Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 13.03.2017

OLG Schleswig-Holstein: ausbildung, aufenthalt, schüler, anschlussberufung, englisch, unterhaltsleistung, nordamerika, australien, eltern, lebensstellung

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Oberlandesgericht
5. Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 UF 59/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 1613 Abs 2 BGB
Unterhaltsrecht: Unterhaltssonderbedarf für ein Schuljahr
im Ausland
Leitsatz
Die Kosten für ein vollständiges Schuljahr im Ausland überschreiten regelmäßig den
angemessenen Ausbildungsbedarf und können daher nur als Sonderbedarf bei
entsprechend gesonderter Begründung ihrer Notwendigkeit geltend gemacht werden.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers wird das
Urteil des Amtsgerichts Familiengericht - Pinneberg vom 1. März 2005 teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger unter Abänderung des gerichtlichen
Vergleichs vom 10. August 1995 (Amtsgericht Hamburg-Bergedorf, Az. 498 C
412/95) vom 1. März 2004 bis zum 30. Juni 2005 einen monatlichen jeweils im
Voraus zahlbaren Kindesunterhalt in Höhe von 327,00 € und ab 1. Juli 2005 einen
monatlich jeweils im Voraus zahlbaren Kindesunterhalt in Höhe von 337,00 € zu
zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz tragen der Kläger 75 % und
der Beklagte 25 %.
Die Kosten des Berufungsrechtszugs trägt der Kläger.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Der Beklagte ist der Vater des Klägers. Mit dem Vergleich vom 10. August 1995
vor dem Amtsgericht Hamburg-Bergedorf verpflichtete sich der Beklagte, an den
Kläger monatlichen Kindesunterhalt von 500,00 DM zu zahlen. Mit Schreiben vom
29. März 2004 ist der Beklagte aufgefordert worden, eine neue Auskunft über sein
Einkommen zu erteilen. Gleichzeitig ist er aufgefordert worden, sich an den Kosten
einer Klassenreise sowie des Auslandsschulaufenthaltes des Klägers in den USA in
der Zeit von August 2004 bis Juni 2005 zu beteiligen. Der Kläger ist nach wie vor
Schüler. Er beabsichtigt, im Jahre 2007 das Abitur abzulegen.
Der Kläger ist der Ansicht, neben dem laufenden Unterhalt müsse sich der
Beklagte für die Kosten des USA-Aufenthaltes mit 3.000,00 € beteiligen.
Auf die geltend gemachte erhöhte Unterhaltsforderung für den laufenden
Unterhalt mit monatlich 327,00 € hat der Beklagte die Klageforderung anerkannt.
Entsprechend ist mit dem angegriffenen Urteil des Amtsgerichts ein
Anerkenntnisteil- und Schlussurteil ergangen. Auf den Inhalt und die
Feststellungen in diesem Urteil wird Bezug genommen.
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Mit seiner Berufung macht der Beklagte geltend, nicht verpflichtet zu sein, den
Auslandsaufenthalt des Klägers mitfinanzieren zu müssen. Die Übernahme von
Kosten der Ausbildung könne vom Berechtigten nur verlangt werden, soweit er
bedürftig und der Verpflichtete leistungsfähig sei. Deshalb müssten die Kosten aus
Sicht eines objektiven Betrachters als notwendig erscheinen. Daran fehle es im
vorliegenden Fall, da die Kosten des Auslandsschuljahres den angemessenen
Ausbildungsbedarf des Klägers überstiegen. Von ihm könne keine
überobligatorische Leistung verlangt werden. Zur schulischen Qualifikation des
Klägers sei nichts vorgetragen worden, so dass auch nicht nachvollzogen werden
könne, inwieweit gerade der Aufenthalt in den USA für seine schulische
Weiterentwicklung unbedingt notwendig sei. Sollte der Kläger besondere Defizite in
dem Fach „Englisch“ haben und seine schulische Ausbildung ohne
Förderungsmaßnahmen erheblich gefährdet gewesen sein, so sei nicht unbedingt
ein Auslandsaufenthalt notwendig. Mit angemessenem Nachhilfeunterricht hätten
solche Defizite ggf. aufgefangen werden können. Er, der Beklagte, sei an der
Entscheidung für den Auslandsaufenthalt überhaupt nicht beteiligt worden. Er
hätte einen solchen Entschluss auch ablehnen müssen, da er wirtschaftlich nicht in
der Lage sei, sich an diesen Kosten zu beteiligen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Familiengericht - teilweise abzuändern und die
Klage abzuweisen, soweit er zu einem Betrag in Höhe von 2.000,00 € sowie
weiterer je 200,00 € am 1.3.2005, 1.4.2005, 1.5.2005, 1.6.2005 und 1.7.2005
verurteilt worden sei.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er stützt seine Auffassung, der Beklagte sei zur Zahlung der Kosten für den
Auslandsaufenthalt verpflichtet, auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts
Karlsruhe vom 22. März 1988 (FamRZ 1988, 1091 f.). Es sei beim Kläger, wie in
dem vorgenannten Rechtsstreit beim OLG Karlsruhe, nicht um ein touristisches
Unternehmen gegangen. In Amerika habe er regelmäßig dem Schulunterricht
beigewohnt, wo er derselben Schuldisziplin unterworfen gewesen sei, wie die
amerikanischen Schüler. Ausdrücklich habe er Kosten für Taschengeld etc. nicht in
die Forderung mit einbezogen. Seiner Mutter seien weitaus höhere Kosten
erwachsen. Die Kindesmutter verfüge über geringeres Einkommen als der
Beklagte. Zudem seien von staatlichen Stellen geförderte Auslandsaufenthalte für
junge Menschen in jeder Hinsicht förderlich. Dass die Ausbildung etwa notwendig
sei, werde auch sonst nicht gefordert.
Im Wege der Anschlussberufung begehrt der Kläger ab 1. Juli 2005 wegen der
erhöhten Tabellenwerte der unterhaltsrechtlichen Leitlinien einen monatlichen
Unterhaltsbetrag von 337,00 €.
Der Beklagte hat die Forderung der Anschlussberufung mit Schriftsatz vom 27. Juli
2005 und in der mündlichen Verhandlung anerkannt. Der Kläger hat den Erlass
eines entsprechenden Anerkenntnisteilurteils beantragt.
Wegen des weiter gehenden Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen
Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Soweit der Beklagte die ab 1. Juli 2005 um monatlich 10,00 € erhöhte
Unterhaltsleistung anerkannt hat, ist auf Antrag des Klägers durch
Anerkenntnisteilurteil gemäß §§ 307, 301, 313 b ZPO zu entscheiden. Der weiteren
Ausführungen in den Entscheidungsgründen bedarf es dazu nicht.
Die Berufung des Beklagten hinsichtlich der Verurteilung, sich an den Kosten des
Auslandsaufenthaltes des Klägers zu beteiligen, ist begründet. Eine
Unterhaltsverpflichtung, diese Kosten zu tragen, besteht nicht. Maßgeblich wäre
dafür die Regelung in § 1613 Abs. 2 BGB. Es handelt sich bei diesen Kosten um
einen unregelmäßigen Bedarf, der außergewöhnlich hoch ist und über den Rahmen
des laufenden Bedarfes hinaus geht (vgl. BGH FamRZ 1982, 145 - 147; OLG
Karlsruhe FamRZ 1988, 1091 f.; OLG Naumburg FamRZ 2000, 444 f.).
Mit dem Kläger ist davon auszugehen, dass der Aufenthalt in den USA für die
Entwicklung der Persönlichkeit des Klägers bestimmt förderlich war. Eine
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Entwicklung der Persönlichkeit des Klägers bestimmt förderlich war. Eine
Verpflichtung des Beklagten, sich an den Mehrkosten oberhalb des regelmäßig zu
erbringenden Unterhalts zu beteiligen, ergibt sich daraus aber nicht.
Voraussetzung dafür, dass der Unterhaltsverpflichtete sich an Leistungen für einen
Sonderbedarf gemäß § 1613 Abs. 2 BGB zu beteiligen hat, ist, dass die
Sonderbedarfskosten aus Sicht eines objektiven Betrachters als notwendig
erscheinen. Bei den Leistungen zum Sonderbedarf muss es sich um die Deckung
notwendiger Lebensbedürfnisse handeln, nicht anders als beim laufenden Bedarf
(vgl. OLG Naumburg, FamRZ 2000, 444 f.; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die
Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl., Rn. 278).
Die Kosten des Auslandsaufenthaltes des Klägers überschreiten den
angemessenen Ausbildungsbedarf. Der persönlichen Entwicklung und dem
Kenntnisstand über die englische Sprache mag der Aufenthalt in den USA gedient
haben. Der Kläger macht hierzu aber keine Angaben. Die Finanzierung des
Aufenthalts stellt sich aber als überobligatorische Unterhaltsleistung dar, zu der
der Beklagte nicht verpflichtet ist. Dass ein Schüler ein Schuljahr im Ausland
verbringt, ist nicht als unabweisbar (wie z.B. bei krankheitsbedingtem Mehrbedarf)
oder jedenfalls unter Abwägung aller erkennbaren Gesamtumstände
unterhaltsrechtlich ohne weiteres berechtigt (vgl. OLG Hamm FamRZ 1997, 960)
zu bewerten. Die deutlich überwiegende Mehrzahl von Gymnasiasten in
Deutschland nimmt nicht an längerfristigen Auslandsaufenthalten in den USA,
Kanada oder Australien teil. Zur Förderung der Sprachkenntnisse ist verbreiteter,
mehrwöchige Sprachschulaufenthalte in europäischen Ländern mit
geringfügigeren Aufwendungen durchzuführen. Der längerfristige Aufenthalt des
Klägers in Nordamerika stellt keine notwendige Voraussetzung dar, eine
Englischnote im oberen Notenbereich zu erlangen. Die Teilnahme an einem
Auslandsaufenthalt für ein ganzes Schuljahr überschreitet den Rahmen einer
allgemein üblichen und generell gebotenen schulischen Förderung. Eine solche
besonders herausgehobene Ausbildung kann vom Unterhaltsberechtigten nicht
ohne weiteres verlangt werden, weil dies in aller Regel nur finanziell weit
überdurchschnittlich gestellten Eltern möglich ist.
Zur Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten gelangt man im
vorliegenden Fall aber deshalb nicht, weil zur Erforderlichkeit des
Auslandsaufenthaltes des Klägers keine Umstände vorgetragen worden sind. In
der Berufungserwiderung ist auf die Berufungsbegründung hin ausgeführt worden,
dass nicht gefordert werden könne, dass die Ausbildung etwa notwendig sei. In der
mündlichen Verhandlung ist für den Kläger ausgeführt worden, dass der Aufenthalt
in den USA der Verbesserung der Englischkenntnisse gedient habe und es das
Berufsziel des Klägers sei, für das höhere Lehramt u.a. Englisch zu studieren. Es
wäre notwendig gewesen, dass der Kläger darlegt, auf Grund welcher Umstände
überhaupt bei welcher Notenausgangslage ein Auslandsaufenthalt gerade in der
von ihm gewählten Art und Weise geeignet und erforderlich gewesen sein soll, um
den angestrebten Schulabschluss z.B. des Abiturfachs Englisch zu verbessern.
Irgendwelche Anknüpfungstatsachen für eine dahingehende Bewertung sind auch
im Ansatz nicht dargelegt worden.
Nach den Gesamtumständen ist die Bedarfssituation des Klägers, hier im Rahmen
des Sonderbedarfs auch nur anteilig Kosten des Auslandsaufenthaltes vom
Beklagten erstattet zu erhalten, nicht begründet.
Die vom Kläger zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (FamRZ
1988, 1091 f.) gibt keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung. In der
vorgenannten Entscheidung ist über eine Prozesskostenhilfebeschwerde im
Rahmen des summarischen Verfahrens entschieden worden. Gegenstand des
Verfahrens war ein dreimonatiger Schüleraustausch zwischen deutschen und
kanadischen Schülern. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat ohne Vertiefung
ausgeführt, zu Unrecht habe das Amtsgericht Familiengericht - anklingen lassen,
der Bedarf sei daran zu bemessen, was für die Ausbildung notwendig sei. Das
Oberlandesgericht Karlsruhe hat ausgeführt, dass sich das Maß des Unterhalts
nach der Lebensstellung des Bedürftigen richte, mithin Differenzierungen
unterworfen sei. Bei dem Antragsteller des Prozesskostenhilfeverfahrens handelte
es sich um einen 16-jährigen Schüler, der sprachbegabt gewesen ist. Der
unterhaltsverpflichtete Vater war in der höchsten Einkommensstufe des
gehobenen Dienstes in einer Ausbildungsstätte für angehende Lehrer beschäftigt.
Mithin hatte das Oberlandesgericht Karlsruhe zum einen Anknüpfungstatsachen
dahingehend, inwiefern bei dem Antragsteller des dortigen Verfahrens eine
Erforderlichkeit gegeben sein könnte, zum anderen bezieht sich die Entscheidung
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Erforderlichkeit gegeben sein könnte, zum anderen bezieht sich die Entscheidung
überwiegend auf die wirtschaftliche Abwägung, in welchem Umfange (dort wurden
insgesamt 2.928,00 DM geltend gemacht) die Leistungsfähigkeit des
unterhaltsverpflichteten Vaters gegeben sei.
Demgegenüber ist im vorliegenden Fall keine Anknüpfung gegeben, um das
Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit des Auslandsaufenthaltes zu bewerten.
Soweit in der angegriffenen Entscheidung des Amtsgerichts Familiengericht - auf
die Abwägungen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung FamRZ 1992,
1064 f. abgestellt worden ist, so betraf der dortige Rechtsstreit einen
Ausbildungsunterhaltsanspruch einer Studentin gemäß § 1610 Abs. 2 BGB. Die
Voraussetzungen dafür, einen regelmäßigen Unterhaltsbedarf zu verfolgen, sind
andere, als gemäß § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB für einen Sonderbedarf. Durch die
regelmäßige monatliche Unterhaltszahlung deckt der Beklagte den allgemeinen
Ausbildungsbedarf des Klägers für den Besuch des Gymnasiums ab. Wie oben
ausgeführt, zählt ein Auslandsaufenthalt eines Schülers für ein Schuljahr nicht zu
den regelmäßigen Ausbildungsaufwendungen, sondern ist ein Ereignis, das nach
den Maßstäben des Sonderbedarfs zu beurteilen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO für die erste Instanz und aus §§
91 Abs. 1, 93 ZPO für den Berufungsrechtszug.
Die Kostenverteilung ergibt sich aus dem teilweisen Obsiegen und Unterliegen der
Parteien. Im ersten Rechtszug hat der Kläger kostenanteilig auf den den Unterhalt
über monatlich 327,00 € hinausgehenden Teil zur Klageforderung von monatlich
378,00 € und nunmehr bezüglich der Sonderbedarfsforderung über 3.000,00 € die
Kosten zu tragen. Ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne von § 93 ZPO liegt im
ersten Rechtszug auf Seiten des Beklagten nicht vor, weil insofern für eine
Teilleistung ein sofortiges Anerkenntnis nicht möglich ist. Der Beklagte ist in Höhe
von 20,00 € monatlichen Unterhalt streitig verurteilt worden.
Im Berufungsrechtszug unterliegt der Kläger hinsichtlich der Forderung über
3.000,00 € zum Sonderbedarf. Soweit er mit der Anschlussberufung einen
erhöhten monatlichen Unterhalt ab 1. Juli 2005 mit 10,00 € geltend macht, hat der
Beklagte gemäß § 93 ZPO mit Schriftsatz vom 27. Juli 2005 ein sofortiges
Anerkenntnis abgegeben. Der Beklagte ist zur erhöhten Unterhaltszahlung nicht
gemahnt worden. Er hat keine Veranlassung zur Klageerhebung über diesen
Betrag gegeben und die Mehrforderung vollumfänglich anerkannt.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
Die Revision gegen das Urteil ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Die
Rechtssache ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung oder dient der Fortbildung
des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Die Frage der
Notwendigkeit des Auslandsaufenthaltes ist eine Einzelfallfrage, die der
tatrichterlichen Bewertung an Hand der vorgebrachten Tatsachen unterliegt. Der
Beurteilung sind die bisher allgemein gültigen Bewertungskriterien zum
Unterhaltsbedarf zugrunde gelegt worden.