Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 13.03.2017
OLG Schleswig-Holstein: getrennt leben, wohnung, härte, gewalttätigkeit, scheidungsverfahren, immaterialgüterrecht, verwaltungsrecht, link, zivilprozessrecht, einverständnis
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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Oberlandesgericht
5. Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 WF 22/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 1565 Abs 2 BGB
Härtefallscheidung vor Ablauf des Trennungsjahres bei
alkoholbedingter Gewalttätigkeit des Ehemannes
Leitsatz
Gravierende Übergriffe und Drohungen eines alkoholbedingt gewalttätigen Ehemannes
können eine Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres aufgrund unzumutbarer Härte
rechtfertigen.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihr Prozesskostenhilfe
versagenden Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Neumünster vom 29.
Dezember 2006 wird der angefochtene Beschluss geändert.
Der Antragstellerin wird für das Scheidungsverfahren vorbehaltlich des Vorliegens
der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Prozesskostenhilfe bewilligt.
Gründe
Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.
Gemäß § 1565 Abs. 2 BGB kann die Ehe, wenn die Ehegatten noch nicht ein Jahr
getrennt leben, nur geschieden werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den
Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine
unzumutbare Härte darstellen würde.
Diese Voraussetzung liegt nach dem unstreitigen Vorbringen der Antragstellerin
vor. Danach ist die Ehe auf Grund der erheblichen alkoholbedingten Ausfälle des
Antragsgegners gescheitert.
Die unzumutbare Härte muss sich auf das Eheband, d.h., das „Weiter-
miteinander-verheiratet-sein“, nicht auf die Fortsetzung des ehelichen
Zusammenlebens beziehen. Der Antragstellerin darf insoweit nicht zuzumuten
sein, mit der Scheidung bis zum Ablauf des Trennungsjahres zu warten (vgl.
Palandt-Brudermüller, 66. Aufl., Rz. 9 zu § 1565 BGB m.w.N.).
Deshalb ist es unerheblich, dass die Antragstellerin nicht nur von ihrem
alkoholkranken Ehemann getrennt lebt, sondern diesem durch die einstweilige
Anordnung vom 30. August 2006 sogar verboten ist, die Wohnung der Parteien zu
betreten, sich in einem Umkreis von 100 m der Wohnung aufzuhalten und
Verbindungen zur Antragstellerin aufzunehmen. Diese Maßnahmen vermögen die
Antragstellerin zwar grundsätzlich davor zu schützen, dass sie sich erneut
Bedrohungen oder gar körperlichen Übergriffen des Antragsgegners in der und um
die Wohnung herum ausgesetzt sehen könnte. Sie besagen aber nichts darüber,
ob der Antragstellerin zuzumuten ist, das eheliche Band und die damit
verbundenen rechtlichen und gesellschaftlichen Folgen aufrechtzuerhalten.
Das ist ihr nicht zuzumuten.
Die Antragstellerin hat den Antragsgegner seit Jahren immer wieder volltrunken,
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Die Antragstellerin hat den Antragsgegner seit Jahren immer wieder volltrunken,
aggressiv und gewalttätig erlebt. Die gravierenden Vorfälle am 3. Januar und im
August 2006 über mehrere Tage mit Drohungen des Antragsgegners gegen das
Leben der Antragstellerin zeigen, dass die in der Person des Antragsgegners
liegende Unzumutbarkeit ein Ausmaß erreicht hat, das eine Scheidung vor Ablauf
des Trennungsjahres rechtfertigt.
Der mit Schriftsatz vom 13. September 2006 auch vom Antragsgegner gestellte
Scheidungsantrag und damit das deutlich gemachte Einverständnis mit der
Scheidung steht dem nicht entgegen. Als selbständiger Antrag ist er vor Ablauf
des Trennungsjahres selbst daraufhin zu überprüfen, ob auch für ihn die
Voraussetzungen des § 1565 Abs. 2 BGB vorliegen; ansonsten ist er
zurückzuweisen (vgl. Palandt-Brudermüller, a.a.O., Rz. 13).
Der Antragstellerin ist demnach Prozesskostenhilfe für das Scheidungsverfahren
vorbehaltlich der vom Amtsgericht - Familiengericht - bisher folgerichtig nicht
geprüften persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu bewilligen. Die Prüfung
der wirtschaftlichen Voraussetzungen bleibt dem Amtsgericht - Familiengericht -
überlassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).