Urteil des OLG Saarbrücken vom 19.05.2010

OLG Saarbrücken: eintritt des versicherungsfalls, berufsunfähigkeit, leistungsfähigkeit, diagnose, psychiatrisches gutachten, berufliche tätigkeit, körperliche untersuchung, post, anhörung, zustand

OLG Saarbrücken Urteil vom 19.5.2010, 5 U 91/08 - 10
Leitsätze
Fehlen objektive Befunde für eine Berufsunfähigkeit verursachende Erkrankung, so kann
deren Nachweis auf der Grundlage einer sachverständigen Begutachtung der
Beschwerdeschilderung erfolgen. Der Sachverständige darf diese Beschwerdeschilderung
jedoch nicht unbesehen hinnehmen, sondern muss sie anhand der hierfür zur Verfügung
stehenden Methoden und testpsychologischen Verfahren überprüfen (Post-Borreliose-
Syndrom).
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 10.1.2008 verkündete Urteil des Landgerichts
Saarbrücken, Az.: 14 O 258/05, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht
die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
4. Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 21.158,90 EUR festgesetzt.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger war bis Mai 2003 als Verwaltungsangestellter beim Straßenbauamt H. tätig. Zu
seinen Aufgaben gehörte die Betreuung des Grund- und Bodenerwerbs für den Aus-
/Neubau für Straßen des Landes N., was die Besichtigung der Grundstücke zwecks
Aufnahme der entschädigungsrelevanten Details vor Ort, die Ausarbeitung von
Vertragsangeboten einschließlich eventueller Nebenentschädigungen sowie die
Besprechung der Angebote mit den Betroffenen umfasste (Bl. 8 d.A.).
Er macht Ansprüche geltend aus einer seit dem 1.12.2001 bestehenden Risiko-
Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung
(Versicherungsschein-Nr., Bl. 45 d.A.) wegen angeblicher Gesundheitsbeeinträchtigungen
nach einem Zeckenstich im April 2002, in deren Folge eine Borreliose diagnostiziert worden
war. Der Kläger führt die behaupteten fortbestehenden Beeinträchtigungen in Form von
chronischen Muskel- und Gelenkschmerzen, Steifigkeit, einer Allgemeinschwächung der
körperlichen Leistungsfähigkeit durch starke Müdigkeit und Abgeschlagenheit, verbunden
mit erheblichen Konzentrationsstörungen und – als reaktiver Folge – starker
Niedergeschlagenheit auf das Vorliegen eines sogenannten Post-Borreliose-Syndroms
zurück.
Die Borreliose des Klägers wurde zunächst antibiotisch behandelt. In der Zeit vom
26.8.2003 bis zum 23.9.2003 unterzog sich der Kläger, der seit dem 13.5.2003
ununterbrochen arbeitsunfähig krank geschrieben war, einer Rehabilitationsmaßnahme,
aus der er arbeitsunfähig entlassen wurde (vgl. Bl. 63 d.A.). Eine im November 2003
begonnene gestufte Wiedereingliederungsmaßnahme wurde im Januar 2004 abgebrochen.
Ein für die T. Krankenkasse aus Anlass der Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen und
der stufenweisen Wiedereingliederung erstelltes sozialmedizinisches Gutachten vom
3.3.2004 (Bl. 9 ff. d.A.) gelangte zu folgender Diagnose:
"B99 Zustand nach Borrelieninfektion 04/02, mit anhaltendem
Erschöpfungssyndrom, Schlafstörungen, geminderter Belastbarkeit
sowie therapieresistenten Myalgien und Arthralgien, ohne relevante
Funktionseinschränkungen“.
Unter "Beurteilung und Leistungsvermögen" heißt es in dem Gutachten:
„Da die Maßnahme der gestuften Wiedereingliederung kurz vor
Erreichen der vollen Arbeitszeit auf Grund der weiter bestehenden
Minderbelastung, außergewöhnlichen Erschöpfung und der weiter
bestehenden Myalgien gescheitert ist, ist die Wiederaufnahme der
jetzigen Tätigkeit nach der langen Arbeitsunfähigkeitszeit und des
nicht gebesserten Zustandes nicht realistisch.
Aus medizinischer Sicht wären Tätigkeiten möglichst im Wechsel
zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne regelmäßiges schweres
Heben und Tragen, Arbeiten unter ständigem Stress und
Zeitbelastung, mit Möglichkeiten von selbst eingeteilten Ruhe- und
Belastungsphasen indiziert“.
Mit Schreiben vom 18.5.2004 beantragte der Kläger daraufhin Leistungen aus der
Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Beklagte lehnte die Gewährung von
Versicherungsschutz mit Schreiben vom 23.5.2005 (Bl. 29 d.A.) nach Einholung eines
neurologischen Gutachtens des Prof. Dr. med. B., Medizinische Hochschule H., vom
15.4.2005 (Bl. 49 ff. d.A.) ab.
Mitte 2006 wurde durch den Allgemeinmediziner Dr. G. eine chronische Borreliose
diagnostiziert und eine Langzeitbehandlung mit Antibiotika empfohlen (Bl. 121 d.A.).
Der Kläger hat unter Berufung auf ein ärztliches Attest des Neurologen Dr. M. vom
23.2.2005 (Bl. 33 d.A.) geltend gemacht, an einem durch fibromyalgische Beschwerden
gekennzeichneten Post-Borreliose-Syndrom zu leiden. Aufgrund der hieraus folgenden
erheblichen Einschränkungen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit und
Konzentrationsfähigkeit sei es unmöglich, über eine längere Dauer ohne Erholungspausen
konzentriert, in Zwangshaltungen oder auf einem sitzenden Arbeitsplatz eingeschränkt zu
arbeiten; weiterhin sei es ihm unmöglich, längere Zeiten auswärtiger Tätigkeiten
einschließlich der hierfür erforderlichen Fahrtstrecken zu absolvieren. Es sei deshalb
ausgeschlossen, dass er seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit, die durch 35% Dienstreisen
und 65% Schreibtischtätigkeit innerhalb der Behörde bei festgelegten Dienstzeiten
gekennzeichnet gewesen sei, in qualitativer und quantitativer Hinsicht in einem Umfang
weiter nachgehen könne, welcher auch nur annähernd 50% seiner bisherigen Tätigkeit
entspreche. Dem stehe insbesondere der mit seiner spezifischen Beanspruchung
verbundene Stress sowie Termin- und Erfolgsdruck entgegen. Er sei außerdem
außerstande, einen zumutbaren Verweisungsberuf als Verwaltungsangestellter in einer
anderen Behörde mit einem anderen Aufgabenfeld auszuüben. Aufgrund seiner
Erkrankung, wegen der er sich nach wie vor in permanenter ärztlicher Behandlung befinde,
könne er lediglich noch für Schontätigkeiten, idealer Weise mit frei eingeteilter Arbeitszeit,
freier Pausenwahl, ohne Termin- und Ergebnisdruck eingesetzt werden. Nach den jüngsten
Befundberichten des ihn behandelnden Allgemeinmediziners und der
Laboratoriumsmediziner sei ausweislich der Ergebnisse der durchgeführten
Lymphozytentransformationstests (LTT-Tests)/Yersinia-Antikörpertests sogar der Nachweis
einer akuten Borrelieninfektion mit den entsprechenden Auswirkungen auf das funktionelle
Leistungsvermögen geführt (Bl. 136 d.A.). Der gerichtlich bestellte Sachverständige S.
gehe zu Unrecht davon aus, dass der vorgenannte LTT-Test nicht aussagekräftig sei. Als
nicht rein somatoforme, sondern durch die Borrelioseerkrankung bedingte Beschwerden
seien die funktionellen Einschränkungen des Klägers weit höher zu bewerten, als die von
dem gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. B. angenommenen 25 % (Bl. 275 d.A.).
Unabhängig davon hat der Kläger die Beklagte schon aufgrund seiner bereits seit dem
13.5.2003 ununterbrochen andauernden Arbeitsunfähigkeit gemäß § 2 Abs. 3 B-BUZ für
eintrittspflichtig gehalten.
Der Kläger hat beantragt,
1) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Leistungen der
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Höhe von 7.137 EUR für
den Zeitraum Juni 2003 bis einschließlich Juni 2005 nebst Zinsen in
Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszins ab Klageerhebung zu
zahlen,
zahlen,
2) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger ab dem Monat Juni 2004
bis Juni 2005 hinsichtlich der Beitragszahlungen für die
Lebensversicherung beitragsfrei zu stellen,
3) festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, an den Kläger aus
dem Versicherungsvertrag Leistungen der
Berufsunfähigkeitsversicherung in Form von Rentenzahlung und
Beitragsbefreiung fortlaufend zu erbringen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, dem Kläger sei es auf der Grundlage seiner eigenen
Tätigkeitsbeschreibung sehr wohl möglich, seine Arbeitszeit – z.B. die Vereinbarung von
Terminen zur Besprechung von Vertragsangeboten und Entschädigungsvereinbarungen mit
betroffenen Eigentümern - in gewissem Umfang frei einzuteilen und dabei die benötigten
Pausen einzulegen; dass die Tätigkeit unter Termin- oder Zeitdruck habe erfolgen müssen,
sei nicht ersichtlich. Wegen der regelmäßigen Außendiensttätigkeiten sei auch ein ständiger
Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen gewährleistet. Aber auch der medizinische
Hintergrund spreche gegen eine Berufsunfähigkeit. Es sei davon auszugehen, dass die
frühzeitig erkannte Borrelieninfektion erfolgreich mit Antibiotika behandelt worden sei; dass
hieraus eine Neuroborreliose entstanden sei, habe nicht festgestellt werden können und
werde auch vom Kläger selbst nicht behauptet. Die Existenz eines Post-Borreliose-
Syndroms sei in der medizinischen Wissenschaft außerordentlich umstritten. Klinische
Verlaufsuntersuchungen und epidemiologische Studien wiesen daraufhin, dass
Beschwerden der von dem Kläger geschilderten Art nach einer Borreliose nicht häufiger
aufträten als nach anderen Erkrankungen. Es könne deshalb nicht davon ausgegangen
werden, dass eine Infektion mit Borrelien-Erregern Beschwerden der von dem Kläger
geschilderten Art verursachten. Auch das mit Blick auf die unklare Ursache der von dem
Kläger behaupteten Beschwerden eingeholte neurologische Gutachten des Prof. Dr. B. vom
15.4.2005 (Bl. 49 ff. d.A.) sei nicht zu dem Ergebnis einer bedingungsgemäßen
Berufsunfähigkeit gelangt; dasselbe gelte für das für die BfA angefertigte internistisch-
rheumatologische Gutachten des Sachverständigen Dr. R. vom 15.11.2004 (Bl. 62 f.
d.A.). Auf der Grundlage dieser Gutachten hat die Beklagte vielmehr bereits das Vorliegen
der geklagten Beschwerden bestritten; außerdem fehle es an einer erheblichen Minderung
der Leistungsfähigkeit.
Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines nervenärztlichen
Sachverständigengutachtens des Dr. B. vom 12.2.2007 (Bl. 190 ff. d.A.) nebst
ergänzender Stellungnahme vom 25.5.2007 (Bl. 267 ff. d.A.) und eines fachinternistisch-
arbeitsmedizinischen Zusatzgutachtens des Dr. S. vom 2.2.2007 (Bl. 146 ff. d.A.) nebst
ergänzender Stellungnahmen vom 25.5.2007 (Bl. 281 ff. d.A.) und vom 21.9.2007 (Bl.
328 d.A.) mit am 10.1.2008 verkündeten Urteil (Bl. 354 ff. d.A.) abgewiesen, da nach
dem Ergebnis der Sachverständigengutachten - ungeachtet der zu stellenden Diagnose und
der Anforderungen an deren Nachweis – jedenfalls nicht von einer schwerwiegenden
gesundheitlichen Einschränkung ausgegangen werden könne.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er macht geltend, dass das Landgericht
die Vorschrift des § 2 Abs. 3 B-BUZ vollständig außer acht gelassen habe. Ferner rügt er
die Beweiswürdigung des Landgerichts, das sich nur in unzureichender Weise mit seinem
Vortrag zu den Möglichkeiten des Nachweises einer aktiven Borreliose, insbesondere der
Aussagekraft des sogenannten LTT-Tests, und seiner Kritik an der diesbezüglichen
Einschätzung des Sachverständigen Dr. S. auseinandergesetzt habe, der lediglich eine
wissenschaftliche Lehrmeinung wiedergebe, die aber keineswegs dem Stand der
Wissenschaft entspreche. Das Landgericht sei deshalb – ebenso wie der Sachverständige
Dr. S. – von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen. Die Fehleinschätzung
des Internisten Dr. S. habe auch die Beurteilung des neurologischen Sachverständigen Dr.
B. beeinflusst, der auf dieser Grundlage vom Fehlen einer hinreichend organisch
begründeten Ursache der Beschwerden ausgegangen sei. Diese würden eine ganz andere
Gewichtung erfahren, wenn sie mit einer organischen Ursache – hier mit einem
chronischen Borreliosegeschehen – begründet werden könnten. Schließlich beruft der
Kläger sich auf ein im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholtes psychosomatisches
Gutachten des Dr. med. K., Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin des
Krankenhauses He. in H., vom 27.1.2009 (Bl. 579 ff. d.A.), der ungeachtet des
medizinischen Meinungsstreits zu dem Ergebnis komme, dass die funktionellen
Auswirkungen unabhängig von der möglicherweise nicht vollständig geklärten Verursachung
bei glaubwürdiger Manifestation der Beschwerden und deren Intensität zu einem nur unter
3-stündigen Leistungsvermögen arbeitstäglich führten.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom
10.1.2008 – 14 O 258/05 -
1) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Leistungen der
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Höhe von 7.137 EUR für
den Zeitraum Juni 2003 bis einschließlich Juni 2005 nebst Zinsen in
Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszins ab Klageerhebung zu
zahlen,
2) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger ab dem Monat Juni 2004
bis Juni 2005 hinsichtlich der Beitragszahlungen für die
Lebensversicherung beitragsfrei zu stellen,
3) festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, an den Kläger aus
dem Versicherungsvertrag Leistungen der
Berufsunfähigkeitsversicherung in Form von Rentenzahlung und
Beitragsbefreiung fortlaufend, längstens bis zum Ablauf der
Versicherung am 1.12.2022, zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens des
Sachverständigen Prof. Dr. W. (Bl. 497 ff. d.A.) und eines psychiatrischen Gutachtens der
Sachverständigen Dr. Bi. vom 21.9.2009 (Bl. 677 ff. d.A.) einschließlich eines
testpsychologischen Fachgutachtens der Dipl. Psych. Re. vom 7.9.2009 (Bl. 632 ff. d.A.).
Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrags sowie des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die
Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 18.5.2006 (Bl. 115 d.A.) und vom
13.12.2007 (Bl. 352 d.A.) und des Senats vom 11.6.2008 (Bl. 462 d.A.) und vom
12.4.2010 (Bl. 743 d.A.) sowie auf das Urteil des Landgerichts vom 10.1.2008 (Bl. 355 ff.
d.A.) Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer
Berufsunfähigkeitsrente und auf Freistellung von der Beitragszahlungspflicht.
1.
Der Kläger hat den Eintritt des Versicherungsfalls nicht nachgewiesen.
Berufsunfähigkeit im Sinne der im Versicherungsvertrag vereinbarten Bedingungen liegt
dann vor, „wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die
ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine
andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeübt
werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. […]“, § 2 Abs. 1 B-BUZ (Bl.
47 d.A.). Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ist der Senat nicht überzeugt.
2.
Das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit kann entgegen der Ansicht des
Klägers nicht schon ohne weiteres aus dem Umstand abgeleitet werden, dass dieser
(mehr als) sechs Monate ununterbrochen arbeitsunfähig krank geschrieben war.
Entsprechendes folgt insbesondere nicht aus der Regelung in § 2 Abs. 3 B-BUZ, auf die der
Kläger sich in diesem Zusammenhang beruft. Danach gilt: Wenn der Versicherte sechs
Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich
nachzuweisen sind, vollständig oder teilweise außerstande gewesen ist, seinen Beruf oder
eine andere Tätigkeit auszuüben, ist die Fortdauer dieses Zustands als vollständige oder
teilweise Berufsunfähigkeit zu betrachten. Um zu verhindern, dass dem
Versicherungsnehmer auf Dauer ein Nachteil daraus entsteht, dass sich die in § 2 Abs. 1 B-
BUZ verlangte Prognose, der Zustand werde „voraussichtlich dauernd“ bestehen, nicht
stellen lässt, macht § 2 Abs. 3 B-BUZ in Bezug auf dieses Tatbestandsmerkmal eine
Ausnahme, indem er die unwiderlegliche Vermutung einer solchen Prognose aufstellt,
vorausgesetzt, dass der Zustand des Versicherten ununterbrochen sechs Monate lang
bestanden hat (vgl. BGH, Urt. v. 14.6.1989 – IVa ZR 74/88 – VersR 1989, 903; Urt. v.
27.9.1989 – IVa ZR 132/88 – VersR 1989, 1182). Dem Versicherungsnehmer bleibt damit
aber nur der Nachweis der Prognose gemäß § 2 Abs. 1 B-BUZ erspart. Bedeutung für die
übrigen Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit, insbesondere für die Frage nach dem
Ausmaß der Gesundheitsbeeinträchtigungen, kommt der Vermutung des § 2 Abs. 3 B-BUZ
dagegen nicht zu (vgl. BGH, Urt. v. 17.2.1993 – IV ZR 206/91 – VersR 1993, 562). Hierzu
gibt auch die Krankschreibung als arbeitsunfähig nichts her. Der Umstand, dass der Kläger
(mehr als) sechs Monate arbeitsunfähig „krank geschrieben“ war, besagt nichts darüber,
ob er während der Dauer der Krankschreibung auch tatsächlich im bedingungsgemäßen
Umfang berufsunfähig gewesen ist (vgl. Senat, Urt. v. 9.1.2008 – 5 U 2/07 – ZfSch 2009,
38).
3.
Der Kläger hat das Vorliegen einer krankheitsbedingten, mindestens sechs Monate
andauernden bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nicht zur Überzeugung des Senats
bewiesen. Das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt das Ergebnis der landgerichtlichen
Entscheidung.
a) Unter einer Krankheit ist ein regelwidriger physischer oder psychischer Zustand im Sinne
einer Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im Organismus mit der Folge objektiv
feststellbarer physischer oder psychischer oder subjektiv empfundener – funktioneller –
Veränderungen zu verstehen (vgl. Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann,
Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 46, Rdn. 58). Sie führt dann zum Eintritt des
Versicherungsfalls Berufsunfähigkeit, wenn die mit ihr verbundenen funktionellen
Einschränkungen die Fähigkeit des Versicherten zur Ausübung des Berufs in dem
vereinbarten Umfang beeinträchtigen.
Steht das tatsächliche Vorhandensein funktioneller Beeinträchtigungen im Vordergrund, so
kann der Anspruch des Klägers auf Versicherungsschutz aus der
Berufsunfähigkeitsversicherung nicht maßgeblich davon abhängen, ob die Feststellung einer
bestimmten Diagnose - als Zuordnung erhobener Befunde zu einem bestimmten
Krankheitsbegriff – getroffen werden kann. Hierum geht es aber bei der zwischen den
Parteien in Streit stehenden Frage, ob der Kläger an den Folgen der – unstreitigen -
Borrelioseerkrankung aus dem Jahr 2002 leidet, insbesondere ob die behaupteten
Beschwerden auf ein sogenanntes Post-Borreliose-Syndrom zurückgeführt werden können.
aa) Der Sachverständige Prof. W. hat in seinem nervenärztlichen Gutachten vom
15.10.2008 (Bl. 497 ff. d.A.) - in Übereinstimmung mit dem Ergebnis des erstinstanzlich
eingeholten fachinternistisch-arbeitsmedizinischen Gutachtens des Dr. S. vom 2.2.2007 -
zunächst festgestellt, dass die neurologische und allgemein-internistische Untersuchung
des Klägers - wie schon bei den Voruntersuchern (vgl. das internistisch-rheumatologische
Gutachten des Dr. R. vom 15.11.2004, Bl. 68 d.A.) - unauffällig sei. Insbesondere hätten
sich keine objektivierbaren Zeichen einer Neuroborreliose mit Nervenwurzelentzündung
(Radikulitis), Rückenmarksentzündung (Myelitis), Meningitis oder Enzephalitis gezeigt; die
initial vorhandenen Zeichen einer disseminierten Borreliose – hier insbesondere die klinisch
sichtbare Gelenkschwellung, -rötung und –überwärmung im Sinne einer Arthritis – seien in
der Folgezeit nicht mehr zu verzeichnen gewesen. Entsprechend habe sich in den von dem
erstinstanzlich bestellten Sachverständigen Dr. S. veranlassten Laboruntersuchungen auch
kein Hinweis für eine systemische Entzündungsaktivität finden lassen. Insgesamt ließen die
Symptomatik, die klinischen Untersuchungsergebnisse und die Routinelaborparameter eine
aktive entzündliche Borrelioseerkrankung in der Folgezeit unwahrscheinlich erscheinen (Bl.
509 d.A.).
Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger beschriebenen Beschwerden - Myalgien,
Arthralgien, Schlafstörungen und Fatigue-Symptomatik, Fremdkörper- oder
Trockenheitsgefühl der Augen – ist der Sachverständige nicht zu einem anderen Ergebnis
gelangt. Diese Beschwerden könnten zwar als Symptome im Rahmen einer aktiven
Borreliose auftreten, seien aber so unspezifisch und weit verbreitet, dass sie diagnostisch
allein oder in Kombination wenig hilfreich seien. Vor allem gehörten sie aber nach den
medizinischen Standardwerken nicht zu den Kernsymptomen einer chronischen Borreliose;
die – im Einzelnen aufgeführten - objektivierbaren und spezifischen Zeichen einer
chronischen Borreliose fehlten beim Kläger (Bl. 512 d.A.). Eine hiervon abweichende
Beurteilung hat der Sachverständige schließlich auch auf der Grundlage der Ergebnisse des
so genannten Lymphozyten-Transformationstests, auf die der Allgemeinmediziner Dr. G.
seine Diagnose einer chronischen Borreliose stützt (Bl. 121, 138 d.A.) und auf die sich
auch der Kläger zum Nachweis einer Krankheitsaktivität der Borreliose beruft, für
gerechtfertigt erachtet. In Bezug auf dieses Testverfahren ist der Sachverständige unter
Auseinandersetzung mit den hierzu vertretenen medizinische Lehrmeinungen – auch
insoweit in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. S. (vgl. Bl. 162 d.A.) – zu der
Einschätzung gelangt, dass es nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft
an einem ausreichenden Validitätsnachweis fehle (Bl. 521 d.A.). Auf welcher –
objektivierbaren – Grundlage die Betriebsärztin Dr. Ki. zu der Diagnose einer chronischen
Borreliose gelangt ist, lässt sich aus deren vom Kläger vorgelegtem Arztbrief vom
23.11.2008 (Bl. 541 ff. d.A.) nicht entnehmen.
Von der chronischen aktiven Borreliose, bei der es sich um ein anerkanntes,
objektivierbares Krankheitsbild handele, hat der Sachverständige Prof. Dr. W. das
sogenannte Post-Borreliose-Syndrom abgegrenzt, welches durch Fibromyalgie- oder
Fatigue-Syndrom-artige Beschwerden charakterisiert werde, wobei zumeist Myalgien,
Arthralgien, Schlafstörungen und verminderte Belastbarkeit im Vordergrund stünden (Bl.
513 d.A.). Eine allgemein akzeptierte Definition und ein pathogenetisches Konzept
existierten jedoch nicht. Da die von behandelten Borreliose-Patienten geklagten
Beschwerden nicht sicher häufiger aufträten als in der Allgemeinbevölkerung, teilt der
Sachverständige auch insoweit die Ansicht des erstinstanzlich bestellten Sachverständigen
Dr. S., dass dem lediglich von einer medizinischen Randgemeinde beschriebenen Post-
Borreliose-Syndrom nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft, der auch den Leitlinien
der Medizinischen Fachgesellschaften zugrunde liege, jegliche klinische Relevanz
abzusprechen sei (Bl. 164, 515 d.A.).
bb) Der Senat sieht keine Anhaltspunkte, die Zweifel an den plausiblen und fundierten
Ausführungen der Sachverständigen begründen könnten. Er hält die von dem Kläger
gemäß § 412 Abs. 1 ZPO beantragte Einholung eines weiteren
Sachverständigengutachtens auch nicht mit Blick auf den Einwand des Klägers für
veranlasst, die Einschätzung der Sachverständigen beruhe auf den wissenschaftlich
überholten Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Weil es für die Annahme
der Berufsunfähigkeit nach den oben dargelegten Grundsätzen primär darauf ankommt, ob
die geklagten Beschwerden tatsächlich bestehen und wie sie sich funktionell auswirken,
nicht aber, worauf sie ursächlich zurückzuführen sind, sieht der Senat es nicht für
erforderlich an, der in der medizinischen Fachwelt offenbar geführten Kontroverse weiter
auf den Grund zu gehen.
b) Der Feststellung des Bestehens der geschilderten Beschwerden und ihrer
bedingungsgemäßen Auswirkung auf die berufliche Tätigkeit des Klägers steht dabei nicht
von vornherein der Umstand entgegen, dass die Beschwerden als solche nicht
objektivierbar sind. Die Annahme von Berufsunfähigkeit setzt nämlich nicht zwingend das
Vorliegen objektivierbarer Beschwerden und „objektiver“ Befunde der Apparatemedizin
oder der sonstigen Zusatzdiagnostik voraus. Fehlen solche „objektiven“ Befunde, so kann
der in § 2 Abs. 1 B-BUZ geforderte ärztliche Nachweis einer Krankheit auch auf der
Grundlage einer sachverständigen Begutachtung der Beschwerdenschilderung durch den
Betroffenen erfolgen (vgl. BGH, Urt. v. 14.4.1999 – IV ZR 289/97 – VersR 1999, 838), die
diese allerdings nicht unbesehen hinnehmen darf, sondern einer eingehenden Überprüfung
mit den hierfür zur Verfügung stehenden Methoden und testpsychologischen Verfahren zu
unterziehen hat (vgl. Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-
Handbuch, aaO., Rdn. 63).
Der Sachverständige Prof. W. hat in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 15.10.2008
funktionelle Beeinträchtigungen von 25 % festgestellt, allerdings ohne die Grundlagen
seiner Einschätzung darzulegen und hinreichend sachverständig zu belegen (Bl. 526 d.A.).
Der Senat hat deshalb ergänzend ein psychiatrisches Gutachten der Sachverständigen Dr.
Bi. vom 21.9.2009 (Bl. 677 ff. d.A.) einschließlich eines testpsychologischen
Fachgutachtens der Dipl. Psych. Re. vom 7.9.2009 (Bl. 632 ff. d.A.) eingeholt.
Die Sachverständige Dr. Bi. konnte aus neurologisch-psychiatrischer Sicht keine Hinweise
auf eine Einschränkung der Berufsfähigkeit erkennen. Eine psychiatrische Erkrankung war
nicht festzustellen. Stattdessen konstatierte die Sachverständige, von deren
Fachkompetenz der Senat aufgrund der Erfahrungen aus einer Reihe früherer
Begutachtungen überzeugt ist und die ihre Annahmen - unter anderem - auf der Grundlage
einer umfassenden neuro-psychologischen Testung durch die Sachverständige Re.
gewonnen und fundiert begründet hat, dass der Kläger – mangels Anzeichen für Simulation
und Aggravation – zwar subjektiv Einschränkungen seiner Leistungsfähigkeit verspürt, dem
aber kein Krankheitswert beigemessen werden kann, weil eine tatsächliche Einschränkung
der funktionellen Leistungsfähigkeit hiermit nicht verbunden ist.
aa) Die Testung der intellektuellen Leistungsfähigkeit erbrachte Ergebnisse im
durchschnittlichen bis überdurchschnittlichen Bereich (Bl. 665 d.A.). Einschränkungen in der
Fähigkeit zu Gedächtnis- und Merkfähigkeitsleistungen ergaben sich nicht (Bl. 666 d.A.).
Nach dem Eindruck beider Sachverständiger wirkte der Kläger während der über viele
Stunden andauernden Untersuchung stets aufmerksam und konzentriert und konnte seine
Aufmerksamkeit sehr gut auf die jeweilige Aufgabe fokussieren. Dieser Eindruck
ungestörter Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit wurde durch die sämtlich
mindestens durchschnittlichen Testergebnisse durchweg bestätigt (Bl. 667 d.A.). Nach den
eigenen Angaben des Klägers im Selbstbeurteilungsfragebogen sind diesem viele geeignete
Stressbewältigungsstrategien bekannt, die er auch – mit Erfolg - einsetzt. Dies wird sowohl
durch die Beobachtungen der Sachverständigen bestätigt, wonach es dem Kläger über den
ersten zehnstündigen Testtag hinweg gelungen ist, mit nur sehr wenigen Pausen
durchzuarbeiten, ohne dass ungewöhnliche Ermüdungserscheinungen aufgetreten sind und
wonach dieser nach dem zweiten Testtag um 14.30 Uhr noch die Heimreise mit dem
eigenen Fahrzeug angetreten hat, als auch durch die die Belastbarkeit betreffenden
Testergebnisse, die ebenfalls keine Hinweise auf Defizite in diesem Bereich ergeben haben.
Bemerkenswerterweise belegten die Ergebnisse sogar, dass der Kläger am Abend eine
etwas bessere Konzentrationsleistung erbringen konnte als am Vormittag; bei
eingeschränkter Belastbarkeit wäre indes von einem Absinken der Leistungsfähigkeit
auszugehen (Bl. 668 d.A.). Die von dem Kläger subjektiv empfundenen Störungen seiner
Leistungsfähigkeit waren in der Testung mithin nicht abzubilden.
Die Sachverständige Dr. Bi. hat auch keine Hinweise auf eine psychiatrische Erkrankung wie
einer Psychose, einer Zwangserkrankung, einer Depression oder einer Angsterkrankung
feststellen können. Auch eine klinisch relevante Persönlichkeitsstörung war weder im
psychopathologischen Befund noch in der Testung abzubilden. Die abgebildeten Symptome
entsprachen nach der Einschätzung der Sachverständigen vielmehr einer „Akzentuierten
Persönlichkeit mit histrionisch-hypochondrischer Symptomatik (Bl. 698 d.A.), wobei der
Kläger als sehr gewissenhafte, genaunehmende, einzelgängerisch-distanzierte
Persönlichkeit mit einem hypochondrisch-histrionischen Störungsbild bei übermäßiger
Besorgtheit um die eigene Gesundheit und einer Neigung, Probleme mit körperlichen
Störungen abzubilden, beschrieben wurde.
Anlässlich ihrer persönlichen Anhörung vom 12.4.2010 haben beide Sachverständige
besonders hervorgehoben, dass der Kläger den eigenen - hohen - Ansprüchen an das
Funktionieren des eigenen Körpers und der eigenen Psyche selbst nicht gerecht zu werden
glaube, ohne dass sich die von ihm empfundenen Einschränkungen im Leistungsbereich
objektivieren ließen. Hierfür sei insbesondere bezeichnend, dass er sich schwächer
einschätze als in der Untersuchungssituation tatsächlich habe abgebildet werden können.
bb) Die von dem Kläger hiergegen erhobenen Einwände hält der Senat nicht für
durchgreifend.
(1) Zu den Vorwürfen des Klägers, mit der Sachverständigen Dr. Bi. habe kein
angemessen erschöpfendes Gespräch stattgefunden, entsprechend sei deren Anamnese
vordergründig und lückenhaft, teilweise auch falsch, hat diese bei ihrer persönlichen
Anhörung vom 12.2.2010 unter Zuhilfenahme ihrer zehnseitigen handschriftlichen
Protokollierungen Stellung genommen und ihre Vorgehensweise im Einzelnen geschildert.
Danach haben zwei voneinander unabhängige Anamnesen der Sachverständigen Dr. Bi.
und Re. stattgefunden. Die Sachverständige Dr. Bi. hat neben dem psycho-pathologischen
Befund auch eine körperliche Untersuchung einschließlich eines kompletten Muskelstatus
durchgeführt, während der sie den Kläger auch befragt hat. Dessen Angaben wurden
sodann von der Sachverständigen – als Erinnerungsstütze - zunächst handschriftlich
protokolliert. Der Senat geht davon aus, dass durch diese Vorgehensweise hinreichend
sichergestellt war, dass der Begutachtung die zutreffenden Angaben des Klägers aus den
jeweiligen Untersuchungssituationen zugrunde gelegt wurden. Er sieht auch keine
Veranlassung zu vermuten, dass bei der Begutachtung des Klägers durch die
Sachverständige Dr. Bi. trotz dieser Vorgehensweise relevante Lücken oder Unrichtigkeiten
aufgetreten sein könnten. Der Kläger hatte anlässlich der persönlichen Anhörung der
Sachverständigen am 12.4.2010 Gelegenheit, diese zu den aus seiner Sicht bestehenden
Unrichtigkeiten und Unstimmigkeiten zu befragen. Dabei hat er die Sachverständige damit
konfrontiert, er habe in der Untersuchungssituation geäußert, ständig unter Schmerzen
und nur am Finger unter einer Schwellung gelitten zu haben; auch sei er – anders als dies
im Gutachten vermerkt sei – nicht lediglich drei Stunden, sondern seit 2006 regelmäßig bei
Dr. G. in Behandlung gewesen. Schließlich sei er nicht seit 15 Jahren, sondern erst seit
2001 Nichtraucher; das Antibiotikum Doxycyclin habe er nur unmittelbar nach der
Borreliose eingenommen, danach seien es andere Antibiotika gewesen. In Bezug auf die
Schmerzen und Schwellungen vermochte die Sachverständige die Angaben weder so noch
anders sicher zu bestätigen; ihrer Erinnerung nach entsprächen die Angaben im Gutachten
den Angaben des Klägers in der Untersuchungssituation (Bl. 745 d.A.). Hinsichtlich der
Behandlung bei Dr. G. hat die Sachverständige klargestellt, sie habe nicht angenommen,
dass die Antibiotikabehandlung bei Dr. G. nur drei Stunden angedauert habe (Bl. 745 d.A.).
Im Übrigen hat die Sachverständige aus ihren handschriftlichen Aufzeichnungen vorgelesen,
der Kläger habe angegeben, Nichtraucher zu sein, lediglich ausnahmsweise einmal bei einer
Feier zu rauchen und bis eine Woche vor der Untersuchung Doxycyclin eingenommen zu
haben. Ungeachtet des Umstandes, dass die Einwände des Klägers lediglich Abweichungen
im Detail betreffen, deren Relevanz für die von der Sachverständigen zu beantwortende
Frage der Kläger nicht hat darlegen können, spricht aus der Sicht des Senats gerade mit
Blick auf die umfassenden und detaillierten Aufzeichnungen der Sachverständigen vieles
dafür, dass diese die Angaben des Klägers – möglicherweise nicht in der konkreten
Formulierung, aber doch ihrem wesentlichen Inhalt nach – zutreffend wiedergeben.
(2) Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die von der
Sachverständigen Dr. Bi. erhobene Diagnose einer „Akzentuierten Persönlichkeit mit
histrionisch-hypochondrischer Symptomatik“ stehe in Widerspruch zu den Feststellungen
des erstinstanzlich bestellten Sachverständigen Dr. B. und des von Seiten des
Sozialgerichts mit der Erstellung eines psychosomatischen Gutachtens beauftragten Dr. K..
Ersterer hat in seinem Sachverständigengutachten vom 12.2.2007 (Bl. 190 ff. d.A.) mit
Blick auf die wesentliche Mitwirkung „psychogener Faktoren“ die „beschreibende“ Diagnose
einer leicht ausgeprägten somatoformen Schmerzstörung gestellt, als deren
Hauptmerkmal Schmerzen anzusehen seien, die durch einen physiologischen Prozess oder
eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden könnten (ICD-10 F 45.4., Bl. 215
d.A.); da auch eine Neigung zur affektiven Verstimmung (Dysthymie) berichtet werde, sei
es alternativ auch vertretbar, von einer somatoformen und dysthymen (Schmerz-) Störung
zu sprechen (Bl. 216 d.A.). Letzterer ist in seinem psychosomatischen Gutachten vom
27.1.2009 (Bl. 579 ff. d.A.) zu der Diagnose einer „chronischen Schmerzstörung mit
somatischen und psychischen Formen (F 45.1)“ gelangt, worunter ein Krankheitsbild zu
verstehen sei, bei dem im Vordergrund des klinischen Bildes seit mindestens sechs
Monaten bestehende Schmerzen in einer oder mehreren anatomischen Regionen
bestehen, die ihren Ausgangspunkt in einen physiologischen Prozess oder einer körperlichen
Störung haben (Bl. 598/599 d.A.).
Die Sachverständige Dr. Bi., die sich bei ihrer Begutachtung auch mit sämtlichen
Vorgutachten auseinandergesetzt hat, hat die beim Kläger feststellbaren
Somatisierungstendenzen – in Form übermäßiger Besorgtheit um die eigene Gesundheit
und einer Neigung, Probleme mit körperlichen Störungen abzubilden - bei ihrer persönlichen
Anhörung vom 12.4.2010 indessen in nachvollziehbarer Weise von einer
Somatisierungsstörung im Sinne der ICD F 45 abgegrenzt. Von einer
Somatisierungsstörung könne nur dann gesprochen werden, wenn sich neben den vom
Patienten geschilderten Schmerzempfindungen psycho-pathologische Befunde fänden, die
beim Kläger - nach dem Ergebnis einer umfassenden Untersuchung und psychologischen
Testung - allerdings vollständig fehlten (Bl. 746 d.A.). Letzteres steht in Übereinstimmung
mit den Ergebnissen des sozialmedizinischen Gutachtens des MDK N. vom 3.3.2004 (Bl. 9
ff. d.A.), des internistisch-rheumatologischen Gutachtens des Dr. R. vom 15.11.2004 (Bl.
62 ff., 71 d.A.), des neurologischen Gutachtens des Dr. B. vom 15.4.2005 (Bl. 49 ff. d.A.),
des fachinternistisch-arbeitsmedizinischen Gutachtens des erstinstanzlich bestellten
Sachverständigen Dr. S. vom 2.2.2007 (Bl. 146 ff. d.A.) und des nervenärztlichen
Gutachtens des zweitinstanzlich bestellten Sachverständigen Prof. W. vom 15.10.2008
(Bl. 497 ff. d.A.), die ebenfalls keine pathologischen neurologischen oder psychiatrischen
Befunde geschildert haben.
Ob und aufgrund welcher konkreten ärztlichen Erkenntnisse der Sachverständige Dr. B. und
der Gutachter Dr. K. zu entsprechenden psycho-pathologischen Befunden gelangt sind,
lässt sich deren gutachterlichen Ausführungen nicht entnehmen; die Ergebnisse der von
dem Sachverständigen Dr. B. durchgeführten testpsychologischen Untersuchung vom
11.1.2007 (Bl. 213/214 d.A.) ergeben solche Befunde jedenfalls nicht. Dasselbe gilt für die
von der behandelnden Ärztin Dri. am 12.10.2005 attestierte „somatisierende Depression“;
psychopathologische Befunde, die diese Diagnose stützen, werden in dem ärztlichen Attest
nicht angeführt (Bl. 94 d.A.).
(3) Ferner trägt auch der Einwand des Klägers nicht, die Sachverständigen Dr. Bi. und Re.
hätten bei der Auswertung der Testergebnisse keinerlei Bezug zum vorhandenen
Grundleiden eines Post-Borreliose-Syndroms hergestellt; gerade weil er, der Kläger,
aufgrund seiner Freistellung von täglicher Arbeit über ganz andere Möglichkeiten
leidensgerechter Verhaltensweisen verfüge, dürfe aus seiner Fähigkeit, den Belastungen
der Testsituation standzuhalten, nicht geschlossen werden, dass er auch der
Stressbelastung durch Erwerbstätigkeit gewachsen sei.
Die Sachverständige Dr. Bi. hat hierzu bei ihrer persönlichen Anhörung zunächst
klargestellt, dass sie weder beweisen noch widerlegen könne, dass das Auftreten der von
ihr zunächst einmal als richtig dargestellt empfundenen Beschwerden kausal auf die
Borrelieninfektion zurückzuführen sei. Entsprechende Feststellungen waren von dem ihr
erteilten Gutachtenauftrag indes auch nicht umfasst. Gemäß dem der Beauftragung
zugrunde liegenden Hinweisbeschluss des Senats vom 10.2.2009 (Bl. 560/561 d.A.) war
Gegenstand der Begutachtung vielmehr lediglich das Bestehen der Beschwerden und deren
funktionelle Auswirkungen, nicht aber deren Ursache. Demzufolge durfte die
Sachverständige das streitige Grundleiden ihrer Begutachtung gerade nicht als feststehend
zugrunde legen.
Die Sachverständige Re. hat zu dem Gesichtspunkt der Belastbarkeit ergänzend erläutert,
dass die Untersuchungssituation als repräsentative Stichprobe anzusehen sei und deshalb
davon ausgegangen werden könne, dass die Leistungsfähigkeit, die sich in der
Untersuchung dargestellt habe, repräsentativ für die Leistungsfähigkeit im Übrigen sei. Für
die Richtigkeit dieser Feststellung spricht, dass auch der Sachverständige Dr. B. während
der längeren Exploration und Untersuchung am 11.1.2007 ein signifikantes Schwanken
oder Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit nicht hat beobachten können (Bl. 211 d.A.).
d) Der Senat ist nicht nur aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen, sondern auch
aufgrund des eigenen Eindrucks von dem Kläger, der der länger andauernden mündlichen
Verhandlung vom 12.4.2010 nicht nur mühelos folgen konnte, sondern auch aktiv an der
Befragung der beiden Sachverständigen teilnahm, davon überzeugt, dass die
Leistungsfähigkeit des Klägers tatsächlich nicht eingeschränkt ist.
Allerdings haben die Sachverständigen Dr. Bi. und Re. keine Anzeichen für bewusste
Simulation und Aggravation festgestellt. Soweit damit davon auszugehen ist, dass der
Kläger seine Beschwerden redlich geschildert hat, führt das nicht zur Annahme einer
bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit. Denn der Kläger mag seine funktionellen
Einschränkungen, vor allem eine ihm vermeintlich die Fähigkeit zur Fortführung seines
Berufs nehmenden Erschöpfungszustände und Konzentrationsstörungen als solche
„empfunden“ haben; sie lagen indessen tatsächlich – persönlichkeitsbedingt – nicht vor, wie
die Testungen durch die Sachverständigen, deren Ergebnisse der Kläger nicht bezweifelt
hat, beweisen. Die Sachverständigen haben auch verneint, dass der Kläger aus Gründen
einer psychischen Störung gewissermaßen blockiert gewesen sei weiter im bisherigen
Umfang zu arbeiten, sondern bestätigt, der Kläger könne in seinem Beruf nicht anders als
unter der Untersuchung tätig werden, schätze dies aber anders ein. Selbst wenn der
Kläger dieser Überzeugung sein sollte, ist dies nicht versichert. Denn ein Versicherungsfall
liegt nur vor, wenn ein Versicherungsnehmer „infolge“ eines nachzuweisenden
gesundheitlichen Leidens außerstande ist, weiter wenigstens mehr als halbschichtig
beruflich tätig zu sein. Dort, wo sich ein Versicherungsnehmer, wie hier, selbst einer
Fortführung des Berufs verschließt, weil er, wenn auch aufgrund von Missempfindungen,
„nur meint“, dessen Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein, ist diese Folge einer
Krankheit oder anderen gesundheitlichen Störungen indessen nicht mehr zuzurechnen. Sie
beruht vielmehr auf einem atypischen, im Allgemeinen unvorhersehbaren, ungewöhnlichen
und unsachgemäßen Verhalten des Versicherungsnehmers, auf einem gewissermaßen
„selbst geschaffenen“ Krankheitsbild (vgl. OLG Köln, Urt. v. 23.5.2005 – 5 U 171/01 –
n.v.). Sähe man dies anders, unterläge es der alleinigen, nicht zu kontrollierenden
Definitionsmacht eines Versicherungsnehmers, sich für berufsunfähig zu halten oder nicht.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Klageantrag zu 1) ist mit 7.137 EUR zu veranschlagen. Der auf Beitragsfreistellung für
die Zeit von Juni 2004 bis 2005 gerichtete Klageantrag zu 2) ist gemäß den unbestrittenen
Angaben des Klägers mit 2.197,13 EUR zu bemessen. Im Rahmen des Klageantrags zu 3),
gerichtet auf Feststellung der Rentenzahlungs- und der Beitragsfreistellungspflicht, ist
jeweils vom 3,5-fachen Jahresbetrag der zu zahlenden Rente bzw. der zu zahlenden Prämie
auszugehen. Von der Summe ist ein 50-prozentiger Abschlag zu machen (vgl. Senat, Urt.
v. 24.2.2010 – 5 U 368/07-36). Insoweit ist deshalb – abweichend von der
Streitwertfestsetzung des Landgerichts (Bl. 363/364 d.A.), das der Streitwertberechnung
des Klägers folgend einen 20-prozentigen Abschlag zugrunde gelegt hat (Bl. 7 d.A.) – der
Klageantrag zu 3) mit einem Betrag von 11.824,77 EUR (23.058 x 50 % = 11.529 EUR
+ 591,54 x 50 % = 295,77 EUR) in Ansatz zu bringen. Der Gesamtstreitwert beläuft sich
mithin auf 21.158,90 EUR.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch
erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).