Urteil des OLG Saarbrücken vom 01.07.2008

OLG Saarbrücken: psychotherapeutische behandlung, schmerzensgeld, grundsatz der prozessökonomie, strafverfahren, vergewaltigung, fahrtkosten, gaststätte, körperverletzung, rechtshängigkeit, anhörung

OLG Saarbrücken Urteil vom 1.7.2008, 4 U 392/07 - 130
Schmerzensgeld: Bemessung unter vorrangiger Berücksichtigung einer Vergewaltigung und
von Stichwunden
Leitsätze
Schmerzensgeld wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat
Tenor
1. Unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wird auf die Berufung des
Beklagten das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29. Juni 2007 – 12 O 313/06 –
abgeändert und wie folgt neu gefasst:
a. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von
25.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz
hieraus seit dem 23.9.2006 zu zahlen.
b. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von
2.015,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz hieraus seit dem 23.9.2006 zu zahlen.
c. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin nicht anrechenbare
vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 583,13 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem
23.9.2006 zu zahlen.
d. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Klägerin 38% und der Beklagte
62%; von den Kosten des Berufungsrechtszugs tragen die Klägerin 17%, der Beklagte
83%.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird
nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn
nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Zwangsvollstreckung in Höhe von 120%
des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 32.483,14 EUR festgesetzt.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die im Jahr 1982 geborene Klägerin den Beklagten auf
Schadensersatz und Zahlung von Schmerzensgeld wegen einer Körperverletzung in
Anspruch.
Der Beklagte betrieb eine Gaststätte in , in dem die Klägerin, die die Schule
besuchte, um das Fachabitur zu erwerben, ein- bis zweimal die Woche als Kellnerin
arbeitete.
Auf Betreiben des Beklagten trafen sich die Parteien am 11.8.2005 gegen 12:00 Uhr in
der Gaststätte, die erst ab 17:00 Uhr für die Öffentlichkeit geöffnet wurde. Beide Parteien
konsumierten größere Mengen Alkohol und spielten verschiedene Spiele, in deren Verlauf
die Klägerin Teile ihrer Kleidung ablegte. Sodann begaben sich die erheblich alkoholisierten
Parteien in die unmittelbar an die Gaststätte angrenzende Wohnung des Beklagten. Hier
kam es zum Geschlechtsverkehr.
Der Beklagte wurde vom Landgericht Saarbrücken mit Urteil vom 10.5.2006 rechtskräftig
wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe sich der Aufforderung des Beklagten, ihn zu küssen,
verweigert. Daraufhin habe der Beklagte ihr eine CO-Pistole vorgehalten und angekündigt,
er werde die Klägerin umbringen, wenn sie nicht täte, was er wolle. Der Beklagte habe die
Klägerin mit einem Seil gefesselt. Als der Beklagte durch Klingeln an der Tür abgelenkt
gewesen sei, sei es der Klägerin gelungen, die Fesseln zu lösen. Der Beklagte habe ihr den
Weg abgeschnitten und sie erneut mit Seilen und Klebeband an den Händen gefesselt. Im
weiteren Verlauf der Auseinandersetzung habe der Beklagte die Klägerin mit einem
Küchenmesser bedroht und sie wiederum, dieses Mal an den Beinen unterhalb der Knie,
gefesselt. Trotz der Drohung mit dem Messer habe sich die Klägerin zur Wehr gesetzt.
Hierauf habe der Beklagte die Klägerin mit dem Messer zunächst von vorne in den Bauch
und dann heftig in den Rücken gestochen. Hierbei sei eine Stichverletzung von einer Tiefe
von 7 cm entstanden. Da die Klägerin um ihr Leben gefürchtet habe, habe sie ihre
Verweigerungshaltung aufgegeben und sei sodann von dem Beklagten vergewaltigt
worden.
Die Klägerin habe bei diesem Vorfall folgende Verletzungen erlitten: Fesselungsmale an
beiden Gelenken, Schürfwunden an Beinen und Armen, einen Flankenstich in den Rücken
von circa 7 bis 8 cm Tiefe und eine oberflächliche Stichverletzung im Unterbauch. Die
Klägerin sei am 11.8.2005 ins Krankenhaus eingeliefert worden und habe nach Versorgung
der Wunden am 12.8.2005 das Krankenhaus in weitere häusliche Betreuung verlassen
können. Die mit dem Messerstich verbundene Verletzung habe bis zum 28.8.2005
geschmerzt. Danach sei eine Besserung eingetreten. Beim Liegen, Bücken oder Heben
träten jedoch immer noch Schmerzen auf. Die Klägerin leide unter erheblichen psychischen
Problemen, die sich in Antriebslosigkeit, Konzentrationsproblemen, Schlafstörungen und
Angstzuständen ausdrücken würden. Seit dem 13.10.2005 befinde sich die Klägerin in
Therapie.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass zum Ausgleich der erlittenen immateriellen
Schäden ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 EUR angemessen sei.
Weiterhin sei der Klägerin ein Sachschaden in Höhe von 3.289,14 EUR entstanden.
Hinsichtlich der Darlegung der einzelnen Schadenspositionen wird auf Seite 4 und 5 der
Klageschrift Bezug genommen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen,
a. ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld,
mindestens jedoch 40.000 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 12.8.2005 zu
zahlen;
b. Schadensersatz in Höhe von 3.289,14 EUR nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit
der Klage zu zahlen;
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche
materiellen und immateriellen Schäden aufgrund der Vergewaltigung vom
11.8.2005, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind, zu
ersetzen.
Dem ist der Beklagte entgegengetreten. Der Beklagte hat sich mit Nichtwissen zu den
behaupteten Vorgängen erklärt und eingewandt, dass er sich aufgrund seiner starken
Alkoholisierung nicht mehr an Einzelheiten erinnern könne.
Das Landgericht hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 EUR zugesprochen und
Ersatz der materiellen Schäden in Höhe von 2.483,14 EUR sowie Kostenerstattung
vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 637,42 EUR zuerkannt. Auf den Inhalt der
angefochtenen Entscheidung wird auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellung
gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung erstrebt der Beklagte die vollständige Abweisung
der Klage. Der Beklagte rügt zunächst, das Landgericht hätte nicht allein aus dem Inhalt
der beigezogenen Strafakten den vollständigen Nachweis des klägerischen Vortrags
ableiten dürfen. Der Beklagte erinnere sich im Hinblick auf seine erhebliche
Blutalkoholkonzentration nicht an alle Einzelheiten des Herganges. Ein Bestreiten mit
Nichtwissen sei in diesem Zusammenhang auch in Bezug auf eigene Handlungen und
Wahrnehmungen ausnahmsweise zulässig, da gerade mit Blick auf die gegebene
Blutalkoholkonzentration nach der Lebenserfahrung glaubhaft sei, dass sich der Kläger an
die Vorgänge im Einzelnen nicht mehr erinnern könne.
Der Beklagte wolle das Geschehen weder negieren noch verharmlosen. Nichtsdestotrotz
sei das zugesprochene Schmerzensgeld überhöht.
Auch hinsichtlich der geltend gemachten materiellen Schadenspositionen seien die
Feststellungen des Landgerichts rechtsfehlerhaft. Das Landgericht habe die vom Beklagten
in vollem Umfang im Einzelnen bestrittenen Schadenspositionen ohne Beweisaufnahme im
Wege der richterlichen Schätzung gemäß § 287 ZPO zugesprochen. So habe die Klägerin
insbesondere die entstandenen Fahrtkosten nicht einmal ansatzweise substantiiert
dargelegt. Erst recht habe sie keinen Beweis dafür angeboten, dass und zu welchen
Terminen insgesamt 80 Sitzungen Psychotherapie durchgeführt worden seien. Ebenso
wenig seien die Fahrten zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus, noch die Fahrten zur
Frauenhilfe substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt worden. Hinsichtlich
des angeblichen Verdienstausfalles sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin anlässlich der
Hauptverhandlung im Strafverfahren im Mai 2006 selbst angegeben habe, bereits seit
längerem wieder als Kellnerin zu arbeiten.
Der Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des am 29.6.2007 verkündeten Urteils des
Landgerichts Saarbrücken – 12 O 313/06 – den Rechtsstreit zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht
Saarbrücken zurückzuverweisen, hilfsweise, das vorbezeichnete
Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie vertritt die Auffassung, das im
Strafverfahren ergangene Urteil des Landgerichts stelle ein geeignetes Beweismittel dar
und könne im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden. Die psychotherapeutische
Behandlung sei bis auf weiteres abgeschlossen. Es hätten insgesamt 57 Therapiesitzungen
stattgefunden, woraus Fahrtkosten in Höhe von 712,50 EUR resultierten. Zur
Substantiierung dieser Schadenspositionen nimmt die Klägerin auf eine Bescheinigung der
Dipl.-Psychologin E. D.- M. Bezug.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Berufungsbegründung (Bl. 100 ff. d. A.) sowie die Schriftsätze des Beklagtenvertreters
vom 16.5.2008 (Bl. 147 ff. d. A.) und 5.6.2008 (Bl. 152 f. d. A.) Bezug genommen.
Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll (Bl. 154 ff.)
verwiesen. Weiter wird auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten
Akten 42 VRs 14 Js 108/05 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken Bezug genommen.
II.
A. Die Berufung ist zulässig. Die Rechtskontrolle ist ausschließlich auf die Zuerkennung der
Leistungsanträge beschränkt. Soweit das Landgericht den Feststellungsantrag übergangen
hat (die Entscheidungsgründe befassen sich mit der Zulässigkeit des Feststellungsantrags,
nehmen allerdings zur Begründetheit keine Stellung, weshalb nicht davon auszugehen ist,
dass sich die in Ziff. IV der Urteilsformel enthaltene Klageabweisung auch auf den
Feststellungsantrag bezieht), ist die Entscheidung einer Rechtskontrolle des Senats
entzogen:
Da nach Ablauf der in § 321 Abs. 2 ZPO angeordneten Frist die Rechtshängigkeit des
übergangenen Anspruchs erloschen war, hätte der übergangene Teilstreitgegenstand im
Wege der Klageerweiterung in die Berufungsinstanz eingeführt werden können (vgl. BGH,
Urt. v. 29.11.1991 – I ZR 45/89, NJW 1991, 1684 – Anspruchsmehrheit I; RGZ 59, 128,
130; Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 321 Rdnr. 43; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 321
Rdnr. 14; Musielak/Musielak, ZPO, 5. Aufl., § 321 Rdnr. 10;Zöller/Gummer/Heßler, 26.
Aufl., § 528 Rdnr. 13). Diesen Weg hat die Klägerin nicht gewählt: Sie hat weder durch
Einlegung einer selbstständigen Berufung, die sich freilich zunächst in zulässiger Weise
gegen den Ausspruch der erstinstanzlichen Entscheidung hätte richten müssen, im Wege
der Klageerweiterung den übergangenen Anspruch in die Entscheidung des Senats gestellt,
noch das Rechtsschutzziel – die erneute Rechtshängigkeit des Feststellungsanspruchs –
durch Einlegung einer Anschlussberufung weiterverfolgt.
Die Voraussetzungen, unter denen ein Berufungsgericht vor dem Hintergrund des § 308
Abs. 1 ZPO in rechtskonformer Weise den übergangenen Restanspruch „heraufziehen“
kann, liegen nicht vor: So ist es zum einen anerkannt, dass das Berufungsgericht im Fall
eines unzulässigen Teilurteils aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit den erstinstanzlich
begangenen Verfahrensfehler dadurch beheben darf, dass es den in der Ausgangsinstanz
anhängig gebliebenen Teil an sich zieht und zumindest dem Grunde nach über ihn
entscheidet (seit BGH, Urt. v. 19.11.1959 – VI ZR 93/59, NJW 1960, 339 st. Rspr., vergl.
nur BGH, Urt. v. 13.10.2000 – V ZR 356/99, NJW 2001, 78; Urt. v. 12.1.1994 – XII ZR
167/92, WM 1994, 864; Urt. v. 10.10.1994 – III ZR 93/90, NJW 1992, 511;
Zöller/Gummer/Heßler, aaO., § 538 Rdnr. 55; a.A. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., §
540 Rdnr. 7). Zum anderen kann das Rechtsmittelgericht nach Erlass eines unzulässigen
Teilurteils im Falle der Anspruchshäufung den in der unteren Instanz anhängig gebliebenen
Leistungsanspruch abweisen, wenn es zu der Ansicht gelangt, dass der durch das
Rechtsmittel verfolgte Feststellungsanspruch nicht besteht (BGHZ 30, 215). Beide
Fallkonstellationen liegen nicht vor.
Mithin ist es dem Senat verwehrt, die Versäumung der aufgezeigten prozessualen
Optionen der Klägerin allein unter Rückgriff auf den Grundsatz der Prozessökonomie durch
Bescheiden des nicht mehr rechtshängigen Feststellungsantrags auszugleichen.
B. Die Berufung hat im tenorierten Umfang teilweise Erfolg: Zwar hat das Landgericht frei
von Beanstandungen festgestellt, dass der Beklagte gem. § 253 Abs. 2, § 823 Abs. 1,
Abs. 2 i.V.m. §§ 177, 223, 224 StGB verpflichtet ist, der Klägerin zum Ausgleich der
erlittenen materiellen und immateriellen Schäden Schadensersatz zu leisten (1.).
Hinsichtlich des Umfangs des zuerkannten Schadensersatzes war die angefochtene
Entscheidung jedoch zu korrigieren: Der Senat erachtet zum Ausgleich der immateriellen
Schäden ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 EUR für angemessen (2.). Zum
Nachweis der materiellen Schäden hat das Landgericht ein zu geringes Beweismaß
zugrunde gelegt: Auch unter Berücksichtigung des abgeschwächten Beweismaßes des §
287 ZPO ist der Klägerin der ihr obliegende Schadensbeweis lediglich hinsichtlich eines
Schadensersatzanspruchs in Höhe von insgesamt 2.578,77 EUR (Urteilsziffer 1b) und c))
gelungen (3.).
1. Das Landgericht hat den haftungsbegründenden Tatbestand für bewiesen erachtet und
hierzu festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin mit einem Messer zwei
Stichverletzungen in den Bauch und in den Rücken zufügte und sie anschließend unter
Ausnutzung ihrer Angst vor weiteren Verletzungen durch Drohung mit gegenwärtiger
Gefahr für Leib und Leben vergewaltigte.
a) Diese Feststellungen binden den Senat bereits deshalb, weil der Beklagte den Kern der
von ihm begangenen Körperverletzung nicht wirksam bestritten hat. Mithin sind die
Feststellungen bei genauer Betrachtung unstreitig geblieben. Denn der Beklagte hat sich
erstinstanzlich eingelassen, er könne sich aufgrund seiner damaligen starken
Alkoholisierung nicht sicher an die Einzelheiten erinnern, bevor und als es zum
Geschlechtsverkehr gekommen sei. Auch zu den von der Klägerin vorgetragenen
Verletzungen, insbesondere den Fesselungsmalen, den Schürfwunden und den
Flankenstichen im Rücken, könne er sich nur mit Nichtwissen erklären. Dennoch wollte der
Beklagte seinen Prozessvortrag nicht so verstanden wissen, dass er jegliche Erinnerung
verloren habe. Er stellte ausdrücklich heraus, dass er das Geschehen „weder negieren
noch verharmlosen“ wolle (Bl. 105 d. A.). Im ersten Rechtszug hat er um einen
richterlichen Hinweis gebeten, falls das Gericht das pauschale Bestreiten für unzulässig
erachten würde, sondern die Auffassung vertrete, dass jeder einzelne Vorgang gesondert
bestritten werden müsse. Dieser Prozessvortrag erlaubt den Schluss, dass sich der
Beklagte hinsichtlich der Tatumstände nur partiell auf eine alkoholbedingte Amnesie
zurückziehen wollte. Bei dieser Sachlage war der Beklagte jedoch gehalten, das ihm in
Erinnerung gebliebene Tatgeschehen detailgenau zu beschreiben. Hierzu hätte der Beklagte
der Schilderung der Klägerin seine eigene Sicht des Geschehens gegenüberstellen müssen.
Dieser ihm obliegenden Darlegungslast ist der Beklagte mit der Rechtsfolge des § 138 Abs.
3 ZPO nicht nachgekommen.
Dass der Beklagte zu einer geschlossenen Darstellung des Geschehens durchaus in der
Lage war, belegen die Ergebnisse des beigezogenen Strafverfahrens. Der Angeklagte hat
sich sowohl im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung vom 12.8.2005 (Beiakte Bl. 66
ff.) und im Haftprüfungstermin vom 31.8.2005 vor dem Amtsgericht Saarbrücken (Beiakte
Bl. 138 ff.) ausführlich zur Sache eingelassen und detailliert ausgesagt. Noch im Termin zur
Hauptverhandlung vor dem Landgericht hat der Beklagte nach den Feststellungen im
Tatbestand des Strafurteils, deren Richtigkeit nicht bestritten wird, eingeräumt, die Pistole
auf die Klägerin gerichtet zu haben, um ihr einen Kuss zu erzwingen. Er habe die Klägerin
gefesselt und ihr den Mund zugeklebt. Schließlich habe er mit einem Messer auf die
Klägerin eingestochen und den Geschlechtsverkehr mit der Klägerin ausgeführt. Angesichts
dieser klaren Aussage im Strafverfahren ist es dem Beklagten im vorliegenden
Zivilverfahren verwehrt, sich in pauschaler Weise auf Erinnerungslücken zurückzuziehen.
b) Darüber hinaus werden die Feststellungen des Landgerichts mit der zum Beweis
erforderlichen Sicherheit gemäß § 286 ZPO von den Ergebnissen des Strafverfahrens
getragen: Die Verletzungen der Klägerin wurden noch am Tattag ärztlich dokumentiert
(Beiakte Bl. 25 ff.). Der Arztbericht ist ein geeignetes Beweismittel i.S. des § 416 ZPO. Es
besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass die ärztlichen Feststellungen über Art und
Umfang der Verletzungen der Wahrheit entsprechen. Auch die Genese der
Stichverletzungen und Schürfwunden stehen nach den Einlassungen des Beklagten im
Strafverfahren nicht ernsthaft im Streit.
c) Schließlich verhilft die aus einem unterlassenen Hinweis (§ 139 ZPO) hergeleitete
Verfahrensrüge der Berufung nicht zum Erfolg: Der Beklagte trägt nicht vor, welchen
Vortrag er im Falle eines aus Sicht des Beklagten gebotenen Hinweises gehalten hätte.
Damit ist nicht nachgewiesen, inwieweit die ergangene erstinstanzliche Entscheidung i.S.
des § 513 Abs. 1 ZPO auf dem behaupteten Verfahrensverstoß beruht.
2. Der Klägerin steht zum Ausgleich der erlittenen immateriellen Schäden ein
Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 EUR zu.
a) Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist von folgenden Rechtsgrundsätzen
auszugehen:
Das Schmerzensgeld verfolgt vordringlich das Ziel, dem Geschädigten einen
angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden zu bieten, die nicht vermögensrechtlicher
Art sind (Ausgleichsfunktion). Daneben trägt die Anerkennung eines Schmerzensgeldes
dem Gedanken Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten jedenfalls bei vorsätzlich
begangenen Straftaten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat (BGHZ 18,
149, 154 ff.; 120, 1, 4 f.; 128, 117, 120 f.; Urt. v. 16.1.1996 – VI ZR 109/95, NJW 1996,
1591; vgl. auch BGHZ 160, 298, 302; 161, 33, 35 f.; Hacks/Ring/Böhm,
Schmerzensgeldbeträge, 26. Aufl., S. 10 ff.; Slizyk, Beck’sche Schmerzensgeld-Tabelle, 5.
Auflage, S. 5 f.).
Für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe sind Größe, Heftigkeit und Dauer der
Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichen Kriterien (vgl. BGHZ 18, 149; 154;
Slizyk, aaO., S. 9). Als objektivierbare Umstände besitzen vor allem die Art der
Verletzungen, Art und Dauer der Behandlungen sowie die Dauer der Arbeitsunfähigkeit (vgl.
Slizyk, aaO., S. 7, 10) ein besonderes Gewicht. Hierbei zählen das Entstehen von
Dauerschäden, psychischen Beeinträchtigungen und seelisch bedingten Folgeschäden zu
den maßgeblichen Faktoren (Hacks/Ring/Böhm, aaO., S. 10 f.).
Darüber hinaus sind die speziellen Auswirkungen des Schadensereignisses auf die konkrete
Lebenssituation des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. Slizyk, aaO., S. 7). Auch die
beruflichen Folgen der Verletzung und ihre Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung des
Geschädigten sind Faktoren bei der Bemessung des Schmerzensgeldes. Wegen der
Genugtuungsfunktion sind ferner das Maß des Verschuldens des Schädigers, die Höhe
eines Mitverschuldens des Verletzten sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Seiten
heranzuziehen (vgl. Hacks/Ring/Böhm, aaO., S. 10 u. 12 f; Slizyk, aaO., S. 24 ff.).
Bei der Schmerzensgeldbemessung verbietet sich eine schematische, zergliedernde
Herangehensweise. Einzelne Verletzungen bzw. Verletzungsfolgen dürfen nicht gesondert
bewertet und die so ermittelten Beträge addiert werden. Vielmehr ist die
Schmerzensgeldhöhe in einer wertenden Gesamtschau aller Bemessungskriterien des
konkreten Falls zu ermitteln, wobei die in vergleichbaren Fällen zugesprochenen
Schmerzensgelder einen gewissen Anhaltspunkt bieten können, ohne jedoch zwingend zu
einer bestimmten „richtigen“ Schmerzensgeldhöhe zu führen (vgl. BGH, Urt. v. 8.6.1976 –
VI ZR 216/74, VersR 1976, 967 f.; Beschl. v. 1.10.1985 – VI ZR 195/84, VersR 1986, 59;
Slizyk, aaO., S. 7).
b) Angewandt auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt stehen bei der Bemessung
des Schmerzensgeldes die Stichverletzungen der Klägerin mit im Vordergrund. Desgleichen
war die Vergewaltigung der Klägerin zu berücksichtigen, die die Klägerin deshalb als
besonders erniedrigend empfinden musste, weil der Beklagte die Klägerin zuvor durch
Bedrohung für ihr Leib und Leben zum Beischlaf bestimmen wollte. Auch der Umstand,
dass der Beklagte die freie Willensbestimmung der Klägerin durch eine schmerzhafte
Fesselung überwinden wollte, fällt bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ins Gewicht.
Sodann litt die Klägerin nach dem Tatgeschehen unter psychischen Beeinträchtigungen, die
jedenfalls bis zum 21.1.2008 eine psychotherapeutische Behandlung erforderlich werden
ließ. Schließlich verlangt die Genugtuungsfunktion im vorliegenden Falle die Zuerkennung
eines empfindlichen Schmerzensgeldes. Andererseits ist in die Schmerzensgeldbemessung
einzubeziehen, des beide Parteien zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisiert waren und sich
die Klägerin aus freier Entscheidung in eine für sie erkennbar verfängliche Situation begab,
die – ohne dass dies der Klägerin zum Vorwurf gemacht werden kann – für sie nicht mehr
beherrschbar eskalierte.
Zusammenfassend erachtet der Senat die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes in Höhe
von 25.000 EUR zum Ausgleich der erlittenen immateriellen Beeinträchtigungen für
erforderlich, aber auch für hinreichend. Diese Schmerzensgeldhöhe entspricht der
vergleichbaren Kasuistik (OLG München, Urt. vom 9.12.2003 - 25 U 1538/03, zit. in
Hacks/Ring/Böhm, aaO., lfd. Nr. 26.2354; OLG Hamm, Urt. v. 29.12.2005 – 6 W 52/05
zit. nach juris; OLG Brandenburg Urt. v. 3.7.2002 - 13 U 96/01, zit. nach juris; OLG
Koblenz, NJW 1999, 1639; vgl. auch BGH, NJW 1996, 1591; der Sachverhalt des vom OLG
Frankfurt entschiedenen Falles, Urt. v. 9.9.2004 – 12 U 116/03 zit. nach juris, in dem ein
Schmerzensgeld von 85.000 DM zuerkannt wurde, unterscheidet sich vom vorliegenden
Fall: dort hatte der Täter das Opfer im Angesicht einer Leiche in extremer Weise erniedrigt
und zum Geschlechtsverkehr gezwungen und stundenlang in Todesangst gehalten).
3. Die Erstattungsfähigkeit der materiellen Schäden ist nur in Höhe eines Betrages von
2.598,77 EUR nachgewiesen:
a) Dass die Klägerin die am Tatort getragenen Kleidungsgegenstände nicht länger
benutzen konnte, liegt auf der Hand. Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung vor dem
Senat hat die Klägerin plausibel ausgesagt, dass sie nach dem Vorfall auch die damals
getragenen Schuhe und die Tasche nicht mehr ansehen konnte. Angesichts der moderaten
Einzelbeträge ist die Erstattungsfähigkeit dieser Schadenspositionen (Tasche, Uhr, Jeans, T-
Shirt, Unterwäsche, Schuhe) in Höhe von 230 EUR am Maßstab des § 287 ZPO
nachgewiesen.
b) Die Eigenanteile für Massagen und Transportleistungen werden in den Anlagen K 5 und K
6 (Bl. 11 f. d. A.), an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, nachgewiesen
(35,64 EUR). Auch die Kosten für Fahrten zur Psychotherapie begehrt die Klägerin mit
Recht: Der Senat sieht keine Veranlassung, die Richtigkeit der Bescheinigung der Diplom-
Psychologin D.- M. in Zweifel zu ziehen, die mit undatiertem Schreiben (Bl. 151 d. A.)
bestätigt hat, dass die Klägerin in der Zeit vom 13.10.2005 bis 21.1.2008 an insgesamt
57 Einzeltherapiesitzungen teilnahm. Der Schaden reduziert sich auf 712,50 EUR.
c) Auch die Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus und zur
Frauenhilfe nach (insgesamt 37,50 EUR) waren zuzuerkennen, nachdem die
Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat die Durchführung dieser Fahrten
glaubhaft bestätigt hat.
d) Allerdings sieht sich der Senat außer Stande, selbst unter Zugrundelegung des
abgeschwächten Beweismaßes des § 287 ZPO den Schadensnachweis der unter 2 f-i) der
Klageschrift (Bl. 4 d. A.) geltend gemachten Schadenspositionen als geführt zu betrachten:
Die Tatsachenfeststellung darf nicht unberücksichtigt lassen, dass keine Umstände
ersichtlich sind, weshalb der Klägerin die Vorlage von Belegen zum Nachweis dieser Kosten
nicht möglich ist. Auch die Fahrtkosten ihres Freundes sind nicht erstattungsfähig, da diese
Kosten nicht der Klägerin selbst entstanden sind und nicht dargelegt wird, dass der nicht
namentlich genannte Freund zum Kreis der nahen Angehörigen gehört, dessen Kosten den
erstattungsfähigen Heilkosten gleichzustellen sind (vgl. BGHZ 106, 28; Palandt/Heinrichs,
BGB, 67. Aufl., § 249 Rdnr. 9 mit weit. Nachw.).
e) Darüber hinaus war der Klägerin gemäß §§ 249, 252 Abs. 2 BGB Verdienstausfall
zuzusprechen. Die Klägerin hat nachvollziehbar dargelegt, dass sie aufgrund der Tat des
Beklagten für die Dauer von fünf Monaten außer Stande war, eine vergleichbare
Aushilfstätigkeit auszuüben (insgesamt: 1.000 EUR).
f) Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind nur im Rahmen des erstattungsfähigen
Schadensersatzbetrags, also auf der Grundlage einer Streitwerts von 27.015,64 EUR
auszugleichen. Zuzüglich einer Auslagenpauschale von 20 EUR und der beanspruchten
Mehrwertsteuer von 16% beträgt der 1,3-fache Gebührensatz 1.166,26 EUR. Da die
Klägerin nur die hälftige Erstattung dieses Betrages begehrt, waren ihr unter
Berücksichtigung von § 308 Abs. 1 ZPO lediglich 583,13 EUR zuzusprechen.
4. Der Zinsausspruch folgt aus §§ 247, 288, 291 BGB.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung
besitzt und weder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch die Fortbildung
des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).