Urteil des OLG Oldenburg vom 27.11.2003
OLG Oldenburg: vermögensbildung, gestaltung, rente, konzern, wertpapier, gestatten, form, handbuch, bruttoeinkünfte, nettoeinkommen
Gericht:
OLG Oldenburg, 03. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 3 WF 143/03
Datum:
27.11.2003
Sachgebiet:
Normen:
BGB 1578
Leitsatz:
Die Verwendung von Einkommensteilen des Unterhaltspflichtigen für den Erwerb sogenannter „VW-
Zeitwertpapiere“ zur Ermöglichung späterer Altersteilzeit ist nicht als Altersvorsorge (wie z. B.
Riesterrente, VW-Beteiligungsrente II), sondern als sonstige Vermögensbildung anzusehen und
deshalb zumindest bei der Berechnung des nachehelichen Unterhalts nicht einkommensmindernd zu
berücksichtigen.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
Geschäftsnummer: 3 WF 143/03
16 F 706/01 AG Emden
Beschluss
In der Familiensache
F... K, ..., ...,
Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ..., ..., ...,
Geschäftszeichen: ...
gegen
K...-H... K..., ..., ...,
Antragsteller und Beschwerdegegner,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ..., ..., ...,
Geschäftszeichen: ...
hat der 3. Zivilsenat - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 27. November 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie die Richter am Oberlandesge-richt ... und ...
beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsge-richts - Familiengericht - Emden
vom 20. August 2003 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen dahingehend geändert, dass
Prozesskostenhilfe bewilligt wird, soweit Elementarunterhalt in Höhe von 783,-- Euro sowie Vorsorgeunterhalt in
beantragter Höhe von 66,84 Euro beansprucht wird.
Gründe
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Emden vom 20. August
2003, durch welchen die beantragte Prozesskostenhilfe für ihren im Scheidungsverbundverfahren gestellten Antrag
auf Zahlung nachehelichen Elementar-, Ren-tenvorsorge- und Krankenvorsorgeunterhalts nur eingeschränkt bewilligt,
im Übrigen jedoch versagt wurde.
Sie macht im Rahmen ihrer Beschwerde geltend, dass die Zahlungen des bei der ...-AG be-schäftigten
Antragstellers auf ein sog. „Zeitwertpapier“ nicht zu ihren Lasten einkommens-mindernd berücksichtigt werden
könnten, wie es der Berechnungsweise des angefochtenen Beschlusses entspricht. Dieser hatte die
Nichtberücksichtigung der dergestalt eingesetzten Beträge damit begründet, dass die entsprechenden Beträge (im
Jahre 2002 insgesamt 9.133,94 Euro) nicht als geldwerte Einkommensbestandteile für Unterhaltszwecke zur
Verfügung stün-den und der Antragsgegnerin im Übrigen bei Eintritt des Versorgungsfalles durch entspre-chend
höhere Einkünfte des Antragstellers zugute kämen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässig und teilweise auch begründet.
Die Antragsgegnerin macht zutreffend geltend, dass die vollständige Außerachtlassung der Zahlungen des
Antragstellers auf das Zeitwertpapier der ...-AG für sie eine unterhaltsrechtlich nicht hinnehmbare Belastung
darstellt.
Die Ansparungen des Antragstellers für das Zeitwertpapier stellen keine Altersvorsorgemaß-nahme dar. Sie
ermöglichen diesem vielmehr primär die flexible Gestaltung seiner Lebensar-beitszeit und werden von dem Senat
daher als Maßnahme der Vermögensbildung eingeordnet.
Nach der ab 1. Januar 1998 gültigen, zwischen dem Vorstand und dem Gesamtbetriebsrat der ... AG als Ergänzung
des „Tarifvertrages über Altersteilzeit“ geschlossenen Betriebsvereinba-rung sind die Zeit-Werte
„ein Beitrag zur Beschäftigungssicherung, um die in der Altersteilzeit zu erbringende Ar-beitsleistung zu verkürzen.
Sie dienen der Gestaltung der Lebensarbeitszeit. ... . Nur für den Fall, dass Zeit-Werte wegen des Erreichens der
Altersgrenze, zu der eine Rente wegen Alters beansprucht werden kann, wegen der Beendigung der Beschäftigung
aufgrund verminderter Erwerbsfähigkeit oder wegen des Todes des/der Beschäftigten nicht mehr für Zeiten der Frei-
stellung von der Arbeitsleistung verwendet werden können, wird von Beginn an eine Verwen-dung der Zeit-Werte im
Rahmen der betrieblichen Altersversorgung (Beteiligungsrente II) vereinbart; .... .“
Bei einem Verbleib in dem ...-Konzern kann der Antragsteller die Zeit-Wertpapiere somit zur individuellen Gestaltung
der Altersteilzeit verwenden, wobei die zu erbringende Arbeitsleis-tung um die angesammelten Zeit-Werte reduziert
werden. Dabei kann die bezahlte Freistel-lung umso eher beginnen, je höher das Zeit-Wertguthaben angespart wurde.
Wünscht der An-tragsteller keine Altersteilzeit, so kann das Zeit-Wertguthaben auch für einen früheren Aus-stieg aus
dem Berufsleben ab dem 55. Lebensjahr verwendet werden. Je nach Höhe des ange-sparten Guthabens reduziert
sich dabei die noch verbleibende Arbeitszeit (vgl. hierzu insge-samt die Broschüre „Das ... Zeit-Wertpapier“, ...-AG,
... 2002).
Während der ...-Konzern seinen Mitarbeitern somit die Ansparung von Zeitwerten zur Ges-taltung der
Lebensarbeitszeit ermöglicht, bietet er diesen zugleich mit der sog. „Beteiligungs-rente II“ explizit ein
Altersvorsorgemodell mit der ausdrücklichen Zielrichtung an, die bei der gesetzlichen Rentenversicherung
entstandene „Versorgungslücke im Alter zu reduzieren bzw. die nach der Altersteilzeit zu erwartenden individuellen
Rentenminderungen auszugleichen (vgl. Ziff. I der ab 1. April 2003 gültigen „Betriebsvereinbarung zur
Beteiligungsrente II“).
Der Antragsteller hat sich für Ansparungen auf Zeit-Werte entschieden, was der Senat nach dem Vorstehenden als
besondere Form der Vermögensbildung bewertet, deren Schwerpunkt nicht im Bereich der Altersvorsorge
angesiedelt ist.
Einkommensbestandteile, die - wie die Ansparungen des Antragstellers auf Zeit-Werte - wäh-rend der Zeit des
ehelichen Zusammenlebens der Vermögensbildung dienten, können im Rahmen der Bedarfsbestimmung jedoch nur
dann außer Ansatz bleiben, wenn die Parteien in solchermaßen gehobenen Einkommensverhältnissen lebten, die
eine derartige Außerachtlas-sung gestatten.
Dies ergibt sich aus der Erwägung, dass die Vermögensbildung den Unterhalt nicht unange-messen beeinträchtigen
darf. Der Unterhaltsberechtigte braucht sich daher eine das verfügbare Einkommen unangemessen einschränkende
Vermögensbildung nicht entgegenhalten lassen, weil mit dem Wegfall der Ehegemeinschaft auch die Grundlage für
eine derartige Einschrän-kung entfallen ist. Der Unterhaltsverpflichtete darf mithin grundsätzlich nicht zu Lasten des
Berechtigten Vermögen bilden (vgl. BGH FamRZ 1992, 1045, 1048; 1987, 36, 39; 1984, 358, 360 f. sowie
Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 8. Auflg., Rdnr. 62 m.w.N.; Gerhardt in
Gerhardt/v. Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 4. Auflg., Kap. 6 Rdnr. 91).
In Anbetracht der konkreten Einkommensverhältnisse der Parteien sind die erheblichen An-sparungen des
Antragstellers auf Zeit-Werte (2000: 6.709,66 Euro / 2001: 11.632,12 Euro / 2002: 9.133,94 Euro) nicht hinnehmbar,
so dass diese bei der Bestimmung des Unterhaltsbe-darfs der Antragsgegnerin im Rahmen des nachehelichen
Unterhalts nicht einkommensmin-dernd zu berücksichtigen sind. Dabei braucht vorliegend nicht entschieden werden,
ob diese Betrachtungsweise uneingeschränkt auch auf den Trennungsunterhalt übertragen werden kann, bei dem für
eine Übergangszeit die Abzugsfähigkeit von in der Vergangenheit erbrach-ten Ansparungen hingenommen werden
mag.
Das von dem Amtsgericht angenommene monatliche Nettoeinkommen des Antragstellers in Höhe von 2.055,-- Euro
ist daher um die Zahlungen auf das Zeit-Wertpapier in Höhe von jährlich 9.134,-- Euro (gemäß
Verdienstbescheinigung für Dezember 2002) aufzustocken, wobei die wegen der hierduch bedingten Erhöhung seiner
Bruttoeinkünfte ansteigendene Be-lastung durch Steuern und Sozialabgaben gegenzurechnen ist. Hierbei errechnet
der Senat einen monatlichen Nettoverdienst in Höhe von rund 2.444,50 Euro, der um die allgemeine
Unkostenpauschale auf 2.320,-- Euro zu bereinigen ist. Eine etwaige Steuererstattung kann nicht berücksichtigt
werden, da deren Höhe unbekannt ist.
Auf der Seite der Antragsgegnerin ist von fiktiven Einkünften aus einer möglichen Halbtags-tätigkeit in Höhe von
425,-- Euro auszugehen. Als Folge der Zurechnung fiktiven Unterhalts ist der erforderliche
Krankenversicherungsschutz als gedeckt anzusehen, da sie unter diesen Voraussetzungen gesetzlich
krankenversichert wäre (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, a.a.O., Rdnr. 343; Gerhardt a.a.O., Rdnr. 319). Einen
gesonderten Krankenvorsorgeunterhalt schuldet der Antragsteller daher nicht.
Das fiktive Bruttoeinkommen und auf dessen Basis der geschuldete Vorsorgeunterhalt er-rechnet sich vor diesem
Hintergrund wie folgt:
2.320 - 425 = 1.895 x 3/7 = 812 + 17 % (gem. Bremer Tabelle vom 1. Januar 2003 = 138) = 950 x 19,5 %.
Der von der Antragsgegnerin in Höhe von 66,84 Euro beanspruchte Vorsorgeunterhalt ist daher gerechtfertigt.
Der Elementarunterhalt beläuft sich nach bislang gestellten Anträgen auf:
1.895 - 67 = 1.828 x 3/7 = 783,-- Euro
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