Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 15.03.2017

OLG Schleswig-Holstein: unterhalt, erfüllung, arbeitsstelle, leistungsfähigkeit, erwerbstätigkeit, abänderungsklage, nebenbeschäftigung, umschulung, urkunde, nebeneinkünfte

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Oberlandesgericht
3. Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 WF 188/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1603 Abs 2 BGB, § 11 Abs 2
S 1 Nr 7 SGB 2
Kindesunterhalt: Berücksichtigung fiktiver Nebeneinkünfte
zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit bei Bezug von
Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende
Leitsatz
Keine ausreichende Darlegung mangelnder Leistungsfähigkeit eines Empfängers von
Leistungen nach SGB II bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB
und Berücksichtigung fiktiver Einkünfte aus einer Nebenbeschäftigung unter
Heranziehung von § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II.
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Klägers vom 03.11.2008 gegen den Beschluss des
Amtsgerichts - Familiengericht - Schleswig vom 07.10.2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist nicht begründet, weil die
beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Der Kläger ist der Vater der am 9. November 1995 nichtehelich geborenen
Beklagten.
In der Urkunde des Bezirksamtes W vom 5. Januar 1996 -
Beurkundungsregisternummer 7/1996 und der Urkunde des Bezirksamtes W vom
13. Februar 1996, Beurkundungsregisternummer 191/1996 erkannte der Kläger
die Vaterschaft der Beklagten an und verpflichtete sich, an die Beklagte 115 % des
Regelunterhaltes zu zahlen.
Mit der Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtungen aus diesen Titeln befindet sich
der Kläger seit 1. April 2006 im Rückstand.
Mit der beabsichtigten Abänderungsklage erstrebt der Kläger die Änderung der
genannten Urkunden dahin, dass er der Beklagten nicht mehr zum Unterhalt
verpflichtet sei.
Der Kläger ist nach dem Hauptschulabschluss von Dezember 1983 bis September
2002 im Kfz-Bereich als Tankwart, Industriehelfer und Wartungsmechaniker tätig
gewesen.
Von Oktober 2002 bis Januar 2005 absolvierte er erfolgreich eine Ausbildung zum
Industriemechaniker/Feinwerk und Gerätebau.
Eine vorübergehende teilstationäre Behandlung des Klägers in der A-Klinik vom
28.06.2004 bis zum 19.07.2004 - u. a. wegen einer Lumboischialgie rechts bei
Bandscheibenvorfall L 4/L 5 und L 5/S 1 - stand dem erfolgreichen Abschluss der
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Bandscheibenvorfall L 4/L 5 und L 5/S 1 - stand dem erfolgreichen Abschluss der
Ausbildung vor der Handelskammer nicht entgegen. Ausweislich des
Entlassungsberichtes vom 22.07.2004 erfolgte die Entlassung als arbeitsfähig in
der zuvor ausgeübten Tätigkeit.
Mit welcher Intensität sich der Kläger während der Zeiten vom Januar 2005 bis
Januar 2006 und während der Weiterbildungsmaßnahme im BFW B in dem Bereich
kaufmännische Qualifikation in Modulen in der Zeit von Juni 2006 bis Juni 2007 um
die Erlangung einer Arbeitsstelle bemüht hat, ist nicht vorgetragen.
Zur Begründung seiner Abänderungsklage macht der Kläger geltend, nicht
leistungsfähig zu sein. Trotz intensiver Bemühungen habe er keine Arbeitsstelle
finden können, die es ihm ermöglicht hätte, den geschuldeten Unterhalt zu zahlen.
Zum Beleg für seine Erwerbsbemühungen hat der Kläger insgesamt 88
Bewerbungen aus der Zeit vom 31.08.2007 bis 10.10.2008 vorgelegt.
Mit zutreffender Begründung hat das Familiengericht dem Kläger die
nachgesuchte Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung mit den
Beschlüssen vom 7. Oktober 2008 und 11. Dezember 2008 versagt.
Der Kläger hat der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich seiner
mangelnden Leistungsfähigkeit im Rahmen der ihn treffenden gesteigerten
Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB nicht genügt.
Die von ihm dargelegten Erwerbsbemühungen entsprechen nicht den
Anforderungen an intensive Erwerbsbemühungen eines arbeitslosen gesteigert
erwerbspflichtigen Unterhaltsschuldners. Gegenüber minderjährigen Kindern reicht
es nicht aus, die Arbeitsfähigkeit in bestmöglicher Weise einzusetzen und eine
mögliche Erwerbstätigkeit aufzunehmen; vielmehr erfährt diese Verpflichtung
gegenüber minderjährigen Kindern gemäß § 1603 Abs. 2 BGB eine Verschärfung
dahin, dass den Unterhaltspflichtigen eine noch erheblich gesteigerte
Verpflichtung zur Ausnutzung seiner Arbeitskraft trifft. Dies folgt aus der die Eltern
treffenden rechtlichen und sittlichen Pflicht, ihre Kinder am Leben zu erhalten
(Brandenburgisches Oberlandesgericht, NJW-RR 2009 S. 150 - 151).
Dass sich der Kläger entsprechend dieser gesetzlichen Anforderung intensiv um
eine Erwerbstätigkeit bemüht hat, kann nicht festgestellt werden.
Abgesehen davon, dass seitens des Klägers für die Zeit nach der Beendigung der
Integrationsmaßnahme bei der Firma S GmbH keine Erwerbsbemühungen
dargelegt worden sind, sind auch die vorgelegten 88 Bewerbungen nicht geeignet,
intensive Erwerbsbemühungen in der Zeit vom 31.08.2007 bis 10.10.2008 zu
belegen.
Nach der Rechtsprechung hat sich der Unterhaltsverpflichtete bei eigener
Arbeitslosigkeit intensiv um eine neue Arbeitsstelle zu bewerben; bei Arbeitsstellen
mit geringerem Einkommen sind zusätzliche Gelegenheits- und Aushilfstätigkeiten
zu suchen. Bei der Arbeitssuche darf er sich nicht auf die Erlangung einer Arbeit in
dem erlernten oder zuletzt ausgeübten Beruf beschränken; vielmehr ist ihm
grundsätzlich anzusinnen, sich um jede Art von Tätigkeit, auch solcher, die
unterhalb seines Ausbildungsniveaus liegen, zu bewerben (Brandenburgisches
Oberlandesgericht FamRZ 2008,2304,2305).
Für die Suche nach Arbeit hat er die Zeit aufzuwenden, die dem Zeitaufwand einer
vollschichtigen Tätigkeit entspricht.
Diesen Anforderungen entsprechen die vorgelegten 88 Bewerbungen in einer Zeit
von 13,5 Monaten zahlenmäßig nicht. Verteilt auf 13,5 Monate ergeben sich nur 6
- 7 Bewerbungen pro Monat.
Damit werden die Anforderungen an intensive Bewerbungen nicht erfüllt.
Hinzukommt, dass 32 Bewerbungen als „Blindbewerbungen“ zu bezeichnen sind,
weil sie nicht auf konkret ausgeschriebene Stellen bezogen sind.
Der Senat teilt die Beurteilung des Familiengerichtes, dass die von dem Kläger
mehrfach verwendeten Standardschreiben wenig ansprechend sind, weil sie zu
allgemein gehalten und nicht auf die Bedürfnisse des angeschriebenen
zukünftigen Arbeitgebers ausgerichtet sind.
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Zutreffend weist das Familiengericht auch darauf hin, dass sich der Kläger zu
wenig überörtlich beworben hat. Die 6 überörtlichen Bewerbungen machen bei 88
Bewerbungen knapp 7 % aus.
Bei Erfüllung der Verpflichtung zur intensiven Suche einer Erwerbstätigkeit jeglicher
Art hätte der Kläger eine Arbeitsstelle gefunden, die ihn in die Lage versetzt hätte,
den titulierten Unterhalt zu zahlen.
Dass der Kläger zum 01.02.2009 eine erneute Umschulung zum Kaufmann im
Einzelhandel aufgenommen hat, ist angesichts seiner gesteigerten
Erwerbsverpflichtung unterhaltsrechtlich nicht zu billigen, weil er auch ohne diese
Umschulung unter Berücksichtigung der seit dem 1.01.2009 bezogenen SGB II
Leistungen in Höhe von monatlich 631,00 € und einer Nebenbeschäftigung mit
fiktiven Nettoeinkünften von monatlich 500,00 € in der Lage gewesen wäre, den
geschuldeten Unterhalt zu zahlen.
Dies beruht auf der seit dem 01.08.2006 geltenden Regelung in § 11 Abs.2 Satz 1
Nr. 7 SGB II über die Nichtanrechnung von Einkünften, die zur Erfüllung von
titulierten gesetzlichen Unterhaltspflichten im Umfang der titulierten Ansprüche
erzielt werden.
Diese Regelung führt dazu, dass ein zur Erfüllung titulierter Unterhaltansprüche
erzieltes Einkommen über die in § 30 SGB II hinaus definierten Freibeträge bei der
Berechnung des ALG II anrechnungsfrei bleibt, soweit es aufgrund eines bereits
bestehenden Titels tatsächlich geleistet wird.
Hier ist der Unterhaltsanspruch der Beklagten durch die Urkunden des
Bezirksamtes W vom 5. Januar 1996 und 13. Februar 1996 tituliert.
Unter Wahrung des notwendigen Selbstbehaltes für Nichterwerbstätige in Höhe
von 770,00 € ergibt sich folgende Berechnung:
Hieraus folgt, dass der Kläger ab Januar 2009 auch mit Nebeneinkünften in Höhe
von 500,00 € netto in der Lage wäre, den titulierten Unterhalt aufzubringen (vergl.
OLG Hamm Beschluss vom 40.07.2007 - Az.: 6 UF 90/07 gefunden bei juris; OLG
Brandenburg NJW 2009,150 m.w.N.; FamRZ 2008,2304 m.w.N.)