Urteil des OLG Oldenburg vom 07.04.2010

OLG Oldenburg: persönliche anhörung, anspruch auf rechtliches gehör, wirtschaftliches interesse, stationäre behandlung, neues beweismittel, arglistige täuschung, provision, lebensversicherung

Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 5 U 98/09
Datum:
07.04.2010
Sachgebiet:
Normen:
GG Art 103 Abs 1, ZPO § 141, ZPO § 448, ZPO § 531 Abs 2
Leitsatz:
1. Das Gericht ist nicht verpflichtet, zu dem umstrittenen Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs neben
dem Zeugen der Gegenpartei von Amts wegen auch die Partei nach § 448 ZPO zu vernehmen oder
nach § 141 ZPO anzuhören. Es bedarf vielmehr eines entsprechenden Antrages der Partei.
2. Wird der Antrag erstmals in der Berufungsinstanz gestellt, so handelt es sich um ein neues
Beweismittel, das den Schranken des § 531 Abs. 2 ZPO unterliegt.
Volltext:
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG
B e s c h l u s s
5 U 98/09
13 O 3407/08 Landgericht Oldenburg
In dem Rechtsstreit
F… R…, Taubenstraße 21, 49393 Lohne,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältin …
gegen
A… L…, …
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte …
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …,
den Richter am Landgericht … und den Richter am Oberlandesgericht …
am 07. April 2010
einstimmig beschlossen:
Die Berufung des Klägers gegen das am 26. Juni 2009 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts
Oldenburg wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Der Antrag des Klägers, ihm für die Berufungsinstanz Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für die Berufungsinstanz auf 80.021,33 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Wegen des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe nimmt der Senat auf das angefochtene Urteil Bezug.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine bislang geltend gemachten Ansprüche weiter. In der Berufungsbegründung
wiederholt und ergänzt er sein bisheriges Vorbringen. Er beanstandet insbesondere die Beweiswürdigung des
Landgerichts, auf deren Grundlage die Kammer zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Kläger die Beklagte bei
Aufnahme seines Antrags auf Abschluss einer Lebensversicherung mit BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung
arglistig getäuscht hat.
II.
Die Berufung des Klägers ist gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
1.
Der Senat hat in seinem Hinweisbeschluss vom 3. März 2010 im Einzelnen ausgeführt, dass die Berufung keine
Aussicht auf Erfolg bietet. Auf diese Darlegungen nimmt er gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO Bezug.
2.
Das Vorbringen des Klägers in seinen Schriftsätzen vom 15. und 29. März 2010 rechtfertigt keine andere
Entscheidung.
a) Entgegen der Auffassung des Klägers war das Landgericht nicht verpflichtet, ihn von Amts wegen als Partei zu
vernehmen (§ 448 ZPO) oder gemäß § 141 ZPO anzuhören.
aa) Der Kläger leitet die Notwendigkeit seiner Anhörung aus den Grundsätzen über so genannte
VierAugenGespräche ab. Er behauptet, er habe den Zeugen N… L… im März 1994 bei der Aufnahme des fraglichen
Versicherungsantrags darüber informiert, dass er wegen seiner Erkrankung, die 1984 zu der Diagnose „Torticollis
spasticus“ geführt hatte, im Jahr 1985 stationär behandelt worden war. Der Zeuge L… sei, so der Kläger, als Agent
der Beklagten ihrem Lager zuzurechnen. Deshalb sei es verfahrensfehlerhaft, dass das Landgericht seine
Feststellungen zu der angeblichen arglistigen Täuschung auf die Vernehmung des Zeugen L… gestützt habe, ohne
ihm, dem Kläger, Gelegenheit gegeben zu haben, seine Erinnerungen an die Antragsaufnahme im März 1994
persönlich zu schildern. Eine solche Möglichkeit hätte ihm auch ohne einen entsprechenden Antrag eingeräumt
werden müssen.
bb) Der Senat verkennt nicht, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) und das mit
ihm im Zusammenhang stehende Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.
V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) es gebieten können, zu dem umstrittenen Inhalt eines VierAugenGesprächs nicht nur den
Zeugen der Gegenpartei, sondern auch die Partei gemäß § 448 ZPO zu vernehmen oder nach § 141 ZPO
informatorisch anzuhören (vgl. BVerfG, NJW 2001, S. 2531 f.). Auch das - aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) abzuleitende - Erfordernis grundsätzlicher Waffengleichheit und gleichmäßiger
Verteilung des Prozessrisikos kann ein solches Vorgehen notwendig machen (vgl. BVerfG, NJW 2008, S. 2170,
2171. BGH, Beschluss vom 30.09.2004, Az.: III ZR 369/03, Rz. 3, zitiert nach juris, jeweils mit w. N.).
cc) Daraus folgt allerdings nicht, dass das Gericht eine Partei, die keinen Beweis für ihren Vortrag zum Inhalt eines
VierAugenGesprächs anzubieten vermag, in jedem Fall von Amts wegen informatorisch anhören oder als Partei
vernehmen muss. Nach dem Verhandlungs oder Beibringungsgrundsatz, der den Zivilprozess prägt, obliegt es allein
den Parteien, den Streitstoff in den Prozess einzuführen, über seine Feststellungsbedürftigkeit zu entscheiden und
seine Feststellungen zu ermöglichen. Dementsprechend werden Zeugen nur auf einen entsprechenden Antrag der
beweisbelasteten Partei vernommen (§ 373 ZPO). Eine verfahrensrechtliche Gleichstellung der Parteien eines
Zivilprozesses verlangt somit nicht, dass die über keine Zeugen verfügende Partei von Amts wegen angehört oder
vernommen wird, sondern nur, dass ihre diesbezüglichen Anträge nicht abgelehnt werden. Durch eine zwingende und
von Amts wegen vorzunehmende Anhörung oder Vernehmung der sich in Beweisnot befindenden Partei würde diese
gegenüber ihrem Gegner, dem es obliegt, einen Beweisantrag zu stellen, begünstigt (vgl. BVerfG, NJW 2008, S.
2170, 2171).
dd) Diese vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich formulierten Grundsätze entziehen der Auffassung des
Klägers, er hätte von Amts wegen zu dem fraglichen VierAugenGespräch mit dem Zeugen L… angehört werden
müssen, den Boden. Zwar liegt der zuletzt zitierten Entscheidung eine Gestaltung zugrunde, in der die Partei, die
nicht auf Beweismittel zurückgreifen konnte, bei allen gerichtlichen Terminen anwesend war und deshalb die
Möglichkeit hatte, ihre Darstellung vom Verlauf des VierAugenGesprächs durch eine Wortmeldung nach § 137 Abs.
4 ZPO persönlich vorzutragen. Demgegenüber hat der Kläger hier an den beiden Sitzungen des Landgerichts nicht
teilgenommen. Doch führt der Aspekt der verfahrensrechtlichen Gleichbehandlung, den das
Bundesverfassungsgericht in den Mittelpunkt seiner Argumentation stellt, auch in Konstellationen der vorliegenden
Art zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass eine Anhörung oder Vernehmung von Amts wegen nicht obligatorisch ist.
Denn auch hier ist kein sachlicher Grund erkennbar, der es rechtfertigen könnte, den Kläger anders zu behandeln als
die Beklagte, deren Zeuge ohne einen Beweisantrag nicht hätte vernommen werden können.
b) Die Anhörung des Klägers zu dem VierAugenGespräch im Berufungsverfahren nachzuholen, ist nicht angezeigt.
Seine persönliche Anhörung/Vernehmung hat der Kläger erstmals unter dem 15. März 2010 beantragt. Sein
Begehren ist damit als neues Angriffsmittel zu qualifizieren und unterliegt als solches den Schranken des § 531 Abs.
2 ZPO. Ein Zulassungsgrund im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht vor. Unberechtigt ist insbesondere der Einwand
des Klägers, das Landgericht habe es entgegen § 139 ZPO unterlassen, ihn auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine
Anhörung gemäß § 141 ZPO oder eine Vernehmung als Partei zu beantragen.
aa) Zwar entbindet die anwaltliche Vertretung einer Partei das Gericht nicht von seiner Prozessleitungspflicht. Doch
wird die Reichweite der richterlichen Hinweispflichten begrenzt durch das Prinzip der Parteiherrschaft über den
Prozessstoff und die richterliche Pflicht zu Neutralität und Gleichbehandlung der Parteien (vgl. Greger, in: Zöller,
ZPO, 28. Aufl., § 139, Rn. 2 m. w. N.). Deshalb ist das Gericht nicht generell verpflichtet, eine Partei darauf
aufmerksam zu machen, dass sie bislang nicht alle denkbaren Mittel ausgeschöpft hat, um die Beweiswürdigung in
ihrem Sinne zu beeinflussen. Geboten ist ein Hinweis auf die Notwendigkeit der Benennung von Beweismitteln nur
unter besonderen Umständen, etwa dann, wenn sich aus dem übrigen Vorbringen ergibt, dass das Unterbleiben des
Beweisantritts auf einem Versehen beruht (vgl. BGH, NJW 1998, S. 155, 156 m. w. N.).
bb) Nach diesem Maßstab war das Landgericht nicht gehalten, den anwaltlich vertretenen Kläger darauf
hinzuweisen, dass er seine persönliche Anhörung zu dem zwischen ihm und dem Zeugen L… geführten
VierAugenGespräch durch einen entsprechenden Antrag herbeiführen könne. Das Landgericht hat den Zeugen L…
zweimal, nämlich am 3. April 2009 und am 12. Juni 2009, vernommen. Die Bevollmächtigte des Klägers war jeweils
anwesend. Bereits in dem ersten Termin zur Beweisaufnahme am 3. April 2009 ist deutlich geworden, dass sich die
Aussage des Zeugen L… für den Kläger ungünstig auswirken könnte. Gleichwohl ist der Kläger auch zu der
nachfolgenden Sitzung am 12. Juni 2009 nicht erschienen. Wie dem anwaltlich vertretenen Kläger bekannt sein
musste, stand es ihm frei, seine Bevollmächtigte zu den Terminen zu begleiten und sich gemäß § 137 Abs. 4 ZPO
zu Wort zu melden. Dass das Landgericht eine Anhörung des Klägers von Amts wegen nicht für geboten erachtet
hat, war schon dadurch erkennbar, dass zu keinem der Verhandlungstermine das persönliche Erscheinen des
Klägers angeordnet worden war.
Auf der anderen Seite musste das Landgericht nicht davon ausgehen, dass der Kläger es versehentlich unterlassen
hatte, seine persönliche Anhörung oder Vernehmung zu beantragen. Nachdem er sich in der Klageschrift noch selbst
auf den Zeugen L… berufen hatte, hat er nach der Beweisaufnahme vom 3. April 2009 erkennbar Überlegungen dazu
angestellt, wie er die Glaubwürdigkeit des Zeugen L… und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage erschüttern könne. So
hat er in seinen Schriftsätzen vom 14. und 20 April 2009 weitere Zeugen benannt, um angebliche Ungereimtheiten zu
belegen. Dadurch ist das Landgericht bewogen worden, einen weiteren Termin zur Beweisaufnahme anzuberaumen.
Dass der Kläger willens war, selbst vor Gericht den Inhalt des VierAugenGesprächs mit dem Zeugen L… zu
schildern, hat er in der ersten Instanz nicht zu erkennen gegeben. Selbstverständlich war das unter den konkreten
Umständen nicht. Vielmehr lag die Annahme nicht fern, dass der Kläger es schon aus gesundheitlichen Gründen
vermeiden wollte, vor Gericht zu erscheinen. Immerhin hat er mit Schriftsatz vom 10. Februar 2009 einen Bericht
des Rehabilitationszentrums Godeshöhe vom 13. Januar 2009 vorgelegt, dem zufolge eine weitere
Befundverschlechterung im Hinblick auf seine Dystonie mit Zunahme der hypokinetischen Störung eingetreten war.
c) Die übrigen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts erhobenen Einwände greifen nach dem für das
Berufungsverfahren geltenden Prüfungsmaßstab, der bereits in dem Hinweisbeschluss des Senats näher dargelegt
worden ist, nicht durch.
aa) Insbesondere vermag es nicht zu überzeugen, wenn der Kläger einwendet, die Aussage des Zeugen L… sei
deshalb unglaubhaft, weil dieser einerseits Details bekundet habe, die den Vortrag der Beklagten stützten,
andererseits aber im Laufe der Vernehmung größere Erinnerungslücken offenbart habe.
(1) Was den entscheidungserheblichen Punkt, nämlich die Auskünfte des Klägers zu seinem Gesundheitszustand,
betrifft, so hat der Zeuge L… vor dem Landgericht von Beginn an klargestellt, dass er sich nicht mehr „so richtig“ an
die konkreten Umstände erinnern könne. Wie bereits in dem Hinweisbeschluss näher ausgeführt, hat der Zeuge L…
letztlich aus dem Inhalt des Antragsformulars und seiner stets gleichen Vorgehensweise bei der Antragsaufnahme
abgeleitet, dass der Kläger die Fragen nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Klinikaufenthalten seinerzeit
verneint hat. Schon vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme des Klägers nicht haltbar, der Zeuge L… habe
bestimmte Detailkenntnisse lediglich vorgespiegelt, um seiner Aussage Ergiebigkeit zu verleihen. Hätte der Zeuge
La… tatsächlich mit einer solchen Intention gehandelt, so hätte es wesentlich näher gelegen, gerade die
entscheidungserhebliche Gesprächssituation, für die keine weiteren Zeugen zur Verfügung stehen, mit Einzelheiten
anzureichern, um sicherzugehen, dass das Gericht eine arglistige Täuschung feststellt.
(2) Dagegen betrifft die vom Kläger mehrfach hervorgehobene Aussage zu dem Ort der Antragsaufnahme, die der
Zeuge L… nach Vernehmung der Zeugin R… relativiert hat, keinen für den Ausgang des Rechtsstreits bedeutsamen
Punkt. Derartige Unsicherheiten lassen sich ohne weiteres damit erklären, dass zwischen der Aufnahme des
fraglichen Versicherungsantrags im März 1994 und der Beweisaufnahme im Jahr 2009 gut 15 Jahre liegen.
(3) Entsprechendes gilt für die Vermutung des Klägers, der Zeuge L… habe der Beklagten zunächst mitgeteilt, dass
der vormalige Agenturinhaber W… U… bei der Aufnahme des fraglichen Antrags zugegen gewesen sei. Selbst wenn
diese - ohnehin im Bereich des Spekulativen angesiedelte - Darstellung zuträfe, würde dadurch die Behauptung, der
Zeuge L… wolle ein eigenes Fehlverhalten vertuschen, nicht untermauert, sondern - im Gegenteil - erschüttert. Denn
in einem solchen Fall wäre dem Zeugen L… sicher nicht daran gelegen, den wahren Sachverhalt durch die
Hinzuziehung weiterer Zeugen aufzuklären.
bb) Dem Argument des Klägers, der Zeuge L… sei aus wirtschaftlichen Gründen daran interessiert gewesen, ihm
eine Lebensversicherung mit BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung zu vermitteln, ist nach wie vor
entgegenzuhalten, dass die Existenz eines solchen Motivs für sich genommen noch kein unredliches Verhalten bei
der Aufnahme des Antrags oder eine Falschaussage vor Gericht belegt. Insofern war das Landgericht auch nicht
gehalten, weiter aufzuklären, von wem die Initiative zu dem Abschluss des Versicherungsvertrages ausgegangen ist
und auf welchen Betrag sich die daraus resultierende Provision des Zeugen L… genau belief.
Ohnehin sind die in dem Schriftsatz vom 14. Juni 2009 enthaltenen Daten zur Höhe der Provision, auf die der Kläger
sich jetzt bezieht, aus verfahrensrechtlichen Gründen unbeachtlich. Zum einen ist der Schriftsatz nach Schluss der
mündlichen Verhandlung eingegangen, ohne dass in der Sitzung am 12. Juni 2009 ein Schriftsatznachlass beantragt
oder gewährt worden ist. Zum anderen handelt es sich nicht um einen substanziierten Vortrag, sondern um schlichte
Spekulation („die Provision dürfte damit wohl eher bei ca. 3.870 DM gelegen haben“).
Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, weshalb sich dem Kläger der Eindruck aufdrängt, dass der Zeuge L… die Höhe
der Provision habe verschleiern wollen. Denn die Vermutungen des Klägers zur Höhe der Provision bauen gerade auf
der Aussage des Zeugen L… auf, wonach die Vergütung etwa 10 Promille der Versicherungssumme beträgt. Dass
der Zeuge L… die absolute Höhe der Provision im Termin am 12. Juni 2009 mit 400,00 DM beziffert hat, beruht
offensichtlich darauf, dass ihm eine bestimmte Versicherungssumme vorgegeben worden ist („wenn mir gesagt wird,
dass die Versicherungssumme etwa 40.000,00 DM sind“).
cc) Auch darüber hinaus sind nach wie vor keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Zeuge L… bei
der Antragsaufnahme unredlich vorgegangen ist und später vor dem Landgericht falsch ausgesagt hat. Das gilt
unabhängig davon, wie viel Erfahrung der Zeuge L… im Jahr 1994 bereits als Versicherungsagent gesammelt hatte.
Der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. Juli 2004, Az.: 20 U 20/04, VersR 2005, S. 773 ff., die
der Kläger in diesem Zusammenhang zitiert, lassen sich ebenfalls nur die bereits genannten abstrakt denkbaren
Motive für ein unredliches Verhalten entnehmen (wirtschaftliches Interesse, Verschleierung eines Fehlverhaltens).
Weiter wird dort ausgeführt, dass ein erfahrener und auf Dauer für einen bestimmten Versicherer tätiger Agent
typischerweise nicht an Vertragsabschlüssen „um jeden Preis“ interessiert sei, sondern an dem Abschluss
(provisions) wirksamer Verträge. Diese Aussage ge¬stattet nicht etwa den Umkehrschluss, dass bei
Versicherungsagenten ohne langjährige Erfahrung eine tatsächliche Vermutung für ein Streben nach
Vertragsabschlüssen „um jeden Preis“ streitet.
dd) Was die - erneut unter Beweis gestellte - Behauptung des Klägers betrifft, der Zeuge L… habe bei der Aufnahme
des fraglichen Versicherungsantrags von seinem Klinikaufenthalt im Jahr 1985 gewusst, so hält der Senat an den
bereits in seinem Hinweisbeschluss niedergelegten Erwägungen fest.
ee) Zu der Frage, ob es dem Kläger tatsächlich verborgen bleiben konnte, dass der Zeuge L… in dem
Antragsformular bei allen auf gesundheitliche Beeinträchtigungen abzielenden Fragen lediglich „nein“ angekreuzt
hatte, führt der Kläger unter dem 15. März 2010 aus, er habe die stationäre Behandlung in der
ClemensAugustJugendklinik sogleich erwähnt, als der Zeuge L… sich nach bestehenden oder früheren Krankheiten
erkundigt habe. Darauf habe der Zeuge L… entgegnet, jetzt sei er - der Kläger - ja gesund. Damit sei die Befragung
über seinen Gesundheitszustand und eventuelle Klinikaufenthalte beendet gewesen. Deshalb sei nicht zu erwarten
gewesen, dass der Zeuge L… auf dem Antragsformular längere Notizen mache.
Damit hat der Kläger seinen bisherigen Vortrag modifiziert. Die Aussage, der Zeuge L… habe ihm indirekt zu
verstehen gegeben, dass er die Behandlung in der ClemensAugustJugendklinik im Zusammenhang mit dem
Versicherungsantrag für irrelevant halte, ist - soweit ersichtlich - neu. In der ersten Instanz hat der Kläger lediglich
vorgetragen, er sei davon ausgegangen, dass der Zeuge L… das Formular korrekt ausfülle. Selbst wenn man die
jetzige Ergänzung als schlichte Konkretisierung des bisherigen Vortrags ansieht, überrascht ihr später Zeitpunkt
insofern, als sie einen zentralen Punkt dieses Rechtsstreits betrifft. Im Übrigen hätte der Kläger, wenn der Zeuge
L… die Behandlung in der ClemensAugustJugendklinik tatsächlich als nicht bedeutsam dargestellt hätte, erst recht
Anlass gehabt, zumindest einen kurzen Blick auf die schriftlichen Angaben in dem Antragsformular zu werfen, um
zu überprüfen, ob und gegebenenfalls wie seine Informationen Eingang in den Fragebogen gefunden haben.
Im Ergebnis sind auch die neuen Schilderungen nicht geeignet, die Feststellung des Landgerichts zu erschüttern,
wonach der Kläger durch das Verschweigen seines stationären Klinikaufenthaltes im Jahr 1985 bewusst auf die
Entschließung der Beklagten Einfluss genommen hat.
ff) Der daran anknüpfende Schluss auf ein arglistiges Handeln des Klägers wird durch seine Stellungnahmen vom
15. und 29. März 2010 ebenfalls nicht in Frage gestellt. Der Einwand des Klägers, dass er sich bei Beantragung der
fraglichen Versicherung für gesund habe halten dürfen, ändert daran nichts. Die Argumentation des Klägers, für die
er unter anderem die - eigentlich in Zweifel gezogene - Aussage des Zeugen L… bemüht, hilft nicht darüber hinweg,
dass in dem Antragsformular nicht nur der aktuelle Gesundheitszustand abgefragt, sondern ausdrücklich darum
gebeten wird, auch abgeschlossene Behandlungen und deren Gründe mitzuteilen. Dass sich dem Kläger in diesem
Zusammenhang der stationäre Aufenthalt in der ClemensAugustJugendklinik und die zugrunde liegende Erkrankung
geradezu aufdrängen mussten, hat der Senat bereits in seinem Hinweisbeschluss dargelegt.
Nach wie vor passt es auch in das durch die Feststellungen des Landgerichts gezeichnete Bild, dass der Kläger
sich, kurz bevor er Leistungen aus der BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung geltend gemacht hat, eine Kopie des
Antragsformulars aus dem Jahr 1994 hat aushändigen lassen. Die von dem Kläger angeführte Intention, seine
Unterlagen zu vervollständigen, ist als Selbstzweck nicht überzeugend, nachdem er 2008 bereits rund 14 Jahre im
Besitz eines Versicherungsscheins gewesen ist. Insofern lässt das Vorgehen des Klägers durchaus den
Rückschluss zu, dass er sich Gewissheit darüber verschaffen wollte, was er seinerzeit zu den Gesundheitsfragen
angegeben hatte.
3.
Die Rechtssache besitzt keine grundsätzliche Bedeutung. Ebenso wenig erfordert sie eine Entscheidung des Senats
zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3
ZPO).
Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine andere Wertung nicht etwa deshalb angezeigt, weil hier der Inhalt
eines VierAugenGesprächs eine entscheidende Rolle spielt und der Kläger vor dem Landgericht nicht persönlich
angehört worden ist. Wie oben im Einzelnen dargelegt, lassen sich die daraus resultierenden Verfahrensfragen auf
der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Judikatur beantworten. Neue Leitsätze für die Auslegung von
Gesetzesbestimmungen des Verfahrensrechts oder einer Schließung von Gesetzeslücken bedarf es nicht. Im
Übrigen knüpft die Feststellung, dass das Landgericht Hinweispflichten nicht verletzt hat, an die speziellen
Umstände der vorliegenden Gestaltung an. Insoweit handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung und gerade nicht
um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung.
III.
1.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
2.
Der Streitwertfestsetzung für die Berufungsinstanz liegen folgende Überlegungen zugrunde:
a) Der Berufungsantrag zu 1) ist gemäß § 9 Satz 1 ZPO mit 31.634,40 € zu veranschlagen (753,20 € x 12 x 3,5).
b) Für den Berufungsantrag zu 2) erachtet der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht 10% des für den
Berufungsantrag zu 1) errechneten Wertes als angemessen, also 3.163,44 €.
c) Was den Berufungsantrag zu 3) betrifft, so ist an den Streitwert einer auf Leistung gerichteten Klage anzuknüpfen.
Dem Wortlaut des Antrags zufolge beschränkt sich das Feststellungsbegehren nicht auf die
BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung, sondern erstreckt sich auf den gesamten Versicherungsvertrag, der auch
eine Lebensversicherung auf den Todes oder Erlebensfall umfasst. Der Vortrag des Klägers lässt ebenfalls ein
solches Klageziel erkennen (vgl. etwa Seite 2 des Schriftsatzes vom 10. Februar 2009). Insofern ist zu
differenzieren:
aa) Bei der Lebensversicherung bildet die Versicherungssumme den Ausgangspunkt für die Streitwertbemessung.
Von diesem Betrag (37.659,00 €) ist - wegen des bloßen Feststellungsbegehrens - ein Abschlag von 20%
vorzunehmen. Dieser vergleichsweise geringe Abschlag rechtfertigt sich daraus, dass der Versicherungsfall - sei es
im Todes, sei es im Erlebensfall - mit Sicherheit eintreten wird (vgl. BGH, NJWRR 1997, 1562 m. w. N.). Danach
verbleibt ein Betrag von 30.127,20 €. Angesichts des vereinbarten dynamischen Zuwachses erscheint es
angemessen, diese Summe um 10% zu erhöhen, so dass sich ein Streitwert in Höhe von 33.139,92 € ergibt.
bb) Bei der BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung ist zunächst der 3,5 fache Jahresbetrag der Monatsrente (hier:
753,20 €) und der monatlichen Prämienfreistellung (hier: 100,00 €) maßgebend. Daraus folgt ein Ausgangsbetrag in
Höhe von 35.834,40 €.
Der Feststellungsabschlag ist in Gestaltungen der vorliegenden Art, in denen der Kläger nicht nur die Feststellung
beantragt, dass der Versicherungsvertrag fortbesteht, sondern zugleich Ansprüche auf Zahlung von
Versicherungsleistungen geltend macht, grundsätzlich mit 80% zu bemessen. Denn das wirtschaftliche Interesse an
einem Feststellungsausspruch ist in diesen Fällen hinsichtlich des Versicherungsfalls, aus dem bezifferte
Leistungen begehrt werden, bereits durch die Leistungsklage erfasst, während der Feststellungsklage nur für etwaige
zukünftige Versicherungsfälle, deren Eintritt gegenwärtig völlig ungewiss ist, wirtschaftliche Bedeutung zukommt
(Beschluss des Senates vom 29. März 2010, Az.: 5 W 16/10 mit w. N.). Der genannte Ausgangsbetrag reduziert
sich damit auf 7.166,88 €.
Diese Summe ist wegen des dynamischen Zuwachses von Leistung und Beitrag ebenfalls um 10% zu erhöhen. Für
den auf die BerufungsunfähigkeitsZusatzversicherung abzielenden Teil des Feststellungsantrags zu 3) ergibt sich
damit ein Streitwert in Höhe von 7.883,57 €.
d) Der Berufungsantrag zu 4) ist mit dem 3,5 fachen Jahresbetrag des Monatsbeitrags (100,00 €), insgesamt also
mit 4.200,00 € zu bewerten. Insoweit ist - entsprechend den für negative Feststellungsklagen geltenden Grundsätzen
- der volle nach § 9 ZPO errechnete Betrag festzusetzen. Denn die Klage des Versicherungsnehmers auf künftige
Beitragsbefreiung ist das Gegenstück zur Klage des Versicherers auf Beitragszahlung (vgl. Roth, in: Stein/Jonas,
ZPO, 22. Aufl., § 9, Rn. 11. ferner OLG München, JurBüro 2000, S. 416).
e) Insgesamt beträgt der Streitwert für das Berufungsverfahren damit 80.021,33 €.
IV.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen. Wie sich aus dem Gesagten ergibt, bietet das
Rechtsmittel des Klägers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Satz 1 ZPO).
… … …