Urteil des OLG Oldenburg vom 29.07.1991

OLG Oldenburg: beweiswürdigung, sicherheit, lebenserfahrung, freispruch, verfahrensrecht, eingriff, datum

Gericht:
OLG Oldenburg, unbekannt
Typ, AZ:
Beschluß, SS 333/90
Datum:
29.07.1991
Sachgebiet:
Normen:
Keine Normen eingetragen
Leitsatz:
Zum Eingriff des Revisionsgerichts in die Beweiswürdigung eines frei- sprechenden Urteils, wenn die
Zweifel des Tatgerichts möglicherweise nur theoretisch-abstrakter Natur sind.
Volltext:
Die Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise steht
zwar grundsätzlich dem Gericht zu, das die Beweisaufnahme durch-
geführt hat und das daher zur Beurteilung tatsächlicher Fragen
aus dem Bereich der Schuld- und Straffrage berufen ist, dem so-
genannten Tatrichter; an seine Feststellungen ist das Revisions-
gericht im Regelfall gebunden. Aufgabe des Revisionsgerichts ist
es aber, innerhalb der sachlich-rechtlichen Überprüfung eines
Urteils auch die Erwägungen zu überprüfen, die der Tatrichter zur
Beweiswürdigung angestellt hat, und in sie einzugreifen, wenn sie
rechtlich fehlerhaft sind. Dies ist dann der Fall, wenn die tat-
richterlichen Erwägungen in sich widersprüchlich oder erkennbar
unvollständig sind oder wenn sie gegen gesetzliche Regelungen
verstoßen; dazu zählt es auch, wenn die Urteilsgründe besorgen
lassen, daß der Tatrichter von unzutreffenden rechtlichen Vor-
stellungen über das Maß der Gewißheit ausgegangen ist, das der
richterlichen Überzeugungsbildung zugrundeliegen muß (ständige
Rspr. insbes. des BGH, u.a. NStZ 1982, 478, NStZ 1984, 180, BGHR
StPO § 261, Stichwort Beweiswürdigung Nr. 2). Dies ist hier der
Fall.
Voraussetzung dafür, daß der Tatrichter in einem verfahrensrecht-
lich ausreichendem Maß vom Vorliegen eines bestimmten Sachver-
halts überzeugt ist, ist nicht eine restlose, das Gegenteil denk-
notwendig ausschließende Gewißheit. Vielmehr genügt ein nach der
Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige
Zweifel nicht aufkommen läßt. Dabei haben solche Zweifel außer
Betracht zu bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und
sich lediglich auf eine bloß gedankliche, abstrakt-theoretische
Möglichkeit gründen (vgl. BGH MDR 1978, 806 m.w.N., auch NJW
1988, 3273 und BGHR StPO § 261, Stichwort Beweiswürdigung Nr. 5),
wenn andererseits ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß
an Sicherheit für die Schuld eines Angeklagten besteht, das reale
Zweifel eines besonnenen, gewissenhaften und lebenserfahrenen
Beurteilers nicht mehr laut werden läßt. Demgemäß müssen die
Gründe eines freisprechenden Urteils erkennen lassen, ob die
Zweifel, auf denen der Freispruch beruht, konkret begründet oder
nur abstrakt sind; anderenfalls kann das Revisionsgericht nicht
ausschließen, daß es sich um nur theoretische Zweifel handelt,
die aus Rechtsgründen nicht hätten berücksichtigt werden dürfen
(OLG Düsseldorf VRS 66, 358, Senatsentscheidungen vom 29. Mai
1989 - Ss 195/89 - und 31. Juli 1989 - Ss 253/89 -).