Urteil des OLG Oldenburg vom 11.10.1994
OLG Oldenburg: eingriff, sterilisation, einwilligung, zugang, rechtswidrigkeit, schlichtungsverfahren, schwangerschaft, klinik, aufklärungspflicht, gefahr
Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 5 U 3/93
Datum:
11.10.1994
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 847
Leitsatz:
Zu den Versagerquoten unterschiedlicher Sterilisationsverfahren und zur Verpflichtung des Arztes,
darüber aufzuklären.
Volltext:
Die klagenden Eheleute verlangen vom Beklagten Schadensersatz, die
Klägerin ferner Schmerzensgeld, wegen einer mißlungenen Sterilisa-
tion der Klägerin und fehlerhafter Aufklärung.
Da die Kläger weitere Kinder nicht haben wollten, entschloß sich
die Klägerin zur Sterilisation. Deshalb begab sie sich vom 1.7.
bis zum 4.7.1986 in das S-Krankenhaus in Haselünne, in dem der Beklagte als Belegarzt tätig ist. Dort führte der
Beklagte einen Sterilisationseingriff von der Scheide aus unter Anwendung
der bipolaren Elektrokoagulationsmethode durch. Vor dem Eingriff
hatte die dem Beklagten assistierende Ärztin Dr. F. mit der
Klägerin ein Aufklärungsgespräch anhand eines "Merkblatts zum Auf-
klärungsgespräch Sterilisation der Frau" geführt. In diesem Merk-
blatt sind verschiedene Sterilisationsmethoden beschrieben, von
denen die durchzuführende angekreuzt werden kann. Ferner wird
darin darauf hingewiesen, daß sich eine neue durchgängige Verbin-
dung der Eileiterenden bilden kann.
Den Klägern steht weder aus einer fehlerhaften Durchführung des
Eingriffs noch aus einer Verletzung der Aufklärungspflicht ein
Schadensersatzanspruch zu.
I.
Allein die Tatsache, daß die Klägerin erneut schwanger geworden
ist, läßt den Schluß auf eine tatsächlich unterbliebene Sterilisa-
tion, beispielsweise infolge der Koagulation des Mutterbandes
statt der Eileiter, nicht zu, weil es auch nach einem fehlerfrei
durchgeführten Eingriff zur Rekanalisation eines Eileiters oder zu
einer Fistelbildung an einem Eileiter kommen kann, was eine erneu-
te Schwangerschaft zur Folge haben kann. Sowohl der im Schlich-
tungsverfahren beauftragte Sachverständige Prof. Dr. B. als
auch der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. Dr. Roemer
haben ferner ausgeführt, daß sich aus dem Operationsbericht ein
fehlerhaftes Vorgehen nicht entnehmen läßt. Insbesondere hat der
Beklagte die Tuben mehrfach nebeneinander koaguliert, was von bei-
den Sachverständigen als erforderlich angesehen wird. Gegen ein
fehlerhaftes Vergehen spricht auch, daß die Klägerin nicht bereits
kurze Zeit nach dem Eingriff, sondern mehr als zwei Jahre danach
schwanger geworden ist. Bei einer von vornherein fehlgeschlagenen
Sterilisation durch unzureichende Koagulation oder durch Verwech-
selung anatomischer Strukturen - die von beiden Sachverständigen
genannten beherrschbaren Fehlerquellen - wäre eine frühere Schwan-
gerschaft der Klägerin zu erwarten gewesen, zumal die Kläger keine
Umstände vorgetragen haben, die sonst eine früher eingetretene
Schwangerschaft als unwahrscheinlich erscheinen lassen.
Die vom Beklagten angewandte Methode war auch nicht deshalb feh-
lerhaft, weil er es unterlassen hat, ein Stück der Eileiter zu
entfernen. Zum einen kann es auch dann zu einer Rekanalisation
kommen, so daß dadurch eine erneute Schwangerschaft nicht ausge-
schlossen ist. Zum anderen läßt sich dem Gutachten des Sachver-
ständigen Prof. Dr. Becker entnehmen, daß die vom Beklagten ge-
wählte Methode ohne Durchtrennung oder Entfernung eines Stücks der
Eileiter eine praktizierte Sterilisationsmethode ist, deren Anwen-
dung für sich genommen nicht fehlerhaft ist; denn der Gutachten-
auftrag der Schlichtungsstelle umfaßte auch die Fragestellung, ob
die Methode fehlerhaft war. Dies wird durch das gerichtlich einge-
holte Gutachten bestätigt. Danach nimmt die Mehrzahl der Opera-
teure von einer zusätzlichen Durchtrennung der Eileiter wegen der
gegebenen Blutungsgefahr und der möglicherweise auch häufigeren
Fistelbildung, die das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft
beinhaltet, Abstand.
Die Wahl der Methode kann dem Beklagten auch nicht mit Blick auf
eine statistisch zu hohe Versagerquote als gegen den medizinischen
Standard verstoßend angelastet werden. Wie der Sachverständige im
Schlichtungsverfahren ausgeführt hat, kann es nach allen Methoden,
die eine Unterbindung der Eileiter bewirken, zu methodenimmanenten
Versagern kommen. Soweit dort ausgeführt ist, nach der Sterilisa-
tionsmethode nach Uchida seien bisher (1975) keine Schwangerschaf-
ten aufgetreten, besagt dies nicht, daß sie nach dieser Methode
nicht vorkommen können. Derartige statistische Werte können nur
mit Zurückhaltung bewertet werden (ebenso OLG Düsseldorf VersR 87,
412, 413). Das im Schlichtungsverfahren eingeholte Gutachten
zeigt, daß es für die einzelnen Methoden unterschiedliche Zahlen-
angaben über Versagerquoten gibt, die sich zwischen 0 und 2 % be-
wegen, für die hier angewandte Methode nach Käser, Iklé, Hirsch
(1983) allerdings zwischen 0,8 und 10 % schwanken. Auch der Sach-
verständige Prof. Dr. R. hat ausgeführt, daß beim vaginalen
Zugang neben anderen Komplikationen Schwangerschaften häufiger
sind bzw. zu sein scheinen. Daraus ist aber, jedenfalls bezogen
auf das Jahr 1986, eine gegen den ärztlichen Standard verstoßende
und damit fehlerhafte Behandlung nicht herzuleiten. Denn schon der
Sachverständige im Schlichtungsverfahren hat darauf hingewiesen,
daß die Risiken und die Häufigkeit von Versagern mit zunehmender
Erfahrung des Operateurs abnehmen, so daß der Operateur nur Ver-
fahren bevorzugen sollte, mit denen er die größte Erfahrung hat
(vgl. auch OLG Düsseldorf a.a.O.). Ebenso hat der gerichtlich be-
stellte Gutachter dargelegt, daß sich ein Operateur, der mit die-
sem Sterilisationsverfahren Erfahrungen gesammelt hat, sich durch-
aus auf schulmedizinischem Gebiet bewegt und die Verwendung des
vaginalen Zugangs für sich genommem nicht als Behandlungsfehler
einzustufen ist. Der Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, daß
er Sterilisationen ausschließlich nach der auch bei der Klägerin
angewandten Methode durchgeführt habe. Die vom Beklagten vorge-
nommene Wahl der Methode ist nach alledem medizinisch nicht zu be-
anstanden.
II.
Die Kläger können einen Schadensersatzanspruch nicht auf eine feh-
lerhafte Aufklärung, weder unter dem Gesichtspunkt der Sicher-
heitsaufklärung (1.) noch dem der Eingriffsaufklärung und einer
damit einhergehender mangelnder Einwilligung in den Eingriff (2.),
stützen.
1.
Soweit die Kläger geltend machen, der Beklagte habe sie über die
Versagerquote unzureichend aufgeklärt, kann dies zunächst delikti-
sche Ansprüche nicht begründen. Der Hinweis auf eine einer Steri-
lisationsmethode anhaftende Unsicherheit ist lediglich eine ver-
tragliche Nebenpflicht, deren Verletzung nur dann zur Unwirksam-
keit der Einwilligung und damit zur Rechtswidrigkeit des Eingriffs
führt, wenn die Patientin wegen der möglichen Unsicherheit des Er-
folgs das gesundheitliche Risiko des Eingriffs gescheut und die
Durchführung abgelehnt hätte (vgl. BGH VersR 81, 278; OLG Düssel-
dorf a.a.O. S. 414). Das trägt aber die Klägerin nicht vor. Sie
macht vielmehr geltend, sich dann für eine andere Methode, ggfls.
in einer anderen Klinik, entschieden zu haben. Eine Verletzung der
Aufklärungspflicht über die Höhe der Versagerquote wäre mithin als
Verletzung der Sicherheitsaufklärungspflicht (sog. therapeutische
Aufklärung) anzusehen, die nicht zur Rechtswidrigkeit des Ein-
griffs führen würde, sondern nur vertragliche Schadensersatzan-
sprüche begründen könnte.
Aber auch insoweit ergibt sich daraus, daß der Beklagte den Klä-
gern eine Versagerquote von nur 1 - 4 0/00 genannt hat, kein Scha-
densersatzanspruch. Zunächst können solche statistischen Angaben
nur mit größter Zurückhaltung bewertet werden. Sie bewegen sich
überwiegend im Bereich bis zu 2 %, wobei für die bipolare Koagula-
tion, wie bei der Klägerin, allerdings von der Bauchspiegelung
aus, von Loffer und Pent (1980) eine Versagerquote von 1,8 0/00
angegeben worden ist. Die für die unterschiedlichen Methoden ins-
gesamt dicht nebeneinander liegenden statistischen Durchschnitts-
werte sagen wenig darüber aus, ob die eine Sterilisationsmethode
der anderen vorzuziehen ist, weil es wesentlicher auf die Erfah-
rung des Operateurs mit der von ihm bevorzugten Methode ankommt.
Die vom Beklagten angewandte Sterilisationsmethode unterscheidet
sich damit unter Außerachtlassung des Zugangsweges hinsichtlich
der Versagerquote praktisch nicht von anderen Methoden.
Davon zu unterscheiden ist der vom Beklagten gewählte Zugangsweg,
für den nach den Ausführungen beider Sachverständigen von einem
erhöhten Versagerrisiko auszugehen ist. Darüber waren aber die
Kläger aus Rechtsgründen nicht aufzuklären. Aus beiden Gutachten
ergibt sich nämlich, daß dieses Risiko aus einer fehlerhaften
Durchführung der Sterilisation resultiert und damit vermeidbar
ist. Über die Gefahr von Behandlungsfehlern und vermeidbaren Risi-
ken braucht ein Arzt aber nicht aufzuklären. Insoweit wird das In-
teresse des Patienten am Ersatz eines ihm zugefügten Schadens
durch die Haftung aufgrund fehlerhafter Behandlung geschützt (vgl.
Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum Arzt-
haftungsrecht, 5. Aufl., S. 110; BGH VersR 85, 736; 92, 358).
Der Sachverständige Prof. Dr. B. hat die höhere Versagerquote
der bipolaren Koagulation bei vaginalem Zugang damit erklärt, daß
es neben den methodenimmanenten Versagern der Tubensterilisation,
also Rekanalisation oder Fistelbildung, entweder leichter zur Ver-
wechselung von anatomischen Strukturen (Koagulation des Mutterban-
des) oder zu unvollständiger Koagulation (zu oberflächlich oder zu
schmal an den Tuben angebracht) kommen kann. Beide Möglichkeiten
stellen Behandlungsfehler dar und sind deshalb vermeidbar. Die in
der Literatur beschriebene höhere Versagerquote läßt sich nur aus
diesem Gesichtspunkt erklären. Denn die Koagulation selbst unter-
scheidet sich nicht bei Verwendung des einen (Laparoskopie oder
Laparotomie) oder des anderen (vaginalen) Zugangsweges. Dies be-
deutet aber, daß die anscheinend höhere Versagerquote bei vagina-
lem Zugang auf der höheren Wahrscheinlichkeit von Behandlungsfeh-
lern der sie bevorzugenden Ärzte beruht. Darüber ist aber, wie
ausgeführt, nicht aufzuklären. Die Aufklärung der Kläger über die
Versagerquote (bis zu 4 0/00) war deshalb zutreffend.