Urteil des OLG Saarbrücken vom 05.10.2005

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OLG Saarbrücken Beschluß vom 5.10.2005, 2 WF 13/05
Prozesskostenhilfe: Erstattung von Kosten für Verkehrsanwalt
Leitsätze
Die Einschränkung, dass ein auswärtiger Rechtsanwalt bei bewilligter Prozesskostenhilfe
nur zu den Kostenbedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalt beigeordnet wird, ist
nur dann gerechtfertigt, wenn nicht die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen.
Zur Auslegung des § 121 Abs. 4 ZPO
Tenor
1. Auf die als sofortige Beschwerde zu behandelnde Beschwerde des Klägers wird der
Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - in Saarlouis vom 28 April 2005 - 20 F
111/05 - teilweise dahingehend abgeändert, dass die zusammen mit der Beiordnung von
Rechtsanwältin angeordnete Einschränkung „zu den Bedingungen eines ortsansässigen
Rechtsanwalts" entfällt.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der in wohnende Kläger reichte mit Schriftsatz vom 17. Februar 2005 beim
Familiengericht eine Klage, die auf Abänderung eines am 1. Juli 2003 abgeschlossenen
Unterhaltsvergleichs gerichtet war ein, und bat gleichzeitig um die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe „für die beabsichtigten Anträge“. In dem angefochtenen Beschluss, auf
den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht dem Kläger ratenfreie
Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm Rechtsanwältin in „zu den Bedingungen eines
ortsansässigen Rechtsanwalts“ beigeordnet. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner
Beschwerde, mit der er erreichen will, dass die Beiordnung zu den Bedingungen eines am
Wohnort des Klägers ansässigen Rechtsanwalts erfolgt. Das Familiengericht hat die
Beschwerde als sofortige Beschwerde angesehen und dieser nicht abgeholfen.
II.
Die gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach § 121 ZPO war dem Kläger vorliegend ein Rechtsanwalt beizuordnen. Dass die
grundsätzlichen Voraussetzungen für die Beiordnung hier vorgelegen haben, unterliegt
keinem Zweifel. Entgegen der Auffassung des Familiengerichts genügte es jedoch nicht,
einen am Prozessgericht nicht zugelassenen Rechtsanwalt nur unter der Bedingung
beizuordnen, dass dadurch weitere Kosten nicht entstehen, denn nach § 121 Abs. 4 ZPO
kann der Partei auf ihren Antrag, sofern besondere Umstände dies erfordern, zusätzlich ein
sog. Verkehrsanwalt beigeordnet werden; statt dessen kommt auch die Beiordnung eines
am Wohnort der Partei ansässigen Prozessbevollmächtigten in Betracht, dem dann auch
etwaige zusätzliche Reisekosten zu erstatten sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, FamRZ 2004, 1362), der sich
der Senat anschließt, ist zunächst davon auszugehen, dass im Rahmen der bewilligten
Prozesskostenhilfe nach § 121 Abs. 1 und 3 ZPO in der Regel ein bei dem Prozessgericht
niedergelassener Rechtsanwalt beizuordnen ist und ein nicht bei dem Prozessgericht
niedergelassener Rechtsanwalt nur dann beigeordnet werden kann, wenn dadurch keine
weiteren Kosten entstehen.
Hiervon macht jedoch § 121 Abs. 4 ZPO insofern eine Ausnahme, als ein weiterer
Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten
Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet
werden kann, wenn besondere Umstände dies erfordern. Denn wenn der Partei - wie es
dem Regelfall des § 121 Abs. 1 und 3 ZPO entspricht - ein Rechtsanwalt am Ort des
Prozessgerichts beigeordnet wurde, kann es in besonders gelagerten Einzelfällen
erforderlich sein, ihr einen zusätzlichen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines auswärtigen
Termins zur Beweisaufnahme (§ 362 ZPO) oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem
Termins zur Beweisaufnahme (§ 362 ZPO) oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem
Hauptbevollmächtigten beizuordnen. Wurde hingegen ein nicht am Ort des Prozessgerichts
niedergelassener Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigter beigeordnet, besteht kein Bedarf
für die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts; dafür ist der auswärtige Rechtsanwalt
aber grundsätzlich berechtigt, seine Reisekosten nach § 46 RVG abzurechnen (vgl. BGH,
a.a.O. ; OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 420, OLGR Frankfurt 2002, 340 und KGR 2004, 17;
a.A. OLGR Naumburg 2001, 486).
Ordnet das Gericht der Partei im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe
ausnahmsweise einen nicht in seinem Bezirk niedergelassenen Rechtsanwalt bei, und sieht
es von der Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO ab, kann es
dem Prozessbevollmächtigten deswegen nicht stets durch die beschränkte Beiordnung „zu
den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" zugleich die Möglichkeit der
Erstattung von Reisekosten nach § 46 RVG nehmen. Eine solche Beiordnung ist vielmehr
nur dann möglich, wenn auch sonst lediglich Kosten eines am Prozessgericht
niedergelassenen Rechtsanwalts entstehen könnten, weil „besondere Umstände" im Sinne
von § 121 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen. Bei der Entscheidung über die Beiordnung eines nicht
am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts hat das Gericht also immer auch zu
prüfen, ob die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO erfüllt sind. Nur wenn dieses nicht
der Fall ist, darf es einen von der Partei nach § 121 Abs. 1 ZPO gewählten auswärtigen
Prozessbevollmächtigten „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" mit
der Folge, dass eine Erstattung von Reisekosten im Allgemeinen entfällt, beiordnen (vgl.
BGH, a.a.O. ).
Bei der Prüfung, ob die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO
wegen besonderer Umstände erforderlich wäre, ist auf die rechtlichen und tatsächlichen
Schwierigkeiten des Rechtsstreits und die subjektiven Fähigkeiten der Parteien abzustellen
(Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 121, Rdn. 18). Solche besonderen Umstände können
etwa dann vorliegen, wenn die Partei schreibungewandt ist und ihr auch eine
Informationsreise zu ihrem Rechtsanwalt am Sitz des Prozessgerichts nicht zugemutet
werden kann (OLG Naumburg FamRZ 2003, 107; OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 107).
Gleiches ist der Fall, wenn der Partei eine schriftliche Information wegen des Umfangs, der
Schwierigkeit oder der Bedeutung der Sache nicht zuzumuten ist und eine mündliche
Information unverhältnismäßigen Aufwand verursachen würde (OLG Brandenburg FamRZ
2002, 107 und FamRZ 2001, 1533). Dabei ist im Rahmen der verfassungsgemäßen
Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen Umstände eine zusätzliche
Beiordnung nach § 121 Abs. 4 ZPO auch dann geboten, wenn die Kosten des weiter
beizuordnenden Rechtsanwalts die sonst entstehenden Reisekosten des nicht am
Prozessgericht zugelassenen Hauptbevollmächtigten nicht wesentlich übersteigen. Im
Rahmen der durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen
Rechtsstaatsprinzip gebotenen weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten
und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes (BVerfG, NJW 2004, 1789)
ist bei der Auslegung auch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur
Erstattung der Kosten für Verkehrsanwälte zu beachten. Danach ist im Falle der
Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts am Sitz des Gerichts auch die Zuziehung eines am
Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwalts regelmäßig
als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im
Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. ZPO anzusehen (BGH, a.a.O. ; BGH, FamRZ
2003, 441, BGH-Report 2004, 70, 71; NJW-RR 2004, 430; BGH-Report 2004, 637; BB
2004, 1023).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte der Kläger hier nicht darauf verwiesen
werden, aus Gründen der Kostenersparnis einen am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt
mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und andernfalls etwaige
Mehrkosten selbst zu tragen. Denn der vorliegende Unterhaltsrechtsstreit ist jedenfalls aus
der Sicht einer nicht fachkundigen Partei so gelagert, dass grundsätzlich das Bedürfnis
anzuerkennen ist, dass die Angelegenheit persönlich mit dem Rechtsanwalt erörtert wird;
Gesichtspunkte, die im Streitfall eine andere Bewertung rechtfertigen könnten, sind nicht
ersichtlich. Hinzu kommt, dass unter den gegebenen Umständen auch nicht von vornherein
absehbar war, dass im Laufe des Rechtsstreits nicht noch weitere persönliche
Beratungsgespräche notwendig werden würden, so dass die Beauftragung eines
Rechtsanwalts am Ort des Prozessgerichts - jedenfalls unter Berücksichtigung des
Kenntnisstandes der Partei zu Beginn des Prozesses - auch nicht zu evident niedrigeren
Kosten geführt hätte, wobei die - fiktiven - Fahrtkosten der Partei insoweit nicht außer
Betracht gelassen werden dürfen. Da letztlich die hier in Rede stehenden Reisekosten der
Prozessbevollmächtigten des Klägers in Anbetracht der Entfernung zwischen dem
Gerichtsort und dem Sitz der Kanzlei bei einem allein für die Klage auf 3.048 EUR
festgesetzten Streitwert geringer bzw. jedenfalls nicht wesentlich höher sind, als die
Kosten der alternativ in Betracht kommenden Beiordnung eines Verkehrsanwalts (vgl.
BGH, FamRZ 2004, 1362), kann die vom Familiengericht - insoweit entgegen dem
ausdrücklichen Antrag des Klägers - angeordnete Einschränkung der Beiordnung keinen
Bestand haben. Dem entsprechend war der angefochtene Beschluss abzuändern.
Der Kostenausspruch beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordern (§ 574
Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 ZPO).