Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 14.03.2017

OLG Schleswig-Holstein: richterliche frist, wahrung der frist, fristverlängerung, verfügung, rückgriff, anhörung, vertrauensschutz, emrk, waffengleichheit, glaubhaftmachung

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Oberlandesgericht
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 W 36/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 224 Abs 2 ZPO, § 225 ZPO
Richterliche Frist: Fristverkürzungsantrag gegen eine
bereits bewilligte Verlängerung einer Frist
Leitsatz
1. Trotz Unanfechtbarkeit der Entscheidung, eine richterliche Frist auf Antrag zu
verlängern, ist ein Fristverkürzungsantrag nach § 224 Abs. 2 ZPO gegen die verlängerte
Frist zulässig.
2. Im Wege der Abkürzung darf die bewilligte Verlängerung nicht vollständig rückgängig
gemacht werden. Das Interesse an der Fristverlängerung und das schutzwürdige
Vertrauen in den Bestand der bewilligten Verlängerung sind dem Abkürzungsinteresse
des Gegners gegenüberzustellen, dem in der Regel verfahrensimmanente Ziele -
insbesondere die Verfahrensbeschleunigung - zugrunde liegen müssen.
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Klägers zu 1) gegen den Beschluss des
Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen III des Landgerichts Kiel vom 4. Juni
2007 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags des Klägers zu 1)
auf Abkürzung der der Beklagten mit richterlicher Verfügung vom 21.Mai 2007
gewährten Verlängerung der Stellungnahmefrist zu vorausgegangenen
Schriftsätzen des Klägers zu 1) ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. An der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde fehlt es nicht. Eine richterliche
Frist, wie sie hier in Rede steht, kann gemäß § 224 Abs. 2 ZPO auf Antrag
abgekürzt werden, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht sind. Gegen die
Ablehnung des Abkürzungsantrags findet dem Wortlaut von § 567 Abs. 1 Ziff. 2
ZPO folgend die sofortige Beschwerde statt, weil es sich um eine die mündliche
Verhandlung nicht erfordernde Entscheidung handelt, durch die ein das Verfahren
betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist (ebenso Roth in Stein/Jonas, ZPO,
22. A. 2005, § 225 Rn. 9; Zöller/Stöber, ZPO, 26. A. 2007, § 225 Rn. 8; Hüßtege in
Thomas/Putzo, ZPO, 27. A. 2005, § 225 Rn. 4; Wöstmann in Saenger, HK-ZPO,
2006, § 225 Rn. 4).
Der Sonderfall des § 225 Abs. 3 ZPO, wonach eine Anfechtung des Beschlusses,
durch den ein Gesuch um Fristverlängerung zurückgewiesen worden ist, nicht
stattfindet, liegt nicht vor. Schon wegen dieser vom Gesetzgeber im
Zusammenhang mit der richterlichen Entscheidung über Friständerungen
ausdrücklich getroffenen Sonderregelung vermag der Senat der in der Literatur
vertretenen Minderansicht (Feiber im Münchner Kommentar zur ZPO, 2. A. 2000, §
225 Rn. 8; wohl zustimmend Stadler in Musielak, ZPO, 5. A. 2007, § 225 Rn. 4 dort
FN 22) nicht zu folgen, mit Rücksicht auf die ebenfalls gesondert geregelte
Unanfechtbarkeit der Entscheidung über ein Terminsänderungsgesuch in § 227
Abs. 4 S. 3 ZPO sei grundsätzlich keine selbständige Anfechtung von
Entscheidungen über Friständerungsgesuche zuzulassen.
2. Ebensowenig wie das Landgericht folgt der Senat der Argumentation der
Beklagten, ein Fristverkürzungsantrag gegen eine bewilligte Verlängerung einer
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Beklagten, ein Fristverkürzungsantrag gegen eine bewilligte Verlängerung einer
richterlichen Frist sei bereits unzulässig. Auch die Verlängerung einer solchen Frist
ist dem Wortlaut nach eine richterliche Frist, gegen die ein Abkürzungsantrag nach
§ 224 Abs. 2 ZPO gerichtet werden kann. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass
die vorgelagerte Entscheidung des Landgerichts vom 21.Mai 2007, dem
Verlängerungsgesuch der Beklagten - nämlich Verlängerung der bereits mit
Verfügung vom 29.März 2007 gewährten achtwöchigen Stellungnahmefrist auf
verschiedene im März 2007 eingegangene Schriftsätze des Klägers zu 1) um
weitere 6 Wochen - stattzugeben, gemäß § 567 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO nicht
angefochten werden kann. Diese gesetzgeberische Entscheidung wird aber nicht
grundsätzlich unterlaufen, wenn die Verlängerungsfrist auf Antrag wieder
abgekürzt werden kann. Denn im Wege der Abkürzung darf die Verlängerung nicht
vollständig rückgängig gemacht, sondern allenfalls insoweit verändert werden,
dass der notwendige Vertrauensschutz der Partei, der die Verlängerung bereits
bewilligt worden ist, gewahrt bleibt. Zu bedenken ist auch, dass gerade bei der
erstmaligen Verlängerung einer richterlichen Frist eine Anhörung der Gegenseite
nicht stattfinden muss (arg. e. § 225 Abs. 2 ZPO, vgl. auch Roth in Stein/Jonas,
aaO, § 225 Rn. 4) und mithin der Gegner erst über den Antrag auf Abkürzung der
verlängerten Frist Gelegenheit hat, sich mit seinen Argumenten Gehör zu
verschaffen. Auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Waffengleichheit
im Prozess muss deshalb ein solcher Abkürzungsantrag - und gegen dessen
Ablehnung die sofortige Beschwerde - zulässig sein (vgl. zu diesem Argument
unter Rückgriff auch auf die EMRK Jänisch in Wieczorek, ZPO, 3. A. 2005, § 567 Rn.
9).
3. Das Landgericht hat den Antrag auf Abkürzung der Fristverlängerung von 6
Wochen - ablaufend am 10. Juli 2007 nach seiner Berechnung Bl. 1419a R d.A. -
mit zutreffenden Argumenten in seinem Beschluss vom 4. Juni 2007 und
ergänzend im Nichtabhilfebeschluss vom 12. Juni 2007 zurückgewiesen. Dem
Kläger zu 1) stehen die erforderlichen erheblichen Gründe für ein Abkürzung (§ 224
Abs. 2 ZPO) nicht zur Seite.
In diesem Zusammenhang sind seine Interessen an der Abkürzung abzuwägen
mit dem grundsätzlich schutzwürdigen Vertrauen der Beklagten in den Bestand
der bewilligten Verlängerung (dazu vgl. BGH NJW 1998, 1155 f, bei juris Rn. 9 f),
wobei zugleich ihr Interesse an der vorausgegangenen Verlängerung selbst
einzustellen ist.
a) Die Beklagte hat ihre erheblichen Gründe für die begehrte Verlängerung
gegenüber dem Landgericht entgegen der Auffassung des Klägers zu 1)
ausreichend dargelegt. Es kann ihr im Grundsatz nicht verwehrt sein, einen neuen
Anwalt federführend mit der Klagverteidigung gegen die vom Kläger betriebene
Anfechtung des Beschlusses zu TOP 3 der Hauptversammlung der beklagten AG
vom 23/24. August 2005 zu betrauen. Dass dieser - trotz der bereits vorliegenden
umfangreichen Klagerwiderung der Vorgängeranwälte zu diesem Punkt - einige
Zeit zur Einarbeitung und zur Erwiderung auf die Repliken des Klägers zu 1)
benötigt, liegt auf der Hand, zumal der Kläger zu 1) sich mit diesen Repliken von
März 2007 auf einen Prozessstoff von mehreren tausend Seiten Akten (teilweise
aus anderen Verfahren) bezieht, wie das Landgericht im Nichtabhilfebeschluss
unwidersprochen angemerkt hat.
Die bewilligte Stellungnahmefrist von 8 Wochen hat der Kläger zu 1) auch nicht mit
einem Abkürzungsantrag angegriffen, so dass nur zu fragen ist, ob seitens der
Beklagen ausreichend erhebliche Gründe für die erstmalige Verlängerung um 6
Wochen vorgebracht worden sind. Insoweit ist anwaltliche Überlastung mit anderen
Fristsachen ein typischer und in der Regel bei erstmaliger Verlängerung auch zu
akzeptierender Grund, für dessen Glaubhaftmachung regelmäßig eine anwaltliche
Erklärung genügt (Roth in Stein/Jonas, aaO, § 224 Rn. 9; Feiber in MüKo-ZPO, aaO,
§ 224 Rn. 5 und § 225 Rn. 4; Stadler in Musielak, aaO, § 224 Rn. 3), wie sie hier
auch vorliegt. Schon angesichts des Umfanges des von dem Kläger selbst in
seiner Replik einbezogenen Aktenmaterials bestand kein zwingender Anlass für
das Landgericht, den ihm zunächst telefonisch und dann auch schriftlich
unterbreiteten Gründen für den Verlängerungsantrag zu misstrauen.
b) Den dargelegten Interessen der Beklagten an der Verlängerung und deren
Fortbestand ist das Abkürzungsinteresse des Klägers zu 1) gegenüberzustellen.
Dieses Abkürzungsinteresse besteht im Grundsatz in dem jeweiligen Interesse des
Antragstellers an der Verfahrensbeschleunigung. Darauf beruft sich allerdings der
Kläger zu 1) im vorliegenden Verfahren eher in zweiter Linie. Insoweit kann eine
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Kläger zu 1) im vorliegenden Verfahren eher in zweiter Linie. Insoweit kann eine
besondere, die Interessen der Beklagten überwiegende Schutzbedürftigkeit nicht
festgestellt werden, weil eine erhebliche Verfahrensverzögerung durch die
fraglichen weiteren 4 Wochen Verlängerung der Stellungnahmefrist - 2 Wochen
Verlängerung akzeptiert der Kläger zu 1) - bereits nicht erkennbar ist. Nicht zuletzt
vor dem Hintergrund, dass eine umfängliche Klagerwiderung auch betreffend die
Anfechtung des Beschlusses zu TOP 3 der fraglichen Hauptversammlung bereits
vorliegt, ist das Landgericht ersichtlich nicht gehindert, die Sache trotz der noch
ausstehenden Stellungnahme zu der Replik weiter zu fördern und einen Termin
vorzubereiten.
Tatsächlich hat das Landgericht die Sache auch weiter bearbeitet und zeitgleich
mit dem Nichtabhilfebeschluss einen von dem Kläger zu 1) durchaus begrüßten
richterlichen Hinweis gegeben, wonach es dessen Argumentation bei vorläufiger
Bewertung in zentralen Punkten für schlüssig hält, auf die Beweislast der Beklagen
in einem wesentlichen Punkt hinweist und Bedenken gegen die bisherigen
Argumente der Beklagten zum Ausgabepreis der Aktien geltend macht. Allein
wegen dieses richterlichen Hinweises müsste der Beklagten eine gewisse
Stellungnahmefrist eingeräumt werden und bestehen deshalb keine Bedenken,
dass sie auf die Repliken des Klägers zu 1) - auf die nämlich der Hinweis Bezug
nimmt und deren Argumente er aufgreift - noch bis zum 10. Juli 2007 Stellung
nehmen kann. Soweit überhaupt Bedenken gegen den Umfang der
Fristverlängerung von 6 Wochen im Hinblick auf das
Verfahrensbeschleunigungsinteresse des Klägers zu 1) bestanden haben sollten,
hat das Landgericht diese jedenfalls indirekt mit seiner Hinweisverfügung beseitigt.
c) Im Mittelpunkt der Argumentation, mit der der Kläger zu 1) seinen
Abkürzungsantrag begründet, steht tatsächlich aber nicht sein Interesse an der
Verfahrensbeschleunigung an sich, sondern stehen im Grundsatz
verfahrensfremde Ziele, nämlich Ziele im Hinblick auf die am 20. Juli 2007
anstehende nächste Hauptversammlung der Beklagten. Der Kläger beruft sich auf
ein wesentliches Aktionärsinteresse, rechtzeitig vor der Hauptversammlung von
der Beklagten zu erfahren, wie sie sich zu seinen die Begründung seiner
Anfechtung des fraglichen Hauptversammlungsbeschlusses (betreffend die
Abberufung des Sonderprüfers A.) vertiefenden Argumenten in den Replik-
Schriftsätzen von März 2007 stellt. Er verweist darauf, dass die Thematik des
vorliegenden Verfahrens und mithin auch die offene Stellungnahme Bedeutung für
die in der Hauptversammlung anstehenden Entlastungs- und
Aufsichtsratswahlbeschlüsse habe, es auch um die Frage der ausreichenden
Information der Hauptversammlungen der vergangenen Jahre und der
anstehenden Hauptversammlung durch den Vorstand gehe und schließlich zu
bedenken sei, dass etwa für Anträge nach § 126 Abs. 1 AktG Fristen von zwei
Wochen vor der Hauptversammlung gelten würden.
Unbeschadet der Frage, ob im Einzelfall überhaupt verfahrensfremde Ziele der
Parteien in die Abwägung nach § 224 Abs. 2 ZPO einbezogen werden können,
folgen hier aus den vorgebrachten Argumenten jedenfalls keine erheblichen
Gründe, trotz der dargelegten Interessen der Beklagten - nicht zuletzt ihrem
Vertrauensinteresse - eine Abkürzung der Fristverlängerung vorzunehmen. Dabei
ist zunächst von Bedeutung, dass der Kläger zu 1) die Grundlinien der
Argumentation der Beklagten zu seiner Anfechtungsklage bereits kennt, obgleich
er sie für „dünn“ hält (sein Schriftsatz vom 20. Juni 2007, Bl. 2). Der neu
eingeschaltete Anwalt der Beklagten hat in seinem Schriftsatz vom 04. Juni 2007
auf diese „maßgebliche Argumentation der Beklagten“ auch bereits verwiesen.
Wesentlich Neues scheint der Kläger zu 1) darüber hinaus von dem ausstehenden
Schriftsatz des neuen Anwaltes der Beklagten auch selbst nicht zu erwarten, wie er
in seinem Schriftsatz an das Landgericht vom 23. Mai 2007 mit seinen
Bemerkungen auf S. 4, Abs. 1 (Bl. 1423 d.A.) deutlich gemacht hat.
Darüber hinaus wird ohnehin - dies entspricht offensichtlich auch der Annahme des
Klägers zu 1) - eine Klärung der komplexen Problematik kaum durch einen
weiteren Schriftsatz der Beklagten, sondern erst im weiteren Verlauf des
Prozesses durch dessen Entscheidung oder jedenfalls mit weiterer richterlicher
Hilfe in der mündlichen Verhandlung erreicht werden können, was aber auch bei
einer Abkürzung der Verlängerungsfrist keinesfalls bis zur anstehenden
Hauptversammlung der Beklagten mehr geschehen kann.
Schon das Landgericht hat den Kläger zu 1) darauf hingewiesen, dass ihn die
ausstehende Stellungnahme kaum an Anträgen zur Vorbereitung der
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ausstehende Stellungnahme kaum an Anträgen zur Vorbereitung der
Hauptversammlung nach den §§ 126 ff AktG, insbesondere unter Wahrung der
Frist in § 126 Abs. 1 AktG, hindern kann, zumal er selbst bereits eine differenzierte
Position zu dem angefochtenen Widerrufsbeschluss zu TOP 3 der
Hauptversammlung vom August 2005 und dessen Hintergründen entwickelt hat,
ihm dazu auch schon eine Erwiderung der Beklagten vorliegt und er auf dieser
Grundlage seine Vorbereitungen zur anstehenden Hauptversammlung autonom
treffen kann. Was die dort anstehenden Beschlüsse über die Entlastung der
Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates sowie die Neuwahl des
Aufsichtsrates angeht, kann er ggf. weitere Erkenntnisse aus der erwarteten
Stellungnahme einbringen, denn die verlängerte Frist läuft am 10. Juli 2007 noch
deutlich vor der Hauptversammlung ab.
Was letztlich die Frage ausreichender und rechtzeitiger Information der
Hauptversammlung betrifft (dazu vgl. bereits Senat WM 2006, 231 ff) kann dies
nicht Gegenstand der Abwägung im Rahmen des § 224 Abs. 2 ZPO anlässlich der
Entscheidung über den Abkürzungsantrag im vorliegenden Verfahren über die
Anfechtung eines zwei Jahre zurückliegenden Hauptversammlungsbeschlusses
sein. Die ausstehende Stellungnahme hat ersichtlich nicht die Funktion, die für den
20. Juli 2007 einberufene Hauptversammlung zu informieren. Das vorliegende
Beschwerdeverfahren kann nicht gleichsam als vorbeugender Rechtsschutz für die
Wahrnehmung von Pflichten verstanden werden, die dem Vorstand einer AG
gegenüber einer künftigen Hauptversammlung obliegen.
4. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO, um die der
Kläger zu 1) mit Schriftsatz vom 21. Juni 2007 gebeten hat, liegen nicht vor.
Entscheidungserheblich ist bereits der Umstand, dass durch die sechswöchige
Fristverlängerung jedenfalls infolge des richterlichen Hinweises vom 12. Juni 2007
keine erkennbare Verfahrensverzögerung eingetreten ist und der Beklagten nach
diesem wesentliche Argumente des Klägers zu 1) aufgreifenden Hinweis ohnehin
einige Wochen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss. Fehlt es
schon deshalb an den für eine positive Entscheidung über den Abkürzungsantrag
erforderlichen erheblichen Gründen (§ 224 Abs. 2 ZPO), kommt es letztlich auf die
von dem Kläger zu 1) in seinem jüngsten Schriftsatz aufgeführten Gesichtspunkte
nicht mehr an.