Urteil des OLG Saarbrücken vom 24.03.2010

OLG Saarbrücken: stationäre behandlung, alkoholabusus, alkoholmissbrauch, private unfallversicherung, innere medizin, ärztliche behandlung, arglistige täuschung, anfechtung, schädelfraktur, hypertonie

OLG Saarbrücken Urteil vom 24.3.2010, 5 U 144/09 - 38
Private Unfallversicherung: Nachweis der Unfallursächlichkeit im Falle einer schweren
Kopfverletzung, arglistige Täuschung bei Leugnen einer ärztlich behandelten
Alkoholerkrankung mit Folgeschäden
Leitsätze
1. Wird ein Versicherungsnehmer mit schweren Kopfverletzungen auf dem Boden liegend
aufgefunden, so ist von einem versicherten Unfall auszugehen, auch wenn er den Hergang
des Geschehens nicht mehr darlegen kann.
2. Arglistig täuscht, wer auf die Frage nach erheblichen Krankheiten einen
Alkoholmissbrauch, den er leugnet, nicht angibt, wenn er von einem Arzt nachweislich
mehrfach auf die Problematik hingewiesen worden ist.
Tenor
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 161.056,95 Euro
festgesetzt.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger, vertreten durch seine rechtliche Betreuerin, nimmt die Beklagte aus
abgetretenem Recht auf Invaliditätsentschädigung aus einem privaten
Unfallversicherungsvertrag (Versicherungsschein-Nr. ... in Anspruch, den seine frühere
Ehefrau bei der Beklagten für sich selbst und den Kläger unterhalten hatte.
Der Kläger leitet seine Ansprüche aus einem Unfallgeschehen in der Nacht vom 12.10. auf
den 13.10.2006 ab, bei dem er sich durch einen Sturz schwere Kopfverletzungen – in
Form einer Schädelfraktur und einer Hirnblutung – zuzog, die einen stationären Aufenthalt
zunächst im Krankenhaus B, sodann im Universitätsklinikum C G O, D, und schließlich in der
Rehabilitationsklinik ... erforderlich gemacht hatten. Seine Invalidität stützt er auf hieraus
resultierende dauerhafte Funktionseinschränkungen in Form eines hirnorganischen
Psychosyndroms, von Sprach- und Schluckstörungen, Anfallsleiden, Stuhl- und
Harninkontinenz, Teillähmung der Gliedmaßen nach Schädel-Hirn-Trauma und
Sehminderung beidseitig. Der Kläger lebt seither im Pflegeheim. Seit Mitte 2007 ist
rechtliche Betreuung mit den Aufgabenbereichen Gesundheit, Vermögen und
Aufenthaltsbestimmung angeordnet; bis zum 24.5.2009 war seine frühere Ehefrau als
Betreuerin bestellt.
Die Einzelheiten des Unfallgeschehens, insbesondere dessen Ursachen, sind zwischen den
Parteien streitig. Der Kläger wurde am frühen Morgen von seiner Ehefrau im Hausflur auf
dem Boden liegend vorgefunden; er selbst kann sich weder hierzu, noch zu den
Umständen des Zustandekommens des Versicherungsvertrages äußern.
Dem Versicherungsvertrag lag der sowohl von der Ehefrau des Klägers als auch von dem
Kläger selbst unterzeichnete Antrag vom 13.9.2001 (Bl. 139 d. A.) zugrunde. Die im
Antragsformular aufgeführte Frage, ob die versicherten Personen (in den letzten 4 Jahren)
an körperlichen Fehlern, Gebrechen oder erheblichen Krankheiten leiden oder litten, wurde
verneint.
Im Rahmen der Leistungsprüfung teilte die Hausärztin des Klägers, ... Fachärztin für Innere
Medizin, der Beklagten mit Schreiben vom 7.3.2007 (Bl. 43 d. A.) unter anderem
Folgendes mit: "Ein erhöhter Alkoholkonsum war seit 1997, die Alkoholkrankheit seit 1999
bekannt. Im Rahmen der Alkoholkrankheit kam es seit 2005 zu mehreren epileptiformen
Anfällen, z. T. mit leichten bzw. auch schweren Verletzungen". Ausweislich des vorläufigen
Entlassungsberichts des Klinikums ... vom 12.12.2000 (Bl. 165 d. A.) zur stationären
Behandlung vom 5.12. bis 12.12.2000 litt der Kläger an "alkoholtox. Hepatose bei chron.
Alkoholabusus (evtl. ... alkoholtox. Hepatitis) – art. Hypertonie". Wegen der Hypertonie
wurde die Behandlung mit dem Medikament "Lozaar plus" empfohlen. Unter
"Bemerkungen" heißt es ferner: "Die vorgeschlagene Suchtberatung lehnte d. Pat. ab, ihm
wurde die Notwendigkeit der strikten Alkoholkarenz erklärt ...". Unstreitig hatte der Kläger
sich bereits im Jahr 2005 durch einen Sturz eine Schädelfraktur zugezogen.
Wegen der – verschwiegenen – Vorerkrankungen erklärte die Beklagte mit Schreiben vom
18.4.2007 (Bl. 32 d. A.) die Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger
Täuschung und lehnte Versicherungsleistungen ab; vorsorglich erklärte sie außerdem den
Rücktritt und die Kündigung zur nächsten Hauptfälligkeit, dem 1.12.2007.
Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger den Anspruch auf Invaliditätsleistung weiter,
wobei er seine Aktivlegitimation auf die Abtretung vom 8.8.2007 (Bl. 57 d. A.) stützt. Er
hat bestritten, bei Antragstellung falsche Angaben gemacht zu haben. Innerhalb der letzten
vier Jahre vor Antragstellung habe er nicht an erheblichen Krankheiten gelitten,
insbesondere hätten weder eine Alkoholerkrankung noch andere, durch Alkoholmissbrauch
bedingte Erkrankungen oder hierauf hindeutende Organschäden vorgelegen; eine
entsprechende Diagnose, die aufgrund der Komplexität der Erkrankung auch äußerst
schwer zu treffen sei, sei jedenfalls weder dem Kläger noch seiner Ehefrau vor
Antragstellung eröffnet worden. Eine nach anerkannten Verfahren durchgeführte Diagnostik
sei vor Antragstellung nicht – auch nicht anlässlich des stationären Aufenthalts vom 5.12.
bis 12.12.2000 – durchgeführt worden. Die leichte Hypertonie habe der Kläger nicht als
Krankheit eingestuft. Hinsichtlich der Schädelfraktur aus dem Jahr 2005 habe eine
Meldepflicht gemäß § 9 AUB nicht bestanden, da die behandelnden Ärzte davon
ausgegangen seien, dass diese folgenlos ausheile, so dass der Kläger von einer
Geltendmachung von Ansprüche aus der Unfallversicherung abgesehen habe. Dass die
Ehefrau des Klägers den Schädelbruch in der – von Seiten des Krankenhauses ausgefüllten
und den der Ehefrau lediglich unterschriebenen – Unfall-Schadenanzeige vom 28.10.2006
zunächst nicht angegeben habe, sei auf ein Versehen zurückzuführen; da die Angabe
nachgeholt worden sei, könne dies eine Leistungsfreiheit der Beklagten nicht nach sich
ziehen.
Der Ablauf des Unfallgeschehens sei nicht mehr nachvollziehbar. Als Möglichkeit komme ein
Sturz von der im Hausflur befindlichen Treppe in Betracht. Für das Vorliegen von
Alkoholeinfluss oder einer sonstigen Bewusstseinsstörung fehle es an jeglichen
Anhaltspunkten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 161.056,95 Euro zuzüglich Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 20.10.2007 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Aktivlegitimation des Klägers in Zweifel gezogen. Die Abtretungserklärung der
seinerzeit zur Betreuerin bestellten Ehefrau des Klägers sei wegen Verstoßes gegen das
Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB unwirksam. In der Sache hat sie an ihrer
Ansicht festgehalten, nicht zur Leistung verpflichtet zu sein. Es sei davon auszugehen, dass
die Verletzungen des Klägers auf einen epileptischen Anfall zurückzuführen seien. Deshalb
fehle es schon an einem Unfall im Sinne eines plötzlich und unerwartet von außen
wirkenden Ereignisses. Daneben hat die Beklagte sich nach der Ausschlussklausel des § 2
AUB 94 für leistungsfrei gehalten. Ungeachtet dessen sei sie, die Beklagte, wegen des
Verschweigens von Vorerkrankungen – einer bereits seit 1999 bekannten
Alkoholerkrankung, einer Epilepsie und einer Hypertonie – zur Anfechtung des
Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung berechtigt gewesen. Die Ehefrau des
Klägers habe mit Schreiben vom 15.11.2006 (Bl. 45 d. A.) selbst angegeben, dass der
Kläger seit ca. 5 Jahren alkoholkrank sei. Dass die Ehefrau des Klägers auch in der Unfall-
Schaden-Anzeige vom 28.10.2006 unrichtige Angaben gemacht, insbesondere den
ebenfalls zu einer Schädelfraktur führenden Unfall aus dem Jahr 2005 verschwiegen habe,
führe ebenfalls zur Leistungsfreiheit.
Dem hat der Kläger entgegen gehalten, seine frühere Ehefrau habe erst nach dem Unfall
von der behandelnden Hausärztin, ... erfahren, dass diese von einem Alkoholabusus
ausgehe. Auf deren Einschätzung sei auch der Hinweis der Ehefrau des Klägers in ihrem
Schreiben vom 15.11.2006 zurückzuführen.
Das Landgericht hat die Klage mit am 3.2.2009 verkündetem Urteil (Bl. 99 ff. d. A.)
abgewiesen, da bereits nicht schlüssig dargelegt sei, dass der Kläger einen Unfall im Sinne
der Unfallbedingungen erlitten habe. Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils Bezug.
Gegen dieses Urteil wendet der Kläger sich unter Aufrechterhaltung seines
erstinstanzlichen Vorbringens mit der Berufung und vertritt die Ansicht, das Landgericht
habe das Vorliegen eines bedingungsgemäßen Unfalls zu Unrecht verneint und dabei
außerdem gegen seine Hinweispflicht aus § 139 Abs. 2 ZPO verstoßen. Eine
Kopfverletzung dieses Ausmaßes sei ohne äußere Einwirkung nicht denkbar. Dass der Sturz
auf eine ungeschickte Eigenbewegung, einen epileptischen Anfall oder auf eine
Alkoholisierung des Klägers zurückzuführen sei, sei weder substantiiert vorgetragen noch
bewiesen; der zum Unfallort gerufene Notarzt habe eine Alkoholisierung nicht
dokumentiert. Die Beklagte könne sich deshalb auch nicht auf einen Ausschlussgrund
stützen. Darüber hinaus hält der Kläger daran fest, dass eine Alkoholerkrankung nicht
vorgelegen habe und sich auch nicht aus den Laborwerten schließen lasse. Jedenfalls fehle
es an einer Kenntnis des Klägers und seiner früheren Ehefrau; diese könne keine Angaben
dazu machen, ob und worüber der Kläger von den Ärzten informiert worden sei, weil sie an
den Arztgesprächen nicht teilgenommen habe. Selbst wenn zur Zeit der Antragstellung ein
erhöhter Alkoholkonsum vorgelegen haben sollte, so werde dies von einem Laien nicht
bereits als Krankheit, schon gar nicht als "erhebliche Krankheit" im Sinne des
Antragsformulars verstanden; dies umso mehr, als es in diesen Fällen typischerweise an
der Einsichtsfähigkeit fehle. Da die Beklagte sich in ihrer Anfechtungserklärung allein auf die
angebliche Alkoholerkrankung berufen habe, könne die – ungerechtfertigte – Anfechtung
wegen arglistiger Täuschung nicht nachträglich auch auf die Hypertonie gestützt werden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom
3.2.2009 – 14 O 114/08 – zu verurteilen, an den Kläger 161.056,95 Euro
zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit der erstinstanzlichen Klage zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Ergänzend trägt sie vor, dass die Hausärztin des
Klägers, ... schon im Jahr 1997 die ersten Anzeichen einer Alkoholerkrankung festgestellt
habe; schon damals seien die Leberwerte erhöht gewesen. Da der Kläger den
übermäßigen Alkoholgenuss zunächst in Abrede gestellt habe, habe die Hausärztin
regelmäßig die zum Nachweis eines Alkoholmissbrauchs dienenden CDT-Werte ermittelt.
Diese seien bis zum 16.3.1999 auf einen Wert von 73,10 gestiegen; der Normwert liege
unter 20. Nach Vorlage dieses Ergebnisses seien sowohl der Kläger als auch seine frühere
Ehefrau von der Hausärztin darauf hingewiesen worden, dass am Vorliegen einer
erheblichen Alkoholerkrankung kein Zweifel mehr bestehe. Dies werde auch dadurch
belegt, dass Ende des Jahres 2000 eine schwere alkoholtoxische Hepatose diagnostiziert
worden sei, die eine stationäre Behandlung im Krankenhaus ... notwendig gemacht habe.
Bei Kenntnis dieser Erkrankung hätte die Beklagte den Versicherungsantrag abgelehnt.
Ausweislich des an die Hausärztin gerichteten Arztbriefes des Krankenhauses ... vom
19.5.2006 über eine stationäre Behandlung vom 15.4. bis 20.4.2006 (Bl. 162 d. A.) sei
ein erhöhter Gamma-GT-Wert von 12,38 festgestellt worden, der den Nachweis einer
massiven Schädigung der Leber durch Alkohol und damit zugleich den Nachweis einer
Alkoholerkrankung erbringe. Zum Nachweis der Kenntnis des Klägers von seiner
Alkoholerkrankung hat die Beklagte in der Berufungsinstanz außerdem das Schreiben der
Hausärztin des Klägers vom 11.10.2009 (Bl. 171 d. A.) vorgelegt. Dort heißt es unter
anderem:
Abschließend heißt es:
II.
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist dies
allerdings nicht darauf zurückzuführen, dass es bereits an der schlüssigen Darlegung eines
Unfallgeschehens fehlt. Die Leistungsfreiheit der Beklagten folgt aber daraus, dass die
Beklagte den Versicherungsvertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten hat
(§ 22 VVG i. V. m. § 123 BGB), so dass dieser gemäß § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an
nichtig anzusehen ist.
1.
Allerdings hat das Landgericht zu Recht die Aktivlegitimation des Klägers bejaht, der die
versicherungsvertraglichen Ansprüche nach Fälligkeit infolge endgültiger
Leistungsablehnung durch Schreiben vom 18.4.2007 (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 22.3.2000 –
IV ZR 233/99 – NJW 2000, 2021) in wirksamer Weise durch Abtretung vom 8.8.2007 von
seiner früheren Ehefrau erworben hat, § 12 Abs. 3 AUB 94.
Entgegen der Ansicht der Beklagten steht der Wirksamkeit der Abtretung nicht entgegen,
dass die frühere Ehefrau des Klägers seinerzeit als dessen gesetzliche Betreuerin – unter
anderem – im Aufgabenbereich der Vermögenssorge bestellt war. Die zur schwebenden
Unwirksamkeit eines Insichgeschäfts führende Vorschrift des § 181 BGB ist nach ihrem
Normzweck unanwendbar, wenn das Insichgeschäft dem Vertretenen lediglich einen
rechtlichen Vorteil bringt, da ein Interessenwiderstreit dann ausgeschlossen ist und Belange
Dritter nicht entgegen stehen (vgl. BGH, Urt. v. 27.9.1972 – IV ZR 225/69 – NJW 1972,
2262). Letzteres ist hier der Fall, da der Erwerb der versicherungsvertraglichen Ansprüche
für den Kläger lediglich rechtlich vorteilhaft ist.
2.
Der aus abgetretenem Recht geltend gemachte Anspruch auf Invaliditätsentschädigung
scheitert auch nicht bereits am Fehlen eines bedingungsgemäßen Unfallgeschehens. Der
Senat geht davon aus, dass die schweren Verletzungen des Klägers infolge eines
Unfallgeschehens eingetreten sind.
Nach § 1 Abs. 3 AUB 94 liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von
außen auf seinen Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine
Gesundheitsschädigung erleidet. Davon ist im Streitfall auszugehen, da der Kläger sich
durch seinen Sturz – unter anderem – eine Schädelfraktur und eine Claviculafraktur (links)
zugezogen hat.
Der Annahme eines von außen auf den Körper des Klägers einwirkenden Ereignisses steht
im Streitfall nicht entgegen, dass der Kläger – als Folge der erlittenen Verletzungen – nicht
angeben konnte, worauf der Sturz beruhte. Dass allein durch eine ungeschickte
Eigenbewegung derart schwere Verletzungen verursacht werden könnten, hält der Senat
entgegen der Ansicht des Landgerichts für ausgeschlossen. Ebenso wenig kann der
Annahme eines Unfallereignisses die Behauptung der Beklagten entgegen stehen, der
Kläger könne aufgrund eines epileptischen Anfalls oder aufgrund Alkoholisierung – und
damit aufgrund eines inneren Vorgangs – zu Fall gekommen sein. Denn mit der
Einschränkung, wonach das zur Gesundheitsbeeinträchtigung führende Ereignis von außen
auf den Körper einwirken muss, soll der Versicherungsschutz ersichtlich nur bei solchen
Gesundheitsbeeinträchtigungen vorenthalten bleiben, die unmittelbar und ausschließlich auf
einem inneren, organischen Vorgang beruhen. Demgegenüber stellt eine
Gesundheitsbeeinträchtigung, die der Versicherte durch einen Zusammenprall seines
Körpers mit einer Sache erleidet geradezu den typischen Fall eines von außen wirkenden
Ereignisses dar (vgl. Senat, Urt. v. 29.10.2003 – 5 U 265/03 – OLGR Saarbrücken 2004
146; Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl., § 1 AUB 99, Rdn. 27). So liegt es hier, da die
Schwere der erlittenen Verletzungen sich nur mit einem Aufprall auf Boden oder Treppe im
Hausflur erklären lässt und Anhaltspunkte für eine andere als unfallbedingte Ursache fehlen.
Nur dieses Verständnis wird dem systematischen Zusammenhang der
Versicherungsbedingungen gerecht, die die von der Beklagten behaupteten Sachverhalte in
der Ausschlussklausel des § 2 Abs. 1 AUB 94 regelt, deren Vorliegen die Beklagte zu
beweisen hat. Ein Versicherter, der infolge eines Sturzes in seiner Gesundheit
beeinträchtigt wurde, erleidet einen bedingungsgemäßen Unfall mithin auch dann, wenn
der Sturz durch eine körperinterne vorausgehende (Gesundheits-) Beeinträchtigung
verursacht worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.1.1957 – II ZR 162/55 – NJW 1957, 381; OLG
Hamm, RuS 2003, 31; OLG Frankfurt, NVersZ 2002, 558; Senat, aaO.).
3.
Auch bei Annahme eines Unfallgeschehens kann die Beklagte allerdings dann leistungsfrei
sein, wenn sie den Nachweis des Vorliegens der von ihr als Unfallursache in Betracht
gezogenen Sachverhalte erbringen kann. Denn nach § 2 Abs. 1 AUB 94 fallen Unfälle durch
Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, sowie
durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper
des Versicherten ergreifen, nicht unter den Versicherungsschutz.
Für das Vorliegen eines solchen leistungsausschließenden Sachverhalts ist die Beklagte voll
beweispflichtig, ohne dass ihr die Erleichterung eines Anscheinsbeweises zugutekäme (vgl.
BGH, Urt. v. 10.10.1990 – IV ZR 231/89 – VersR 1990, 1343, wonach der
Anscheinsbeweis erst bei der Frage der Kausalität der Bewusstseinsstörung für den Unfall
eine Rolle spielt; OLG Rostock, ZfSch 2006, 222). Indes fehlen jegliche konkreten
Anhaltspunkte für eine Alkoholisierung oder einen epileptischen Anfall zum Unfallzeitpunkt.
Sowohl das ärztliche Notfallprotokoll vom 13.10.2006 (Bl. 155 d. A.) als auch die ärztlichen
Angaben in der Unfall-Schaden-Anzeige vom 28.10.2006 (Bl. 49 d. A.) ziehen eine
Alkoholisierung des Klägers aufgrund des bekannten bzw. durch die frühere Ehefrau des
Klägers mitgeteilten Alkoholmissbrauchs lediglich als eine denkbare Unfallursache in
Betracht. Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration wurden nicht getroffen. Auch die
Umstände des Unfalls und die Art der Verletzungen zwingen nicht zu dem Rückschluss,
dass als plausible Unfallursache nur ein unter die Ausschlussklausel fallender Sachverhalt
bleibe (vgl. hierzu OLG Celle, VersR 2009, 1215; OLG Hamm, VersR 2009, 349). Dass der
Kläger bereits im Jahr 2005 eine Schädelfraktur durch einen Sturz und im April 2006 einen
epileptischen Anfall erlitten hat, der eine stationäre Behandlung erforderlich machte, mag
einen solchen Sachverhalt nahe legen, genügt für den zu erbringenden Vollbeweis aber
nicht. Dies geht zu Lasten der beweispflichtigen Beklagten.
4.
Dafür, dass die frühere Ehefrau des Klägers als Versicherungsnehmerin die
Gesundheitsfragen im Antragsformular bewusst unrichtig beantwortet haben sollte, fehlt
es an hinreichenden objektiven Anhaltspunkten. Der Senat geht aber davon aus, dass der
Kläger den jahrelangen Alkoholmissbrauch, der bereits zu stationär behandlungsbedürftigen
Leberschäden geführt hatte, bei Beantragung des Versicherungsvertrages arglistig
verschwiegen hat. Neben seiner früheren Ehefrau, der Versicherungsnehmerin, hat auch
der Kläger als versicherte Person den Versicherungsantrag vom 13.9.2001 unterschrieben.
Gemäß § 12 Abs. 1 i. V. m. § 3 a AUB 94 war er der Beklagten neben der
Versicherungsnehmerin zur wahrheitsgemäßen Beantwortung der Antragsfragen
verantwortlich. Dass er gegen diese vorvertragliche Obliegenheit verstoßen hat, war der
Versicherungsnehmerin zuzurechnen (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl., § 13 AUB
99, Rdn. 18) und berechtigte die Beklagte zur Anfechtung des Versicherungsvertrages
wegen arglistiger Täuschung, § 22 VVG i. V. m. 123 BGB.
a)
Arglistig täuscht, wer vorsätzlich irreführt, wer also mit seiner Täuschung bewusst und
gewollt Einfluss auf die Willensentschließung seines Vertragspartners, des Versicherers,
nimmt (vgl. BGH, Urt. v. 14.7.2004 – IV ZR 161/03 – VersR 2004, 1297; Senat, Urt. v.
9.11.2005 – 5 U 50/05 – VersR 2006, 681; Urt. v. 5.12.2001 – 5 U 568/01 – VersR
2003, 890).
aa)
Im Streitfall steht fest (§ 286 ZPO), dass der Kläger im Antragsformular unrichtige
Angaben gemacht hat. Gefragt war dort zwar nach dem Vorliegen von körperlichen
Fehlern, Gebrechen oder erheblichen Krankheiten in den letzten vier Jahren. Die
Antragsfrage war deshalb nur dann objektiv unrichtig beantwortet, wenn von einem
Alkoholmissbrauch des Klägers ausgegangen werden kann, dem Krankheitswert zukam.
Dass nur nach erheblichen Krankheiten gefragt war, verlangt außerdem eine Wertung des
Klägers, so dass die Annahme einer unrichtigen Beantwortung weiter voraussetzt, dass
dem Kläger die Erheblichkeit seiner Erkrankung bewusst war (vgl. BGH, Urt. v. 6.5.1965 –
II ZR 133/63 – VersR 1965, 654). Hiervon geht der Senat indessen aus.
(1) Krankheit ist ein im Vergleich zum altersentsprechenden Normalzustand regelwidriger
Körperzustand, der eine ärztliche Behandlung erfordert (vgl. OLG Schleswig, VersR 1995,
825; OLG Frankfurt, OLGR Frankfurt 2000, 161; Grimm, aaO., § 3 AUB 99, Rdn. 2;
Mangen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 47,
Rdn. 213). Eine Alkoholkrankheit liegt mithin dann vor, wenn ein Alkoholmissbrauch zu
einem regelwidrigen Körper- und Geisteszustand geführt hat, der eine Heilbehandlung
notwendig macht (vgl. OLG Frankfurt, aaO.).
Das Vorliegen einer Alkoholkrankheit im Sinne dieser Definition ergibt sich aus den
Schreiben der Hausärztin des Klägers vom 7.3.2007 (Bl. 43 d. A.) und vom 11.10.2009
(Bl. 171 d. A.) und aus dem "Vorläufigen Entlassungsbericht" des Klinikums ... vom
12.12.2000 (Bl. 165 d. A.). Hieraus folgt, dass der Kläger bereits seit 1997 wegen eines –
wenn auch von ihm als solchen geleugneten – "Alkoholproblems als Haupt- oder
Nebengrund der Vorstellung" in ärztlicher Behandlung befand. Der Entlassungsbericht über
den stationären Aufenthalt vom 5.12. bis zum 12.12.2000 weist als Diagnose – unter
anderem – eine "alkoholtox. Hepatose bei chron. Alkoholabusus (evtl. ... alkoholtox.
Hepatitis)" aus.
Der Senat hält es auf dieser Grundlage für erwiesen, dass zur Zeit der Antragstellung
bereits seit Jahren ein chronischer Alkoholmissbrauch vorlag, der bereits zu stationär
behandlungsbedürftigen Leberschäden geführt hatte. Die Feststellung einer Erkrankung in
diesem Sinne setzt nicht voraus, dass der Versicherte von dem regelwidrigen Zustand
Kenntnis hat oder sich krank fühlt (vgl. OLG Frankfurt, aaO.; OLG Schleswig, aaO.).
(2) Auf diesen subjektiven Aspekt kommt es aber dort an, wo – statt konkreter und
detaillierter Fragestellungen – eigene Wertungen oder Schlussfolgerungen des Versicherten
verlangt werden. Diese sind nur dann unrichtig, wenn sie der subjektiven Überzeugung des
Betroffenen nicht entsprechen (vgl. BGH, Urt. v. 6.5.1965 – II ZR 133/63 – VersR 1965,
654; Knappmann, Alkoholbeeinträchtigung und Versicherungsschutz, VersR 2000, 11). Der
Nachweis der Unrichtigkeit bereitet dem beweispflichtigen Versicherer dort umso größere
Schwierigkeiten, wo eine Krankheitseinsicht krankheitstypisch fehlt und die Grenzen
zwischen bloß gesundheitsgefährdendem Verhalten und Erreichen eines Krankheitswertes
fließend sind.
Diese Grenze muss im Streitfall aber auch nach der Überzeugung des Klägers bereits
überschritten gewesen sein. Dieser mag noch die jahrelangen Warnungen und
Ermahnungen der Hausärztin bagatellisiert und verdrängt haben, die eine kontinuierliche
Überprüfung der Blutwerte für erforderlich hielt und den Kläger über die – aus ihrer Sicht –
auf einen Alkoholmissbrauch hindeutenden Ergebnisse unterrichtete. Dass sich Ende des
Jahres 2000 als Folge des chronischen Alkoholmissbrauchs die Notwendigkeit der
stationären Behandlung von körperlichen Folgeschäden ergab, war allerdings auch aus der
laienhaften Sicht des Klägers als eindeutiges Anzeichen einer erheblichen Erkrankung zu
deuten, selbst wenn ihm die konkrete Diagnose einer "alkoholtox. Hepatose bei chron.
Alkoholabusus (evtl. ... alkoholtox. Hepatitis)" nicht eröffnet worden sein sollte. Dieser
Erkenntnis steht auch nicht entgegen, dass der Kläger den Alkoholmissbrauch – nach
außen – gegenüber der Hausärztin und seiner früheren Ehefrau weiterhin geleugnet und die
dringend empfohlene Suchtberatung und Entziehung als sinnlos abgelehnt hat. Der Senat
hält es deshalb für erwiesen, dass dem Kläger die Unrichtigkeit seiner Angaben bewusst
gewesen ist.
bb)
Der Senat ist ferner davon überzeugt, dass das Verschweigen der erheblichen Erkrankung
nicht nur bewusst, sondern auch zumindest mit bedingtem Vorsatz geschehen ist, um auf
den Willen der Beklagten Einfluss zu nehmen.
Die Annahme von Arglist setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der
Versicherungsnehmer erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis
des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde (vgl.
BGH, Urt. v. 28.2.2007 – IV ZR 331/05 – VersR 2007, 785 m. w. N.). Der Kläger kann
infolge der Schwere seiner Verletzungen nicht mehr zu seiner Motivation befragt werden.
Das Vorliegen des subjektiven Tatbestands lässt sich aber aus den – unstreitigen –
objektiven Umständen schließen, wie sie bei Antragstellung vorlagen. Zu diesen Umständen
gehören insbesondere die Schwere der Erkrankung und die Art der in Frage stehenden
Versicherung (vgl. hierzu vgl. Senat, Urt. v. 19.5.1993 – 5 U 56/92 – RuS 1997, 303; Urt.
v. 5.12.2001 – 5 U 568/01 – 39 – VersR 2003, 890; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2005, 463;
KG, NJW-RR 2005, 1616). So spricht das Verschweigen von schweren und/oder erkennbar
chronischen Erkrankungen indiziell für einen Täuschungswillen des Versicherungsnehmers
(vgl. OLG Hamm, VersR 2008, 477; OLG Koblenz, RuS 2001, 437).
Im Streitfall kommt hinzu, dass die stationäre Behandlung der bereits eingetretenen
Folgeschäden des Alkoholmissbrauchs zur Zeit der Antragstellung nicht einmal ein Jahr
zurück lag. Weniger als einen Monat vor Antragstellung – am 28.8.2001 – stellte der
Kläger sich erneut der Hausärztin vor, die nunmehr Aszites (Bauchwassersucht) und
Unterschenkelödeme diagnostizierte – beides Symptome einer Leberschädigung durch
Alkoholmissbrauch –, verbunden mit einer "ausführlichen Erläuterung der absoluten
Alkoholkarenz" (Bl. 172 d. A.). Gerade aufgrund des Umstands, dass unmittelbar vor
Antragstellung weitere Folgeschäden der Alkoholerkrankung aufgetreten waren, konnte der
Kläger sich nicht der Erkenntnis erschließen, dass es sich bei seiner Erkrankung um einen
Umstand handelte, der für die Beklagte von erheblicher Bedeutung war und er deshalb
durch ihr Verschweigen maßgeblichen Einfluss auf deren Entscheidung über die Annahme
des Versicherungsantrags nehmen werde. Dies gilt umso mehr, als die besondere
Relevanz der Alkoholkrankheit für die Risikobewertung im Rahmen einer Unfallversicherung
auf der Hand liegt (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 26.10.1994 – IV ZR 151/93 – VersR 1994,
1457; KG, NJW-RR 2005, 1616).
b)
Die Täuschung des Klägers ist auch für die Annahme des Versicherungsantrags ursächlich
gewesen. Die Beklagte hat substantiiert dargetan, dass sie die Unfallversicherung in
Kenntnis der Vorerkrankung des Klägers nicht abgeschlossen hätte, was nach der
Lebenserfahrung auch plausibel erscheint.
c)
Der Senat geht davon aus, dass die Anfechtung auch innerhalb der Frist des § 124 Abs. 2
Satz 1 BGB erfolgt ist, welche mit dem Zeitpunkt der Kenntnis des
Anfechtungsberechtigten von der Täuschung beginnt. Der insoweit darlegungs- und
beweispflichtige Kläger (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 11.3.1992 – VIII ZR 291/90 – NJW 1992,
2346) hat nicht vorgetragen, dass die Beklagte bereits länger als ein Jahr vor ihrer
Anfechtungserklärung vom 18.4.2007 verlässliche Kenntnis von der Täuschung über seine
Alkoholerkrankung hatte.
d)
Aufgrund der wirksamen Täuschungsanfechtung kann offen bleiben, ob die Beklagte die
Anfechtung daneben auch auf das Verschweigen der ebenfalls schon vor Antragstellung
diagnostizierten und auch medikamentös behandelten Hypertonie stützen kann. Ebenso
kann offen bleiben, ob die Beklagte in wirksamer Weise von dem Versicherungsvertrag
zurückgetreten ist und ob sie sich wegen Obliegenheitsverletzung durch unrichtige oder
unvollständige Angaben in der Unfall-Schadenanzeige auf Leistungsfreiheit berufen kann.
5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben. Die Rechtssache
hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§
543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO).