Urteil des OLG Saarbrücken vom 21.02.2011

OLG Saarbrücken: behandlung, hauptsache, eltern, rechtsschutz, rechtsstaatsprinzip, entscheidungsformel, verweigerung

OLG Saarbrücken Beschluß vom 21.2.2011, 6 WF 140/10
Leitsätze
Verfassungsrechtlich ist es geboten, dass das Gericht seine Entscheidung über die
Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht im Nachhinein trifft und dabei seine
Erkenntnisse aus dem Hauptsacheverfahren in die Entscheidung über die
Verfahrenskostenhilfe mit einfließen lässt.
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts
– Familiengericht – in Völklingen vom 16. September 2010 – 8 F 221/10 VKH 2 –
aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das
Familiengericht zurückverwiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Die nach § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige
Beschwerde des Antragsgegners hat nach Maßgabe der Entscheidungsformel einen
vorläufigen Erfolg.
Der angefochtene Beschluss kann keinen Bestand haben; denn die Verweigerung der
nachgesuchten Verfahrenskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht (§ 76 Abs. 1
FamFG i.V.m. § 114 S. 1 ZPO) überspannt die Anforderungen, die an diese zu stellen sind.
Art. 3 Abs. 1 i.V.m. dem in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsprinzip
gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten
bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich,
die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die
beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg
hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu
dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der
Verfahrenskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens
treten zu lassen. Das Verfahrenskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der
Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Dies
bedeutet zugleich, dass Verfahrenskostenhilfe nur verweigert werden darf, wenn ein Erfolg
in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine
entfernte ist. Verfassungsrechtlich ist es außerdem geboten, dass das Gericht seine
Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht im Nachhinein trifft,
dementsprechend seine Erkenntnisse aus dem Hauptsacheverfahren in die Entscheidung
über die Prozesskostenhilfe mit einfließen lässt. (vgl. BVerfGE 81, 347; BVerfG FamRZ
2009, 1654; 2007, 273; 2005, 1893).
Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben, die auf die Auslegung von § 114 S. 1 ZPO
ausstrahlen, hält die Versagung von Verfahrenskostenhilfe nicht stand. Das Familiengericht
hat zur Begründung seiner Ablehnung der Verfahrenskostenhilfe auf seine gleichzeitig
ergangene Hauptsacheentscheidung verwiesen und sich damit maßgeblich auch auf den
Eindruck gestützt, den es aus dem Anhörungstermin mitgenommen hat, dessen
Ergebnisse zu Beginn des Verfahrens noch nicht festgestanden haben. Dies zeigt sich
gerade in der Nichtabhilfeentscheidung des Familiengerichts vom 10. November 2010, in
dem das Familiengericht tragend auf die Äußerungen der Eltern im Anhörungstermin
abgestellt hat.
Nachdem das Familiengericht mithin bei der Beurteilung des Anspruchs auf Gewährung von
Verfahrenskostenhilfe eine unzulässige Betrachtung im Nachhinein vorgenommen und
damit die Anforderungen, die an die hinreichende Erfolgsaussicht zu stellen sind,
überspannt hat, ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur
erneuten Behandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen. Eine
eigene Sachentscheidung erscheint dem Senat bei den gegebenen Umständen nicht
sachdienlich (§ 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO), weil das Familiengericht – aus
seiner Sicht zu Recht – bisher die Frage der Kostenarmut des Antragsgegners nicht geprüft
hat.
Die Zurückverweisung gibt dem Familiengericht in diesem Zusammenhang Gelegenheit,
sich eine aktuelle und mit ordnungsgemäßen Belegen versehene Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners vorlegen zu lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht
vorliegen.