Urteil des OLG Stuttgart vom 17.01.2011

OLG Stuttgart: klage auf künftige leistung, räumung, wiederkehrende leistung, herausgabe, mwst, kündigung, ermessen, abschlag, rücknahme, parteikosten

OLG Stuttgart Beschluß vom 17.1.2011, 5 U 158/10
Leitsätze
Gebührenstreitwert: Anders als bei einer Klage auf künftige Mietzahlungen, für die überwiegend § 9 ZPO angewandt wird, bestimmt sich der
Streitwert einer Klage auf Zahlung zukünftiger Nutzungsentschädigung gem. § 259 ZPO nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.
Streitwertbeschluss
Tenor
Unter Abänderung der Streitwertfestsetzung im Urteil des LG Rottweil vom 24.08.2010, Az.: 3 O 165/10, wird der Streitwert für die I. und II. Instanz
folgendermaßen festgesetzt:
I. Instanz
1. Bis zum 27.07.2010: 33.271,- EUR
(bis zum Teilanerkenntnisurteil bzgl. Miete für Mai 2010 vom 20.07.2010 und Teilanerkenntnisurteil bzgl. Räumungsanspruch vom 27.07.2010).
2. danach: 16.212,- EUR
(allein verbleibende künftige Nutzungsentschädigung)
II. Instanz
1. Bis zum 29.12.2010: 17.130,92 EUR
(bis zur einseitigen Erledigungserklärung des Klägers vom 29.12.2010, bestehend aus:
Berufung des Bekl.: künftige Nutzungsentschädigung iHv 16.212,- EUR [für erledigt erklärt am 29.12.2010] und
Berufung des Kl. iHv 918,92 EUR [zurückgenommen am 13.01.2011])
2. danach (ab 30.12.2010): Kostenwert
Gründe
1
Der Kl. beantragte mit der am 27.05.2010 zugestellten Klage, den Bekl. zur Räumung des Mietobjekts (Antrag Ziff. 1), zur Zahlung der Miete inkl.
MwSt. und Nebenkostenvorauszahlungen für Mai 2010 iHv 1.351,- EUR (Antrag Ziff. 2), zur Zahlung von monatlich 1.351,- EUR ab Juni 2010
(Antrag Ziff. 3) und zur Zahlung von 1.890,20 EUR für vorgerichtliche Anwaltskosten (Antrag Ziff. 4) zu verurteilen. Über die Miete für Mai 2010
wurde mit Teilanerkenntnisurteil vom 20.07.2010 erkannt. Zum Räumungsanspruch erging am 27.07.2010 ein weiteres Teilanerkenntnisurteil.
Das LG Rottweil hat den Bekl. u.a. verurteilt, an den Kl. ab 02.08.2010 eine monatliche Nutzungsentschädigung iHv 1.351,- EUR längstens bis
zur vollständigen Räumung und Herausgabe des streitgegenständlichen Ladenlokals zu zahlen. Hiergegen hat der Bekl. Rechtsmittel eingelegt.
Das Ladenlokal wurde am 09.11.2010 zwangsgeräumt. Der Kl. hat am 29.12.2010 einseitig die Erledigung des Klageantrags gem. Ziff. 3 erklärt.
Am 17.01.2011 erging gegen den Bekl. im Berufungsverfahren ein Versäumnisurteil.
1)
2
Der Gebührenstreitwert für die I. Instanz ergibt sich – bis zum 27.07.2010 – aus der Addition des Gebührenstreitwerts für den Räumungsanspruch
gem. Ziff. 1 (a), des Gebührenstreitwerts für den Mietzinszahlungsanspruch gem. Ziff. 2 (b) sowie demjenigen für die Nutzungsentschädigung
gem. Ziff. 3 (c). Die gem. Ziff. 4 geltend gemachten vorprozessualen Kosten zur Durchsetzung des Anspruchs bleiben bei der
Streitwertfestsetzung als Nebenforderungen – ebenso wie die geltend gemachten Zinsen (§ 4 Abs. 1 HS 2 ZPO) – unberücksichtigt (BGH NJW
2007, 3289; Zöller, 28. Aufl., § 4 Rn. 13 m.w.N.). Die durch das Teilanerkenntnisurteil vom 20.07. und 27.07.2010 bzgl. dem Klageantrag gem.
Ziff. 1 und Ziff. 2 eingetretene Erledigung führt ab 28.07.2010 zu einer entsprechenden Reduzierung des Gebührenstreitwerts.
(a)
3
Der Gebührenstreitwert für den Räumungsanspruch beträgt gem. § 41 Abs. 1 GKG 15.708,- EUR (= 1.100,- EUR Nettomietzins + 209,- EUR
MwSt. hieraus x 12).
4
Die Mehrwertsteuer gehört zum Nettogrundentgelt i.S.v. § 41 GKG (BGH NJW-RR 1997, 648; OLG Düsseldorf MDR 2006, 1079; Zöller, aaO, § 3,
Rn. 16, dort unter „Mietstreitigkeiten“ m.w.N. zur Rspr.).
(b)
5
Der Gebührenstreitwert für den Mietzinsanspruch gem. Ziff. 2 beträgt gem. § 48 Abs. 1 GKG iVm § 3 ZPO 1.351,- EUR (= 1.100,- EUR
Nettomietzins + 209,- EUR MwSt. hieraus + 42,- EUR Nebenkostenvorauszahlung).
(c)
6
Der Gebührenstreitwert für den Nutzungsentschädigungsanspruch gem. Ziff. 3 beträgt gem. § 48 Abs. 1 GKG iVm § 3 ZPO 16.212,- EUR (=
1.100,- EUR Nettomietzins + 209,- EUR MwSt. hieraus + 42,- EUR Nebenkostenvorauszahlung x 12).
aa.
7
§ 41 Abs. 1 GKG findet bei Streitigkeiten über Zahlungsverpflichtungen aus einem Mietvertrag grundsätzlich keine Anwendung, auch wenn
die Parteien letztlich über den Fortbestand des zu Grunde liegenden Mietverhältnisses streiten, denn der für die Wertfestsetzung
maßgebliche Streitgegenstand ist nicht durch den Streit über Bestehen oder Dauer des Mietverhältnisses bestimmt, sondern durch einen
Einzelanspruch aus dem Mietverhältnis, nämlich die künftige Geldforderung des Vermieters (BGH NJW-RR 2005, 938; bereits BGH JurBüro
1966, 309).
bb.
8
Die Frage, ob der Gebührenstreitwert einer auf Zahlung zukünftiger Nutzungsentschädigung bis zur Räumung gerichteten Klage nach § 9
ZPO oder § 3 ZPO zu bestimmen ist, ist umstritten.
9
Mit der ganz herrschenden Meinung geht der Senat davon aus, dass die Bestimmung des Streitwerts – anders als für künftige Miete, für die
überwiegend § 9 ZPO angewandt wird – gem. § 3 ZPO zu erfolgen hat (KG Berlin NJW-RR 2007, 1579; OLG Frankfurt OLGR 2004, 201; KG
Berlin KGR 2000, 234; OLG Bamberg JurBüro 1981, 1047; OLG Frankfurt MDR 1980, 761; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl.
2007, Rn. 3713; Meyer, Kommentar zum GKG und FamGKG, 11. Aufl. 2009, § 3 Rn. 22 „Nutzungsentschädigung“; Hartmann, Kostengesetze,
40. Aufl. 2010, GKG Anh I § 48 (§3 ZPO); Henssler, Die Klage auf künftige Leistung im Wohnraummietrecht in: NJW 1989, 138 (142); a.A.
OLG Hamm FamRZ 2008, 1208; LG Berlin ZMR 2003, 264; Zöller, aaO, § 3 Rn.16, dort unter „Mietstreitigkeiten“, dort unter „Klage auf
künftige Leistung“).
10
Entgegen der vom OLG Hamm und dem LG Berlin vertretenen Ansicht (aaO) ist § 9 ZPO in Fällen wie dem vorliegenden nicht anzuwenden.
Es ist zwar zutreffend, dass es sich bei der vom Mieter bis zur Räumung zu zahlenden Nutzungsentschädigung um eine wiederkehrende
Leistung von ungewisser Dauer handelt, doch reicht dies allein für eine Anwendung von § 9 ZPO nicht aus. Zu berücksichtigen sind vielmehr
die Grundsätze, die bereits von den Vereinigten Zivilsenaten des RG in RGZ 24, 373 (bestätigt in RGZ 37, 383; fortgeführt BGHZ 36, 144)
über Sinn und Zweck sowie über die Anwendung des § 9 ZPO entwickelt worden sind (KG Berlin NJW-RR 2007, 1579). Hiernach betrifft § 9
ZPO nur solche Rechte, die ihrer Natur nach und erfahrungsgemäß eine Dauer von wenigstens 42 Monaten haben oder jedenfalls eine
solche Dauer haben können (BGHZ 36, 144). Zwischen der Einreichung der Klage auf Räumung und der Herausgabe der Mieträume – also
dem Zeitraum, für den der Anspruch auf künftige Nutzungsentschädigung geltend gemacht wird – liegt in aller Regel jedoch ein Zeitraum von
weniger als 42 Monaten.
11
Den Gebührenstreitwert einer auf Zahlung zukünftiger Nutzungsentschädigung bis zur Räumung gerichteten Klage nach § 3 ZPO zu
bestimmen, steht die vom LG Rottweil zitierte Entscheidung des BGH vom 20.04.2005 (NJW-RR 2005, 938) und die des OLG Stuttgart vom
07.02.1997 (NJW-RR 1997, 1303) ebenso wenig entgegen wie die Entscheidung des BGH vom 17.03.2004 (NZM 2004, 423). Diesen
Entscheidungen lag jeweils ein Sachverhalt zugrunde, in dem das Mietverhältnis nach der Darstellung der klagenden Partei eben gerade
nicht beendet war und deshalb Miete und nicht Nutzungsentschädigung geltend gemacht wurde. Klagt der Vermieter nach (unstreitiger)
Kündigung des Mietverhältnisses auf Zahlung von Nutzungsentschädigung bis zur Herausgabe und Räumung, fehlt es für eine Anwendung
von § 9 ZPO aufgrund des beendeten Mietverhältnisses jedoch an einem Stammrecht (Schneider/Herget, aaO).
cc.
12
Gemäß § 3 ZPO ist der Streitwert nach freiem Ermessen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls zu bestimmen.
Letzteres bedeutet, dass maßgeblich für die Bestimmung des Streitwerts allein das Interesse des Kl. im Zeitpunkt der den jeweiligen
Streitgegenstand betreffenden Antragstellung sein kann. Hier ging es dem Kl. darum, sich nach erfolgter Kündigung Nutzungsentschädigung
bis zur voraussichtlichen Räumung – nach ergangenem Räumungstitel, notfalls im Wege der Zwangsvollstreckung – zu sichern. Dies muss
in einfacher gelagerten Fällen wie dem vorliegenden wiederum dazu führen, den Gebührenstreitwert auf den 12-fachen Betrag der
geforderten monatlichen Nutzungsentschädigung festzusetzen (so im Ergebnis auch OLG Frankfurt OLGR 2004, 201; KG Berlin NJW-RR
2007, 1579). Der Kl. hat in seiner Klageschrift vorgetragen, dass über einen Zeitraum von mehreren Monaten Mietzinszahlungen gar nicht,
jedenfalls in der Regel nicht pünktlich und nicht vollständig erfolgt sind, ohne dass der Mieter Einwände gegen seine Mietzinszahlungspflicht
vorgebracht hätte. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte war im Zeitpunkt der Klageeinreichung also nicht davon auszugehen, dass
die von dem Kl. zu erwartende Herausgabe der Mieträume durch den Bekl. für einen späteren Zeitraum als den von zwölf Monaten erfolgen
wird. Anhaltspunkte für eine Herausgabe zu einem früheren Zeitpunkt ergeben sich aus den Akten allerdings ebenso wenig. Zu diesem
Zeitpunkt (Antragstellung) war vielmehr noch völlig offen, ob und gegebenenfalls mit welchem Vortrag sich der Bekl. gegen die
Räumungsklage verteidigen würde. Dementsprechend muss für die Streitwertbestimmung auch unberücksichtigt bleiben, dass der Bekl. den
Räumungsanspruch in I. Instanz zuletzt anerkannt hat.
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Soweit in vergleichbaren Entscheidungen mit der Begründung, dass zwischen der Einreichung einer ein Gewerbeobjekt betreffenden
Räumungsklage und der Räumung dieses Objekts in aller Regel ein Zeitraum von fünf oder sechs Monaten ausreiche, sechs Monatsmieten
in Ansatz gebrachten werden (LG Nürnberg-Fürth WuM 2005, 664; KG Berlin KGR 2000, 234), erscheint dies zwar grundsätzlich möglich
und auch erstrebenswert, dürfte jedoch schon wegen der hiesigen tatsächlichen Gegebenheiten (Wartezeiten bei den Gerichtsvollziehern)
nicht der Regelfall sein. Ein solch kurzer Zeitraum könnte deshalb allenfalls dann in Betracht gezogen werden, wenn bereits der Klageschrift
Umstände zu entnehmen sind, aus denen auf eine kurzfristigere Räumung seitens des Bekl. geschlossen werden kann. Dies ist vorliegend
aber nicht der Fall.
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Die grundsätzliche Berücksichtigung eines Nutzungswertes iHv 12 Monaten entspricht auch der in § 41 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 GKG zum
Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung. Dementsprechend verbietet sich auch trotz des Feststellungscharakter des § 259 ZPO ein
Abschlag von 20 %, zumal der Titel ggfs. ohne weiteres zum Leistungstitel wird. Werden zukünftige Ansprüche eingeklagt, ist eben
ungewiss, für welchen Zeitraum tatsächlich eine Nutzungsentschädigung gezahlt wird.
2)
15 Der Gebührenstreitwert für die Berufung des Bekl. ergibt sich – bis zum 29.12.2010 – aus dem Gebührenstreitwert für den Klageantrag auf
(künftige) Nutzungsentschädigung gem. Ziff. 3. Dieser beträgt aus oben dargelegten Gründen vorliegend 16.212,- EUR. Danach (ab 30.12.2010)
bemisst sich der Gebührenstreitwert nach den bis zur einseitigen Erledigungserklärung des Klägers vom 29.12.2010 bereits angefallenen
Gerichts- und Parteikosten, da das Interesse der Parteien an der Fortsetzung des Rechtsstreits nach einseitiger Erledigungserklärung des Kl. und
Aufrechterhaltung des Antrags des Bekl. auf Klageabweisung – wirtschaftlich gesehen – regelmäßig nur noch so hoch ist wie diese Kosten (BGH
MDR 2006, 109; BGH NJW-RR 1996, 1210; BGH NJW-RR 1993, 765; BGHZ 106, 359; BGHZ 57, 301). Hinzukommt bis zur Rücknahme der
Berufung des Kl. am 13.01.2011 der Streitwert für dessen Berufung mit 918,92 EUR.