Urteil des OLG Saarbrücken vom 02.06.2010
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OLG Saarbrücken Urteil vom 2.6.2010, 9 U 506/09; 9 U 506/09 - 4
Leitsätze
Nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft besteht für einen Ehegatten im Zweifel
kein Anlass mehr, dem anderen weitere Vermögensmehrungen zukommen zu lassen, so
dass spätestens ab diesem Zeitpunkt der aus § 426 BGB Abs. 1 BGB resultierende
Ausgleichsanspruch wieder auflebt. Diesem Anspruch kann auch rückwirkend der Einwand
der entgeltfreien Nutzung entgegengehalten werden.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 15. September 2009 verkündete Urteil des
Landgerichts in Saarbrücken – 6 O 35/09 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
I.
Die 1981 geschlossene Ehe der Parteien, aus der zwei Kinder hervorgegangen sind, ist
durch Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – in Rheinberg vom 1. Juli 2005 – 7 F
369/03 – seit (richtig:) 14. August 2005 rechtskräftig geschieden.
Die Parteien bewohnten zusammen mit der am . November 1997 geborenen Tochter L.
ein in ihrem Miteigentum stehendes, kreditfinanziertes Wohnanwesen in. Der Beklagte hat
die eheliche Wohnung mit seinem Auszug am 18. Januar 2003 endgültig verlassen. Die
Finanzierungslasten waren während des Zusammenlebens gemeinsam getragen worden.
Zwischen Februar 2003 und März 2004 zahlte die Klägerin die Hausschulden alleine,
insgesamt (9.511,33 EUR + Sondertilgung: 1.041,42 EUR =) 10.552,75 EUR. Ende März
2004 zog sie ebenfalls aus dem – nachfolgend veräußerten - Anwesen aus, in dem nach
dem Auszug des Beklagten vorübergehend eine Bekannte der Klägerin mit gewohnt hatte.
Der Beklagte zahlte auf die Zins- und Tilgungsraten für das Anwesen am 27. April 2004
357 EUR sowie am 26. Mai 2004 und am 29. Juni 2004 jeweils 359 EUR.
Mit ihrer am 4. Mai 2005 eingegangenen Klage hat die Klägerin den Beklagten vor dem
Landgericht in Saarbrücken auf hälftigen Ausgleich des von ihr für die Zeit von Februar
2003 bis März 2004 errechneten Betrages in Anspruch genommen. Die Parteien haben
erstinstanzlich im Wesentlichen darüber gestritten, ob und ggf. in welcher Höhe der
Beklagte dem Ausgleichsverlangen einen Anspruch auf Nutzungsentschädigung entgegen
halten kann. Weiterhin hat der Beklagte Gegenansprüche gegen die Klägerin - u.a. auf
Trennungsunterhalt - zur Aufrechnung gestellt. Die Klägerin hat dem ihrerseits einen
Anspruch auf Beteiligung an der dem Beklagten zugeflossenen Steuererstattung für 2003
entgegen gehalten. Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.272,78 EUR nebst 5% Zinsen
über dem Basiszinssatz hieraus seit 29. Januar 2005 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Durch das angefochtene Urteil, auf das ergänzend Bezug genommen wird, hat das
Landgericht – nach Beweisaufnahme über die Höhe des Nutzungswertes des Anwesens -
den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 267 EUR nebst Zinsen seit dem 29. Januar 2005
zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Gegen die Teilabweisung der Klage richtet sich die Berufung der Klägerin. Mit dem
Rechtsmittel wendet sie sich gegen die Kürzung des Ausgleichsanspruches auf Grund der
vom Beklagten beanspruchten Nutzungsentschädigung. Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu
verurteilen, über den zuerkannten Betrag in Höhe von 267 EUR nebst
5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 29. Januar 2005 hinaus
weitere 5.005,78 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit
dem 29. Januar 2005 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt – soweit ihm günstig - das angefochtene Urteil. Weiter verweist er u.a. erneut
auf seine Aufrechnung mit einem Trennungsunterhaltsanspruch in Höhe mindestens der
beanspruchten Nutzungsentschädigung.
Die beigezogenen Akten des Scheidungsverfahrens der Parteien vor dem Amtsgericht –
Familiengericht – in Rheinberg – 7 F 369/03 – waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung.
Entscheidungsgründe
II.
Gemäß Art. 111 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (FGG-
Reformgesetz - FGG-RG; BGBl. 2008 I, S. 2585) finden im vorliegenden Rechtsstreit die
vor Inkrafttreten des FGG-Reformgesetzes geltenden Verfahrensvorschriften Anwendung.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. In der Sache können die Berufungsangriffe dem
Rechtsmittel jedoch nicht zum Erfolg verhelfen. Das angefochtene Urteil lässt weder einen
durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Klägerin erkennen, noch rechtfertigen die
vom Senat zu Grunde zu legenden Tatsachen eine ihr günstigere Entscheidung (§§ 513
Abs. 1, 529 Abs. 1 ZPO).
Im tatsächlichen und rechtlichen Ausgangspunkt unangegriffen hat das Landgericht einen
Ausgleichsanspruch der Klägerin auf hälftige Erstattung der von ihr im Zeitraum von
Februar 2003 bis März 2004 erbrachten Zahlungen auf die gemeinsamen
Immobiliarverbindlichkeiten in unstreitiger Höhe aus § 426 Abs. 1 BGB, daneben aus §§
748, 755 BGB entnommen. Ausgleichsansprüche wegen gezahlter Zins- und Tilgungsraten
auf die Darlehen kommen in Betracht, soweit die erbrachten Leistungen der Klägerin an die
Gläubiger ihre Haftungsquote im Innenverhältnis zum mithaftenden Beklagten übersteigen.
Diese Ansprüche folgen im Streitfall - unumstritten - aus § 426 Abs. 1 BGB, da die Parteien
für die Darlehen als Gesamtschuldner hafteten, daneben auch aus den Vorschriften der
Bruchteilsgemeinschaft (§§ 748, 755 BGB), weil sie je hälftige Miteigentümer des
Hausanwesens waren (BGH, FamRZ 1993, 676, m.w.N.). Gemäß § 426 Abs. 2 BGB
haften Gesamtschuldner im Innenverhältnis zu gleichen Anteilen, wenn sich nicht aus
Gesetz, einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung, Inhalt und Zweck des
Rechtsverhältnisses oder aus der besonderen Gestaltung des tatsächlichen Geschehens
etwas anderes ergibt; in ähnlicher Weise lässt sich aus den Bestimmungen über die
Bruchteilsgemeinschaft in §§ 748, 755 BGB ableiten, dass die Teilhaber für
Verbindlichkeiten in Bezug auf den gemeinschaftlichen Gegenstand nach dem Verhältnis
ihrer Anteile haften, wenn sich nicht aus einer Vereinbarung oder aus den besonderen
Umständen des Falles etwas anderes ergibt (BGH, a.a.O., FamRZ 2007, 1975, m.w.N.).
Unabhängig von der gewählten Handhabung während intakter Ehe entfällt mit dem
Scheitern der Ehe in der Regel jener Grund für eine von der hälftigen Ausgleichsregel
abweichende Gestaltung (BGH, FamRZ 1993, 676, m.w.N.). Nach Aufhebung der
ehelichen Lebensgemeinschaft besteht für einen Ehegatten nämlich im Zweifel kein Anlass
mehr, dem anderen eine weitere Vermögensmehrung zukommen zu lassen (BGH, a.a.O.,
m.w.N.). Spätestens von diesem Zeitpunkt an lebt der aus § 426 Abs. 1 BGB resultierende
Ausgleichsanspruch wieder auf, ohne dass es eines Handelns oder einer ausdrücklichen
Erklärung des die Unkosten tragenden Ehegatten bedarf (BGH, a.a.O., m.w.N.). Nach §
426 Abs. 1 BGB sind dann die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander entsprechend
ihren Miteigentumsanteilen verpflichtet, die Unkosten zu tragen, soweit nicht ein anderes
bestimmt ist. So auch hier.
Ohne Erfolg wendet sich die Klägerin dagegen, dass das Landgericht dem für den
Klagezeitraum auch der Höhe nach unangegriffen festgestellten Ausgleichsbetrag die
anteilige Nutzungsvergütung des Beklagten aus § 745 Abs. 2 BGB - bzw. § 1361 b Abs. 3
Satz 2 BGB n.F. (vgl. dazu BGH, FamRZ 2006, 930; siehe auch
Johannsen/Henrich/Brudermüller, Eherecht, 4. Aufl., § 1361 b, Rz. 33;
Palandt/Brudermüller, BGB, 69. Aufl., § 1361 b, Rz. 20) - für den nämlichen Zeitraum
mindernd gegenüber gestellt hat. Zwar kann die Zahlung einer Nutzungsvergütung i.S.
einer Neuregelung nach Maßgabe von § 745 Abs. 2 BGB – ebenso wie nach § 1361 b Abs.
3 Satz 2 BGB – prinzipiell erst ab Zugang eines deutlichen Zahlungsverlangens beansprucht
werden (BGH, FamRZ 1993, 676; FamRZ 1986, 434, 435; Senatsbeschluss vom 10. Juli
2009 – 9 W 64/09-4 -; Hoppenz/Müller, Familiensachen, 9. Aufl., A.I., § 1361 b, Rz. 56).
Bewohnt jedoch der eine Ehegatte nach der Trennung mit Duldung des anderen das
gemeinsame Haus alleine und trägt er hierfür die Lasten und Kosten, ohne zu erkennen zu
geben, dass er den Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB geltend machen will, und verlangt
der andere Ehegatte von ihm kein Nutzungsentgelt, so kann in dieser Handhabung eine
anderweitige Bestimmung liegen, die der hälftigen Ausgleichsregel des § 426 BGB
entgegen steht. Verlangt dann der verbleibende Ehegatte rückwirkend einen Ausgleich von
Lasten und Kosten, kann ihm nach der zutreffenden und vom Senat geteilten Sichtweise
des Landgerichts der gewichene Ehegatte, dem mangels rechtzeitiger Geltendmachung
kein eigener Nutzungsentgeltanspruch für die zurückliegende Zeit zusteht, zumindest den
Einwand entgegenhalten, dass der andere für diese Zeit das Haus entgeltfrei genutzt hat;
dies gilt auch rückwirkend, da anderenfalls ein unbilliges Ergebnis dergestalt eintreten
würde, dass Zahlung wegen der Lasten rückwirkend verlangt werden könnte, eine
Neuregelung bzw. ein Nutzungsentgelt jedoch nur die Zukunft beträfe (arg. § 242 BGB; vgl.
BGH, FamRZ 1993, 676; KGR Berlin 2006, 60; OLGR Bremen 2005, 315; OLGR
Brandenburg 2002, 512; OLGR Köln 1999, 191; OLG Schleswig, NJW-RR 1993, 1029;
Wever, Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts, 3. Aufl.,
Rz. 270). So liegt der Fall auch hier, wie das Landgericht zu Recht angenommen hat und
nicht mit erheblichem Berufungsvorbringen in Frage gestellt wird. Insbesondere ist das
Vorliegen einer anderweitigen Bestimmung i.S. von § 426 Abs. 1 BGB nach Maßgabe
vorstehender Erwägungen nicht auf die von der Berufung insinuierte Fallgestaltung
beschränkt; entscheidend hierfür ist unter den gegebenen Umständen allein die Gestaltung
des tatsächlichen Geschehens (BGH, FamRZ 2007, 1975, m.w.N.), wonach der
weichende Beklagte hier nicht sogleich ein Nutzungsentgelt verlangt, sondern die alleinige
Nutzung durch die Klägerin hingenommen hat und – nicht zuletzt auf Grund des
außergerichtlichen Schriftwechsels, wie namentlich dem eigenen Schreiben vom 12. Mai
2003 und dem anwaltlichen Antwortschreiben der Beklagten vom 1. Juli 2003 – davon
ausgehen durfte, dass diese dafür auch die Lasten trägt. Ebenso wenig ist ein Verlangen
nach Nutzungsentgelt i.S einer Neuregelung nach § 745 Abs. 2 BGB dem Grunde nach
davon abhängig zu machen, dass das Trennungsjahr abgelaufen ist; nichts anderes gilt im
Übrigen für die Vergütung nach der Regelung in § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB (n.F.). Eine
verbindliche Unterhaltsregelung zwischen den Parteien, die Anlass zu einer abweichenden
Beurteilung geben könnte, ist nicht zustande gekommen.
In Konsequenz dessen ist der Ausgleichsanspruch der Klägerin von vornherein danach
beschränkt, in welchem Verhältnis Nutzungswert und Lasten zueinander stehen (BGH,
FamRZ 1993, 676). Von den Parteien im Tatsächlichen unbeanstandet hat das
Landgericht – ersichtlich dem Klageantrag folgend - seiner Entscheidung einen anteiligen
Ausgleichsbetrag in Höhe von 5.572,78 EUR zu Grunde gelegt. Den hälftigen Nutzungswert
des Wohnanwesens für den in Rede stehenden Zeitraum hat es - von den Parteien
zweitinstanzlich insoweit ebenfalls unangegriffen – gestützt auf das erstinstanzlich hierzu
eingeholte Sachverständigengutachten mit insgesamt (monatlich: 715 EUR : 2 =
Ansatzes unter Billigkeitsgesichtspunkten gibt das Berufungsvorbringen für den zur
Beurteilung des Senats stehenden Zeitraum keinen Anlass, zumal Rechtshängigkeit des
Scheidungsverfahrens noch im Oktober 2003 eingetreten ist, die Parteien dort
übereinstimmend von einem Getrenntleben bereits ab 1. Dezember 2002 ausgegangen
sind, die Klägerin im Übrigen unstreitig zunächst selbst – wenngleich im Ergebnis erfolglos -
die Übernahme des Miteigentumsanteils des Beklagten angestrebt und im
die Übernahme des Miteigentumsanteils des Beklagten angestrebt und im
Beurteilungszeitraum - jedenfalls vorübergehend - eine Bekannte bzw. Freundin in dem
Anwesen aufgenommen hatte. Nach alldem wird die Klägerin durch das erstinstanzliche
Erkenntnis im Ergebnis jedenfalls nicht benachteiligt.
Mangels sonstiger durchgreifender Rügen der Berufung hat es nach alldem mit dem
angefochtenen Urteil sein Bewenden. Auf den vom Beklagten zur Aufrechnung gestellten
Trennungsunterhaltsanspruch kommt es hiernach ebenso wenig an, wie auf seine - bereits
im angefochtenen Urteil für unerheblich erachteten – weiteren geltend gemachten
Gegenansprüche.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1 und auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung
hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 i.V. mit Abs.
1 ZPO).