei der Behandlung von Mitarbeitern eines
Fernsehsenders durch den maßgeblichen Gesellschafter der diese betreibenden
Gesellschaft handelt es sich um eine solche Frage.
183 Zum Anderen fällt bei der Abwägung die Richtigkeit des tatsächlichen
Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BGH NJW 2008, 358,
359), wobei es genügt, dass der dargestellte Aussagekern in tatsächlicher Hinsicht nicht
angegriffen ist (vgl. BGH NJW 2009, 1872 Tz. 22). Eine solche Konstellation ist
vorliegend gegeben, da das beantragte Verbot zwar den Satz „Im Rahmen seiner
Fernseharbeit soll Hornauer massiv Mitarbeiter eingeschüchtert haben, die er nach
Angaben der taz. in mehrständigen Einzelgesprächen ...“ umfasst, der Kläger sich aber
in der Sache lediglich gegen die Aussage wendet, er unterziehe seine Mitarbeiter einer
Gehirnwäsche und in seinem Unternehmen hätten sektenähnliche Zustände geherrscht
(S. 3 der Klageschrift, S. 3 f. der Replik, Bl. 46 f. und S. 6 der
Berufungserwiderung/Anschlussberufungsschrift, Bl. 119), während er die Äußerungen,
er habe mehrstündige Einzelgespräche mit seinen Mitarbeitern geführt und diese seien
massiv eingeschüchtert worden, nicht angegriffen hat.
III.
184 Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. Hinsichtlich der
Klaganträge Ziff. 1. b) und c) (LGU Tenor Ziff. 1. a) und b)) rechtfertigt die Abweisung
wegen der Begehungsform des Behauptens und wegen des unabhängig vom Kontext
begehrten Verbots die Annahme eines hälftigen Unterliegens.
185 Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Sätze 1 und 2
ZPO. § 708 Nr. 10 ZPO ist nicht anwendbar, da eine nichtvermögensrechtliche
Streitigkeit vorliegt (vgl. BGH NJW 1985, 978 f.; Thomas/Putzo, ZPO, 34. Aufl., Einl. IV
Rn. 4 m.w.N.).
186 Gründe i. S. v. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO, welche die Zulassung der Revision
rechtfertigten, liegen nicht vor, auch wenn es bislang zur Haftung des Betreibers einer
Online-Enzyklopädie für deren Inhalte keine höchstrichterliche Entscheidung gibt, weil
sich die in Anwendung der von der Rechtsprechung für andere Host-Provider
entwickelten Grundsätze auf einen solchen übertragen lassen. Auch die Frage, unter
welchen Voraussetzungen eine Berichterstattung, wie sie vorliegend angegriffen ist, in
Online-Enzyklopädien zulässig ist, kann durch die Übertragung der für andere Formen
der Veröffentlichung entwickelten Grundsätze eindeutig beantwortet werden.