Urteil des OLG Oldenburg vom 21.09.1995

OLG Oldenburg: gegen die guten sitten, ärztliches rezept, brille, verordnung, augenoptiker, berechtigung, wiederholungsgefahr, eingriff, wettbewerbsrecht, verfälschen

Gericht:
OLG Oldenburg, 01. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluß, 1 W 54/95
Datum:
21.09.1995
Sachgebiet:
Normen:
UWG § 13 ABS 4
Leitsatz:
Wettbewerbsverstoß, wenn Augenoptiker einem Kunden, der unter Vorlage eines ärztlichen Rezeptes
eine Brille erwerben will, unaufgefordert eine neue Sehschärfenbestimmung anbietet.
Volltext:
Die Parteien streiten darüber, ob und in welchem Umfang die Be-
klagten berechtigt sind, Kunden, die unter Vorlage einer augen-
ärztlichen Verordnung für Brillengläser eine Brille erwerben wol-
len, eine erneute Refraktionierung anzubieten und nach Durch-
führung einer Zweitrefraktion Brillen aufgrund selbst festgestell-
ter Werte zu erstellen und an Kunden abzugeben. Die Kläger sind
Augenärzte. Der Beklagte zu 1) ist Augenoptikermeister und Ange-
stellter der Beklagten zu 2), die ein Optikergeschäft betreibt.
Anlaß der vorliegenden Unterlassungsklage ist ein Vorfall vom
21.12.1992. Zu diesem Zeitpunkt suchten zwei Patienten der Kläger
den augenoptischen Betrieb der Beklagten zu 2) auf, legten dem Be-
klagten zu 1) je ein Brillenrezept der Kläger vor und baten um An-
fertigung der Sehhilfen. Ohne Rücksprache mit den Klägern führte
der Beklagte zu 1) bei den Kunden eine Zweitrefraktion durch und
erstellte aufgrund dieser Werte zwei Brillen. Der Verlauf des Ver-
kaufsgesprächs und die Einzelheiten des Verhaltens des Beklagten
zu 1) sind zwischen den Parteien streitig.
Die Kläger haben behauptet, der Beklagte zu 1) habe die ihm vorge-
legten Rezepte kaum zur Kenntnis genommen, sondern diese mit der
Bemerkung, die Verordnungen seien unbrauchbar, zerrissen und eine
erneute Refraktion durchgeführt. Die durch das Verhalten des Be-
klagten zu 1) eingeschüchterten Kunden hätten diese Untersuchung
geschehen lassen. Nach Auffassung der Kläger ist ein Augenoptiker
nicht berechtigt, augenärztliche Verordnungen für Brillengläser
ohne Rücksprache mit dem Augenarzt unbeachtet zu lassen und eigene
Augenglasbestimmungen durchzuführen.
Die 5.·Zivilkammer des Landgerichts hat nach Beweisaufnahme den Hauptantrag abgewiesen und die Beklagten
entsprechend den Hilfsanträgen zur Unterlassung verurteilt. Nach Auffassung des Landgerichts ist es den Beklagten
wettbewerbsrechtlich nicht verwehrt, augenärztliche Verschreibungen für Brillengläser ohne Rücksprache mit den
verordnenden Ärzten nicht auszuführen und durch Gläser aufgrund eigener Feststellungen zu ersetzen. Dies folge
aus der Befugnis des Augenoptikers, die Sehschärfe seiner Kunden selbst zu bestimmen und danach Brillen
anzufertigen. Diese erlaubte handwerksmäßige Tätigkeit könne dem Optiker auch dann nicht untersagt werden, wenn
der Kunde ein ärztliches Rezept vorlege, soweit der Kunde nicht in unlauterer Weise beeinflußt werde und die
erneute Sehschärfenbestimmung wünsche.
Hingegen sei den Hilfsanträgen stattzugeben, weil nach der Beweis-
aufnahme feststehe, daß der Beklagte zu 1) die ihm vorgelegten Re-
zepte zerrissen habe, ohne deren Inhalt zur Kenntnis zu nehmen,
und damit die ärztlichen Leistungen der Kläger herabgewürdigt
habe. Da es an einem hinreichenden Einverständnis der Kunden mit
der Durchführung einer erneuten Refraktion gefehlt und der Be-
klagte zu 1) die Kunden insoweit "überrumpelt" habe, sei den Be-
klagten auch zu untersagen gewesen, die Ausführung von Verschrei-
bungen der Kläger allein mit der Begründung abzulehnen, Seh-
schärfenbestimmungen nähmen die Beklagten selbst vor.
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung, mit der sie
unter Ergänzung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags geltend
machen:
Das Landgericht habe ihren Hauptantrag zu Unrecht abgewiesen. Es
verstoße gegen die guten Sitten des lauteren Wettbewerbs, wenn ein
Augenoptiker einem Kunden, der mit einem ärztlichen Rezept eine
Brille erwerben möchte, eine Neurefraktionierung anbiete. Der Kun-
de werde irregeführt, weil der Eindruck erweckt werde, der Optiker
wiederhole denselben Vorgang, der sich beim Augenarzt abgespielt
habe. Zudem werde der Kunde über die Leistungsmöglichkeit des
Optikers, der auf rein handwerkliche Tätigkeiten beschränkt sei,
und über die durch die Neurefraktionierung entstehenden Kosten
irregeführt. Es bestehe auch die Gefahr, daß der Augenoptiker den
Kunden in unzulässiger Weise beeinflusse, um eine Neurefraktionie-
rung vornehmen zu können. Schließlich drohe eine Gesundheits-
gefährdung des Kunden, wenn dieser eine Brille erhalte, deren Wer-
te nicht mit dem Inhalt der ärztlichen Verordnung übereinstimmten.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagten
zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden
Fall der Zuwiderhandlung festgesetzten Ordnungsgeldes von
500.000,-·DM, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft im
Wiederholungsfall von bis zu 2·Jahren, zu unterlassen,
einem Kunden, der unter Vorlage einer -·nicht aus sich heraus
offensichtlich fehlerhaften·- augenärztlichen Verschreibung
für Brillengläser eine Brille erwerben will,
unaufgefordert eine erneute Refraktionierung anzubieten und
eine aufgrund einer unaufgefordert vorgenommenen Refraktion
hergestellte Brille abzugeben, wenn die vom Optiker fest-
gestellten Werte von der augenärztlichen Messung abweichen, es
sei denn,
(1) im Falle abweichender Werte der Neurefraktionierung die
Kläger oder ein anderer Augenarzt diese abweichenden Werte
bestätigt haben,
··· (2) hilfsweise zu (1): im Falle abweichender Werte der Neu-
refraktionierung die Beklagten den Kunden darauf hin-
weisen, daß die abweichende augenärztliche Verordnung auf
Gründen der Heilkunde beruhen kann.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Berufung der Kläger ist teilweise sachlich gerecht-
fertigt.
Den Klägern steht über die vom Landgericht rechtskräftig zuerkann-
ten Unterlassungsansprüche hinaus ein weiterer Unterlassungs-
anspruch in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang gegen
die Beklagten gemäß §·1 UWG zu. Das Verhalten des Beklagten zu 1)
gegenüber den Zeugen M und A am 21.12.1992, das sich die Beklagte zu 2) gemäß §·13 Abs.·4 UWG zurechnen
lassen muß, stellt eine Handlung im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken dar, die gegen die guten Sitten
verstößt (§·1 UWG). Der fragliche Eingriff vom 21.12.1992 begründet die Wiederholungsgefahr auch für die
Handlungen, deren Unterlassung die Kläger mit ihrem im zweiten Rechtszug gestellten Antrag begehren. Nach
Ansicht des Senats sind die Beklagten grundsätzlich wettbewerbsrechtlich daran gehindert, einem Kunden, der unter
Vorlage einer entsprechenden augenärztlichen Verordnung eine Brille erwerben
will, diesem unaufgefordert eine erneute Refraktionierung anzubieten.
Diese Auffassung steht mit der anerkannten Berechtigung des Augen-
optikers, bei seinen Kunden die Sehschärfe der Augen selbst zu er-
mitteln und danach Brillen anzufertigen und zu verkaufen, nicht in
Widerspruch. Ein Augenoptiker, der in zulässiger Weise diese rein
handwerksmäßige Tätigkeit vornimmt, übt keine Heilkunde i.S.d. §·1
Abs.·2 des Heilpraktikergesetzes aus (BGH NJW·1972, 1132; BVerwG
NJW·1976, 1187) und verstößt auch nicht gegen die guten Sitten des
Wettbewerbs, wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt
hat. Darüber hinaus ist es einem Gewerbetreibenden grundsätzlich
auch gestattet, sich um die Kunden eines Mitbewerbers zu bemühen.
Das sogenannte Ausspannen von Kunden gehört zum Wesen des Wett-
bewerbs (Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 17.·Aufl.·1993, §·1
UWG, Rn.·597). Wettbewerbswidrig wird das Ausspannen von Kunden
erst durch das Hinzutreten besonderer, den Wettbewerk verfälschen-
der Umstände (Baumbach-Hefermehl, a.a.O.).
Das an einen Kunden gerichtete Angebot eines Augenoptikers zur
Durchführung einer Neurefraktionierung ist aber nach Auffassung
des Senats regelmäßig dann als wettbewerbswidrig zu bewerten, wenn
der Kunde dem Optiker eine augenärztliche Verordnung für Brillen-
gläser vorlegt und nicht von sich aus den Wunsch nach Durchführung
einer Neurefraktionierung äußert. Der Kunde bringt als künftiger
Vertragspartner des Optikers durch die Vorlage der Verordnung zum
Ausdruck, daß er die Anfertigung einer Brille nach Maßgabe der vom
Augenarzt ermittelten Werte verlangt. Das auf einen entsprechenden
Vertragsschluß gerichtete Angebot wird der Kunde dem Optiker ent-
weder ausdrücklich oder zumindest konkludent unterbreiten. In die-
ser Situation besteht für den Augenoptiker grundsätzlich keine
Veranlassung, dem Kunden, bei dem bereits ein Augenarzt eine Seh-
schärfenbestimmung durchgeführt hat, unaufgefordert eine erneute
Refraktionierung anzubieten. Ein solches Angebot ist regelmäßig
geeignet, die Qualität der augenärztlichen Refraktion in Zweifel
zu ziehen und Mißtrauen gegenüber der augenärztlichen Leistung zu
begründen, ohne daß dafür ein Anlaß besteht. Durch die geschildete
Verfahrensweise setzt der Augenoptiker den Befund des Augenarztes,
mit dem er im Bereich der Augenglasbestimmung konkurriert, herab,
um in unlauterer Weise einen neuen Kunden zu gewinnen.
Da im Regelfall kein Grund zur Wiederholung der Refraktion vor-
liegt, lehnen es nach einer Auskunft des IKK