Urteil des OLG Saarbrücken vom 17.01.2006

OLG Saarbrücken: haftung der gemeinde, beratungspflicht, gesetzesänderung, tod, aufmerksamkeit, zwangsvollstreckung, auskunftserteilung, zustand, auskunftspflicht, absicht

OLG Saarbrücken Urteil vom 17.1.2006, 4 U 95/05 - 92
Amtshaftung: Haftung der Gemeinde; Vollständigkeit einer Auskunft zu Rentenfragen
Leitsätze
Keine Amtshaftung der Gemeinde für die Vollständigkeit einer vom Standesbeamten zu
Rentenfragen erteilten Auskunft.
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 20.
Januar 2005 - 4 O 221/04 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 % des
auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor
der Zwangsvollstreckung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
Sicherheit leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 39.069 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin die beklagte Gemeinde auf
Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung wegen eines Beratungsfehlers
im Zusammenhang mit der Stellung eines Antrags auf Erziehungsrente in Anspruch.
Die Klägerin war bis zur Scheidung im Jahr 1981 mit Herrn G. F. verheiratet, der am
14.10.1983 verstarb. Am 7.11.1983 ließ sich die Klägerin bei dem Standesbeamten der
beklagten Gemeinde über die mit dem Tod ihres früheren Ehemannes verbundenen
Rentenansprüche beraten. Sie stellte hierbei einen Antrag auf Gewährung einer
Halbwaisenrente für die am 17.9.1980 geborene eheliche Tochter.
Am 25.7.2002 beantragte die Klägerin die Gewährung von Erziehungsrente für den
Zeitraum vom 14.10.1983 bis zum 17.9.1998, der auf den Widerspruch der Klägerin für
einen Zeitraum vom 1.1.1998 bis zum 30.9.1998 gewährt wurde. Für den davor
liegenden Zeitraum wurde die beantragte Rente mit der Begründung versagt, dieser
Anspruch sei gemäß § 44 Abs. 4 SGB X verjährt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Standesbeamte habe sie fehlerhaft über die
Möglichkeiten der Beantragung von Erziehungsrente aufgeklärt. Im Rahmen seiner
umfassenden Aufklärungspflicht sei er verpflichtet gewesen, die Klägerin auf diese
Möglichkeit hinzuweisen. Eine Beratungspflicht folge insbesondere aus §§ 14, 15 SGB I.
Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der Klägerin für den Zeitraum vom
1.11.1983 bis 31.12.1991 kein Anspruch auf Erziehungsrente zustand, da die Klägerin ein
über dem maßgeblichen Grenzwert liegendes Einkommen bezog. Für die Zeit vom
1.1.1992 bis zum 31.7.1997 berechnete die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte
aufgrund der Angaben der Klägerin einen fiktiven Rentenanspruch in Höhe von insgesamt
39.069 EUR, dessen Zahlung die Klägerin im erstinstanzlichen Rechtszug mit ihrem zuletzt
gestellten Antrag begehrt hat.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung
wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 ZPO Bezug genommen.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches
Klagebegehren im Umfang des zuletzt gestellten Antrags weiter.
Die Klägerin vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie vertritt die Auffassung, der
zuständige Standesbeamte habe seine Pflicht zur Erteilung einer korrekten Auskunft
fahrlässig verletzt, indem er weitere Ansprüche neben der Waisenrente verneint habe.
Schutzzweck der verletzten Amtspflicht sei es nicht nur, dem Auskunftsberechtigten eine
Information über die möglicherweise bestehende Erziehungsrente zu geben, sondern
zugleich eine Grundlage zu vermitteln, damit sich der Auskunftsberechtigte darüber klar
werden könne, unter welchen Bedingungen Erziehungsrentenansprüche bestünden. Die
unvollständige Auskunft des Standesbeamten sei im vorliegenden Fall Grundlage für die
Entscheidung der Klägerin gewesen, weiterhin zu arbeiten oder neben einer Berufstätigkeit
Rente zu beziehen. Hätte die Klägerin von diesem Anspruch gewusst, hätte sie zum einen
nicht vollschichtig gearbeitet und zum anderen sich regelmäßig darüber informiert, ob sich
die Bemessungsgrenze zur Erlangung dieser Rente geändert hätte. Hätte die Klägerin
gewusst, dass weiter gehende Ansprüche in der Hinterbliebenenversorgung in Betracht
kämen, so hätte sie diese Ansprüche auch gestellt.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des am 20.1.2005 verkündeten Urteils des
Landgerichts Saarbrücken - 4 O 221/04 - die Beklagte zu verurteilen,
an die Klägerin 39.069 EUR nebst Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Beklagte bestreitet, dass der
Gemeindebeamte bei der Entgegennahme des Antrags vom 7.11.1983 einen Anspruch
der Klägerin auf Erziehungsrente definitiv verneint habe. Die Beklagte verweist auf die
Feststellungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils, wonach über einen möglichen
Antrag der Klägerin auf Erziehungsrente lediglich nicht gesprochen worden sei. Bei dem
Beamten habe es sich nicht um einen Rentenberater gehandelt, vielmehr sei der Beamte
nur zur Entgegennahme von Rentenanträgen zuständig gewesen. Nach Ansicht der
Beklagten könne von einem Gemeindebeamten keine Belehrung dahingehend verlangt
werden, in abstrakter Weise auf das Rechtsinstitut der Erziehungsrente hinzuweisen.
Vielmehr bestehe eine abstrakte Belehrungspflicht nicht, wenn die konkreten
Anspruchsvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt seien und erst nach langen Jahren eine
Gesetzesänderung geschaffen würde.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses
der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
II.
A. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte
Anspruch unter dem allein in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkt der
Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG) nicht zu, da nicht
feststeht, dass der für die Beklagte handelnde Beamte seine Amtspflichten durch Erteilung
einer falschen Auskunft objektiv verletzte (1.). Zudem steht nicht zur Überzeugung des
Senats fest, dass der geltend gemachte Rentenausfall adäquat kausal durch eine
fehlerhafte Beratung hervorgerufen wurde (2.). Schließlich scheidet aus normativen
Erwägungen eine Zurechnung des geltend gemachten Schadens aus (3.).
1. Bereits der objektive Tatbestand einer Amtspflichtverletzung - im vorliegenden Fall also
die Erteilung einer falschen Auskunft - ist nicht erwiesen.
a) Im Grundsatz muss die von einem Amtsträger erteilte Auskunft richtig, klar,
unmissverständlich und vollständig sein, damit der Empfänger der Auskunft entsprechend
disponieren kann (st. Rspr. BGHZ 121, 65, 69; 117, 83, 87 f. mit umf. Nachweis;
MünchKomm(BGB)/Papier, 4. Aufl., § 839 Rdnr. 219; Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl., § 839
Rdnr. 41). Gleichwohl dürfen diese Rechtsgrundsätze nicht dahingehend missverstanden
werden, dass der auf Beratung in Anspruch genommene Amtsträger jeden auch nur
entfernt mit dem Beratungsgegenstand gedanklich in Verbindung stehenden Aspekt
beleuchten muss. Ein derart weitgehendes Verständnis vom Umfang der geschuldeten
Beratung liefe auf eine nicht mehr interessengerechte Überdehnung der Verantwortlichkeit
des Amtsträgers hinaus. Vielmehr ist der Umfang der geschuldeten Beratung in jedem
Einzelfall vor dem Hintergrund der konkreten Auskunftssituation zu bestimmen (vgl.
Bamberger/Roth/Reinert, BGB, § 839 Rdnr. 39; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl.,
S. 47; Soergel/Vinke, BGB, 13. Aufl., § 839 Rdnr. 122).
b) Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin unterlag der Amtsträger der beklagten
Gemeinde bei der Auskunftserteilung nicht der umfassenden sozialrechtlichen Auskunfts-
und Beratungspflicht der §§ 14, 15 SGB I in der zum Beratungszeitpunkt geltenden
Fassung (im Folgenden: SGB I a. F.; vgl. zum Umfang der sozialrechtlichen
Auskunftspflicht: BGH, Urt. v. 6.2.1997 - III ZR 241/95, NVwZ 1997, 1243; Rinne/Schlick,
NVwZ-Beilage II/2000, S. 15). Denn die Beklagte war nicht Adressat dieser
sozialrechtlichen Norm: Die nach § 14 SGB I a.F. geschuldete Beratungspflicht oblag den
Leistungsträgern der jeweiligen Sozialleistungen. Mithin richtete sich die aus § 14 SGB I a.F.
resultierende Beratungspflicht im vorliegenden Fall unmittelbar an die BfA. Nach § 15 Abs.
1 SGB I a.F. waren die nach Landesrecht zuständigen Stellen sowie die Träger der
gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, über alle sozialen Angelegenheiten Auskunft zu
erteilen. Auch diese Auskunftspflicht traf die Beklagte nicht, da der saarländische
Landesgesetzgeber zum maßgeblichen Zeitpunkt in der Verordnung vom 1.7.1981, Abl. S.
473 von allen saarländischen Gemeinden lediglich die Gemeinde Beckingen zur zuständigen
Stelle im Sinne des § 15 Abs. 1 SGB I bestimmt hatte (vgl. auch: Aye/Bley u.a.,
Sozialgesetzbuch, SGB I § 15 S. 192/16). Auch die Funktion eines Versicherungsamtes i. S.
des § 92 SGB IV kam der beklagten Gemeinde im Jahr 1983 nicht zu, da die Aufgabe des
Versicherungsamtes dem Landkreis übertragen war (Bley/Gitter u.a., Sozialversicherung
Anhang Nr. 3-1 zu SGB IV).
c) Wendet man diese Rechtsgrundsätze auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt
an, so hat die Klägerin den ihr obliegenden Nachweis für die fehlerhafte Auskunftserteilung
nicht erbracht (zur Darlegungs- und Beweislast vgl.: OLGR Schleswig 1998, 109 f.):
Die Klägerin hat die Amtspflichtverletzung daraus hergeleitet, dass es der Standesbeamte
unterlassen habe, die Klägerin auf die abstrakt in Betracht kommenden
Anspruchsvoraussetzungen einer Erziehungsrente hingewiesen zu haben. Dieser
unterlassene Hinweis war nur dann möglicherweise beratungsfehlerhaft und
amtspflichtwidrig, wenn die Klägerin anlässlich der Antragstellung von Halbwaisenrente
nicht nur die ihr in der konkreten Situation tatsächlich zustehenden Sozialleistungen
erfragen wollte, sondern in einem umfassenden Sinne um Aufklärung über alle theoretisch
in Betracht kommenden Sozialleistungen bat. Ein solcher Sachverhalt steht nicht fest:
aa) Im ersten Rechtszug hat die Klägerin vorgetragen, der Standesbeamte habe sie
hinsichtlich der zu stellenden Anträge beraten; die Beratung habe zu einer Antragstellung
auf Bewilligung von Halbwaisenrente geführt.
Dieser Sachvortrag belegt nicht, dass die Klägerin den Standesbeamten über alle - auch
nur theoretisch in Betracht kommenden - Leistungen um Auskunft und Beratung bat.
Konkreter Anlass der Beratung war der am 14.10.1983 eingetretene Tod ihres
geschiedenen Ehemanns. Mithin liegt es nahe, dass die Klägerin den Standesbeamten
zielgerichtet um Mithilfe zur Realisierung derjenigen Ansprüche bat, die ihr unter
Berücksichtigung ihrer konkreten Situation, insbesondere ihrer damaligen
Vermögensverhältnisse zustanden. Diese Beratung erbrachte der Standesbeamte
vollständig und richtig, da der Klägerin zum Zeitpunkt der Beratung mit Ausnahme der
beantragten Halbwaisenrente keine weitergehenden Ansprüche zustanden.
bb) Ein anderes Ergebnis wäre allenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Klägerin im
Beratungsgespräch in irgendeiner Weise ihrer Absicht Ausdruck verliehen hätte, zu Gunsten
der Erziehung ihres Kindes den Umfang ihrer beruflichen Tätigkeit zu reduzieren. Denn im
Grundsatz umfasst die Beratung auch solche Ansprüche, die der Auskunftssuchende zwar
nicht konkret beantragt, aber vernünftigerweise bei richtiger Information mit
Wahrscheinlichkeit wahrnehmen würde (OLGR Celle 1998, 354).
Die Klägerin hat nicht vorgetragen, anlässlich des Beratungsgesprächs die Frage nach einer
Erziehungsrente in konkreter oder abstrakter Weise an den Standesbeamten
herangetragen zu haben. Auch die äußeren Umstände ließen aus Sicht des
Standesbeamten nicht erwarten, dass die Klägerin aufgrund des Sterbefalles an Stelle des
erzielten Arbeitseinkommens Erziehungsrente in Anspruch nehmen wollte: Da die Klägerin
bereits vor dem Tod ihres Ehemannes geschieden war, hatte die Klägerin die
grundsätzliche Entscheidung, trotz der Anforderungen der Kindererziehung einer Arbeit
nachzugehen, bereits zu Lebzeiten ihres Mannes getroffen. Sie wurde mithin nicht erst
durch den Todesfall vor die Notwendigkeit gestellt, die Interessen ihres Kindes und die
Notwendigkeit zum Erwerb zu einem angemessenen Ausgleich zu führen. Dass die Klägerin
den Tod ihres Ehemannes zum Anlass nehmen würde, die bereits getroffene Entscheidung,
nach der Trennung von ihrem Ehemann einer vollschichtigen Berufstätigkeit nachzugehen,
noch einmal zu überdenken, war für den Standesbeamten nicht ersichtlich.
cc) Soweit die Klägerin nunmehr - erstmals im Berufungsrechtszug - schärfer akzentuiert
und vorträgt, der Standesbeamte habe weitergehende Ansprüche kategorisch abgelehnt
(Bl. 85 d. A.), handelt es sich um einen neuen, im Berufungsrechtszug bestrittenen
Sachvortrag, dessen Zulassung an den nicht gegebenen Voraussetzungen des § 531 Abs.
2 ZPO scheitert.
2. Darüber hinaus ist es der Klägerin nicht gelungen, die Kausalität der Pflichtverletzung für
den Eintritt des konkreten Schadens zu belegen.
Der streitgegenständliche Schaden besteht nicht in einem lediglich theoretischen
Rentenausfall, der dadurch entstanden wäre, dass die Klägerin durch Reduzierung ihres
Verdienstes in den Genuss von Rentenansprüchen gekommen wäre. Vielmehr stützt die
Klägerin ihre Klageforderung allein auf den Ausfall der auf der Grundlage des tatsächlich
erzielten Verdienstes berechneten Rente, die der Klägerin erst ab dem Jahr 1992 zustand.
Adäquat kausal war dieser Ausfall nur dann, wenn die Klägerin nachweist, im Fall einer
korrekten Auskunft des Beamten ihre Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht zu haben.
Diesen Nachweis hat die Klägerin nicht geführt. Denn hätte der Standesbeamte in
abstrakter Weise im Jahr 1983 auf die theoretische Möglichkeit einer Erziehungsrente
hingewiesen und zugleich dargelegt, dass der Klägerin auf der Grundlage ihrer damaligen
Verdienstverhältnisse ein solcher Anspruch nicht zustehe, wäre die Klägerin mit dieser
Auskunft allein noch nicht in der Lage gewesen, ihre Ansprüche zum 1.1.1992 geltend zu
machen. Erst das Wissen um die im Jahr 1991 erfolgte Änderung der Hinzuverdienstgrenze
hätte es der Klägerin ermöglicht, ihre Ansprüche anzumelden.
Offensichtlich hat die Klägerin erst im Laufe dieses Rechtsstreits von dieser
anspruchsbegründenden Gesetzesänderung Kenntnis erlangt. Es erscheint nicht plausibel,
dass die Klägerin durch einen abstrakten Hinweis auf die grundsätzliche Möglichkeit einer
Erziehungsrente so stark sensibilisiert worden wäre, dass ihr die Gesetzesänderung des
Jahres 1991 nicht verborgen geblieben wäre. Auch der allgemeine Erfahrungssatz, dass
sich der Beratende beratungsrichtig verhalten hätte, hilft der Klägerin in Anbetracht aller
Umstände des Einzelfalles nicht weiter: Die Klägerin wurde mehr oder weniger zufällig erst
im Jahr 2002 durch eine Broschüre über die Möglichkeit einer Erziehungsrente informiert.
Dies zeigt, dass die Klägerin etwaige sozialrechtliche Leistungsansprüche keineswegs mit
einer gesteigerten Aufmerksamkeit verfolgte. Es spricht wenig dafür, dass die
Aufmerksamkeit durch eine singuläre - im Ergebnis zum damaligen Zeitpunkt für die
Klägerin wertlose - Auskunft im Jahr 1983 in relevanter Weise gesteigert worden wäre.
3. Schließlich erscheint es zweifelhaft, ob der geltend gemachte Schadensersatzanspruch
aus normativen Erwägungen zugesprochen werden kann.
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Feststellung der Pflichtverletzung die
Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Schadensersatzes nicht abschließend
beschreibt. Vielmehr findet der aus dem rechtlichen Aspekt der Amtshaftung hergeleitete
Schadensersatzanspruch dort seine Grenze, wenn die beanstandete Amtshandlung aus
normativen Erwägungen nicht geeignet ist, ein schutzwürdiges Vertrauen als Grundlage für
Vermögensdispositionen zu begründen (BGHZ 117, 83, 90, 134, 268, 283 f.). Auch im
vorliegenden Fall kann bei der gebotenen wertenden Betrachtungsweise der seit dem Jahr
1992 entstandene Rentenausfall dem Verwaltungshandeln der Beklagten nicht mehr
zugerechnet werden, da ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in die Richtigkeit der im
Jahr 1983 erteilten Auskunft im maßgeblichen Zeitraum der Gesetzesänderung des Jahres
1991 nicht anerkannt werden kann:
Gerade das Sozialrecht unterliegt einer besonderen gesetzgeberischen Dynamik. Nicht erst
die gegenwärtigen Bestrebungen des Gesetzgebers zur Reform aller Sozialsysteme zeigen,
dass die Ausgestaltung der sozialrechtlichen Leistungsansprüche einem stetigen
Gestaltungsprozess unterliegen. In Anbetracht dessen kann ein Bürger vernünftigerweise
nicht erwarten, dass eine zu einem bestimmten Zeitpunkt erteilte Auskunft zur
sozialrechtlichen Rechtslage für einen langen in die Zukunft gerichteten Zeitraum
Richtigkeit beansprucht. Er ist vielmehr zur sinnvollen eigenverantwortlichen Wahrnehmung
seiner sozialen Belange gehalten, die soziale Absicherung in vertretbaren Zeitintervallen
einer erneuten Überprüfung zu unterziehen. Dieser gebotenen eigenverantwortlichen
Wahrnehmung ihrer Interessen ist die Klägerin ersichtlich nicht nachgekommen, die sich
vielmehr offensichtlich jahrzehntelang auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der im Jahr
1983 erteilten Auskunft verlassen hat. Mithin beruht bei wertender Betrachtung die
unterlassene Geltendmachung der Rentenansprüche ab dem Jahr 1992 nicht auf der
unzureichenden Auskunft des Standesbeamten im Jahr 1983, sondern darauf, dass die
Klägerin ihre eigenen sozialen Belange nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit
beobachtet hat.
B. Die Kostenfolge beruht auf § 97 I ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision war nicht
zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und die Fortbildung
des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).