Urteil des OLG Saarbrücken vom 29.11.2006

OLG Saarbrücken: röhre, ampel, unfall, verkehrssicherheit, bademeister, zahl, gefahr, betreiber, kontrolle, installation

OLG Saarbrücken Urteil vom 29.11.2006, 1 U 616/05 - 212
Verkehrssicherungspflichten eines Hallenbadbetreibers: Sicherheitsvorkehrungen beim
Betrieb einer Röhrenrutsche
Leitsätze
Zu den Verkehrssicherungspflichten eines Hallenbadbetreibers hinsichtlich einer
Wasserrutsche.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das am 29. September 2005 verkündete Urteil des
Landgerichts in Saarbrücken – 3 O 414/04 – wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die durch diese Entscheidung begründete Beschwer des Klägers beträgt 6.000 Euro.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1
ZPO abgesehen.
B.
Die form- und fristgerecht eingelegte sowie ordnungsgemäß begründete Berufung des
Klägers ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässig, bleibt aber in der
Sache ohne Erfolg.
Dem Kläger stehen wegen seines in der Röhrenrutsche am 19.09.2004 erlittenen Unfalls
Ansprüche auf Ausgleich materieller und immaterieller Schäden weder auf deliktrechtlicher
Grundlage (§§ 823, 253 Abs. 2 BGB) noch aus dem Gesichtspunkt der vertraglichen
Haftung (§§ 282, 278 BGB) zu.
Eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte bei dem Betrieb der
Wasserrutsche lässt sich selbst dann nicht feststellen, wenn zugunsten des Klägers
unterstellt wird, dass er sich erst dann in die Rutsche begeben hat, als die Ampel für ihn
„grün“ zeigte. Auch bei Unterstellung eines derartigen Geschehensablaufes kann eine
Haftung der Beklagten weder auf die generelle Gefährlichkeit einer solchen Anlage, der
nicht durch ausreichende zumutbare Sicherheitsvorkehrungen entgegengewirkt wurde (I.),
noch darauf gestützt werden, dass in der konkreten Situation die Anlage nicht
ordnungsgemäß funktionierte oder die seitens der Beklagten getroffenen
Sicherheitsvorkehrungen nicht eingehalten wurden (II.).
I.
Die Beklagte war als Betreiberin des unzweifelhaft
verpflichtet, ihre Badegäste vor Gefahren zu schützen, denen diese beim Besuch des
Hallenbades und bei der Benutzung der Einrichtung des Bades ausgesetzt sein können.
Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, wonach derjenige, der eine Gefahrenlage
schafft, verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um
eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (ständige Rechtsprechung des BGH;
BGHZ 121, 367; BGH VersR 1993, 586; BGH VersR 1997, 109; BGH VersR 2004, 657).
1. Auf der Grundlage dieser allgemeinen Maßstäbe bestimmt sich auch das Maß der
Verkehrssicherungspflicht für Schwimmbäder. Die Anlagen einer Badeanstalt müssen so
beschaffen sein, dass die Benutzer vor vermeidbaren Gefahren bewahrt bleiben. Das
bedeutet, dass die Badegäste vor den Gefahren zu schützen sind, die über das übliche
Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen, von ihnen nicht vorhersehbar und nicht ohne
weiteres erkennbar sind. Dem Betreiber eines Schwimmbades obliegt neben seiner
Verpflichtung zur Erfüllung der von den Besuchern abgeschlossenen Benutzungsverträge
auch die deliktische (Garanten-)Pflicht, dafür zu sorgen, dass keiner der Besucher beim
Badebetrieb durch solche Risiken zu schaden kommt (BGH VersR 2000, 984). Für den
Umfang der erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen ist zudem in Betracht zu ziehen, dass
insbesondere Kinder und Jugendliche dazu neigen, Vorschriften und Anordnungen nicht zu
beachten und sich unbesonnen zu verhalten; daher kann die Verkehrssicherungspflicht
auch die Vorbeugung gegenüber solchem missbräuchlichen Verhalten umfassen (BGH
VersR 1980, 863; BGH VersR 1962, 825; BGH VersR 2004, 657).
Der Betrieb einer Wasserrutsche bringt vielfältige Gefahren mit sich. Neben Stürzen aus
nach oben offenen Röhrenrutschen (OLG München VersR 1974, 200) kommt es im
Bereich der Wasserrutschen immer wieder dadurch zu Unfällen, dass Badegäste die
Rutsche in falscher Körperlage benutzen (OLG Hamm VersR 1979, 643; OLG Karlsruhe
VersR 1993, 709; OLG Saarbrücken VersR 1997, 377) oder aber in der Rutsche selbst
oder am Rutschenauslauf mit anderen Benutzern zusammenstoßen. Ursächlich hierfür
können unterschiedliche Rutschtechniken und die damit einhergehenden voneinander
abweichenden Rutschgeschwindigkeiten sein. Begünstigt werden Kollisionen häufig aber
auch durch einen zu geringen Abstand zum Vordermann zu Beginn des Rutschvorgangs.
2. Zur Feststellung von Inhalt und Umfang der die Beklagte bezüglich der Wasserrutsche
treffenden Verkehrssicherungspflichten sind zunächst die maßgeblichen DIN-EN 1069/1:
2000-09; DIN-EN 1069-2: 2000-09 heranzuziehen. Auch wenn es sich bei DIN-Normen
nicht um mit Drittwirkung versehenen Normen im Sinne hoheitlicher Rechtsetzung,
sondern um auf freiwilliger Anwendung ausgerichtete Empfehlungen des „ DIN Deutschen
Instituts für Normung e.V.“ handelt, so spiegeln sie doch den Stand der für die betroffenen
Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wider und sind somit zur Bestimmung
des nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen in besonderer Weise geeignet
(vgl. BGHZ 103, 338; BGH VersR 1980, 380; BGH VersR 2004, 657). Die in Rede
stehende Anlage entspricht den Anforderungen an die hier maßgeblichen DIN-Vorschriften.
Die Beklagte hat die Prüfbescheinigung des TÜV Thüringen vom 28.08.2004 (Anlage B 2)
vorgelegt, die bis zum 31.08.2005 Gültigkeit beansprucht. Die Beklagte hat darüber hinaus
eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um ihrer besonderen Verkehrssicherungspflicht im
Bereich der Wasserrutsche zu genügen. Die relativ einfache Benutzung der Wasserrutsche
wird durch hinreichend klare, instruierende Piktogramme verdeutlicht. Daneben hat die
Beklagte technische Vorkehrungen getroffen, die es den Schwimmmeistern ermöglichen,
von ihrer Zentrale aus den Rutscheneinstieg mittels Videoüberwachung zu beobachten und
die sich dort aufhaltenden Badegäste über Lautsprecher anzusprechen. Um einen zeitlichen
und räumlichen Abstand zwischen den Benutzern der Rutsche zu gewährleisten, hat die
Beklagte diese mit einer sensorgesteuerten Ampelanlage ausgestattet, die so angelegt ist,
dass die Freigabe (bei ordnungsgemäßer Benutzung) jeweils dann erfolgt, wenn der
Benutzer den Rutschenauslauf erreicht. Dabei wird zum einen dem Umstand Rechnung
getragen, dass die am Rutscheneingang wartenden Benutzer den weiteren Verlauf der
Röhre nicht einsehen können und deshalb für die Einhaltung eines ausreichenden
Rutschabstands ohne Ampel auf eine bloße Schätzung der seit dem Einstieg des
Vordermanns verstrichenen Zeit angewiesen wären. Zum anderen werden mit dieser
Technik – im Unterschied zu zeitgesteuerten Signalanlagen – die für den Zeitpunkt der
Freigabe der Rutsche bedeutsamen unterschiedlichen Rutschgeschwindigkeiten der
Badegäste berücksichtigt.
Diese vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen gewährleisten im Zusammenwirken ein hohes
Maß an Verkehrssicherheit; sie können allerdings Unfälle durch Zusammenstöße nicht
gänzlich verhindern. Wenn ein Badegast bei „rot“ in die Rutsche einsteigt, wird nicht nur
der erforderliche Sicherheitsabstand zu dessen Vordermann unterschritten, sondern
gleichzeitig die Funktion der Signalwirkung aufgehoben, denn die Ampel schaltet schon in
dem Moment auf „grün“, in dem der Vordermann den Rutschenauslauf erreicht. Die
Gefahr, dass es zu einem „Rotlichtverstoß“ kommt, ist dabei nicht so fern liegend, dass
der Verkehrssicherungspflichtige dies nicht in seine Überlegungen einzubeziehen hat; mit
der Möglichkeit, dass irgendwann einmal ein Badegast das Signal der Ampel missachtet
und zu früh in die Rutsche einsteigt, kann und muss der Verkehrssicherungspflichtige
rechnen. Er muss daher im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren Vorkehrungen
dagegen treffen, dass ein Badegast bei „Rotlicht“ in die Rutsche einsteigt und auf diese
Weise sich und andere gefährdet.
Nach der Rechtsauffassung des Senates lassen sich indes keine weitergehenden
Möglichkeiten feststellen, die geeignet und insbesondere zumutbar wären, der Gefahr einer
Missachtung von Benutzerhinweisen, insbesondere der „Rotlichtphase“ der Ampelanlage
hinreichend zu begegnen. So kann die Installation einer mechanischen Sperre nicht als
sachdienlich erachtet werden, da eine solche Einrichtung ihrerseits neue Unfallgefahren mit
sich bringen würde (im Einzelnen BGH VersR 2004, 657). Die Gewährleistung einer
ununterbrochenen, direkten Aufsicht am Rutscheneinstieg durch einen dort präsenten
Bademeister ist nicht zumutbar. Eine lückenlose Aufsicht in Schwimmbädern ist nicht üblich
und nach ständiger Rechtsprechung auch nicht erforderlich (BGH VersR 2004, 657
m.w.N.). Ein Unterlassen anderer denkbarer Sicherheitsvorkehrungen kann der Beklagten
im Streitfall ebenfalls nicht zum Vorwurf gereichen. Insbesondere kann der Kläger sich nicht
mit Erfolg darauf berufen, dass die Anlage deshalb nicht betriebssicher sei, weil diese dann
– fehlerhaft – mit „grün“ eine freie Passage anzeige, wenn sie zuvor von mehreren
Personen regelwidrig benutzt wurde und von der ersten Person verlassen wurde. Die
Berufung vermag keinen hinreichenden Sachvortrag dazu aufzuzeigen, dass eine solche
Ampelschaltung mit „Gedächtnis“ vor dem Unfall des Klägers, also im Jahre 2004
überhaupt zur Verfügung gestanden hätte, noch dazu, dass das Einrüsten der Signalanlage
mit einer solchen „intelligenten“ Technik der Beklagten überhaupt finanziell zumutbar
gewesen wäre. Darüber hinaus würde es nach den zum Zeitpunkt der Schädigung
bestehenden Verhältnissen - nach Auffassung des Senates - die Anforderungen an die
Verkehrssicherheit einer solchen Wasserrutsche überspannen, den Einsatz einer technisch
aufwendigen Einrichtung zu verlangen, die die einfahrenden Personen zählt, ihre Zahl
später mit der Zahl der die Rutsche Verlassenden abgleicht und die Benutzung erst dann
wieder durch Ampelzeichen freigibt, wenn alle Benutzer die Röhre wieder verlassen haben.
Insoweit muss ausreichend sein, ein Höchstmaß an Sicherheit in den Fällen
ordnungsgemäßer Benutzung zu gewährleisten und die zumutbaren Vorkehrungen gegen
Gefahren, die aus einer Verletzung der Benutzerhinweise resultieren, zu treffen. Dies
schließt nicht aus, dass im Wandel der technischen Möglichkeiten dem Betreiber einer
solchen Wasserrutsche weitergehende Sicherheitsvorkehrungen aufzuerlegen sind.
II.
Eine Haftung der Beklagten kann auch nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass die
Ampelanlage in der konkreten Situation defekt war oder die seitens der Beklagten
allgemein getroffenen Sicherheitsvorkehrungen im konkreten Fall nicht eingehalten wurden.
Der bloße Umstand, dass der Kläger bei der Benutzung der Rutsche verletzt wurde, lässt
allein noch nicht den Rückschluss auf unzureichende Sicherheitsvorkehrungen zu; denn es
bleibt die Möglichkeit offen, dass die nach Darlegung des Klägers in der Röhre befindlichen
drei Mädchen sich nicht an die Benutzungsregeln gehalten haben oder der Kläger selbst
dies nicht getan hat.
Der bloße Vortrag des Klägers, die Anlage sei zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens defekt
gewesen und habe deshalb fehlerhaft für ihn „grün“ gezeigt, reicht indes nicht aus, eine
schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten in hinreichender Weise
darzutun. Denn diese hat – von dem Kläger nicht bestritten – vorgetragen, die Anlage
werde regelmäßig kontrolliert und gewartet und sei insbesondere am Morgen des Unfalles
überprüft worden, ohne dass ein Defekt erkennbar geworden sei. Darüber hinaus hat der
Kläger seinerseits nicht dargetan, dass der von ihm behauptete Defekt solcher Art war,
dass er schon längere Zeit vorgelegen haben muss und bei den zu fordernden
Routinekontrollen schon vor dem Unfall hätte festgestellt werden können und müssen.
Darüber hinaus könnte ein heute eingeholtes Sachverständigengutachten keinen Aufschluss
darüber bringen, ob zum Zeitpunkt des Unfalls die Anlage defekt war. Der Vorwurf des
Klägers, der Monitor der Videoanlage sei zum Zeitpunkt des Unfalles nicht überwacht
worden, vermag eine Haftung der Beklagten ebenfalls nicht zu begründen. Es begegnet
bereits erheblichen Zweifeln, von einer Monitorüberwachung eine in zeitlicher Hinsicht
lückenlose und ausschließliche Kontrolle des Rutscheneinstiegs zu verlangen. Denn diese
dient in erster Linie der groben Überwachung auf ins Auge springende Vorfälle und
frühzeitige Erkennung von technischen Defekten der Ampelanlage. Hinzukommt, dass eine
solche lückenlose „Rundum“ Kontrolle gerade dem Verlangen nach einem präsenten
Bademeister an dem Rutscheneinstieg gleich käme, was weder üblich noch nach der
Rechtsprechung gefordert wird (BGH a.a.O.). Unabhängig davon wäre bei lebensnaher
Betrachtung ein eventueller Pflichtenverstoß der Beklagten – unterstellt, der Monitor wäre
entsprechend dem Sachvortrag des Klägers tatsächlich nicht besetzt gewesen – für das
Entstehen des Unfalles nicht kausal gewesen bzw. hätte der Unfall auch durch eine
Überwachung des Monitors nicht hätte verhindert werden können. Zum einen kann auf der
Grundlage des eigenen Vorbringens des Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass
eine am Monitor sitzende Person die drei in der Röhre befindlichen Mädchen hätte sehen
können und daher den Kläger noch rechtzeitig vor dem Einstieg in die Rutsche hätte
warnen können. Zum anderen hätte für einen Schwimmmeister in dem Fall, dass die
Ampel für den Kläger „grün“ gezeigt hätte, kein Grund zum Eingreifen bestanden. Ließ sich
der Kläger regelwidrig bereits bei „rot“ in die Röhre gleiten, so war auch dies ein Vorgang,
der durch eine sorgfältige Überwachungsperson nicht mehr hätte verhindert werden
können.
Nach alledem erweist sich die Berufung des Klägers als unbegründet.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige zur Vollstreckbarkeit aus §§
708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Ausspruch zur Beschwer erfolgt im Hinblick auf § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.