Urteil des OLG Stuttgart vom 15.01.2007

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OLG Stuttgart Beschluß vom 15.1.2007, 4 Ss 629/06
Bußgeldverfahren: Wiedereinsetzung in eine versäumte Rechtsmittelfrist auf Grund einer missverständlichen Rechtsmittelbelehrung durch
das Gericht
Leitsätze
Die Belehrung „Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung dieses Beschlusses auf die Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts (OLG S.) antragen“ ist zumindest missverständlich und gebietet für den Fall, dass wegen einer Antragsstellung beim
Oberlandesgericht anstatt bei zuständigen Amtsgericht die gesetzliche Frist versäumt wird, von Amts wegen Wiedereinsetzung in der Stand vor
Versäumung dieser Frist zu gewähren.
Tenor
1. Der Betroffene wird von Amts wegen auf seine Kosten in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags auf Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 346 Abs. 2 StPO)
wiedereingesetzt.
2. Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird als unbegründet
verworfen.
3. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
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1. Durch Beschluss vom 11. Oktober 2006 hat das Amtsgericht Tübingen den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde
gegen das Urteil des Amtsgerichts Tübingen vom 08. August 2006 als unzulässig verworfen, weil er verspätet eingelegt worden ist. Dieser
Beschluss ist dem Betroffenen am 24. Oktober 2006 zugestellt worden. Mit Schreiben vom selben Tag hat er Antrag auf Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts gestellt. Den Antrag hat er an das Oberlandesgericht Stuttgart gerichtet. Dort ist sein Schreiben am 27. Oktober 2006
eingegangen. Am 31. Oktober 2006 ist es vom Oberlandesgericht an das zuständige Amtsgericht Tübingen weitergeleitet worden, wo es am 03.
November 2006, mithin verspätet, eingegangen ist. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt nunmehr, den Antrag wegen Verfristung als
unzulässig zu verwerfen.
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Der Senat räumt dem Betroffenen von Amts wegen Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags ein, da
die ihm erteilte Rechtsmittelbelehrung zumindest missverständlich ist.
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Die Belehrung lautet: „Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung dieses Beschlusses auf die Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts (OLG Stuttgart) antragen.“
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Aus Sicht des Senats ist diese Belehrung nur schwer zu verstehen. Eine Person ohne Rechtskenntnisse kann aus dem antiquierten und (im vom
Gericht gemeinten Sinn) in der Umgangssprache ungebräuchlichen Wort „antragen“ zwar noch schließen, dass die die Möglichkeit besteht,
einen Antrag zu stellen. In welcher Form dies zu geschehen hat und vor allem an wen er zu richten ist, geht aus der Belehrung jedoch nicht
hervor. Vielmehr drängt sich für eine/n Rechtsunkundige/n der Eindruck auf, zuständig sei dafür das Oberlandesgericht, da in der Belehrung (
nur
) dieses Gericht (und zwar gerade) unmittelbar vor dem Wort „antragen“ genannt ist.
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Die vom Amtsgericht verwendete Formulierung der Belehrung ist aus dem Gesetzestext übernommen (§ 346 Abs. 2 StPO). Sie bedarf einer für
die Betroffenen verständlichen Umformung. Dies folgt unmittelbar aus § 35 a Abs. 1 StPO. Durch diese Vorschrift soll den Betroffenen ein
möglichst effektiver Rechtsschutz gewährt werden; sie sollen namentlich vor nachteiligen Folgen ihrer Rechtsunkenntnis geschützt werden
(Löwe-Rosenberg StPO, 25. Aufl., § 35 a Rn. 1). Die Belehrung muss deshalb klar, unmissverständlich und vollständig sein (BverfG StV 1994,
113; BGH 24, 15, 25). Erforderlich ist die Angabe des Gerichts oder der Gerichte, bei denen das Rechtsmittel einzulegen ist (Meyer-Goßner StPO,
49. Aufl., § 35 a Rn. 10; Löwe-Rosenberg aaO, § 35 a Rn. 14 mit weiteren Nachweisen).
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Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Rechtsmittelbelehrung auf den ersten Blick erkennbar nicht. Dass der Betroffene seinen Antrag an
das Oberlandesgericht geschickt hat, wo er auch innerhalb der Frist eingegangen ist, kann ihm nicht vorgeworfen werden.
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Aus gegebenem Anlass zitiert der Senat für das Amtsgericht beispielhaft Formulierungen, die bei den beiden unmittelbar benachbarten
Amtsgerichten gebräuchlich sind:
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1. „Gegen den Verwerfungsbeschluss kann das Rechtsmittel
des Antrages auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts
Der Antrag muss binnen
1 Woche nach Zustellung
werden. Der Antrag bedarf keiner besonderen Form. Der Antrag ist beim Amtsgericht
S...
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2. „Der Betroffene kann die Entscheidung des Beschwerdegerichts darüber beantragen, ob das Gericht das Rechtsmittel mit diesem Beschluss
zu Recht verworfen hat. Der Antrag ist binnen 1 Woche nach Zustellung dieses Beschlusses beim Amtsgericht R... zur Niederschrift der
Geschäftsstelle oder schriftlich zu stellen. Bei schriftlichen Erklärungen genügt es zur Fristwahrung nicht, dass die Erklärung innerhalb der Frist
zur Post gegeben wird. Die Frist ist vielmehr nur dann gewahrt, wenn die Erklärung vor dem Ablauf der Frist bei dem Gericht eingeht.“
10 2. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tübingen vom 08. August 2006 wird als unbegründet
verworfen.
11 Das gegen den Beschwerdeführer in seiner Abwesenheit ergangene Urteil des Amtsgerichts Tübingen ist ihm am 16. August 2006 zugestellt
worden. Dagegen hat er mit einem auf 16.08.06 datierten Schreiben „Einspruch“ eingelegt. Dieses Schreiben ist erst am 24. August 2006 bei
Gericht eingegangen. Da die Frist zur Einlegung seines Rechtsmittels am 23. August 2006 abgelaufen war, hat das Amtsgericht den als Antrag
auf Zulassung der Rechtsbeschwerde auszulegenden „Einspruch“ zu Recht als unzulässig verworfen.
12 Soweit der Beschwerdeführer in seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vom 24. Oktober 2006 vorbringt, (bereits) „am 21.08.06
habe ich laut Postbeleg Einspruch eingelegt“, fehlt der entsprechende Nachweis.