Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 02.04.2017

OLG Schleswig-Holstein: historische auslegung, vergütung, ausnahme, aufwand, wiederherstellung, bestätigung, baurecht, anwendungsbereich, erbrecht, arbeitsrecht

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Oberlandesgericht
2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 W 240/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1908b Abs 1 S 1 BGB, § 5
VBVG, BtÄndG 2
Betreuervergütung: Bemessung der Vergütungszeiträume
nach neuem Pauschalierungssystem im Falle eines
Betreuerwechsels
Leitsatz
1. Für die Bemessung der Betreuervergütung ist die erstmalige Begründung des
Betreuungsverhältnisses auch dann maßgebend, wenn der zunächst tätige
ehrenamtliche Betreuer wegen mangelnder Eignung entlassen und stattdessen ein
Berufsbetreuer bestellt worden ist.
2. Die mit dem 2. Betreuungsrechtsänderungsgesetz eingeführten "harten" Pauschalen
sollen das Abrechnungssystem vereinfachen und sowohl den Betreuer als auch das für
die Festsetzung der Vergütung zuständige Vormundschaftsgericht von der Erfassung
der im Einzelfall aufgewendeten Zeit entbinden. Aus diesem Grunde hat der
Gesetzgeber Ausnahmen von dem in § 5 VBVG niedergelegten Pauschalierungssystem
nicht vorgesehen.
Tenor
Die Entscheidung des Landgerichts wird geändert.
Dem Beteiligten zu 1. wird unter Wiederherstellung des Beschlusses des
Amtsgerichts vom 04.11.2005 für den Abrechnungszeitraum vom 01.07. bis
30.09.2005 eine Betreuervergütung in Höhe von 264,- € bewilligt.
Gründe
I. Der Beteiligte zu 1. begehrt die Festsetzung einer Betreuervergütung gemäß
Vergütungsstufe 1 nach Übernahme einer bestehenden Betreuung.
Das Amtsgericht bestellte durch Beschluss vom 10.11.2003 den Sohn der
Betroffenen zu ihrem ehrenamtlichen Betreuer. Mit Beschluss vom 28.06.2005
entließ es diesen mit der Begründung, dass er Zahlungsverzögerungen und
Kostenrückstände gegenüber dem Pflegeheim der Betroffenen verursacht habe
und seinen Pflichten gegenüber dem Vormundschaftsgericht nicht in dem
erforderlichen Umfang nachgekommen sei. Gleichzeitig bestellte es den
Beteiligten zu 1. zum berufsmäßigen Betreuer. Dieser beantragte unter dem
05.10.2005 die Festsetzung einer Vergütung zzgl. Auslagenersatz und
Mehrwertsteuer gegen die Landeskasse für den Zeitraum vom 01.07. bis
30.09.2005 in Höhe von 594,- €. Dabei beantragte er den Ansatz von viereinhalb
Stunden pro Monat gemäß Vergütungsstufe 1 für mittellose Betreute mit
Heimaufenthalt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Antrag (Bl. 1 d.A.) Bezug
genommen.
Das Amtsgericht bewilligte dem Beteiligten zu 1. für den geltend gemachten
Abrechnungszeitraum lediglich eine Vergütung in Höhe von 264,-- €. Dabei
brachte es zwei Stunden pro Monat in Ansatz. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Entscheidung (Bl. 4 f.) Bezug genommen. Auf die sofortige Beschwerde des
Beteiligten zu 1. änderte das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts
dahingehend, dass dem Beteiligten zu 1. eine weitere Betreuervergütung in Höhe
von 330,-- € aus der Landeskasse zu erstatten ist; im Übrigen ließ es die sofortige
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von 330,-- € aus der Landeskasse zu erstatten ist; im Übrigen ließ es die sofortige
weitere Beschwerde zu, die der Beteiligte zu 2. einlegte.
II. Die sofortige weitere Beschwerde ist nach §§ 27 Abs. 1, 29, 20, 22 Abs. 1, 56g
Abs. 5 Satz 2, 69e FGG zulässig. Sie ist auch begründet, denn die Entscheidung
des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (vgl. § 27 Abs. 2 FGG,
546 ZPO).
Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Bei einem Wechsel von
ehrenamtlicher Betreuung zur Berufsbetreuung sei für den Beginn der Betreuung
i.S. des § 5 VBVG jedenfalls dann der Zeitpunkt der Übernahme der
Berufsbetreuung maßgebend, wenn der ehrenamtliche Betreuer wegen fehlender
Eignung nach § 1908b BGB entlassen worden sei. Der Berufsbetreuer finde in
solchen Fällen regelmäßig einen Sachverhalt vor, der einer Ersteinrichtung der
Betreuung entspreche; darüber hinaus habe er noch die Vergangenheit
aufzuarbeiten und etwaige Regressansprüche gegen den früheren ehrenamtlichen
Betreuer zu prüfen und gegebenenfalls zu verfolgen. Zwar habe die Einführung von
Pauschalen bezweckt, dass gerade nicht mehr der Einzelaufwand für die jeweilige
Betreuung geprüft werden müsse; indes weiche die vorliegende Fallgestaltung
maßgeblich von dem gesetzlichen Normalverlauf ab und beruhe überdies auf einer
gerichtlichen Entscheidung hinsichtlich eines ehrenamtlichen Betreuers, die sich
im nachhinein als falsch erweise.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Für die
Bemessung der Betreuervergütung ist die erstmalige Begründung des
Betreuungsverhältnisses auch dann maßgebend, wenn der zunächst tätige
ehrenamtliche Betreuer wegen mangelnder Eignung nach § 1908b Abs. 1 Satz 1
BGB entlassen und stattdessen ein Berufsbetreuer bestellt worden ist. Das führt
zur Wiederherstellung der Entscheidung des Amtsgericht. Die Auffassung des
Senats folgt sowohl aus dem Wortlaut des § 5 VBVG (1.), einer historischen
Auslegung dieser Vorschrift (2.), ihrer systematischen Stellung (3.) und schließlich
auch aus ihrem Sinn und Zweck (4.).
1. Nach § 5 Abs. 2 VBVG ist der dem Betreuer zu vergütende Zeitaufwand bei
einem mittellosen Betreuten, der sich nicht in einem Heim aufhält, in den ersten
drei Monaten der Betreuung mit viereinhalb (Nr. 1) im vierten bis sechsten Monat
mit dreieinhalb (Nr. 2), im siebten bis zwölften Monat mit drei (Nr. 3) und danach
mit zwei (Nr. 4) Stunden im Monat anzusetzen. Ausdrücklich stellt die Vorschrift für
die Vergütungsstufen auf die Dauer der Betreuung, nicht hingegen auf die Dauer
der Tätigkeit des anspruchsstellenden Betreuers ab. Schon diese Formulierung
legt es nahe, die gestaffelten Stundensätze an dem Zeitpunkt der Einrichtung der
Betreuung zu orientieren.
2. Auch die historische Auslegung spricht dafür, die Höhe der Vergütung des nach
Ablösung des ehrenamtlichen Betreuers eingesetzten Berufsbetreuers nach dem
Beginn der (erstmaligen) Betreuung zu bemessen. Die Begründung des
Gesetzentwurfs des Bundesrats zum Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz
(2. BtÄndG) sieht im Falle eines Betreuerwechsels keine Ausnahme von dem
Pauschalierungsmodell vor. So heißt es dort:
„Der mit einem Betreuerwechsel regelmäßig einhergehende Mehrbedarf ist in den
vom ISG (= Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik [Anm. d. Senats])
erhobenen Zahlen enthalten. - Maßgebend für die Anwendung der Pauschalen ist
daher die erstmalige Bestellung eines Betreuers. Dies soll auch dann gelten, wenn
es sich hierbei um einen ehrenamtlichen Betreuer handelt und später ein
Berufsbetreuer bestellt wird. Geschieht dies z.B. im 3. Jahr einer Betreuung, kann
der Berufsbetreuer nur die Pauschalen für den Zeitraum ab dem 2. Jahr
beanspruchen.“ (BT-Drs. 15/2494, S. 34).
Diese Auslegung erfährt auch durch die folgende Passage der Entwurfsbegründung
ihre Bestätigung:
„Die Pauschalen der Absätze 1 und 2 stehen von Beginn des
Betreuungsverfahrens an fest und sind vom tatsächlichen Aufwand im konkreten
Fall unabhängig. Von den zahlenmäßig geringen Sonderfällen des §§ 1908m BGB-
E abgesehen gibt es keine Ausnahmetatbestände. Denn jeder
Ausnahmetatbestand würde zu Streitigkeiten über seinen Anwendungsbereich und
ggf. eine analoge Anwendung führen.“ (BT-Drs. 15 / 2494, S. 33).
3. Die systematische Stellung der Vorschrift über die Vergütungssätze im VBVG
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3. Die systematische Stellung der Vorschrift über die Vergütungssätze im VBVG
steht einer solchen Sichtweise nicht entgegen. Allerdings soll nach einer im
Schrifttum vertretenen Auffassung aufgrund der Tatsache, dass sich das gesamte
VBVG auf berufliche Betreuungen bezieht, bei einem Betreuerwechsel die
vorherige ehrenamtliche Betreuungszeit bei dem vierstufigen Zeitraster nicht
mitzuzählen sein (vgl. Deinert, Internetbetreuungslexikon,
www.betreuungslexikon.de/pauschale.htm). Das kann jedoch vom gedanklichen
Ansatz her nicht überzeugen. Ansprüche auf Vergütung entstehen ausschließlich
bei berufsmäßig geführten Betreuungen; ehrenamtliche Betreuungen erfolgen -
wie die §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 1 BGB klarstellen - stets
unentgeltlich. Daraus ergibt sich aber nicht zwingend, dass auch für die
Bemessung der Betreuervergütung allein die Zeiträume der Berufsbetreuung
zugrunde zu legen sind. Das gilt umso mehr, als das Gesetz die beruflich geführte
Betreuung gegenüber der ehrenamtlichen Tätigkeit als Ausnahme ansieht (vgl. §§
1897 Abs. 6, 1908i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 1 BGB).
4. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in § 5 VBVG ist es geboten, die
Vergütungszeiträume auch im Falle eines Betreuerwechsels nach der erstmaligen
Einrichtung der Betreuung zu bemessen. Die mit dem 2. BtÄndG eingeführten
„harten“ Pauschalen sollen das Abrechnungssystem vereinfachen und sowohl den
Betreuer als auch das für die Festsetzung der Vergütung zuständige
Vormundschaftsgericht von der Erfassung der im Einzelfall aufgewendeten Zeit
entbinden (BT-Drs. 15/2494, S. 31). Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber
Ausnahmen von dem in § 5 VBVG niedergelegten Pauschalierungssystem nicht
vorgesehen (BT-Drs. 15/2494, S. 33).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist eine Ausnahme auch dann nicht
gerechtfertigt, wenn ein ehrenamtlicher Betreuer wegen fehlender Eignung nach §
1908b Abs. 1 Satz 1 BGB entlassen und nunmehr ein Berufsbetreuer bestellt wird.
Dabei ist der Kammer zu konzedieren, dass der Arbeitsaufwand des
Berufsbetreuers in derartigen Fällen vielfach dem einer erstmaligen Betreuung
ähnelt, zumal er bisweilen noch eine ungeordnete Buchhaltung aufzuarbeiten und
gegebenenfalls Regressansprüche gegen den vormaligen Betreuer zu prüfen hat.
Indes liegt den Pauschalen des § 5 VBVG eine „Mischkalkulation zwischen
aufwändigen und weniger aufwändigen Fällen innerhalb der Fallgruppen“ (BT-Drs.
15/2494, S. 33) zugrunde. Auf eine Differenzierung zwischen leichten und
schwierigen Konstellationen hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet. Dem würde
es jedoch widersprechen, Fälle die einen besonders hohen Zeitaufwand erwarten
lassen, vergütungsrechtlich zu privilegieren.
Zudem ist es ein besonderes Anliegen des Pauschalierungssystems in § 5 VBVG,
Streitigkeiten über die Höhe der Betreuervergütung im Einzelfall zu vermeiden.
Hingegen wird eine privilegierte Behandlung des Berufsbetreuers, der an die Stelle
des als ungeeignet entlassenen ehrenamtlichen Betreuers tritt, aller Voraussicht
nach weitere Streitigkeiten um Ausnahmetatbestände provozieren. Es sind
nämlich auch andere Fallgestaltungen denkbar, in denen die berufsmäßige
Übernahme einer Betreuung mit besonderem, das übliche Maß deutlich
übersteigendem Aufwand verbunden ist, z.B. wenn der ehrenamtliche Betreuer
verstirbt und vor seinem Tode krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage war, die
laufenden Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen. Zu nennen ist weiterhin
der Fall des mangels Eignung entlassenen Berufsbetreuers, dessen ungeordnete
Buchführung dem Nachfolger erhebliche Mehrarbeit abverlangt.
Nicht zu überzeugen vermag die Argumentation des Landgerichts, bei Entlassung
des ehrenamtlichen Betreuers wegen fehlender Eignung nach § 1908b Abs. 1 Satz
1 BGB habe sich die „gerichtliche Entscheidung ... im nachhinein als falsch“
erwiesen. Vielfach zeichnet sich eine fehlende Eignung des Betreuers erst im Laufe
des Betreuungsverhältnisses ab; die im Zeitpunkt seiner Bestellung vom
Vormundschaftsgericht gestellte Prognose muss keineswegs immer unzureichend
gewesen sein. Hinzu kommt, dass das Vormundschaftsgericht bei der Auswahl des
Betreuers Vorschläge des Betreuten sowie familiäre Bindungen in weitem Umfang
zu berücksichtigen hat (vgl. § 1897 Abs. 4 und 5 BGB). Insofern dürfte das Gesetz
im Hinblick auf die Bedeutung der persönlichen Beziehung zwischen Betreutem
und Betreuer das Risiko einer sich erst im Nachhinein offenbarenden Nichteignung
in gewisser Weise mit einkalkuliert haben.
Nach alledem besteht kein Anlass, die Vergütung in den Fällen des
Betreuerwechsels wegen fehlender Eignung des ehrenamtlichen Betreuers nach
dem Zeitpunkt der Übernahme der Berufsbetreuung zu bemessen.