Urteil des OLG Oldenburg vom 07.12.1994

OLG Oldenburg: grobe fahrlässigkeit, versicherungsnehmer, aufklärungspflicht, beweislastverteilung, ausnahme, versicherer, verschulden, versicherungsrecht, fahrzeug, entschuldigung

Gericht:
OLG Oldenburg, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 2 U 185/94
Datum:
07.12.1994
Sachgebiet:
Normen:
AKB § 7 NR 1 II., AKB § 7 NR 5
Leitsatz:
Aufklärungspflichtverletzung in der Fahrzeugversicherung: Der Ver- sicherungsnehmer muß seine
Unkenntnis von der Person des Fahrzeugführers im Zeitpunkt des Schadenfalls beweisen.
Volltext:
Der Versicherungsnehmer ist grundsätzlich durch § 7 I Abs. 2
Satz 3 AKB verpflichtet, anzugeben, wer im Unfallzeitpunkt Fahrer
des versicherten Fahrzeugs gewesen ist (Stiefel/Hofmann, Kraft-
fahrtversicherung, 15. Aufl., § 7 AKB Rn. 34; Knappmann in:
Prölss/Martin, Versicherungsrecht, 25. Aufl., § 7 AKB Anm. 2 B c
m.w.N.d.Rspr.). Dies hat die Klägerin nicht getan, sondern offen-
gelassen, welcher ihrer drei Söhne im fraglichen Zeitpunkt das
Fahrzeug gefahren hat.
1. Die Klägerin hat dies damit begründet, sie wisse nicht, welcher
ihrer Söhne gefahren habe; diese hätten auch auf Nachfragen die
Auskunft verweigert. Während grundsätzlich bei objektiv fest-
stehender Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 6 Abs. 3 VVG
der Versicherungsnehmer Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die ver-
mutet werden, zu widerlegen hat, ist die Frage der Beweislast
streitig, wenn der Versicherungsnehmer seine Kenntnis der im
Rahmen der Aufklärungspflicht anzugebenden Tatsache bestreitet.
Nach OLG Hamm (NJW-RR 1990, 1310) und Knappmann (in: Prölss/Martin,
a.a.O., § 7 AKB Anm. 7 a) kann sich die Aufklärungspflicht des
Versicherungsnehmers nur auf bekannte Tatsachen beziehen, so daß
der Versicherer, der sich auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung
der Aufklärungspflicht beruft, für die Kenntnis des Versicherungs-
nehmers beweispflichtig ist.
Nach Auffassung des Senats hat das Landgericht jedoch zurecht die
Klägerin für ihre Unkenntnis des Fahrers für beweispflichtig ge-
halten. Grundsätzlich beginnt die Aufklärungspflicht mit dem Ein-
tritt des Versicherungsfalls; mangelnde Kenntnis der aufzuklären-
den Tatsachen hindert ihre Entstehung nicht. Die Kenntnis des Ver-
sicherungsnehmers gehört als subjektives Element zur Schuldseite,
für das generell die Beweislastverteilung des § 7 V AKB gilt; der
Versicherungsnehmer muß generell nachweisen, daß ihn an der Ver-
letzung der Aufklärungspflicht kein Verschulden trifft (Knappmann
in Prölss/Martin, a.a.O., § 7 AKB Anm. 2 a) m.w.N.).
Eine Ausnahme hat der BGH aus "Gründen materieller Gerechtigkeit"
wegen der nach § 7 V AKB a.F. sonst drohenden persönlichen Haftung
des Versicherungsnehmers für Kfz-Haftpflichtschäden in unbegrenz-
ter Höhe für Fälle der objektiv gegebenen Verkehrsunfallflucht ge-
macht, wenn nicht feststeht, ob der Versicherungsnehmer den Unfall
bemerkt hat. In diesen Fällen sollte entgegen § 7 V AKB a.F. der
Versicherer beweisen müssen, daß der Versicherungsnehmer Kenntnis
vom Verkehrsunfall gehabt hat. Im übrigen blieb es auch nach die-
ser Rechtsprechung des BGH bei der Beweislastverteilung des § 7 V
AKB, so daß z.B. der Versicherungsnehmer weiterhin nachweisen muß-
te, daß ihn nicht der Vorwurf grober Fahrlässigkeit traf (BGH
VersR 1969, 694; 1970, 613; 1970, 732).
Diese Beweislastverteilung ist sachgerecht. Die völlige Leistungs-
freiheit bei vorsätzlicher Aufklärungspflichtverletzung dient der
Verhinderung solcher vorsätzlicher Obliegenheitsverletzungen; nur
dann aber, wenn der Versicherungsnehmer nachweisen muß, daß ihn an
der Obliegenheitsverletzung kein Verschulden trifft, wozu gegebe-
nenfalls auch der Nachweis der Unkenntnis der aufzuklärenden Tat-
sache gehört, können diese Obliegenheitsverletzungen mit hin-
reichendem Erfolg unterbunden werden. - Eine Ausnahme erscheint
entsprechend der obigen Rechtsprechung nur da angebracht und
erforderlich, wo der Versicherungsnehmer nicht einmal weiß, daß er
Adressat einer Obliegenheitspflicht ist; d.h. bei behaupteter
Unkenntnis des Versicherungsfalls muß der Versicherer dem Ver-
sicherungsnehmer diese Kenntnis nachweisen. Ansonsten bleibt es
Sache des Versicherungsnehmers, seine Unkenntnis der aufzuklären-
den Tatsache nachzuweisen (Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im
Privatrecht, Bd. 5 Versicherungsrecht, § 6 VVG Rn. 23 m.N.d. Rspr.
in Fn. 52; § 7 AKB Rn. 10; Prölss in: Prölss/Martin, a.a.O., § 6
Anm. 14).
2. Für ihre Behauptung, sie wisse nicht, welcher ihrer drei Söhne
das Fahrzeug im Unfallzeitpunkt gefahren habe, ist die Klägerin
beweisfällig geblieben.
3. Es gibt keine Entschuldigung für die Verletzung der Aufklä-
rungspflicht. Auch die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung naher
Angehöriger rechtfertigt keine Verletzung der Aufklärungspflicht
(Stiefel/Hofmann, a.a.O., § 7 AKB Rn. 55; Knappmann in:
Prölss/Martin, a.a.O., § 7 AKB Anm. 2 A a, jeweils m.w.N.).