Urteil des OLG Saarbrücken vom 14.07.2008

OLG Saarbrücken: verfügung, abmahnung, erlass, geschäft, werbung, verfahrenskosten, hauptsache, dringlichkeit, versicherung, französisch

OLG Saarbrücken Beschluß vom 14.7.2008, 1 W 99/08 - 19
Kostenentscheidung im Wettbewerbsverfahren: Kostentragungspflicht bei Unzumutbarkeit
einer Abmahnung vor einem Verfügungsantrag
Leitsätze
Wettbewerbsrecht: Veranlassung zur Klageerhebung ohne vorherige Abmahnung des
Wettbewerbers
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin wird die in dem Urteil der Kammer
für Handelssachen I des Landgerichts Saarbrücken vom 30. Januar 2008 – Az.: 7 KFH O
87/08 – getroffene Kostenentscheidung dahin abgeändert, dass die Kosten des
erstinstanzlichen Verfahrens der Verfügungsbeklagten zur Last fallen .
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Verfügungsbeklagten auferlegt.
3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf den Gesamtbetrag der noch
festzusetzenden erstinstanzlichen Verfahrenskosten (Gerichtskosten und außergerichtliche
Kosten der Parteien) festgesetzt.
Hinsichtlich des erstinstanzlichen Streitwertes verbleibt es bei der unter Ziffer 4 des
landgerichtlichen Beschlusses vom 31. Oktober 2007 erfolgten Streitwertfestsetzung auf
12.500,-- EUR.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin ist zulässig.
Nach der in der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Literatur herrschenden
Auffassung ist gegen ein Endurteil über die Kosten, das im Verfahren der einstweiligen
Verfügung auf einen sog. Kostenwiderspruch der Verfügungsbeklagten ergangen ist, die
sofortige Beschwerde entsprechend § 99 Abs. 2 ZPO statthaft (Zöller-Vollkommer, ZPO,
26. Aufl., Rdnr. 11 zu § 925 ZPO; Musielak-Huber, ZPO, 6. Aufl., Rdnr. 9 zu § 925 ZPO;
Thomas-Putzo/Reichold, ZPO, 28. Aufl., Rdnr. 4 zu § 925 ZPO; Teplitzky,
Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 5. Aufl., Kap. 55, Rdnr. 12; OLG Koblenz NJW-RR 1997,
893; OLG Bremen NJW-RR 1988, 625; OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 105; OLG Stuttgart
OLGR 1999, 329; Senatsentscheidungen vom 30.11.2004 in der Sache 1 W 265/04-43-
und vom 21.5.2007 in der Sache 1 W 19/07-4-). Die Beschwerde der Verfügungsklägerin
ist weiterhin form- und fristgerecht nach Maßgabe des § 569 ZPO eingelegt worden. Ein
Abhilfeverfahren nach § 572 Abs. 1 ZPO war im Hinblick auf §§ 318, 572 Abs. 1 Satz 2
ZPO nicht durchzuführen; dass dies gleichwohl geschehen ist, ändert nichts an der
Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde der Verfügungsklägerin.
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung der mit ihm
angefochtenen Kostenentscheidung dahin, dass die Kosten des erstinstanzlichen
Verfahrens von der Verfügungsbeklagten zu tragen sind.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sind der Verfügungsbeklagten gemäß § 91
Abs. 1 Satz 1 ZPO aufzuerlegen, da der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung in der Hauptsache erfolgreich war. Das Landgericht hat durch
Beschluss vom 31. Oktober 2007 (Bl. 12 ff d. A.) dem klägerischen Antrag stattgegeben.
Gegen diesen Beschluss hat die Verfügungsbeklagte lediglich Kostenwiderspruch eingelegt.
Entsprechend ist die Verfügungsbeklagte in Ansehung der Hauptsache als unterliegende
Partei anzusehen, die nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich mit den
Verfahrenskosten zu belasten ist.
Allerdings wären der Verfügungsklägerin dessen ungeachtet gemäß § 93 ZPO die Kosten
des erstinstanzlichen Verfahrens aufzuerlegen, wenn die Verfügungsbeklagte den
Verfügungsanspruch sofort anerkannt und der Verfügungsklägerin keine Veranlassung zur
gerichtlichen Rechtsverfolgung gegeben hätte. Von einer derartigen Sachlage kann im
vorliegenden Fall jedoch nicht ausgegangen werden. Zwar hat die Verfügungsbeklagte
ihren Widerspruch gegen die Beschlussverfügung vom 31. Oktober 2007 ausdrücklich auf
ihren Widerspruch gegen die Beschlussverfügung vom 31. Oktober 2007 ausdrücklich auf
den Kostenpunkt beschränkt und damit den Verfügungsanspruch der Sache nach
anerkannt. Sie hat jedoch der Verfügungsklägerin sehr wohl Veranlassung zur gerichtlichen
Rechtsverfolgung gegeben.
Zwar ist eine hinreichende Veranlassung zur gerichtlichen Rechtsverfolgung regelmäßig zu
verneinen, wenn die einen Unterlassungsanspruch verfolgende Verfügungsklägerin
entgegen der grundsätzlichen Forderung des § 12 Abs. 1 UWG sogleich den Erlass einer
einstweiligen Verfügung beantragt, ohne dem Unterlassungsschuldner zuvor eine
Abmahnung übermittelt und ihm so Gelegenheit gegeben zu haben, ein gerichtliches
Verfahren durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung zu vermeiden.
Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn es der Verfügungsklägerin nach den
konkreten Umständen des Falles unzumutbar war, die Verfügungsbeklagte als Verletzerin
vor der Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe erst noch abzumahnen, weil eine besondere
Dringlichkeit bestand (vgl. OLG Düsseldorf WRP 1969, 457; OLG München WRP 1970, 35).
Eine solche besondere Eilbedürftigkeit kann etwa dann angenommen werden, wenn der in
Rede stehende Wettbewerbsverstoß, als die Gefahr seiner Begehung für die
Verfügungsklägerin erkennbar wurde, aus objektivierter klägerischer Sicht ohne die
sofortige Erwirkung einer einstweiligen Verfügung nicht mehr verhinderbar war (vgl. OLG
Hamm WRP 1982, 687; OLG Hamburg WRP 1971, 279; KG WRP 1971, 375).
Von einem derartigen Fall besonderer Dringlichkeit, die die Notwendigkeit einer vorherigen
Abmahnung der Verfügungsbeklagten zur Vermeidung einer Kostenbelastung gemäß § 93
ZPO entfallen ließ, ist im vorliegenden Fall auszugehen.
Die Verfügungsklägerin hat durch die Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen ihres
Geschäftsführers S. und der Zeugin St. hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie erst im
Verlauf des Vormittags des 31. Oktober 2007 Kenntnis von dem in Rede stehenden
französischen Werbeprospekt der Verfügungsbeklagten erlangte, in dem eine Öffnung ihres
in S.-B. gelegenen Geschäftslokals am folgenden Allerheiligenfeiertag (1. November 2007)
angekündigt wurde. Die der Verfügungsklägerin nach dieser Kenntniserlangung noch
verbleibende Zeit bis zu dem angekündigten Wettbewerbsverstoß war so kurz, dass die
gleichsam sofortige Einreichung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung noch
am nämlichen Vormittag um 11.42 Uhr ohne Alternative war. Wenn die Verfügungsklägerin
eine sichere Unterbindung des befürchteten Wettbewerbsverstoßes der
Verfügungsbeklagten erreichen wollte, musste sie noch am 31. Oktober 2007 den Erlass
einer entsprechenden einstweiligen Verfügung und deren Zustellung noch an diesem Tag
erwirken. Dies aber musste am späten Vormittag des 31. Oktober 2007 die sofortige
Einreichung des Verfügungsantrags zwingend geboten erscheinen lassen. Bei dieser
Sachlage war eine vorherige Abmahnung der Verfügungsbeklagten nicht (mehr) zumutbar.
Etwas anderes könnte nur dann angenommen werden, wenn sich relevante Zweifel an der
Ernsthaftigkeit der beanstandeten Werbung hätten aufdrängen müssen und der
Verfügungsklägerin deshalb eine telefonische Rückfrage bei der Verfügungsbeklagten, ob
sie tatsächlich ihr Geschäft am Allerheiligenfeiertag öffnen würde, zumutbar gewesen
wäre. Von einer derartigen Sachlage kann im vorliegenden Fall jedoch nicht ausgegangen
werden. Für die Verfügungsklägerin bestanden keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme,
dass die in Rede stehende Aussage der französischen Prospektwerbung der
Verfügungsbeklagten irrtumsgetragen sein könnte. Gegen eine derartige Mutmaßung
musste bereits die in dem Prospekt mehrfach erfolgte plakative Hervorhebung der Öffnung
des Geschäfts auch am 1. November sprechen, die jeweils noch mit dem ausdrücklichen
Hinweis einer langen Öffnungszeit an diesem Tag („ouvert jusqu’à 20 h“) versehen war.
Der Umstand, dass der etwa zeitgleich verbreitete deutschsprachige Prospekt den
deutlichen Hinweis enthielt: „Allerheiligen geschlossen“ kann keine andere Beurteilung nahe
legen. Zum einen hatte die Klägerin am Vormittag des 31. Oktober 2007 noch keine
Kenntnis vom Inhalt des deutschsprachigen Prospekts erlangt. Dies wird durch die
eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers S. der Verfügungsklägerin hinreichend
belegt. Zum anderen hätte selbst im Falle einer zeitgleichen Kenntniserlangung der
Klägerin von der deutschsprachigen Werbung immerhin noch die Annahme für sie nahe
liegen müssen, dass die Verfügungsbeklagte möglicherweise eine besonders auf die
französische Kundschaft ausgerichtete Sonderöffnung ihres Geschäfts am 1. November
2007 (etwa mit französisch sprechendem Verkaufspersonal) bewerben wollte.
Der Auffassung, dass die Verfügungsklägerin nach den Umständen gehalten gewesen sei,
durch einen Anruf bei der Verfügungsbeklagten abzuklären, ob letztere ihr Geschäft wirklich
an Allerheiligen öffnen werde, vermag der Senat sich nicht anzuschließen. Wird die Öffnung
eines Geschäfts auch an einem bestimmten Feiertag wie im vorliegenden Fall geradezu
blickfangmäßig beworben, so ist auch ohne besondere diesbezügliche Nachfrage zu
erwarten, dass das Geschäft in der Tat wie angekündigt geöffnet werden wird, da die
Werbung ansonsten sinnlos wäre und nur eine Verärgerung der das Geschäft vergeblich
aufsuchenden Kunden zur Folge hätte. Wer ein wettbewerbswidriges Verhalten in seiner
Werbung angekündigt hat, kann sich regelmäßig nicht mit Erfolg drauf berufen, dass seine
Ankündigung nicht hätte ernst genommen werden dürfen, solange sie nicht auf eine
besondere Nachfrage hin eigens bestätigt worden sei.
Nach alledem war der sofortigen Beschwerde der Verfügungsklägerin der Erfolg nicht zu
versagen.
Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens entspricht dem Wert des mit der Beschwerde
verfolgten Kosteninteresses und damit dem Gesamtbetrag der erstinstanzlichen
Verfahrenskosten (Gerichtkosten und außergerichtliche Kosten der Parteien).