Urteil des OLG Saarbrücken vom 24.01.2007

OLG Saarbrücken: psychiatrisches gutachten, reisekosten, niedergelassener, bezirk, arbeitsunfähigkeit, beschränkung, berufsunfähigkeit, abgrenzung, anzeiger, bedürfnis

OLG Saarbrücken Beschluß vom 24.1.2007, 5 W 18/07 - 7
Prozesskostenhilfe: Voraussetzungen der beschränkten Beiordnung eines auswärtigen
Rechtsanwalts
Leitsätze
Die Beiordnung eines nicht am Sitz des Prozessgerichts tätigen Rechtsanwalts zu den
Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts ist nur dann möglich, wenn keine besonderen
Umstände im Sinne des § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen, die die Beiordnung eines
Verkehrsanwalts rechtfertigen würden.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts
Saarbrücken vom 02.01.2007 (12 O 40/06) dahingehend abgeändert, dass die Worte „-
zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts –„ gestrichen werden.
Gründe
I.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 03.02.2006 Klage erhoben und Prozesskostenhilfe
unter Beiordnung von RA. G., , beantragt.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 02.01.2007 (Bl. 257 d. A.) hat das Landgericht
(Einzelrichterin) dem Kläger Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt G. zu den
Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.
Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10.01.2007 (Bl. 244 d. A.) sofortige
Beschwerde eingelegt und beantragt, Rechtsanwalt G. ohne die Beschränkung auf die
Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts beizuordnen. Zur Begründung führt der Kläger
aus, eine zusätzliche Gebühr wäre auch angefallen, wenn RA. G. als Verkehrsanwalt und
ein örtlicher Anwalt als Hauptbevollmächtigter beigeordnet worden wären. Wenigstens in
dieser Höhe hätte Prozesskostenhilfe bewilligt werden müssen. Der Kläger habe außerdem
Anspruch darauf, das Verfahren mit dem Anwalt seiner Wahl durchzuführen.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 12.01.2007 (Bl. 248 d.
A.) nicht abgeholfen und die Sache dem Saarländischen Oberlandesgericht vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO. Die sofortige Beschwerde ist auch innerhalb der Zweiwochenfrist des § 569 Abs. 1
Satz 1 ZPO eingelegt worden. Zwar findet sich kein Zustellungsnachweis bei den Akten.
Jedoch ist die Beschwerdeschrift bereits am 12.01.2007, also nur 10 Tage nach dem
Erlass des angefochtenen Beschlusses eingegangen, so dass die Frist in jedem Fall
gewahrt ist.
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2004 – XII
ZB 61/04, NJW 2004, 2749-2751, juris Rdnr. 6 ff), der sich bereits der 2. Zivilsenat des
Saarländischen Oberlandesgerichts angeschlossen hat (vgl. SaarlOLG – 2. Zivilsenat,
Beschl. v. 05.10.2005 – 2 WF 13/05, OLGR Saarbrücken 2006, 364- 366, juris Rdnr. 4 ff),
ist zunächst davon auszugehen, dass im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe nach §
121 Abs. 1 u. 3 ZPO in der Regel ein bei dem Prozessgericht niedergelassener
Rechtsanwalt beizuordnen ist und ein nicht bei dem Prozessgericht niedergelassener
Rechtsanwalt nur dann beigeordnet werden kann, wenn dadurch keine weiteren Kosten
entstehen.
Hiervon macht jedoch § 121 Abs. 4 ZPO insofern eine Ausnahme, als ein weiterer
Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten
Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet
werden kann, wenn besondere Umstände dies erfordern. Denn wenn der Partei - wie es
dem Regelfall des § 121 Abs. 1 u. 3 ZPO entspricht - ein Rechtsanwalt am Ort des
Prozessgerichts beigeordnet wurde, kann es in besonders gelagerten Einzelfällen
erforderlich sein, ihr einen zusätzlichen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines auswärtigen
Termins zur Beweisaufnahme (§ 362 ZPO) oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem
Hauptbevollmächtigten beizuordnen. Wurde hingegen ein nicht am Ort des Prozessgerichts
niedergelassener Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigter beigeordnet, besteht kein Bedarf
für die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts; dafür ist der auswärtige Rechtsanwalt
aber grundsätzlich berechtigt, seine Reisekosten nach § 46 RVG abzurechnen (vgl. BGH,
Beschl. v. 23.06.2004 – XII ZB 61/04, NJW 2004, 2749-2751, juris Rdnr. 8; SaarlOLG – 2.
Zivilsenat, Beschl. v. 05.10.2005 – 2 WF 13/05, OLGR Saarbrücken 2006, 364- 366, juris
Rdnr. 6; OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 420, OLGR Frankfurt 2002, 340 und KGR 2004, 17;
a.A. OLGR Naumburg 2001, 486).
Ordnet das Gericht der Partei im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe
ausnahmsweise einen nicht in seinem Bezirk niedergelassenen Rechtsanwalt bei, und sieht
es von der Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO ab, kann es
dem Prozessbevollmächtigten deswegen nicht stets durch die beschränkte Beiordnung „zu
den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" zugleich die Möglichkeit der
Erstattung von Reisekosten nach § 46 RVG nehmen. Eine solche Beiordnung ist vielmehr
nur dann möglich, wenn auch sonst lediglich Kosten eines am Prozessgericht
niedergelassenen Rechtsanwalts entstehen könnten, weil „besondere Umstände" im Sinne
von § 121 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen. Bei der Entscheidung über die Beiordnung eines nicht
am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts hat das Gericht also immer auch zu
prüfen, ob die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO erfüllt sind. Nur wenn dieses nicht
der Fall ist, darf es einen von der Partei nach § 121 Abs. 1 ZPO gewählten auswärtigen
Prozessbevollmächtigten „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" mit
der Folge, dass eine Erstattung von Reisekosten im Allgemeinen entfällt, beiordnen (vgl.
BGH, Beschl. v. 23.06.2004 – XII ZB 61/04, NJW 2004, 2749-2751, juris Rdnr. 9;
SaarlOLG – 2. Zivilsenat, Beschl. v. 05.10.2005 – 2 WF 13/05, OLGR Saarbrücken 2006,
364- 366, juris Rdnr. 6).
Bei der Prüfung, ob die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO
wegen besonderer Umstände erforderlich wäre, ist auf die rechtlichen und tatsächlichen
Schwierigkeiten des Rechtsstreits und die subjektiven Fähigkeiten der Parteien abzustellen
(vgl. Zöller-Philippi, Zivilprozessordnung, 26. Aufl., § 121 ZPO, Rdn. 18). Solche besonderen
Umstände können etwa dann vorliegen, wenn die Partei schreibungewandt ist und ihr auch
eine Informationsreise zu ihrem Rechtsanwalt am Sitz des Prozessgerichts nicht
zugemutet werden kann (vgl. OLG Naumburg, FamRZ 2003, 107; OLG Zweibrücken,
FamRZ 2002, 107). Gleiches ist der Fall, wenn der Partei eine schriftliche Information
wegen des Umfangs, der Schwierigkeit oder der Bedeutung der Sache nicht zuzumuten ist
und eine mündliche Information unverhältnismäßigen Aufwand verursachen würde (vgl.
OLG Brandenburg, FamRZ 2002, 107 und FamRZ 2001, 1533). Dabei ist im Rahmen der
verfassungsgemäßen Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen
Umstände eine zusätzliche Beiordnung nach § 121 Abs. 4 ZPO auch dann geboten, wenn
die Kosten des weiter beizuordnenden Rechtsanwalts die sonst entstehenden Reisekosten
des nicht am Prozessgericht zugelassenen Hauptbevollmächtigten nicht wesentlich
übersteigen. Im Rahmen der durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen
Rechtsstaatsprinzip gebotenen weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten
und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes (vgl. BVerfG, NJW 2004,
1789) ist bei der Auslegung auch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur
Erstattung der Kosten für Verkehrsanwälte zu beachten. Danach ist im Falle der
Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts am Sitz des Gerichts auch die Zuziehung eines am
Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwalts regelmäßig
als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im
Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. ZPO anzusehen (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2004
– XII ZB 61/04, NJW 2004, 2749-2751, juris Rdnr. 10; BGH, NJW-RR 2004, 430; BGH,
FamRZ 2003, 441; SaarlOLG – 2. Zivilsenat, Beschl. v. 05.10.2005 – 2 WF 13/05, OLGR
Saarbrücken 2006, 364- 366, juris Rdnr. 7).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte der Kläger hier nicht darauf verwiesen
werden, aus Gründen der Kostenersparnis einen am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt
mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und andernfalls etwaige
Mehrkosten selbst zu tragen.
Es handelt sich vorliegend um einen Rechtsstreit um Ansprüche auf Grund einer
Krankenhaustagegeldversicherung. Umstritten war dabei, ob und wie lange der Kläger
arbeitsunfähig war, wobei der Arbeitsunfähigkeit nach der Klagebegründung ein
depressives Syndrom sowie eine Alkoholabhängigkeit zu Grunde lagen. Diesbezüglich
waren bereits vorgerichtlich ein rechtsmedizinisches (Bl. 9 d. A.) sowie ein psychiatrisches
Gutachten (Bl. 23 d. A.) eingeholt worden. Die Beklagte hat sich im Wesentlichen damit
verteidigt, dass der Kläger nicht mehr arbeitsunfähig sei, sondern inzwischen
Berufsunfähigkeit eingetreten sei (Bl. 59 ff d. A.).
Der Rechtsstreit war also sowohl rechtlich als auch tatsächlich kompliziert. Es war eine
Abgrenzung zwischen Arbeitsunfähigkeit als vorübergehender Unfähigkeit, den Beruf
auszuüben, und Berufsunfähigkeit als entsprechendem dauerhaftem Zustand
vorzunehmen. Dabei spielten neben der nicht ganz einfachen rechtlichen Abgrenzung
komplizierte medizinische Erwägungen und Zukunftsprognosen eine entscheidende Rolle,
die nicht ohne sachverständige Hilfe geklärt werden konnten. Die zugrunde liegende
psychische Erkrankung bzw. Alkoholerkrankung betrifft zudem einen sensiblen,
höchstpersönlichen Bereich.
Bei einem solchen Sachverhalt aber ist es einer Partei, die überdies an gesundheitlichen
Problemen leidet, nicht zuzumuten, einen am Gerichtsort tätigen Anwalt schriftlich oder
fernmündlich zu informieren. Vielmehr besteht sowohl wegen der rechtlichen und
tatsächlichen Komplexität als auch wegen des höchstpersönlichen Charakters der
Angelegenheit ein anerkennenswertes Bedürfnis des Klägers, einen Rechtsanwalt
persönlich zu konsultieren, sich von diesem umfassend beraten zu lassen und dessen
eventuelle Rückfragen jederzeit ohne große Verzögerungen beantworten zu können.
Daher hätte dem Kläger im Falle der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Bezirk des
Landgerichts Saarbrücken zusätzlich jedenfalls ein nahe seines Wohnorts ansässiger
Verkehrsanwalt beigeordnet werden müssen. Da der Kläger indes einen an seinem
Wohnort tätigen Anwalt beauftragt hat, der ihn auch bereits als Anzeiger im Rahmen eines
mit seiner Erkrankung in Zusammenhang stehenden Strafverfahrens vertreten hatte (Bl. 7
d. A.) und daher in die Sache eingearbeitet war, sind die Reisekosten dieses Anwalts im
Rahmen der Prozesskostenhilfe zu erstatten.
Die Beschränkung auf die Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts war daher in dem
angefochtenen Beschluss zu streichen.
Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordert (§ 574
Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 u. 2 ZPO).