Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 29.03.2017

OLG Schleswig-Holstein: treu und glauben, vollstreckung, zeugnis, firma, sicherheitsleistung, ausführung, anweisung, bestätigung, rückzahlung, rückerstattung

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Oberlandesgericht
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 U 46/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 254 BGB, § 276 BGB, §
276aF BGB, § 280 BGB, §
280aF BGB
Sorgfaltspflichten der Bank: Telefonische Entgegennahme
eines Auftrags für eine Blitzüberweisung
Leitsatz
1. Erfordert eine Bank nach telefonischer Entgegennahme eines Auftrags für eine
Blitzüberweisung zu Dokumentationszwecken zusätzlich einen schriftlichen
Überweisungsauftrag, so hat sie durch geeignete Vorkehrungen in ihrem
Geschäftsbetrieb sicherzustellen, dass es nicht zu einer irrtümlichen
Doppelüberweisung kommt.
2. Auf die typischen und unvermeidbaren Risiken standardisiert abzuwickelnder
Massengeschäfte kann sich nicht berufen, wer von deren standardisierter Behandlung
abweicht.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24. Februar 2004 verkündete Urteil der
Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg - 2 O 266/03 -
abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 34.086,13 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2000 zu
zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche der Klägerin in gleicher Höhe
gegen die A. Spedition GmbH. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten beider Rechtszüge haben die Beklagte 2/3 und die Klägerin 1/3 zu
tragen.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jedoch kann die
Beklagte die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120
% des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die
Klägerin vor der Vollstreckung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrages Sicherheit leistet. Ebenso kann die Klägerin die Vollstreckung der
Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des nach dem Urteil
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.
Gründe
I. Die Klägerin, früher als J. GmbH & Co. KG firmierend und infolge Umwandlung
Rechtsnachfolgerin der S. und P. GmbH, verlangt von der Beklagten die
Rückzahlung einer doppelt ausgeführten Überweisung in Höhe von 51.129,19 €
(100.000 DM).
Die S. und P. GmbH sowie die Beklagte standen bis vor einiger Zeit in langjähriger
Geschäftsbeziehung. Hierbei waren schon in der Vergangenheit von der Beklagten
Blitzüberweisungen auf telefonisch erteilten Auftrag durchgeführt worden. Am
Donnerstag, den 28. Oktober oder am Freitag, den 29. Oktober 1999 erteilte die
Mitarbeiterin R. der S. und P. GmbH telefonisch dem Mitarbeiter L. der Beklagten in
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Mitarbeiterin R. der S. und P. GmbH telefonisch dem Mitarbeiter L. der Beklagten in
der Hauptgeschäftsstelle F. den Auftrag, eine schnellstmöglich vorzunehmende
Blitzüberweisung in Höhe von 100.000 DM zu Lasten des Geschäftskontos der S.
und P. GmbH an die Firma A. Spedition GmbH auf deren Konto bei der D. Bank AG,
Filiale F., zu veranlassen und diese Überweisung der D. Bank AG zugleich
telefonisch zu avisieren. Der Mitarbeiter L. sagte eine Ausführung auch zu -
ausweislich eines von der Beklagten vorgelegten Monatsauszuges erfolgte eine
Abbuchung am 28. Oktober 1999 (B 2, Bl. 50 d. A.) -, erforderte aber noch einen
unterschriebenen Überweisungsauftrag, der nachgereicht werden solle. Nach
telefonischer Bestätigung der Richtigkeit der Anweisung durch Herrn K. - Mitglied
der Geschäftsleitung der S. und P. GmbH - gegenüber dem Mitarbeiter L. erfolgte
die telegrafische Anweisung des Betrages und die telefonische Benachrichtigung
der D. Bank.
Am folgenden Montag, dem 1. November 1999, reichte die S. und P. GmbH den
zur Bestätigung gedachten ausgefüllten Überweisungsauftrag zusammen mit
einer Reihe weiterer Aufträge bei der Filiale R. der Beklagten in F. ein. Eine
Weiterleitung des Dokuments an Herrn L. erfolgte jedoch nicht. Vielmehr wurde
aufgrund des aus diesem ersichtlichen Überweisungsauftrags eine weitere
Überweisung in Höhe von 100.000 DM zu Gunsten der Firma A. ausgeführt, was
die S. und P. GmbH nach Durchsicht des ihr am 3. November 1999 zugegangenen
Kontoauszugs feststellte. Die S. und P. GmbH und die Beklagte bemühten sich in
der Folgezeit erfolglos um eine Rückzahlung des doppelt überwiesenen Betrages
durch die Empfängerbank. Die Firma A. befindet sich zwischenzeitlich in der
Insolvenz (AG Flensburg 56 IN 208/99). In dem Insolvenzverfahren ist die
Rückforderung von 100.000 DM durch die S. und P. GmbH angemeldet worden.
Streit zwischen den Parteien besteht insbesondere darüber, ob entsprechend der
Behauptung der Beklagten ihr Mitarbeiter L. ausdrücklich eine Adressierung des
Überweisungsbelegs an sich verlangt habe (Beweis: Zeugnis L.) und ob - so hat es
die Klägerin dargestellt - die bei der S. und P. GmbH tätige Mitarbeiterin R. an dem
Überweisungsträger einen entsprechend adressierten Zettel mittels einer
Büroklammer angebracht habe (Beweis: Zeugnis R.).
Das Landgericht, auf dessen Urteil hinsichtlich weiterer Einzelheiten gemäß § 540
Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage ohne Beweisaufnahme
abgewiesen. Nach Eingang des schriftlichen Überweisungsbelegs habe die
Beklagte davon ausgehen können, eine zweite Überweisung vornehmen zu
müssen. Denn die Klägerin habe den Nachweis, dass sich der behauptete Zettel
bei Eingang bei des Überweisungsträgers bei der Beklagten noch an jenem
befunden habe weder erbracht noch könne sie ihn überhaupt erbringen. Auch sei
nichts dafür ersichtlich, dass Anzahl und Höhe der Zahlungen außerhalb des
Üblichen gelegen und der Mitarbeiter L. deshalb Rückfrage hätte halten müssen.
Ohnehin schulde eine Bank im Massenverkehr keinen ausdrücklichen Hinweis auf
die Gefahr einer Doppelüberweisung. Hausinterne Anweisungen oder
entsprechende Eingaben in die EDV der Beklagten seien vor dem Hintergrund der
Anweisung, das Formular zu Händen Herrn L. einzureichen, weder erforderlich
noch im alltäglichen Geschäftsverkehr praktikabel und zumutbar.
Die Klägerin hat gegen dieses ihr am 23. März 2004 zugestellte Urteil am 15. April
2004 rechtzeitig Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht in
Schleswig eingelegt und diese nachfolgend form- und frist gerecht wie folgt
begründet:
Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe aus Sicht der Beklagten lediglich
ein einheitlicher Überweisungsauftrag vorgelegen. Denn auch die Beklagte habe in
Gestalt des Zeugen L. gewusst, dass für einen weiteren Überweisungsauftrag der
Klägerin der Rechtsfolgewillen gefehlt habe.
Ungeachtet dessen habe die S. und P. GmbH sich genau so verhalten, wie es die
Beklagte gefordert habe. Es gehe insbesondere nicht an, das Risiko von im Bereich
der Beklagten aufgetretenen Fehler einseitig auf die Klägerin zu verlagern. Dies
gelte um so mehr, als seinerzeit sämtliche Unterlagen und Überweisungsaufträge
über die Filiale R. abgegeben worden seien. Auch sei es der Beklagten auch ohne
weiteres möglich gewesen, entsprechende Angaben in die kontoführende EDV
einzugeben (Beweis: Sachverständigengutachten). Zudem sei in der
Vergangenheit bei Blitzüberweisungen ähnlich verfahren worden, ohne dass jemals
Probleme aufgetreten seien. Insoweit hätte die Beklagte ggf. warnen müssen.
Außerdem habe - wie der heutige Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen
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Außerdem habe - wie der heutige Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat - angesichts der seinerzeit hohen
Verbindlichkeiten bei der Beklagten eine Überweisung in derartiger Höhe ohnehin
gesondert vom Firmenkundenbetreuer oder zuständigen Sachbearbeiter der
Direktion genehmigt werden müssen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie
51.129,19 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2000 zu
zahlen,
hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den
Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Doppelüberweisung vom 1. November 1999
über 100.000 DM an die Firma A. entstanden ist bzw. entstehen wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und vertieft ihr bisheriges
Vorbringen wie folgt:
Zum Zeitpunkt des Eingangs des Überweisungsträgers bei der Filiale R. habe sich
an diesem kein mit einer Büroklammer befestigter Zettel befunden (Beweis:
Zeugnis J.). Mit dem Mitarbeiter L. sei auch nicht die Verwendung eines Zettels
abgesprochen gewesen. Vielmehr sei der Mitarbeiter L. davon ausgegangen, dass
die Mitarbeiterin R. entsprechend üblichen Gepflogenheiten den
Überweisungsträger ihm in einem gesonderten Umschlag mit entsprechender
Adressierung zukommen lassen werde (Beweis: Zeugnis L.).
Das Wissen des Mitarbeiters L. habe den Mitarbeitern der Filiale R. nicht
zugerechnet werden können. Denn keinesfalls habe ein derartiges Wissen
typischerweise aktenkundig festgehalten werden müssen (Beweis: Auskunft der
Industrie- und Handelskammer; Sachverständigengutachten).
Auch gebe es - dies hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2004 (Bl.
136 ff d.A.) und mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 12. September 2005
näher ausgeführt - im Massenverkehr für sie keine zumutbaren technischen
Möglichkeiten, eine derartige Doppelüberweisung zu verhindern (Beweis:
Sachverständigengutachten). Bei vorangegangenen Blitzüberweisungen im
Auftrage der S. und P. GmbH habe sich die Situation anders dargestellt, weil dort
über Faxaufträge (Anlagen 2-4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 10. August
2004, Bl. 127-129 d.A.) schon ein Aktenvorgang angefallen sei. Zudem sei auch
dort ein Original noch auf dem Postweg nachgesandt worden.
Schließlich stehe der Eintritt eines ersatzfähigen Schadens noch nicht fest, weil ein
ebenfalls anhängiger Rechtsstreit zwischen dem Insolvenzverwalter der A. und der
durch Ausgliederung aus der J. GmbH entstandenen S. und P. Logistik GmbH vor
dem Landgericht Flensburg (6 O 33/02) noch nicht entschieden sei, dort aber - was
die Klägerin unter Hinweis auf ein Schreiben der S. und P. Logistik GmbH vom 21.
Februar 2005 (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 1. März 2005, Bl. 184 d.A.)
und unter weiteren Darlegungen zum Ausgliederungsvorgang als bloßes Versehen
ansieht - auch Ansprüche gegen die A. Spedition GmbH auf Herausgabe der
fraglichen 100.000 DM aufgerechnet worden seien.
Im Übrigen wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze und die jeweils beigefügten Anlagen.
Der Senat hat die Akten 6 O 33/02 LG Flensburg und 56 IN 207/99 sowie 56 IN
208/99 AG Flensburg beigezogen.
II. Die zulässige Berufung der Klägerin hat überwiegend Erfolg.
Zu Recht nämlich begehrt die Klägerin im Wege der Geltendmachung eines ihr
zustehenden Anspruchs (1.) von der Beklagten Ersatz für das durch
Doppelüberweisung vom Konto der S. und P. GmbH als Rechtsvorgängerin der
Klägerin abgebuchte und an die A. Spedition GmbH weiterüberwiesene Buchgeld
(2.), allerdings gekürzt um einen den Verursachungsanteil der S. und P. GmbH
angemessen berücksichtigenden Betrag und Zug um Zug um Abtretung gegen
entsprechende Ansprüche der Klägerin gegen die A. Spedition GmbH (3.). Insoweit
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entsprechende Ansprüche der Klägerin gegen die A. Spedition GmbH (3.). Insoweit
war unter Abweisung der weitergehenden Klage das Urteil des Landgerichts
abzuändern und im Übrigen die Berufung zurückzuweisen.
1. Von der Berechtigung der Klägerin zur Geltendmachung der Klagforderung ist
auszugehen, obwohl die durch Ausgliederung von der Klägerin - seinerzeit als J.
GmbH GmbH & Co. KG firmierend - entstandene S. und P. Logistik GmbH in einem
vor dem Landgericht Flensburg zu 6 O 33/02 geführten Rechtsstreit als dortige
Beklagte gegenüber dem klagenden Insolvenzverwalter der A. Spedition GmbH
unter anderem die Hilfsaufrechnung mit einem Herausgabeanspruch über
erhaltene 51.129,19 € (100.000 DM) eingewendet hat, der auf dem diesseits
streitgegenständlichen Geschehen gründet (dortige Klagerwiderung vom 28.
Januar 2002, S. 9, Bl. 94 d. A.). Denn zum einen berühmt sich laut von der Klägerin
vorgelegtem Schreiben der S. und P. Logistik GmbH vom 21. Februar 2005
(Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 1. März 2005, Bl. 184 d. A.) diese
zwischenzeitlich nicht mehr gegenüber der A. Spedition GmbH einer derartigen
Forderung und will diese auch nicht mehr vor dem Landgericht Flensburg im Wege
der Hilfsaufrechnung geltend machen. Zum anderen sieht der Senat nach Vorlage
der Anlage II. zum Ausgliederungsvertrag vom 28. August 2000 (UR-Nr. 340/2000
des Notars S., F., Anlage zum klägerischen Schriftsatz vom 9. Februar 2005, Bl.
180 ff d. A.) und nach Namhaftmachung der Debitoren betreffend Forderungen,
die 100.000 DM übersteigen, mittels von der Klägerin vorgelegten Schreiben der B.
Treuhand GmbH vom 8. August 2005 (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom
10. August 2005, Bl. 210 d. A) keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, am
Verbleib der streitgegenständlichen Forderung über 100.000 DM bei der Klägerin
auch nach Ausgliederung der S. und P. Logistik GmbH zu zweifeln. Denn weder
gehört die A. Spedition GmbH ausweislich der vorgelegten Schreiben zum Kreis
dieser Großdebitoren, noch ist die Beklagte dieser plausiblen Darlegung
substantiiert entgegengetreten.
2. In der Sache bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob nach Lage der Dinge die
Beklagte nach telefonischer Veranlassung einer Blitzüberweisung von 100.000 DM
an die A. Spedition GmbH den zur Bestätigung gedachten ausgefüllten
Überweisungsauftrag noch überhaupt als weiteren Überweisungsauftrag ansehen
durfte oder bereits auftragsrechtlich (§ 667 BGB) zur Herausgabe des Erlangten -
nämlich des abgebuchten Buchgeldes - verpflichtet ist. Indessen kann diese Frage
offen bleiben, weil - anders als es das Landgericht angenommen hat - die Beklagte
jedenfalls schadensersatzrechtlich zur Rückerstattung verpflichtet ist, weil diese
gegenüber der Rechtsvorgängerin der Klägerin die ihr die girovertragliche
Nebenpflichten obliegenden Hinweis bzw. Sicherungspflichten verletzt hat. Da die
Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits nicht mehr
besteht, begehrt die Klägerin auch zu Recht Auszahlung und nicht nur
Wiedereinbuchung.
Im Ausgangspunkt ist daran festzuhalten, dass - wie es auch in Nr. 11 Abs. 2
Muster-AGB Banken zum Ausdruck kommt - die einen Überweisungsauftrag
ausführende Bank grundsätzlich nicht das Irrtumsrisiko des Kunden trägt und
daher lediglich ausnahmsweise zu Rückfragen bzw. Nachforschungen verpflichtet
sein kann. Gleichwohl ist es selbst unter den Bedingungen des massenhaften
Anfalls von Überweisungsvorgängen als derartige Sondersituation angesehen
worden, wenn etwa Empfängerbezeichnung und Namen des Kontoinhabers
differierten (angenommen von OLG Jena ZIP 2001, 955 ff; offengelassen noch in
BGH NJW 1989, 1754 ff). In noch stärkerem Maße ist nach Auffassung des Senats
von einer zu besonderen Sorgfaltspflichten führenden Sondersituation dann
auszugehen, wenn auch bankseitig vom im Massenverkehr erprobten
Regelverfahren zu einem individuell abgesprochenen Verfahren übergegangen
wird, ohne dass zugleich sachadäquate und zumutbare Sicherungsmechanismen
veranlasst werden. So aber liegt es im hier zu beurteilenden Sachverhalt:
Zwar ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte über ihren Mitarbeiter L. nach
Entgegennahme des telefonischen Auftrags zur Blitzüberweisung von der auf
Seiten der S. und P. GmbH damals tätigen Mitarbeiterin R. noch die Nachreichung
eines schriftlichen Überweisungsauftrages verlangte, liegt doch eine derartige
schriftliche Dokumentation eines lediglich fernmündlich veranlassten Geschehens
unter den heutigen Bedingungen arbeitsteilig arbeitender Betriebe im Interesse
aller Beteiligten. Ebenso musste für die erwähnte Mitarbeiterin R. die
Notwendigkeit erkennbar sein, eine derartige schriftliche Dokumentation dem
fernmündlich abgesprochenen Geschehen gerade unter den Bedingungen der für
jedermann ersichtlichen Arbeitsteiligkeit eines Bankbetriebs eindeutig zuordnen zu
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jedermann ersichtlichen Arbeitsteiligkeit eines Bankbetriebs eindeutig zuordnen zu
können, sei es durch eine dem Überweisungsauftrag hinzuzufügende schriftliche
Erläuterung, sei es durch die Adressierung an einen bestimmten Empfänger, hier
den Mitarbeiter L. der Beklagten. Dass die von der Mitarbeiterin R. nach
Darstellung der Klägerin insoweit gewählte Verbindung eines Adresszettels mit
dem Überweisungsträger allein über eine - leicht zu lösende - Büroklammer ein
erhebliches Risiko in sich birgt (dazu noch unten 3.), liegt auf der Hand.
Dies ändert allerdings nichts an der Urheberschaft des Mitarbeiters L. der
Beklagten dafür, dass in deren Hause ein schlichter Überweisungsauftrag
zirkulieren konnte, der - gerade so, wie es dann nach Einreichung dieses
Überweisungsauftrages bei der Filiale R. der Beklagten auch wahrgenommen
wurde - bei einem uneingeweihten Dritten den Eindruck der
Ausführungsbedürftigkeit einer Überweisung von 100.000 DM im Regelverfahren
hervorrufen musste, obwohl das verwendete Formular nach der individuellen
Absprache zwischen dem Mitarbeiter L. und der Mitarbeiterin R. lediglich noch
Dokumentationszwecken dienen sollte. Die Irrtumsträchtigkeit schon dieses
Vorgangs hätte der Mitarbeiter L. der Beklagten erkennen und bei pflichtgemäßen
Handeln ausschließen müssen, so dass es auch nicht mehr auf die - vom
Beklagten in dessen nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 12. September 2005
nochmals aufgeworfene - Frage ankommt, welche EDV-mäßigen
Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich schon durchgeführter Überweisungen in
gleicher Höhe der mit der Ausführung der zweiten Überweisung betraute
Mitarbeiter hatte oder nicht.
Die Irrtumsträchtigkeit ausschließen können - soweit nicht auf eine im Nachhinein
erfolgendend Verwendung von Überweisungsauftragsformularen besser überhaupt
verzichtet wird -, hätte der Mitarbeiter L. aber schon dadurch, dass er im Rahmen
der internen Akten- oder Buchführung der Beklagten für einen nicht nur ihm allein
zugänglichen Vermerk gesorgt hätte, etwa „Beleg folgt“ in der internen EDV oder
in der internen Aktenführung. Dass dies technisch nicht machbar oder jedenfalls
wirtschaftlich unzumutbar sein könnte, hat die Beklagte bereits nicht für den Senat
nachvollziehbar dargetan, so dass auch nicht ihrem Begehren auf Einholung eines
Sachverständigenbeweises nachzugehen war. Alternativ hätte die Beklagte durch
ihren Mitarbeiter L. über eine Adressierung an ihn - den Mitarbeiter L. - hinaus auf
ein den Überweisungsauftrag selbst ergänzenden und entweder auf dem gleichen
Dokument selbst befindlichen oder mit diesem fest verbundenen schriftlichen
Vermerk bestehen können und müssen, der den bloßen Dokumentationszweck
des Überweisungsauftrages klar gestellt hätte. Dies um so mehr, als gerade ihm
hätte auffallen müssen, dass anders als im Falle der bisher praktizierten
Blitzüberweisungsaufträge per Fax (vgl. die vorgelegten Anlagen 2-4 zum
Schriftsatz der Beklagten vom 10. August 2004, Bl. 127-129 d.A.) infolge allein des
bisherigen Telefonauftrags noch kein Aktenvorgang angefallen war. Dass
wenigstens derartige Vorkehrungen erforderlich gewesen wären, wird nicht zuletzt
dann deutlich, wenn der Fall einer plötzlichen Erkrankung des Mitarbeiters L.
bedacht wird. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben der
Prozessbevollmächtigte der Beklagten und deren instruierter Vertreter dem Senat
nämlich nicht erläutern können, auf welche Weise in einem derartigen Fall ein
Irrtumsrisiko bei der Beklagten ausgeschlossen worden wäre.
Demgegenüber kann die Beklagte nicht die besonderen Bedingungen von
Massengeschäften und der Arbeitsteiligkeit von Großorganisationen einwenden.
Soweit Massengeschäfte typischerweise Risiken in sich bergen, werden diese
nämlich dort durch die standardisierte formalisierte Behandlung auf ein für alle
Beteiligten vertretbares Maß vermindert. Vorstehend nahm die Beklagte jedoch
nicht nur - wie bereits erwähnt -gerade von einer entsprechenden
Standardisierung Abstand, so dass der hier zu beurteilende Sachverhalt dem
Erscheinungsbild eines Massengeschäfts schon nicht mehr entspricht. Vielmehr
unterließ sie es insbesondere, das hierdurch entstandene Sicherungsrisiko durch
geeignete Maßnahmen aufzufüllen. Dies wäre jedoch auch unter den Bedingungen
des arbeitsteiligen Betriebs von Großunternehmen besonders deshalb zumutbar
gewesen, weil es sich um die Sicherstellung von Informationen gehandelt hätte,
die sowohl nach tatsächlicher Praxis als auch dem Erwartungshorizont des
Geschäftsverkehrs typischerweise aktenmäßig festgehalten werden (vgl. zur
entsprechenden Diskussion beim Problem der Wissenszurechnung BGH WM 1990,
524, 525; BGH WM 1995, 1145, 1147; BGH WM 1997, 1092 f).
3. Im Rahmen des gemäß § 254 Abs. 1 BGB anzurechnenden Mitverschuldens ist
der Zahlungsanspruch der Klägerin - im Rahmen einer entsprechenden
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der Zahlungsanspruch der Klägerin - im Rahmen einer entsprechenden
Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB auch ein Anspruch aus §§ 675, 677 BGB (BGH
WM 1978, 367; BGH WM 1983, 834, 835; BGH WM 1989, 1754, 1755) - jedoch um
eine Mitverschuldensquote von 1/3 zu Lasten der Klägerin zu kürzen.
Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldenseinteilung
ergibt nämlich, dass die Beklagte zwar dadurch den überwiegenden
Verursachungs- und Verschuldensanteil gesetzt hat, dass sie in Abkehr von dem
standardisierten Vorgehen im Überweisungsverkehr einen Verfahrensweg gewählt
hat, infolge dessen in ihrem Hause bei anderen als den ursprünglich handelnden
Mitarbeitern der Eindruck eines standardisierten abzuhandelnden und
auszuführenden Überweisungsauftrages hervorgerufen wurde, obwohl ein solcher
längst ausgeführt und lediglich noch die Ausführung zu dokumentieren war.
Andererseits konnte dieses Risiko auch der bei der S. und P. GmbH seinerzeit
handelnden Mitarbeiterin R. nicht vollständig verborgen bleiben, war doch auch
dieser bewusst, dass der Überweisungsauftrag nicht nur einfach abgegeben,
sondern aufgrund der bereits vorgenommenen Blitzüberweisung an den
Mitarbeiter L. zu adressieren war. Erfolgt dieses aber auf der Grundlage des
klägerischen Sachvortrags - den sich die Beklagte insoweit schon in ihrer
erstinstanzlichen Klagerwiderung hilfsweise zu eigen gemacht hat - lediglich im
Wege der gewählten „Büroklammerlösung“, geht der Einsender eines derartigen
Dokuments zumindest das Risiko ein, dass sich Adresse und Büroklammer lösen
und nunmehr der scheinbare Überweisungsauftrag möglicherweise bei einem
anderen als dem avisierten Adressaten zur Bearbeitung gelangt. Gleichwohl wiegt
dieser Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteil insgesamt geringer als
derjenige der Beklagten, weil die S. und P. GmbH nicht wissen musste, dass die
Beklagte in ihrem Bankbetrieb keinerlei weitere Sicherungsmaßnahmen ergriffen
hatte.
Der vom Konto der S. und P. GmbH als Rechtsvorgängerin der Klägerin
abgebuchte Betrag ist der Klägerin grundsätzlich ungeschmälert zu erstatten,
ohne dass diese gehalten ist, sich zunächst im Insolvenzverfahren der A. Spedition
GmbH zu befriedigen. Im Rahmen der nach Treu und Glauben gebotenen
Vorteilsausgleichung hat die Klägerin jedoch analog § 255 BGB Zug um Zug der
Beklagten ihre gegenüber der A. Spedition GmbH zustehenden Ansprüche in dem
Umfange an die Beklagte abzutreten, in welchem diese der Klägerin zur
Rückerstattung verpflichtet ist.
Das Zinsbegehren rechtfertigt sich aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.
Die Nebenentscheidungen ergehen gemäß §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10,
711 ZPO.
Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil der durch die Umstände der
streitgegenständlichen Individualabsprache geprägte Rechtsstreit weder
grundsätzliche Bedeutung besitzt noch die Rechtsfortbildung oder die Sicherung
der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine revisionsgerichtliche Entscheidung
erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).