Urteil des OLG Saarbrücken vom 16.05.2006

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OLG Saarbrücken Urteil vom 16.5.2006, 4 UH 711/04 - 196
Verkehrssicherungspflichtverletzung: Pflichten des Sporthallenbetreibers bei einem
Kinderfußballturnier
Leitsätze
Verkehrssicherungspflichten bei einem Kinderfußballturnier.
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 24.
November 2004 - 4 O 206/04 - wie folgt abgeändert:
a. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 10.000
EUR zu zahlen.
b. Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der
Klägerin jeden materiellen und immateriellen Folgeschaden aus dem
Unfallereignis vom 3.2003 im Sportzentrum ... Weg in S. zu ersetzen, soweit
nicht der materielle Anspruch auf Dritte übergegangen ist.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die im Jahr 1995 geborene Klägerin nimmt die Beklagte unter dem rechtlichen Aspekt der
Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auf Zahlung von Schmerzensgeld und
Feststellung der Einstandspflicht in Anspruch.
Am ...3.2003 veranstaltete die Streitverkündete in der Sporthalle der Beklagten ein
Fußballturnier. Jeder Verein, der das von der Beklagten unterhaltene Sportzentrum nutzt,
muss zuvor eine Haftungserklärung (Bl. 22 d. A.) abgeben, die auszugsweise folgenden
Inhalt hat:
Die Haftung für Personen- und Sachschäden, die im Zusammenhang mit der
Benutzung eintreten, obliegt dem Benutzer.
In der Sporthalle waren am fraglichen Tag Tribüneneinrichtungen in Richtung des Spielfeldes
ausgezogen, deren stählerne Unterkonstruktion seitlich begehbar war. Die Eigenarten
dieser Tribünenkonstruktion und die örtlichen Gegebenheiten werden auf den Lichtbildern
Bl. 29, 30 d. A. wiedergegeben.
Die Klägerin hat behauptet, sie sei anlässlich des Turnieres zusammen mit anderen Kindern
im Bereich der Zuschauertribüne herumgelaufen und sei hierbei auch unter die Tribüne
gelangt, an deren Gestänge sich Kinder festhalten, schaukeln und auch klettern könnten.
Hierbei sei sie schließlich zu Fall gekommen und habe sich schwer verletzt.
Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die Klägerin am3.2003 im Klinikum S1 mit
der im Arztbericht vom 18.6.2003 (Bl. 7 d. A.) aufgeführten Diagnose eingeliefert wurde.
Sie musste sich einer Serie von operativen Eingriffen unterziehen und befand sich bis zum
2.5.2003 in stationärer Behandlung.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht
verletzt habe. Nach der Lebenserfahrung habe sie damit rechnen müssen, dass spielende,
kleinere Kinder sich unter die Tribüne begeben und dort spielen würden. In Anbetracht
dessen hätte die gefährliche Tribüne nicht ungesichert, unbeaufsichtigt und frei zugänglich
in den Verkehr gebracht werden dürfen. Es sei Aufgabe der Beklagten gewesen, die
seitlichen Öffnungen der Tribüne zu verschließen, da das Geflecht von Stangen in
verschiedenen Höhen und der Höhlencharakter des Bauwerks geradezu eine Einladung zum
Spielen dargestellt habe.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in
angemessener Höhe zu zahlen, dessen Mindestbetrag die Klägerin
mit 10.000 EUR beziffert,
2. festzustellen, dass die Beklagte für jeden materiellen und
immaterielle Folgeschaden aus dem Unfallereignis vom 3.2003 im
Sportzentrum, ... Weg in S., einstandspflichtig ist.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten. Die Beklagte hat den Unfall und den Unfallhergang
mit Nichtwissen bestritten. Nach Ansicht der Beklagten sei eine
verkehrssicherungspflichtige Gemeinde nur gehalten, solche nicht unerheblichen
Gefahrenstellen zu vermeiden, die nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die
sich der Verkehr nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermag. Für jeden, der sich unter
die Stufen der dargestellten Tribüne begebe, sei es vorhersehbar, dass er aufpassen
müsse. Die Stolpergefahr sei offensichtlich. Von einem siebenjährigen Kind könne erwartet
werden, dass es die dargestellten Hindernisse als gefährlich erkenne. Darüber hinaus habe
die Mutter der Klägerin nicht vorgetragen, was sie selbst unternommen habe, um den
behaupteten Unfall zu vermeiden. Offenbar habe die gesetzliche Vertreterin trotz Kenntnis
der Situation die Klägerin unter der Tribüne spielen lassen. Am fraglichen Tag habe der
Hausmeister keine spielenden Kinder unter der Tribüne gesehen, weshalb auch keine
Veranlassung bestanden habe einzuschreiten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und hierzu ausgeführt, eine Haftung der
Beklagten scheide jedenfalls deshalb aus, weil der Beklagten in der konkreten
Ausgestaltung der Halle und insbesondere in der Ausgestaltung der Tribüne eine Verletzung
ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht vorgeworfen werden könne. Auf den Inhalt der
angefochtenen Entscheidung wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches
Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Die Klägerin behauptet, seitens des Veranstalters
habe es keinerlei Aufsicht im Bereich der Zuschauertribüne gegeben. Die Beklagte habe
nicht einmal vorgetragen, dass sie den Veranstalter auf seine Aufsichtspflicht hingewiesen
habe. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei es durchaus möglich, seitliche Blenden
an der Tribüne anzubringen. Auch sei in Betracht zu ziehen, Kunststoffbänder seitlich zu
befestigen. Die Unterkonstruktion der Tribüne stelle eine um ein Vielfaches gefährlichere
Anlage als ein Treppengeländer dar. Auch der vom Landgericht gezogene Vergleich mit
Turngeräten sei nicht stichhaltig: An Turngeräte würden ganz erhebliche
Sicherheitsanforderungen gestellt.
Die Klägerin beantragt,
1. unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nach Maßgabe
ihrer erstinstanzlichen Anträge zu erkennen
2. ihr hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte behauptet, sie habe auch am ...3.2003 in der Person des Hausmeisters H.
Leute abgestellt, um für Sicherheit und Ordnung in der Halle zu sorgen. Die Beklagte
verteidigt die angefochtene Entscheidung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach-
und Streitstandes wird auf die Berufungsbegründung der Klägerin (Bl. 118 ff. d. A.) auf die
Berufungserwiderung der Beklagten (Bl. 125 ff. d. A.) sowie auf den Schriftsatz der
Klägervertreterin vom 31.4.2001 (Bl. 130 ff. d. A.) verwiesen.
Der Senat hat der Klägerin mit Beschluss vom 31.1.2006 (Bl. 139 d. A.) gegen die
Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gewährt. Der Senat hat aufgrund Beweisbeschlusses vom 7.3.2006 (Bl.
145 f. d. A.) durch die Vernehmung von Zeugen Beweis erhoben. Hinsichtlich des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom
25.4.2006 (Bl. 150 ff. d. A.) Bezug genommen.
II.
A. Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klage hat Erfolg. Die Beklagte ist unter dem
rechtlichen Gesichtspunkt der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten zur Erstattung
aller materiellen und immateriellen Schäden verpflichtet. Es kann dahinstehen, ob die
Verkehrssicherung der Beklagten für die öffentliche Einrichtung als echte Amtspflicht oblag
(in diesem Fall finden die Ansprüche ihre Rechtsgrundlage in § 839, § 253 Abs. 2 BGB
i.V.m. Art. 34 GG) oder ob die Beklagte nach allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen
gem. § 823 Abs. 1 BGB für den verkehrssicheren Zustand haftet. Denn im vorliegenden
Fall sind die der Beklagten als Eigentümerin obliegenden Verkehrssicherungspflichten mit
etwaigen öffentlich-rechtlichen Amtspflichten zur Gewährleistung einer verkehrssicheren
Benutzung der öffentlichen Einrichtung deckungsgleich.
1. Die Beklagte hat ihre Verkehrssicherungspflichten in einer den Fahrlässigkeitsvorwurf
begründenden Form verletzt. Die entgegenstehende Auffassung des Landgerichts beruht
auf einem Rechtsfehler (§ 513 Abs. 1 ZPO), da die Erwägungen zu Inhalt und Umfang der
geschuldeten Verkehrssicherung den Umständen der konkreten Unfallsituation nicht
hinreichend Rechnung tragen.
a) Zwar hat das Landgericht den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt gewählt: Neben
dem Veranstalter des in der Turnhalle durchgeführten Sportereignisses ist auch der
Eigentümer und Betreiber einer Turnhalle, der den Verkehr durch die Bereitstellung der
Einrichtung eröffnet und fördert, verpflichtet, einen gefahrlosen Zustand der Halle und
deren Einrichtungen zu gewährleisten (OLGR Nürnberg 2001, 175; vgl. OLG Bamberg
VersR 1977, 477). Hierbei besteht die Verkehrssicherungspflicht nur in den Grenzen des
Zumutbaren: Es ist keine absolute Gefahrlosigkeit herzustellen. Der Benutzer bzw.
Besucher einer Turnhalle muss sich den Gegebenheiten anpassen und die Einrichtung so
hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Demgegenüber ist es Sache des
Verkehrssicherungspflichtigen, alle, aber auch nur diejenigen Gefahren auszuräumen und
erforderlichenfalls vor ihnen zu warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt
walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig
einzustellen vermag (vgl. BGHZ 108, 273, 274 f.; BGH, Urt. v. 21.6.1979 - III ZR 58/78,
VersR 1979, 1055, vgl. Urt. v. 11.12.1984 – VI ZR 218/83, NJW 1985, 1076;
Staudinger/Hager, BGB, 13. Aufl., § 823 Rdn. E 74; MünchKomm(BGB)/Wagner, 4. Aufl., §
823 Rdn. 416 ff.; Palandt/Thomas, BGB, 63. Aufl., § 823 Rdn. 221;
Bamberger/Roth/Spindler, BGB, § 823 Rdn. 319). Weiterhin ist für den Umfang der
erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen in Betracht zu ziehen, dass insbesondere Kinder
und Jugendliche dazu neigen, Vorschriften und Anordnungen nicht zu beachten und sich
unbesonnen zu verhalten; daher muss die Verkehrssicherungspflicht je nach Lage des
konkreten Einzelfalls auch die Vorbeugung gegenüber solchem missbräuchlichen Verhalten
umfassen (BGH, Urt. v. 3.2.2004 – VI ZR 95/03, NJW 2004, 1449; Urt. v. 4.5.1999 – VI
ZR 379/98, NJW 1999, 2364; Urt. v. 19.2.1991 – VI ZR 171/90, VersR 1991, 559; Urt. v.
21.2.1978 - VI ZR 202/76 - VersR 1978, 561 f.). Lediglich ein gänzlich unvernünftiges,
äußerst leichtfertiges Verhalten von Kindern und Jugendlichen muss der
Verkehrssicherungspflichtige in seine Überlegungen zur Gefahrenabwehr nicht einbeziehen
(OLG Saarbrücken, MDR 2006, 517; OLG Rostock, MDR 2000, 764; OLG Köln, VersR
1992, 1241 f.).
b) Nach diesen Maßstäben wurde die Beklagte ihrer Verkehrssicherung nicht gerecht. Nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die
Beklagte in der Person des Hausmeisters – des Zeugen H. – am fraglichen Unfalltag
keinerlei Maßnahmen traf, um den Spielbetrieb des Turniers und das Verhalten der
Zuschauer zu kontrollieren. Vielmehr beschränkte sie sich darauf, dem Veranstalter des
Turniers die Unterzeichnung der Haftungserklärung abzuverlangen. Obwohl die Erfahrungen
der Vergangenheit erhebliche Zweifel aufwarfen, ob der jeweilige Veranstalter der ihm
obliegenden Verkehrssicherung in ausreichendem Maße nachkommen werde, nahm die
Beklagte zumindest am Unfalltag von einer eigenständigen Kontrolle Abstand. Dazu sind im
Einzelnen folgende Erwägungen maßgeblich:
aa) Das stählerne Gestänge der Tribüne stellt eine objektive Gefahrenstelle für alle
diejenigen dar, die sich unter der Tribüne aufhalten. Die Fotokopien der Lichtbilder zeigen
eine aus zahlreichen waagerechten und senkrechten Vierkantrohren verschiedener Länge
bestehende Stahlkonstruktion, die nicht nur Stolpergefahren, sondern auch die Gefahr, sich
beim Sturz durch den harten Aufprall ernsthaft zu verletzen, in sich birgt. Entgegen der
Auffassung des Landgerichts übersteigt die von der Tribüne ausgehende Gefahr das
allgemeine Risiko bei weitem, welchem sich Kinder bei körperlichen Aktivitäten,
insbesondere beim Spielen im Bereich von Treppen unvermeidbar aussetzen: Eine Treppe
lädt nicht zum Klettern ein. Darüber hinaus sind die Gefahren einer Treppe selbst für kleine
Kinder eher beherrschbar, weil Treppenanlagen im öffentlichen und privaten Umfeld
gewissermaßen allgegenwärtig angetroffen werden. Mithin haben Kinder von Beginn ihrer
ersten Gehversuche an Gelegenheit, sich mit den Gefahren einer Treppe intuitiv vertraut zu
machen. Auch der Vergleich mit Spielgeräten auf einem Spielplatz trifft nicht den Kern, da
die bestimmungsgemäß zum Klettern und Spielen aufgestellten Einrichtungen spezifischen
Sicherheitsanforderungen genügen müssen.
bb) Aus Sicht eines Kindes erweckt das Gestänge der Tribüne einen ausgesprochenen
Anreiz zum Spielen: Der Senat teilt die Auffassung der Berufung, wonach der Unterbau der
Tribüne aus der Sicht eines Kindes die Merkmale eines Klettergerüstes erfüllt und einen
Höhleneffekt vermittelt.
cc) Für die richtige Bestimmung der am konkreten Unfalltag geschuldeten
Verkehrssicherung ist weiterhin von Bedeutung, dass die Halle dem Veranstalter zum
Zwecke eines Jugendfußballturniers überlassen wurde. Nach der glaubhaften Aussage der
Zeugin S. nahmen vier bis sechs Mannschaften mit fünf bis acht Kindern im Alter zwischen
vier und sechs Jahren teil. Es befanden sich – ohne Berücksichtigung der Kinder, die wie die
Klägerin nur zum Zuschauen in der Halle waren – nach vorsichtiger Einschätzung
zumindest 20 unmittelbar am Turnier teilnehmende Kinder in der Halle, von denen jeweils
allenfalls die Hälfte zeitgleich in das Spielgeschehen eingebunden war. Die Kinder mussten
die spielfreien Intervalle im Innenraum der Halle überbrücken. Angesichts dieser Situation
hat die Auffassung des Landgerichts keinen Bestand, die verkehrssicherungspflichtige
Beklagte habe darauf vertrauen dürfen, dass zumindest die in der Halle anwesenden
Aufsichtspflichtigen die Kinder von einem Betreten der Tribünenunterkonstruktion abhalten
würden: Es widerspricht der Lebenserfahrung, dass vor allem Kinder der vorgenannten
Altersstufe längere Zeit ruhig auf einer Bank am Spielfeldrand sitzen bleiben. Auch konnte
die Beklagte vernünftigerweise nicht erwarten, dass alle in der Halle anwesenden Kinder in
der Begleitung einer Aufsichtsperson erschienen.
dd) Entgegen der Auffassung des Landgerichts waren die Anforderungen an eine
ausreichende Verkehrssicherung nicht mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden.
Bereits die tatsächliche Prämisse des Landgerichts trifft nicht zu: In der konkreten Situation
war die gebotene Verkehrssicherung nicht allein durch aufwändige, technische
Umbaumaßnahmen an den Tribünen selbst zu erreichen. Auch eine hinreichende Aufsicht
im Hallenraum hätte den Gefahren wirksam begegnet. Letztlich kann die fehlende
Finanzkraft der öffentlichen Hand ebenso wenig wie das Interesse, öffentliche Einrichtungen
bestimmungsgemäß zu benutzen, eine Rechtfertigung dafür sein, Kinder erheblichen
Gefahren auszusetzen.
c) Ohne Erfolg wendet die Beklagte ein, sie habe sich zu Lasten der Streitverkündeten
hinsichtlich der Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflichten freigezeichnet:
aa) Die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf einen anderen bedarf der klaren
Absprache, die die Sicherung der Gefahrenquelle zuverlässig garantiert; auch nach der
Delegation der Verkehrssicherung bleibt der Eigentümer zur Kontrolle und Überwachung
verpflichtet (BGHZ 142, 233; 110, 114, 121 f.; Urt. v. 17.1.1989 – VI ZR 186/88, NJW-RR
1989, 394; OLG Nürnberg, VersR 1996, 900; Palandt/Sprau, § 823 Rdnr. 50, 52). Zwar
sind die Anforderungen an die Kontrollpflicht nicht zu überspannen: Ohne konkrete
Anhaltspunkte auf bestehende Sicherheitsrisiken darf sich der Eigentümer auf eine
Überprüfung der wesentlichen Aspekte beschränken.
bb) Bereits das erste Kriterium einer wirksamen Freizeichnung ist nicht hinreichend
dargetan: Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer
Verkehrssicherungspflichten zu Lasten der Streitverkündeten explizit freigezeichnet hat. Die
Haftungserklärung (Bl. 22 f. d. A.) enthält an keiner Stelle einen Hinweis darauf, dass die
Beklagte von den jeweiligen Hallenbenutzern eine Übernahme der dem Hallenbetreiber
obliegenden Verkehrssicherungspflichten erwartet. Die Funktion der Haftungserklärung
besteht ausschließlich darin, sich in pauschaler Weise von der eigenen Haftung
freizuzeichnen ohne aufzuzeigen, dass die Beklagte gewissermaßen als Gegenleistung für
die Freizeichnung eine eigene Verkehrssicherung durch die Veranstalter erwartet. Erst
recht fehlt es an einer Beschreibung, welche konkreten Sicherungsmaßnahmen ein
Hallenbetreiber ergreifen muss.
c) Letztlich steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Beklagte zumindest am
fraglichen Unfalltag – eine wirksame Delegation der Verkehrssicherungspflichten unterstellt
– ihren verbleibenden eigenen Kontroll- und Überwachungspflichten nicht nachkam: Die
Zeugin S. hat glaubhaft ausgesagt, sie habe den Hausmeister noch nie, insbesondere nicht
am Unfalltag in der Halle gesehen. Diejenigen Kinder, die gerade nicht gespielt hätten, seien
in der Halle umhergerannt. Niemand habe den Kindern gesagt, dass sie nicht unter die
Tribüne laufen sollten. Die Aussage steht mit der ebenfalls glaubhaften Aussage des
Zeugen H. im Einklang. Auch dieser Zeuge hat bestätigt, dass in der Sporthalle regelmäßig
beim Kindersport ein reges Treiben herrschte, welches die Gefahr von Verletzungen
manifest heraufbeschwor („ich kann gar nicht sagen, was alles passiert, insbesondere was
die Kinder veranstalten, wenn jeweils die andere Mannschaft spielt“). Offensichtlich war
selbst der Zeuge – obwohl er sich nach Kräften bemühte – außer Stande, diesem Treiben
Einhalt zu gebieten. Diesen Schluss legt die Aussage des Zeugen nahe, wonach er sich
gedacht habe, „was müssen die Kinder einen guten Schutzengel haben“. Schließlich konnte
sich der Zeuge nicht mehr erinnern, ob er am Unfalltag überhaupt in der Halle war.
Zusammenfassend zeigt das Ergebnis der Beweisaufnahme erhebliche Defizite in der
Verkehrssicherung der Sporthalle auf: Zum Schutz der Kinder ist es nicht hinzunehmen,
dass sich die Beklagte auf eine förmliche Übertragung der Verkehrssicherungspflicht
zurückzieht, obwohl für alle Verantwortlichen mit Händen zu greifen war, dass vor allem
Veranstalter von Jugendturnieren ihrer Pflicht zur Verkehrssicherung nicht hinreichend
nachkamen. Der letzte Aspekt begründet zugleich den Fahrlässigkeitsvorwurf i. S. des §§
839 Abs. 1, 823 Abs. 1 276 Abs. 2 BGB.
4. Weiterhin ist die Haftung der Beklagten nicht deshalb zu mindern, weil sich die
gesetzliche Vertreterin der Klägerin eine Verletzung der ihr selbst obliegenden
Aufsichtspflicht vorwerfen lassen müsste. Da § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB eine
Rechtsgrundverweisung enthält, kommt eine Zurechnung einer elterlichen Pflichtverletzung
im Regelfalle nur dann in Betracht, wenn zwischen dem Aussichtsbedürftigen und dem
Schuldner der Verkehrssicherungspflicht eine Sonderverbindung besteht
(MünchKomm(BGB)/Wagner, 4. Aufl., § 832 Rdnr. 7). Daran fehlt es hier: Ein
Schuldverhältnis zwischen der Beklagten und der Mutter der Klägerin, welches die Erfüllung
von Aufsichtspflichten zum Gegenstand hat, ist nicht ersichtlich.
5. Schließlich ist der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen
Gesundheitsbeeinträchtigung und Verkehrspflichtverletzung nachgewiesen. Nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass sich die Klägerin die im
Krankenhaus diagnostizierten erheblichen Verletzungen beim Spielen im Bereich der
Tribüne zuzog.
a) Die Überzeugung des Senats beruht zum einen auf der Aussage der Klägerin. Diese hat
glaubhaft bestätigt, sie habe in der Halle Fangen gespielt und sei unter der Bühne durch
gelaufen. Dabei sei die auf eine Stange gefallen und habe an der Brust und auf der linken
Seite Schmerzen verspürt. Sie habe keine Luft mehr bekommen, sei danach bis zur Tür
gekrabbelt und dort ruhig sitzen geblieben. Die Zeugin S. habe die Klägerin schon von der
Halle aus ins Krankenhaus fahren wollen, was die Klägerin jedoch abgelehnt habe. Zuhause
angekommen habe die Klägerin sich weiter krank gefühlt. Dann sei ins Krankenhaus
gefahren.
b) Die Aussage steht in Einklang mit der gleichfalls glaubhaften Aussage der Zeugin S..
Zwar hat diese Zeugin den Sturz der Klägerin nicht mit eigenen Augen gesehen. Dennoch
hat sie das auffällige Verhalten der Klägerin in der Sporthalle bestätigt und bekundet,
zusammen mit der Mutter der Klägerin noch am gleichen Tag ins Krankenhaus gefahren zu
sein. Anhaltspunkte dafür, dass die im Krankenhaus diagnostizierten Verletzungen auf einer
anderen Ursache beruhen könnten, sind bei dieser Beweislage nicht ersichtlich.
6. Zum Ausgleich der erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigungen erachtet der Senat ein
Schmerzensgeld von 10.000 EUR für erforderlich, aber auch für ausreichend:
a) Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist von folgenden Grundsätzen auszugehen.
Das Schmerzensgeld verfolgt vordringlich das Ziel, dem Geschädigten einen
angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden zu bieten, die nicht vermögensrechtlicher
Art sind (Ausgleichsfunktion). Daneben trägt die Anerkennung eines Schmerzensgeldes
dem Gedanken Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für
das, was er ihm angetan hat (vgl. BGHZ 18, 149 (154 ff); Geigel-Pardey, Der
Haftpflichtprozess, 24. Auflage, Kap. 7, Rdnr. 35; Hacks/Ring/Böhm,
Schmerzensgeldbeträge, 22. Auflage, S. 10 f; Slizyk, Beck’sche Schmerzensgeld-Tabelle,
4. Auflage, S. 5).
Für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe sind Größe, Heftigkeit und Dauer der
Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichen Kriterien (vgl. BGHZ 18, 149 (154);
Slizyk, aaO., S. 7). Als objektivierbare Umstände besitzen vor allem die Art der
Verletzungen, Art und Dauer der Behandlungen sowie die Dauer der Arbeitsunfähigkeit (vgl.
Slizyk, aaO., S. 7) ein besonderes Gewicht. Hierbei zählen das Entstehen von
Dauerschäden, psychischen Beeinträchtigungen und seelisch bedingten Folgeschäden zu
den maßgeblichen Faktoren (Hacks/Ring/Böhm, aaO., S. 10 f; Geigel-Pardey, aaO., Kap. 7,
Rdnr. 37 ff).
Darüber hinaus sind die speziellen Auswirkungen des Schadensereignisses auf die konkrete
Lebenssituation des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. Slizyk, aaO., S. 7; Geigel-Pardey,
aaO., Kap. 7, Rdnr. 37 ff). Hierbei kommt es naturgemäß auch auf das Alter des
Geschädigten an: Die Beeinträchtigung wird nicht in jedem Lebensalter gleich gravierend
empfunden (vgl. Slizyk, aaO., S. 8 – 11). Wegen der Genugtuungsfunktion sind ferner das
Maß des Verschuldens des Schädigers, die Höhe eines Mitverschuldens des Verletzten
sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Seiten heranzuziehen (vgl. Hacks/Ring/Böhm,
aaO., S. 11 u. 12 f; Slizyk, aaO., S. 14 – 28).
Bei der Schmerzensgeldbemessung verbietet sich eine schematische, zergliedernde
Herangehensweise. Einzelne Verletzungen bzw. Verletzungsfolgen dürfen nicht gesondert
bewertet und die so ermittelten Beträge addiert werden. Vielmehr ist die
Schmerzensgeldhöhe in einer wertenden Gesamtschau aller Bemessungskriterien des
konkreten Falls zu ermitteln, wobei die in vergleichbaren Fällen zugesprochenen
Schmerzensgelder einen gewissen Anhaltspunkt bieten können, ohne jedoch zwingend zu
einer bestimmten „richtigen“ Schmerzensgeldhöhe zu führen (vgl. BGH, VersR 1976, 967;
VersR 1986, 59; Slizyk, aaO., S. 7; Geigel-Pardey, aaO., Kap. 7, Rdnr. 54).
b) Im Einzelnen sind im vorliegend zu beurteilenden Fall folgende Aspekte maßgeblich:
Nach den ärztlichen Feststellungen, deren Richtigkeit nicht in Zweifel gezogen wird, zog
sich die Klägerin bei ihrem Sturz an drei Stellen eine Nierenruptur sowie eine Ruptur des
Harnleiters zu. Sie musste sich vom Unfalltag an ca. anderthalb Monate in stationäre
Behandlung begeben. Im Klinikum S1 wurde eine Reihe von Operationen erforderlich.
Gerade im kindlichen Alter wird ein Krankenhausaufenthalt, der notwendigerweise mit einer
Trennung von der Familie und der vertrauten Umgebung verbunden ist, als besonders
belastend empfunden. Denn einem Kind fehlt regelmäßig die Einsicht, dass der
Krankenhausaufenthalt vernünftig und im Dienste der Wiederherstellung der Gesundheit
einem positiven, erstrebenswerten Ziel dient. Noch bis Anfang Mai 2003 litt die Klägerin
unter erheblichen Fieberattacken, die eine wochenlange Medikation mit Antibiotika
erforderlich werden ließ. Nach der glaubhaften Aussage der Mutter der Klägerin befindet
sich die Klägerin noch heute – drei Jahre nach dem Unfall – wegen der Verletzungsfolgen in
ärztlicher Behandlung. All dies rechtfertigt ein Schmerzensgeld, welches das in der
Rechtsprechung zum Ausgleich etwa vollständig ausgeheilter Verletzungen, insbesondere
Knochenbrüchen zuerkannte deutlich übersteigt. Ein höheres Schmerzensgeld kommt zum
gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in Betracht, da nicht abzuschätzen ist, ob die Klägerin
Dauerschäden davontragen wird. Auch ist nicht bewiesen – und demnach bei der
Schmerzensgeldsberechnung nicht berücksichtigungsfähig – ob die in der mündlichen
Verhandlung angesprochene starke Gewichtszunahme der Klägerin auf eine
unfallursächliche Schädigung der Nebennieren zurückzuführen ist (zur Kasuistik wurden
folgende Entscheidungen herangezogen: Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 23.
Aufl., Nr. 1977, Nr. 2028, Nr. 2086, Nr. 2093; OLGR Celle 2005, 2006; OLG Hamm NZV
2006, 35).
7. Auch die auf Feststellung gerichtete Klage ist begründet: Das erforderliche
Feststellungsinteresse der Klägerin leitet sich aus der verjährungshemmenden Wirkung
einer auf Feststellung gerichteten Klage her (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). An den Nachweis
künftiger, der Verjährung unterliegender Ansprüche sind keine strengen Anforderungen zu
stellen. So genügt es, wenn dem Kläger aus der Verletzung eines absoluten Rechtsgutes
künftig auch nur entfernt ein wie auch immer gearteter Schaden droht (BGH, Urt. v.
16.1.2001 – VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431 f.; Zöller/Greger, aaO., § 256 Rdnr. 8a).
Diese Schwelle wird im vorliegenden Fall überschritten.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war
nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und die
Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).