Urteil des OLG Oldenburg vom 11.12.2009

OLG Oldenburg: absehen von bestrafung, drogensucht, strafzumessung, rechtsstaatsprinzip, eigenverbrauch, schuldfähigkeit, grenzwert, gefahr, zukunft, methadon

Gericht:
OLG Oldenburg, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 Ss 197/09
Datum:
11.12.2009
Sachgebiet:
Normen:
BtMG § 29 Abs 1, BtMG § 29 Abs 5, StGB § 38 Abs 2
Leitsatz:
Kommt bei einem vorbestraften abhängigen Dauerkonsumenten von Betäubungsmitteln ein Absehen
von Bestrafung nach § 29 Abs. 5 BtMG nicht in Betracht, obwohl die ausschließlich zum
Eigenverbrauch erworbene Betäubungsmittelmenge unter dem hierfür gegebenen Grenzwert einer
´geringen Menge´ liegt, so verstößt eine Freiheitsstrafe, die das gesetzliche Mindestmaß von einem
Monat (§ 29 Abs. 1 BtMG, § 38 Abs. 2 StGB) übersteigt, in der Regel gegen das aus dem
Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
1. Strafsenat
1 Ss 197/09
13 Ns 228/09 Landgericht Oldenburg
453 Js 33209/08 Staatsanwaltschaft Oldenburg
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen Herrn S… F… aus O…,
dort geboren am …,
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz,
Verteidiger: Rechtsanwalt …
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 11. Dezember 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …, die Richterin am Oberlandesgericht … und den Richter am
Landgericht … - zu 1. nach § 349 Abs. 4 StPO und zu 2. nach § 349 Abs. 2 StPO auf Antrag der
Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Beschwerdeführers - einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 13. kleinen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg vom
31. August 2009 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird
insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg
zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.
2. Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.
Gründe
Das Amtsgericht Oldenburg hat den Angeklagten am 2. Juli 2009 wegen im Zustand einer wegen seiner Drogensucht
verminderten Schuldfähigkeit begangenen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 2 Fällen,
davon in einem Fall begangen als Versuch zu einer aus Einzelstrafen von 2 Monaten sowie 1 Monat und 2 Wochen
gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt, weil der langjährig drogenabhängige und mehrfach - u. a.
einschlägig - vorbestrafte Angeklagte aufgrund seiner Drogensucht für seinen eigenen Verbrauch am 6. Mai 2008
eine Kosumeinheit (0,3 g) Heroin erworben und am 25. September 2008 eine weitere Konsumeinheit Heroin für 10
Euro zu erwerben versucht hatte.
Die vom Angeklagten gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Landgericht Oldenburg am 31. August 2009
mit der Maßgabe verworfen, dass die Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes und versuchten unerlaubten Erwerbs
von Betäubungsmittel erfolge.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt und die Verletzung formellen und materiellen Rechts
gerügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil des Landgerichts Oldenburg im Strafausspruch
aufzuheben und die weitergehende Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Die Revision ist zulässig und hat in der Sache in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
Der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Als rechtsfehlerhaft erweist sich die
Bemessung der verhängten Einzelfreiheitsstrafen von 2 Monaten für die vollendete sowie von 1 Monat und 2
Wochen für die versuchte Tat.
Diese Strafzumessungen werden den Anforderungen an einen gerechten und angemessenen Schuldausgleich nicht
mehr gerecht. Sie stehen zu den Taten und der Schuld des Angeklagten außer Verhältnis und verletzen das
verfassungsrechtlich verankerte Übermaßgebot. Insoweit ist die grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene
Strafzumessung der rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht auch zugänglich, vgl. Fischer, StGB, 56.
Aufl., § 46 Rdn 146, 149 a.
Die Heroinmenge, die der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen - ausschließlich zum Eigenverbrauch - besaß
bzw. zu erwerben versuchte, war jeweils sehr klein und lag noch deutlich unter der Obergrenze der ´geringen Menge´
i. S. v. § 29 Abs. 5 BtMG. Als Grenzmenge wären insoweit 3 Konsumeinheiten anzusetzen gewesen mit insgesamt
0,03 g HHCl Wirkstoffgehalt, vgl. Körner, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rdn 1659 m. w. N.. Hier hat der Angeklagte jeweils
nur 1 Konsumeinheit besessen bzw. zu erwerben versucht. Da deren Wirkstoffgehalt nicht untersucht wurde, muss
zugunsten des Angeklagten zudem von einer extrem schlechten Qualität, also einem weit unterdurchschnittlichen
Wirkstoffgehalt, ausgegangen werden, vgl. Körner a.a.O..
Das Landgericht hat aber gleichwohl ohne Rechtsfehler nicht von einer Bestrafung nach § 29 Abs. 5 BtMG
abgesehen. Diese Vorschrift will Gelegenheits¬konsumierer und Drogenprobierer vor einer Bestrafung bewahren, vgl.
Körner a.a.O. Rdn. 1639 m. w. Nachw.. Hierzu zählt der langjährig abhängige und einschlägig vorbestrafte
Angeklagte nicht.
Die Unanwendbarkeit von § 29 Abs. 5 BtMG ändert aber nichts daran, dass das hier zu ahndende Unrecht im
untersten Bereich einer Betäubungsmittelkriminalität liegt. Daran ändert nach Lage des Falles nichts, dass es sich
bei Heroin um eine sogenannte Hartdroge handelt, zumal auch § 29 Abs. 5 BtMG nicht nach der Drogenart
differenziert. Die abgeurteilten Taten werden durch eine Selbstschädigung bzw. gefährdung des Angeklagten durch
geringe Rauschgiftmengen geprägt, die er mit wegen seiner Sucht verminderter Schuldfähigkeit beging. Zwar trägt
jeder Betäubungsmittelerwerb und besitz zur Aufrechterhaltung des kriminellen Drogenszenariums bei und birgt
abstrakt auch die Gefahr einer Weitergabe von Drogen in sich und damit auch eine Fremdgefährdung. Konkret war
Letzteres im vorliegenden Fall indessen weder für die beiden vom Angeklagten besessenen bzw. erstrebten geringen
Heroinmengen der Fall, noch ist dergleichen derzeit von ihm für die Zukunft zu besorgen. Auch mit künftigen
Straftaten zur Mittelbeschaffung für Drogenankäufe ist nach den Urteilsfeststellungen nicht zu rechnen. Denn der
Angeklagte wird seit rund einem Jahr mit einer besonders hohen Dosis Methadon ausreichend dauersubstituiert und
ist seitdem im Zusammenhang mit illegalen Drogen nicht mehr in Erscheinung getreten.
Die so umrissene Schuld des Angeklagten ist die Grundlage für die Zumessung der Strafe, § 46 Abs. 1 Satz 1
StGB. Im Bereich des staatlichen Strafens folgt aus dem Schuldprinzip, das seine Grundlage in Art. 1 Abs. 1 GG
findet und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Freiheitsrechten
abzuleiten ist, dass die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der Strafe in einem gerechten
Verhältnis stehen müssen, BVerfG StV 1994, 295.
Das Landgericht hat diesem Verfassungserfordernis nicht ausreichend Rechnung getragen. Es hat bei der
Strafzumessung die der Schuldbewertung durch den Umfang des hier sehr geringen Tatunrechts gesetzten Grenzen
aus dem Blick verloren und die täterbezogenen Umstände der strafrechtlichen Vorbelastungen des Angeklagten
überbewertet. Die Strafzumessung darf nicht in der Weise von den die Täterpersönlichkeit betreffenden Umständen
geprägt sein, dass dabei die objektiven Umstände der Tat, vor allem das Ausmaß der begangenen
Rechtsgutverletzung und der Sozialschädlichkeit der Tat, übergangen werden.
Kommt - wie hier - bei einem vorbestraften Dauerkonsumenten von Betäubungsmitteln ein Absehen von Bestrafung
nach § 29 Abs. 5 BtMG nicht in Betracht, obwohl die aufgrund bestehender Drogensucht zum Eigenverbrauch
besessene oder erworbene Betäubungsmittelmenge den hierfür gegebenen Grenzwert einer ´geringen Menge´ nicht
übersteigt, so verstößt eine Freiheitsstrafe, die das gesetzliche Mindestmaß von einem Monat (§ 29 Abs. 1 BtMG, §
38 Abs. 2 StGB) übersteigt, in der Regel gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot. In
Ausnahmefällen kann dies allerdings anders zu beurteilen sein. So kann eine das gesetzliche Mindestmaß
übersteigende Bestrafung namentlich dann geboten sein, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine künftige
Drogenweitergabe oder für eine Beschaffungskriminalität des Angeklagten vorliegen. Dergleichen ist hier - wie oben
dargelegt - nach den Urteilsfeststellungen allerdings nicht zu besorgen.
Der aufgezeigte Mangel führt zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen
Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg.
Eine eigene Sachentscheidung des Senats war nicht angezeigt. Eines Eingehens auf die weiteren Revisionsangriffe
bedurfte es nicht.
Im Übrigen hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auf die Antragsbegründung der Generalstaatsanwaltschaft wird Bezug
genommen. Da auch die Stellungnahme des Verteidigers hierzu insoweit keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung
gibt, war die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Die nunmehr mit der Sache befasste Strafkammer wird im Rahmen der erneut zu prüfenden Frage, ob eine kurze
Freiheitsstrafe nach § 47 StGB unerlässlich ist, und - für den Fall, dass sie dies bei eingehender Würdigung aller
insoweit bedeutsamen Umstände (vgl. hierzu KG StV 2007, 35) bejaht - bei der Prüfung einer Strafaussetzung
insbesondere den aktuellen Stand der Drogenbewältigung des Angeklagten durch die Substitution zu berücksichtigen
haben, die ihm die Chance einer dauerhaften Abkehr vom illegalen Drogenkonsum bietet und der deshalb für die
anzustellende Zukunftsprognose im Vergleich zu den - vergangenheitsbezogenen - Aspekten der suchtbedingten
Vorstrafen ein besonderes Gewicht zukommt.
… … …