Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 14.03.2017

OLG Schleswig-Holstein: unlauterer wettbewerb, versicherungsnehmer, versicherer, vollstreckung, reparaturkosten, obliegenheit, teilkaskoversicherung, gefahr, sicherheitsleistung, form

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Oberlandesgericht
6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 U 19/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 3 UWG, § 8 Abs 1 S 1 UWG
Unlauterer Wettbewerb durch das Angebot einer anteiligen
Übernahme an der Selbstbeteiligung der Reparaturkosten
eines teilkaskoversicherten Autofahrers beim Austausch
einer Windschutzscheibe
Leitsatz
Das Angebot und die Durchführung des Austauschs einer Autoglasscheibe dergestalt,
dass dem betroffenen Autofahrer und Versicherungsnehmer eine Beteiligung an der
Selbstbeteiligung an den Reparaturkosten in der Teilkaskoversicherung in bar oder
mittels Gutscheinen angeboten oder gewährt wird, sind ohne Ausweis dieser Beteiligung
auf der Reparaturkostenrechnung bereits deshalb unlautere Wettbewerbshandlungen,
weil der Versicherungsnehmer zum Bruch des Versicherungsvertrages verleitet wird.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Kammer für Handelssachen III
des Landgerichts Kiel vom 21. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung fallen der Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung in der
Hauptsache durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 30.000 € abwenden,
wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Beklagte darf die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung
oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils insoweit
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des insoweit jeweils zu vollstreckenden Betrages
leistet.
Gründe
I.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug
genommen. Die Beklagte erstrebt mit der Berufung die Abweisung der Klage. Sie
wendet sich vor allem gegen das aus ihrer Sicht mit dem angefochtenen Urteil
ausgesprochene Verbot, teilkaskoversicherten Autofahrern Zugaben in Form von
Wertgutscheinen gewähren zu dürfen. Die Gewährung eines Gutscheins wirke sich
nicht aus auf die Rechnung, ihre Höhe oder den Preis, den die Beklagte für den
Austausch von Autoscheiben fordere. Der von ihr ermittelte marktfähige Preis
gelte unabhängig davon, ob eine Zugabe gewährt werde. Durch diese verzichte die
Beklagte im Interesse des Wettbewerbs und des Kunden außerhalb des
eigentlichen Reparaturauftrages lediglich auf einen Teil ihrer Gewinnmarge. Da von
der gesamten Branche mit der Gewährung irgendwelcher Zugaben geworben
werde, bestehe volle Markttransparenz und werde ein Versicherer nicht getäuscht.
Nachdem verschiedene Möglichkeiten zur Information eines Versicherers über eine
Beteiligung an der Selbstbeteiligung in bar bestünden, sei es falsch, ihr als
einzigen Weg aus dem Verbotstatbestand deren Ausweis auf der
Reparaturkostenrechnung belassen.
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung. Sie meint, für die
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Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung. Sie meint, für die
rechtliche Beurteilung mache es keinen Unterschied, ob die Beklagte sich an der
Selbstbeteiligung mit Bargeld oder einem Tankgutschein beteilige. Beide Male
werde ein „Quantum Kaufmacht“ gewährt. Verschweige ein Versicherungsnehmer,
dass ihm die Beklagte dieses „Quantum Kaufmacht“ gewährt oder nachgelassen
habe, falle ihm ein Betrug zur Last. Allein ein Ausweis der Beteiligung der
Beklagten an der Selbstbeteiligung eines Versicherungsnehmers auf der
Reparaturkostenrechnung könne sicherstellen, dass der Versicherer von dieser
erfahre. Die Reparaturkostenrechnung sei schließlich Grundlage der Abrechnung
durch den Sachbearbeiter des Versicherers.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die
Berufungsbegründung vom 21. April 2006, die Berufungserwiderung vom 17. Mai
2006 sowie die Schriftsätze vom 16. und 26. Mai 2006 verwiesen.
II.
Das angefochtene Urteil ist zu bestätigen. Der Klägerin steht der erhobene
Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 3 UWG zu.
Das Angebot und die Durchführung des Austauschs einer Autoglasscheibe
dergestalt, dass dem betroffenen Autofahrer und Versicherungsnehmer eine
Beteiligung an der Selbstbeteiligung an den Reparaturkosten in der
Teilkaskoversicherung in bar oder mittels Gutscheinen angeboten oder gewährt
wird, sind unlautere Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind, den Wettbewerb
zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer
nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. Denn beides verleitet ohne Offenbarung
auf der Reparaturkostenrechnung den Versicherungsnehmer zum Bruch des
Versicherungsvertrages (vgl. im Ergebnis ebenso mit unterschiedlicher
Begründung im Einzelnen: OLG Celle, GRUR-RR, 2006, 57 und WRP 1999, 876; OLG
Hamm, Urteil vom 1. März 2005, Az.: 4 U 174/04, veröffentlicht in iuris; OLG
Naumburg, GRUR-RR 2005, 203; LG Mannheim, WRP 2004, 1520; LG Bonn, Urteil
vom 22. Dezember 2005, Az.: 14 O 146/05, veröffentlicht in iuris; LG Essen, WRP
2005, 523; LG Osnabrück, Urteil vom 14. November 2004, Az.: 18 O 469/04, WRP
2005, 252; LG Dortmund, Beschlüsse vom 15. und 19. August 2003, Az.: 20 O
72/03 und 16 O 107/03, WRP 2004, 792; LG Berlin, Urteil vom 19. Juli 2000, Az: 97
O 207/99, WRP 2001, 73; Möller, EwiR 2005, 871; a. Ans. LG Düsseldorf, WRP 2005,
528 ff.). Die Beklagte darf den Wettbewerb nicht dadurch beeinträchtigen, dass
ihre Kunden in die Gefahr der Leistungsfreiheit geraten. Um ein generelles Verbot,
teilkaskoversicherten Autofahrern Zugaben in Form von Wertgutscheinen
gewähren zu dürfen, geht es dabei entgegen der Berufungsbegründung nicht.
Nach § 7 I. (2) Satz 4 AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun,
was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann. Sinn der Obliegenheit zur
Aufklärung ist, den Versicherer in die Lage zu versetzen, sachgemäße
Entschließungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen (vgl.
Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl., § 7 AKB Rn. 39). Sachgemäße
Entschließungen über die Behandlung eines Glasschadens in der
Teilkaskoversicherung kann der Versicherer nur treffen, wenn er weiß, ob die
Beklagte dem Versicherungsnehmer eine Beteiligung an der Selbstbeteiligung der
Reparaturkosten in bar oder mittels Gutscheinen gewährt hat (beides ist
wirtschaftlich eins; sonstige Zugaben sind nicht Gegenstand des Prozesses). Nur
dann hat er im Einzelfall vor seiner Entscheidung über die Höhe des zu
ersetzenden Vermögensschadens überhaupt die Möglichkeit zur Prüfung, ob und
wie er eine von der Beklagten sogenannte Beteiligung der Beklagten an der
Selbstbeteiligung berücksichtigen will, die wirtschaftlich nichts anderes als ein
Preisnachlass ist.
Bei Beschädigung des Fahrzeuges ersetzt der Versicherer nach § 13 (5) AKB bis zu
dem nach den Absätzen 1 bis 3 dieser Bestimmung sich ergebenden Betrag die
erforderlichen Kosten der Wiederherstellung. Zu ersetzen sind danach die Kosten,
die objektiv erforderlich sind, um eine dem Versicherungswert entsprechende
Sache wiederherzustellen (abstrakte Schadensberechnung, vgl. Kollhosser, in:
Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 55 Rn. 31 ff.; BGH, VersR 1996, 91; BGH, NJW 1985,
1222; Stiefel/Hofmann, a.a.O., § 13 Rn. 51; vgl. weiter Palandt/Heinrichs, BGB, 65.
Aufl., § 249 Rn. 14 m. w. Nachw.; BGH, NJW 2003, 2085). Um sich ein Bild davon zu
machen, welche Kosten objektiv erforderlich in diesem Sinn sind, muss der
Versicherer unter anderem auch wissen, was die Beklagte wirtschaftlich tatsächlich
in jedem Einzelfall in Rechnung stellt. Denn die Vorlage der
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in jedem Einzelfall in Rechnung stellt. Denn die Vorlage der
Reparaturkostenrechnung der Beklagten ohne Ausweis ihrer Beteiligung an der
Selbstbeteiligung in bar oder mittels Gutscheinen zielt durch Verschleierung der
wirklichen Verhältnisse darauf ab, den Vermögensschaden des
Versicherungsnehmers auf eine Art und Weise abzurechnen, wie er diesem nicht
entstanden ist. Verlässlich erfahren kann der Versicherer und insbesondere
dessen Sachbearbeiter die tatsächlichen Verhältnisse nur durch einen Ausweis der
Beteiligung der Beklagten an der Selbstbeteiligung auf der
Reparaturkostenrechnung selbst. Nur so genügt der Versicherungsnehmer sicher
seiner Obliegenheit, alles zu tun, was zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich ist.
Und nur so gerät er nicht in die Gefahr, dass wegen Verletzung der Obliegenheit
zur Aufklärung des Sachverhaltes nach § 7 V. (4) AKB Leistungsfreiheit nach
Maßgabe des § 6 Abs. 3 VVG besteht.
Offen bleiben kann, ob der Klägerin gegen die Beklagte der erhobene
Unterlassungsanspruch auch zusteht nach § 8 Abs. 1 und §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, 1
Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 PAngV, § 8 Abs. 1 und §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, 263 Abs. 1
StGB, oder nach § 8 Abs. 1 und §§ 3, 5 UWG unter dem Gesichtspunkt des
„übertriebenen Anlockens“.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2
ZPO. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO für die Zulassung der
Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung
noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung angesichts der im Ergebnis bisher praktisch einhelligen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.